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Full text of "Zeitschrift für Volkskunde"

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ZEITSCHRIFT 

des 

Vereins  für  Volkskunde 


Neue   Folge  der  Zeitschrift  für    Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft, 
begründet  von  AI.   Lazarus  und  H.  Steinthal. 


Im  Auftrage  des  Vereins 


herausgegeben 


Karl  Weinhold. 


Sechster  Jahrgan; 


1896. 


Mit  einer  Tafel  und  mehreren  Abbildunge 


n  im  Text.  i>    l 


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BERLIN. 
Verlag  von  A.  As  her  &  Co. 


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I  n  halt. 
Abhandlungen. 


Die  vorgeschichtliche  Ausbreitung  der  Germanen  in  Deutschland.     Von  G.  Kossiuna  1 
Volkskundliches  vom  Thüringer  Walde.     Aus  P.  Möbiua  Chronik  herausgegeben  von 

F.  Kunze 14.  17") 

Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole.     Von  Stanislaus  Prato  (Schluss).    .  24 

Der  Wechselbalg.     Zur  Volksmedizin  von  M.  Höfler 52 

Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten  sicilianischen  Märchen.    Aus  dein  Nach- 
lasse R.  Köhlers  herausgegeben  von  J.  Bolte 5s.  161 

Die  Drostin  von  Haferungen.     Von  E.  Beichhardt Ts 

Der  Kirchtag  in  Stubai  (Tirol).     Von  P.  R.  Greussing 8?» 

Vier  neuirische  Zaubersprüche.     Von  Fr.  N.  Finck 

Die  Kraniche  des  Ibykus  in  der  Sage.     Von  G.  Amalfi 115 

Volkssprüche  aus  dem  Ennsthal.     Von  K.  Reiterer 129 

Aus  dem  Reiche  der  altjüdischen  Fabel.     Von  B.  Königsberger 140 

Aus  dem  deutschen  Volks- und  Rechtsleben  in  Alt-Steiermark.   Von  Th.  Unger  184.  284.  424 

Folklore.     Von  G.  Kossinna 1>S 

Zu  den  neuirischen  Zaubersprüchen.     Von  H.  Pedersen 192 

Abzählreime  aus  dem  Posenschen.     Von  E.  Boerschel 196 

Die  adelichen  Bauern  von  Turopol.     Von  M.  Kosch 199 

Setz  deinen  Fuss  auf  meinen!     Von  J.  Bolte 204 

Kulturgeschichtliches  aus  Island.     Von  M.  Lehmann-Filhes 285.    373.  438 

Geburt,  Hochzeit  und  Tod  in  der  Iglauer  Sprachinsel  in  Mähren.    Von  Fr.  Piger  251.  407 

Aus  dem  Volkstum  der  Berber.     Von  M.  Hartmann 265 

Italienische  Volksrätsel.     Von  J.  Tschiedel 276 

Kinderreime  aus  dem  Marchfelde.     Von  H.  Schukowitz 290 

Zum  Volkslied,  Spruch  und  Kinderreim.     Von  A.  Englert 296 

Das  Leben  in  der  Auffassung  der  Gossensasser.     Von  M.  Rehsener    .    .        .    .      304.  395 

Die  Gerichtslinde  von  Basdorf  in  der  Herrschaft  Itter.     Von  E.  Schröder 347 

Volkskundliches  aus  dem  Boldecker  und  Knesebecker  Laude.     Von  R.  Andrec   .    .    .  354 

Volksrätsel,  besonders  aus  Schleswig-Holstein.     Von  H.  Carstens 412 

Zur  Volkskunde  aus  Anhalt.     Von  0.  Härtung 429 

Kleine  Mitteilungen. 

Die  Königslösung.     Von  K.  Maurer 92 

Vom  Spuken.     Von  W.  Schwartz 94 

Kärntner  Liedein.     Von  E.  Schatzmayr 96 

Nochmals  das  Kinderlied  vom  Herrn  von  Ninive.     Von  .1.  Bolte 98 

Bastlösereime.    Von  K.  E.  Haase 99 

Plan  einer  Ethnographical  Survey  über  Britannien EM 

Abzählreime  aus  Steiermark.    Von  Fr.  Ilwof 101 

Zu  Zeitschrift  III,  452.     Von  H.  Ullrich 102 


IV  [nhalt. 

Seite 

Zum  Bahrgericht.    Von  K.  Lehmann 208 

Zum  Verwunderungsliede.     Von  E.  Bernheim 209 

Der  Tod  der  isl  ein  grober  Mann 21* 

richer  Rechtssprichwörter.    Von  C.  Dirkscn 211 

Beschwörung  des  Alps.    Von  K.  Weinhold 2J3 

Krankheitsheschwörungon  aus   Inhalt.    Von  0.  Härtung ,•   •  •   ■  215 

Märchen  vom  Hahnreiter.    Von  tlwof  and  Weinhold 320 

Steirische  Sagen  vom  Schrate] 322 

Kleine  [liedein  aus  dem  Kainachthal 

Bin  Pakl  mil  dem  Teufel.     Von  H.  F.  Feilberg 326 

Del  m.'.tt  wol  sön  ollel  Herkomn  sin.     Von  W.  Schwartz 328 

Die  Schweizerische  Gesellschaft  für  Volkskunde 329 

Geschichten  aus  Bayern.    Von  II.  Raff 439 

Die  Geistermesse  zu  Köln.     Von  Bethany  und  Weinhold 441 

1  Um  isl  dicker  als  Wasser.    Von  M.  Hartmann 442 

Die  bestimmten  Familien  zugeschriebene  Heilkraft.    Von  K.  Maurer 443 

Der  Wettkampf  des  Zauberers  mil  dem  Lehrling.    Von  demselben 444 

Miscellen.     Von  W.  Schwartz 444 

Wirtschaftsverse  von  E.  Lohmeyer 446 

Gegen  Bücherdiebe.    Klosterinschrift.    Von  k\  W 446 

Fritz  Staub.    Von  K.  Weinhold 447 

Bücheranzeigen. 

Cox,  M.  R.,  An  introduetion  to  Folklore 103 

Hartland,  E.  S.,  The  legend  of  Perseus 103.  451 

The  Voyage  ofBran,  edited  by  K.  Meyer.     With  an  essay  by  A.  Nutt 104 

Böhme,  F.  M.,  Volktümliche  Lieder  der  Deutschen.     Von  J.  Bolte 104 

Lübke,  H,  Neugriechische  Volks-  und  Liebeslieder 106 

Brenner  und  Hartmann,  Bayerns  Mundarten 106 

Drechsler.  P.,  Wencel  Scherffer  und  die  Sprache  der  Schlesier.    Von  K.  Weinhold  106 

Larsen,  K.,  Dansk  Soldatensprog 107 

Fabricius,  W.,  Die  akademische  Deposition.     Von  E.  Schmidt 107 

Menöik,  F.,  Velikonocne  hry.    Von  A.  Brückner 108 

Cesky  Lid.     IV.  V.     Von  demselben 109.  229 

Lud.     Organ  towarszystwa  ludozn.  w  Lwowie.    Von  demselben 109.  230 

Beiträge  zur  Volkskunde  —  herausgegeben  von  Fr.  Vogt 110 

Festschrift   zur    50jähr.    Doktorfeier    von  K.  Weinhold,    herausgegeben  von 

P.  Pietsch HO 

Festgabe  an  K.  Weinhold  von  der  Gesellschaft  für  deutsche  Philologie  in  Berlin  111 

Golther,  W.,  Handbuch  der  germanischen  Philologie.    Von  0.  Jiriczek 218 

Barlaam  and  .7 0 saphat,  edit.  and  induced  by  J.  Jacobs 223 

Vlaamsche  Wonder-Sprookjes.    Von  J.  Bolte 223 

Zschiesche,  Heidnische  Kultusstätten  in  Thüringen.    Von  M.  Roediger 225 

Schweizerisches  Idiotikon.     Bd.  III 226 

Bremer,  0.,    Beiträge  zur  Geographie  der  deutschen  Mundarten.  —  Wencker  und 

Wrede,  Der  Sprachatlas  des  deutschen  Reichs.    Von  R.  M.  Meyer 226 

Pf  äff,  Fr.,  Deutsche  Ortsnamen 227 

Cutrera,  A.,  I  Riccatori 228 

Hellmann,  G.,  Die  Bauernpraktik.    1508.     Von  K.  W 228 

Lang,  A.,  Mytlies  Cultes  et  Religion.    Traduit  par  L.  Mariliier 329 

Henry,  V.,  Vedica.    Von  K.  Bruchmann 330 

Faulisi,  M.,  II  Folklore  in  Orazio 330 

Reiser,  K.,  Sagen,  Gebräuche,  Sprichwörter  des  Allgäus 331 

Knötel,  Aug.     Aus  der  Franzosenzeit.    Von  R.  M.  Meyer 331 


Inhalt.  \ 

Lau  Im-.  ii..  Volkstümliche  Überlieferungen  an-  Teplitz 

Lincke,  A..  Die  neuesten  Rübezahlforschungen      Von  K.  \\ 332 

Bergen,  F.  !>..  Current  superstitions 832 

Zanne,  J.   V.  Proverbe  Romänilor.     Von  Jarni] 333 

Schneller,  Chr     Beiträge  zur  Ortsnamenkunde  Tirols      III.     Von  Fr.  Stolz.    .    .    .  335 

Pitre,  'i..  Medicina  in.iM.larr  Siciliana.     Von  M.  Bartels 337 

Pedersen,  IL.  libanesische  Texte.     Von  Jarnik 338 

Jacob,  G.,  Das  Leben  der  vorislamischen  Araber.    Von  M.  Hartmann :;4<» 

Bahama  Songs  and  Stories  .  .  bj   i  h.  Edwards 341 

Mielke,  R.,  Volkskunst.     Von  K.  Weinhold 332 

Bunker,  J.  1.'..  Das  Bauernhaus  in  der  Heanzerei 342 

Katalog  der  v.  Lipperheidischen  Sammlung  für  Kostümwissenschaft    III.  343 

v.  Hellwald,  Die  Erde  und  ihre  Völker 34:'..  162 

Grosse,  E..  Die  Können  der  Familie  und  der  Wirtschaft.     Von   R    M.  Meyer    .    .    .  44s 

Loewe,  R.,  Die  Reste  der  Germanen  am  Schwarzen  Meere.     Vom  i,.  Kossinna.    .    .  449 
Saxo  Grammaticus  I— IX,    translated    by  0.  Elton.     With    considerations    l>y    Fr. 

Y.  Powell.     Von  M.  Roediger 452 

Islenzkar  pjödsögur,  safnad  hetir  0.  Davidsson.     Von  K.  Maurer 453 

Andree,  R,  Braunschweiger  Volkskunde.     Von  K.  Weinhold 453 

Rügensche  Sagen  und  Märchen.     2.  A.  von  A.  Haas 454 

Schröder,  Edw.,  Die  Tänzer  von  Kölbigk.     Von  K.  Weinhold 455 

Bielenstein,  Studien  aus  dem  Gebiete  der  lettischen  Archäologie,  Ethnographie  und 

Mythologie.     Vou  demselben 456 

Kaindl,  R.  Fr.,  Der  Festkalender  der  Rusnaken  und  Huzulen 457 

Jahresbericht  II,  III  des  rumänischen  Seminars  in  Leipzig  von  G.  Weigand. 

Von  J.  U.  Jarnik 457 

Maury,  A.,  Croyances  et  Legendes  du  moyen  äge.     Von  Ch.  Marelle 459 

Trebury,  S.,  La  Chanson  populaire  en  Vendee.     Von  demselben 459 

Trombatore,    J.  A.,  Folklore  Catanese.     Von  K.  Weinhold 459 

Stumme,  H.,  Neue  Tunisische  Sammlungen.     Von  M.  Hartmann 460 

Nagl,  W.,  Deutsche  Mundarten.     Zeitschrift.    I,  1      Von  K.  Weinhold 461 

Auszüge    aus    den  Sitzungs-Protokollen  des  Vereins  für  Volkskunde.     Von  Max 

Roediger 111.  230.  343 

Register 463 


Die  vorgeschichtliche  Ausbreitung  der  Germanen 
in  Deutschland.1) 


Von  Gustaf  Kossinna. 


Wenn  ich  den  Versuch  wage,  die  vaterländische  Archäologie  mit  der 
Geschichte  in  Verbindung  zu  bringen  und  .den  durch  die  Arbeit  unseres 
Jahrhunderts  aufgesammelten  reichen  Funden  aus  heimischem  Boden 
gleichsam  ihre  Subjektlosigkeit  zu  nehmen,  so  hat  mich  dazu  nicht  zum 
mindesten  der  Umstand  veranlasst,  dass  die  Archäologen  der  Keltenfrage, 
die  wie  alle  ethnographischen  Fragen  und  Ausdeutungen  in  ihren  Kreisen 
ein  Vierteljahrhundert  geflissentlich  und  mit  gutem  Grunde  beiseite  gesetzt 
worden  war,  sich  neuerdings  wieder  energischer  zuwenden.  Die  Rückseite 
der  Keltenfrage  ist  für  Deutschland  die  Germanenfrage.  Wir  fragen  darum 
allgemeiner:  Wo  haben  wir  es  im  heutigen  Deutschland  in  vorgeschicht- 
licher Zeit  mit  Germanen,  wo  mit  Nichtgermanen  zu  thun? 

Gleich  bei  Begründung  der  vorgeschichtlichen  Archäologie  als  Wissen- 
schaft, da  man  sie  noch  kurzsichtig  in  das  Prokrustesbett  der  litterarisch 
überlieferten  Geschichte  einzwängte,  wies  man  jeder  der  drei  geschichtlich 
bezeugten  Nationen  Deutschlands,  Kelten,  Germanen,  Slawen,  ihre  bestimmte 
Kultur  zu,  sei  es  die  Steinzeit  oder  die  Bronze-  oder  die  Eisenzeit,  wobei 
die  mannigfachsten  Kombinationen  aufgestellt  werden  konnten  und  auch 
aufgestellt  wurden.  Es  war  dies  das  berüchtigte  Spektakelstück  in  drei 
Aufzügen,  wie  es  Hostmann  einmal  zutreffend  bezeichnet  hat.  Und  damit 
auch  das  Zwischenspiel  nicht  fehle,  verpflanzte  man  noch  die  Römer  sogar 
bis  in  den  äussersten  Nordosten  unseres  Landes.  So  stand  es  noch  zu 
Anfang  der  siebziger  Jahre  bei  uns  und  in  noch  höherem  Masse  in 
Skandinavien,  dem  Mutterlande  der  Archäologie:  ich  nenne  nur  die  Namen 
Worsaae  und  Hildebrand.  Gegen  diese  voreilig  historisierende  Richtung 
trat  dann  die  streng  auf  Beobachtung  des  Thatsächlichen  sich  beschränkende 
naturwissenschaftliche  Betrachtungsweise  auf  und  gewann  das  Feld.    Gleich- 


1)  Dieser  Vortrag  wurde  am  9.  August  1895    bei   der  Authropologenversammlmm  zu 
Kassel  gehalten  und  hat  hier  nur  geringe  Änderungen  und  Zusätze  erfahren. 

Zeitscbr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.   1896.  1 


2  Kossinna: 

zeitig  wurde  der  Gedanke,  Kulturwechsel  bedeute  ohne  weiteres  Be- 
völkerungswechsel, überhaupt  verworfen,  zuerst  von  dem  Pfahlbauten- 
forscher Ferdinand  Keller,  dann  auch  von  einigen  Skandinaviern. 
Montelius  und  Zinck  erwiesen  für  Schweden  und  Dänemark  den  ganz 
allmählichen  Übergang  vom  Stein-  zum  Bronzealter,  Vedel  und  Montelius 
denjenigen  vom  Bronze-  zum  Eisenalter.  Für  Deutschland  geschah  dasselbe 
namentlich  durch  Undset,  für  Mecklenburg  insbesondere  später  durch 
Beltz.  Zusammenfassend  hat  dann  Montelius  die  Einwanderungs-  und 
Bevölkerungsfrage  behandelt  und  gezeigt,  dass  Vorfahren  der  Skandinavier, 
also  Germanen,  bereits  zu  Beginn  der  neolithischen  Zeit  in  Skandinavien 
gesessen  haben  müssen.  Und  mit  diesem  Resultat  stimmen  auch  die 
Ergebnisse  der  anthropologischen  Untersuchung  der  vorzeitlichen  Schädel 
und  Skelettreste  Skandinaviens  wenigstens  insofern  überein,  als  der  indo- 
germanische Typus  mit  Sicherheit  nachgewiesen  wurde. 

Montelius  hatte  aber  gleichzeitig  den  Fehlschluss  gethan,  die  mit  der 
nordischen  doch  nur  entfernter  verwandte  ungarische  Bronzekultur  für 
südgermanisch  auszugeben.  Nicht  gerade  infolge  dieses  Fehlschlusses,  aber 
doch  zeitlich  hier  beginnend  bildete  sich  ein  Misstrauen  aus,  wie  früher 
gegen  die  ethnographische  Aufteilung  verschiedener  sich  ablösender  Kultur- 
perioden eines  Landes,  so  jetzt  gegen  die  ethnographische  Verwertung  der 
räumlichen  Ausdehnung  einer  einzelnen  Kultur. 

Man  sagte:  Vorgeschichtliche  Kulturen  wären  das  Ergebnis  von  Kultur- 
strömungen, also  geographisch,  nicht  ethnographisch  bedingt.  Man  vergass 
dabei  nur,  dass  auch  die  Völkerbildungen  der  Urzeit  geographisch  bedingt 
sind,  jener  scheinbare  Gegensatz  also  wieder  aufgehoben  wird.  Man  ver- 
wies dann  auf  die  Tene-Kultur,  die  Kelten  und  Germanen  gleicherweise 
angehöre.  Und  doch  ist  diese  Kulturperiode  bei  Kelten  und  Germanen 
durchaus  nicht  dasselbe.  Die  Tene-Kultur  wurde  Eigentum  der  Kelten  wohl 
erst  im  Norden  der  Balkanhalbinsel,  der  zu  Anfang  des  vierten  Jahrhunderts 
v.  Chr.  von  ihnen  erreicht  wurde.  Bei  den  Germanen  aber  erscheint  sie 
nicht  nur  im  Ganzen  später,  sondern  auch  weit  weniger  glänzend  und 
stets  mit  dem  älteren  Grabgebrauch  des  Leichenbrandes,  während  bei 
Kelten  damals  Skelettgräber  herrschend  sind  und  erst  im  letzten  Jahr- 
hundert der  Tene-Zeit  der  Leichenbrand  üblich  wird. 

Schlagende  Beispiele  aber  von  ethnographisch  streng  umgrenzten 
Kulturen  sind  die  germanische  Kultur  der  Völkerwanderung,  d.  h.  des 
fünften  und  sechsten  Jahrhunderts,  und  die  slawische  Kultur  des  siebenten 
und  der  folgenden  Jahrhunderte.  Ja,  die  Hinterlassenschaft  dieser  beiden 
Kulturen  ist  das  einzige  Mittel,  das  uns  helfen  kann:  einmal  die  durchaus 
verschwommenen  Nachrichten  über  die  Auswanderung  der  ostelbischen 
Germanen  zu  ergänzen  und  zu  berichtigen,  dann  auch  über  die  räumliche 
Ausdehnung  der  späteren  slawischen  Besiedlung  in  Ostdeutschland  und 
Österreich  ins  Reine  zu  kommen. 


Die  vorgeschichtliche  Ausbreitung  der  Germanen  in  Deutschland. 

Mit  Unroclii  verschanzen  daher  Philologen  and  Geschichtsforscher  ihre 
Nichtachtung  der  Prähistorie  hinter  methodische  Bedenken.  Auch  Eduard 
Meyer  macht  sich  in  seiner  mit  Recht  berühmten  „Geschichte  des  Alter- 
tums" die  Rechtfertigung  dieses  Standpunktes  zu  leicht.  Ei  sagt:  wie  ein 
Wechsel  der  Kultur  nicht  einen  Wechsel  der  Bevölkerung  bedeute,  so  Bei 
auch  bei  völlig  sprungloser  Entwicklung,  also  innerhalb  einer  and  derselben 
Kultur,  oft  Bevölkerungswechsel  anzunehmen.  Diese  Sätze  kann  ich  trotz 
ihrer  Allgemeinheit  nur  bedingt  anerkennen.  Denn  nicht  jeder  Kultur- 
wechsel, sondern  nur  der  in  allen  Stücken  ganz  allmählich  sich  vollziehende 
zeigt  Dauer  der  Bevölkerung  au.  Andererseits  ist  innerhalb  einer  ge- 
schlossenen Kulturperiode  nur  ein  Wechsel  kulturell  völlig  identischer 
Völker  denkbar,  d.  h.  nur  ein  Wechsel  von  Teilen  eines  grösseren  ethno- 
graphischen Ganzen,  von  Stämmen  eines  und  desselben  Volkes. 

Ganz  abzuweisen  ist  Meyers  Hinweis  auf  die  Geschichte  Italiens  und 
namentlich  der  italienischen  Baustile.  Meyer  fragt,  woran  man  in  Italien 
die  germanischen  Eindringlinge  archäologisch  erkennen  solle?  Nun,  jeder 
Archäologe  kennt  die  sogenannten  merowingischen  Altertümer  Italiens. 
Und  jedermann  weiss  auch,  dass  die  Kunststile  in  Italien  sich  ganz  allmählich 
ablösen  und  dass  dieselben  Stile  zwar  in  ganz  Europa  verbreitet,  aber 
überall  national  geschieden  sind.  Sie  würden  also  in  die  Vorzeit  versetzt 
weder  für  Italien  einen  Wechsel  der  Bevölkerung  noch  für  ganz  Europa 
ein  einheitliches  Volk  erweisen,  sondern  beide  Male  das  Gegenteil.  Die 
historischen  Parallelen  Meyers  sprechen  also  nicht  für,  sondern  gegen  ihn. 
Immerhin  gehört  zur  Verbindung  von  Archäologie  und  Geschichte  das 
höchste  Mass  kritischer  Vorsicht,  wie  es  z.  B.  Bertrands  neues  Buch  über 
die  „Kelten  an  Po  und  Donau"  nur  zu  sehr  vermissen  lässt.  Dieser 
Forscher  findet  „Galater"  sogar  in  Mecklenburg,  Holstein,  Jütland,  ohne 
auch  nur  den  Schatten  eines  Beweises,  am  wenigsten  eines  archäologischen 
hierfür  zu  erbringen.  Ebenso  dachten  übrigens  zwei  historische  Forscher, 
Wilhelm  Arnold  und  Albert  Duncker,  beides  Hessen.  Sie  Hessen  die 
Kelten  etwa  im  sechsten,  die  Germanen  im  vierten  Jahrhundert  direkt  von 
Asien  nach  Norddeutschland  und  Hessen  gelangen. 

Damit  kommen  wir  auf  die  unglückselige  Hypothese  von  der  Ein- 
wanderung der  Indogermanen  aus  Asien.  Sie  verdankt  ihr  Dasein  der 
unklaren  Vermischung  zweier  Fragen:  erstens,  wo  stammt  die  europäische 
Kultur  her?  zweitens,  wo  stammen  die  Völker  Europas  her?  Stützen  der 
asiatischen  Hypothese  waren  weiter  zwei  schwere  Grundirrtümer:  erstens, 
dass  Sanskrit  die  älteste,  wo  nicht  gar  die  Mutter  der  indogermanischen 
Sprachen  sei;  zweitens,  dass  alle  Völker  die  drei  aristotelischen  Wirtschafts- 
stufen des  Jägers,  Nomaden  und  Ackerbauers  durchgemacht  hätten  und 
dass  die  ürindogermanen  im  besonderen  auf  der  Stufe  der  Nomaden  ge- 
standen hätten.  Für  dies  angebliche  Nomadentum  lieferte  aber  gerade 
Asien  die  schönsten  Beispiele,  bis  auf  den  heutigen  Tag. 

1* 


4  Kossinna: 

Zwar  nicht  mehr  die  asiatische  Hypothese,  aber  die  Nomadentheorie 
findet  sich  noch  in  Otto  Schraders  bekanntem  Buche  „Sprachvergleichung 
und  Urgeschichte".  Schrader  ist  der  Hauptvertreter  der  sogenannten  indo- 
germanischen Altertumskunde,  jener  Wissenschaft,  welche  die  Sprach- 
vergleichung zur  Ermittelung  der  Urzeit  verwendet.  Sie  nennt  ihr  Ver- 
fahren, kokettierend  mit  den  Naturwissenschaften,  das  einer  „linguistischen 
Paläontologie".  Dieser  Wissenschaft  bringe  ich  das  all  ertiefste  Misstrauen 
entgegen.     Wie  ist  denn  ihre  Methode? 

Findet  sich  in  den  beiden  asiatischen  Sprachen  oder  in  einer  von 
ihnen  ein  Wort,  das  auch  in  einer  oder  besser  in  mehreren  europäischen, 
namentlich  süd-  oder  westeuropäischen  Sprachen,  erscheint,  so  gehört  dies 
Wort  und  der  dadurch  ausgedrückte  Begriff  der  als  einheitliches  Ganze 
angenommenen  indogermanischen  Urkultur  an.  Gegen  diese  Art  Aufstellung 
von  Wörterstammbäumen  lassen  sich  allgemein  kulturgeschichtliche  und 
besondere  sprachgeschichtliche  Bedenken  schwerster  Art  geltend  machen. 
Kulturgeschichtliche:  erstens  stehen  sich  die  indogermanischen  Einzelvölker 
in  historischer  Zeit  kulturell  schon  viel  zu  fern,  als  dass  ihr  Sprachgut 
ohne  weiteres  verglichen  werden  könnte.  Zweitens  vollziehen  sich  die 
Kulturfortschritte  der  Völker  fast  nie  in  geraden  Linien,  die  staminbaum- 
artig  auf  einen  Punkt  zurückweisen,  sondern  es  giebt  da  stets  unzählige 
kreuzende  Linien,  kreuzende  Kulturfaktoren.  Drittens  liegt  die  Urzeit 
viel  zu  weit  zurück  hinter  den  frühesten  geschichtlichen  Überlieferungen, 
selbst  bei  Griechen  und  Indern  mehrere  Jahrtausende,  und  die  Zwischen- 
stufen sind  gänzlich  unbekannt. 

Parallel  mit  diesen  kulturgeschichtlichen  gehen  die  sprachgeschicht- 
lichen Bedenken.  Zunächst  können  wir  nie  mit  einiger  Sicherheit  fest- 
stellen, was  ein  Wort  in  der  Urzeit  bedeutet  haben  mag,  da  doch  die 
Begriffe  sich  oft  so  schnell  und  so  stark  verändern.  Ein  Beispiel  ist  die 
Unsicherheit  der  Bedeutung  der  Metallnamen  sogar  noch  in  den  ältesten 
Litteraturdenkmälern:  bedeutet  hier  ein  Wort1)  Metall  schlechtweg  oder 
Kupfer  oder  schon  Bronze  oder  gar  Eisen?  Jede  Veränderung  der  Kultur- 
verhältnisse eines  Volkes  gestaltet  auch  den  Inhalt  seines  Wortschatzes  um. 
Ganz  besonders  wird  bei  der  Auswanderung  in  fremde  Gebiete  mit  anderen 
Lebensbedingungen  eine  Umdeutung  vieler  Worte  eintreten.  Dieselbe 
Umdeutung  können  andererseits  Worte  erleiden,  die  von  einem  Volke  zu 
einem  anderen  wandern.  Beispiele  hierfür  sind  die  gotischen  Wörter 
ulbandus  und  peikabagms.  Ulbandus  entspricht  lateinischem  ele- 
phantus,  bedeutet  aber  nicht  Elephant,  sondern  Kameel;  peika-bagms 
entspricht  lateinischem  ficus,  bedeutet  aber  nicht  Feigen-,  sondern  Palm- 
baum. Im  letzteren  Falle  ist  der  Übergang  von  der  ersten  Bedeutung  zu 
der  anderen  wohl  durch  das  Zwischenglied  „Dattelpalme"  vermittelt  worden. 


1)  Ich  denke  hierbei  an  skr.  ayas  und  griech.  yaXxös. 


Die  vorgeschichtliche  Ausbreitung  der  Germanen  in  Deutschland.  5 

Hier  wissen  wir  nun,  dass  wir  es  mit  Lehnworten  zu  thun  haben.  Sobald 
wir  aber  zu  älteren  Zeiträumen  hinaufsteigen,  für  das  Germanische  etwa 
zu  dem  Beginn  des  ersten  Jahrtausends  v.  Chr.,  eine  Zeit,  deren  Kultur- 
zustand durch  die  Archäologie  völlig  klar  gelegt  worden  ist,  so  fehlt  uns 
bis  jetzt  jede  Möglichkeit,  Lehnworte  dieser  Zeit  mit  den  Mitteln  der 
Sprachforschung  als  solche  zu  erkennen.  Wir  kommen  so  zu  der  zweiten 
Frage:  Ist  ein  scheinbar  urindogermanisches  Wort  nicht  vielmehr  ein 
Eigentum  nur  einer  der  indogermanischen  Einzelsprachen  und  in  den 
anderen  ein  späteres,  wenn  auch  immer  noch  vorhistorisches  Lehnwort? 
In  solchem  Falle  entfällt  natürlich  die  Berechtigung,  es  der  Urzeit  zuzu- 
schreiben. Wir  müssen  uns  aber  ebenso  wohl  hüten,  zu  viel  Worte  in 
die  Urzeit  hinaufzurücken,  als  zu  wenig,  und  damit  kommen  wir  zu  dem 
dritten  sprachgeschichtlichen  Bedenken,  das  sich  darauf  gründet,  dass  wir 
keine  Ahnung  von  dem  Umfange  des  zweifellos  sehr  grossen  Verlustes 
haben,  den  der  urzeitliche  Sprachschatz  innerhalb  jeder  Einzelsprache 
erlitten  hat.  Jede  aus  der  Fremde  eingeführte,  vielleicht  recht  unwesent- 
liche Veränderung  eines  Gegenstandes  konnte  ein  Urwort  zum  Aussterben 
bringen  und  ein  Fremdwort  dafür  einführen.  Dieses  Fremdwort  nimmt 
dann  der  „linguistische  Paläontologe"  zum  Beweise  einer  Lücke  im  vor- 
aufliegenden Kulturleben,  während  es  thatsächlich  nicht  in  eine  Lücke 
getreten  ist,  sondern  heimisches  Gut  verdrängt  hat.  So  sind  die  Worte 
„Kupfer"  und  „Pferd"  spätrömische  Lehnworte.  Pferde  gab  es  aber  als 
Haustiere  bei  den  Germanen  nachweislich  schon  in  der  jüngeren  Steinzeit, 
und  das  Kupfer  wurde  ihnen  bereits  am  Ende  der  Steinzeit  bekannt.  Für 
die  sogenannte  indogermanische  Urzeit  aber  versagt  naturgemäss  das 
Kontrollmittel  der  vorgeschichtlichen  Archäologie. 

Alle  diese  Bedenken  füren  mit  Notwendigkeit  zu  dem  Schlüsse:  die 
linguistische  Paläontologie  ist  für  die  Konstruktion  der  Urgeschichte  so 
gut  wie  unbrauchbar. 

Seit  O.  Schrader  ist  es  nun  bei  den  Sprachvergleichern  Brauch,  ihre 
blassen,  kurzlebigen  Urgeschichtskonstruktionen  mit  der  blühenden  Farbe 
der  archäologischen  Realitäten  aufzufrischen.  Schrader  selbst  ist  dabei 
nichts  weniger  als  glücklich  gewesen.  Er  zeigt  sich  vielmehr  als  völliger 
Laie,  wenn  er  noch  neuestens  mit  Viktor  Hehn  die  Steinzeit  der  Schweizer- 
Pfahlbauten  ins  sechste  Jahrhundert  verlegt,  während  sie  bereits  mehr  als 
ein  Jahrtausend  früher  ihren  Abschluss  erreicht  hatte,  oder  wenn  er  noch 
immer  in  Lindenschmits  Anschauungen  über  die  Unmöglichkeit  einer  nord- 
europäischen Bronzekultur  befangen  ist,  und  dies  nicht  etwa  aus  archäo- 
logischen Gründen,  sondern  aus  —  sprachlichen  Erwägungen  über  die  Ver- 
wendung der  Metallbezeichnungen  bei  Bildung  der  germanischen  Personen- 
namen! Auch  seine  Gleichstellung  der  Kultur  der  rätischen,  also  nicht- 
indogermanischen Steinzeitpfahlbauer  mit  der  urindogermanischen  Kultur 
ist  etwas  durchaus  künstlich  Gemachtes,  indem  die  Pfahlbauer  einfach  das 


6  Kossinna: 

Muster  sind,  wonach  sich  die  Urindogermanen  zu  richten  haben1).  Eine 
solche  Verwertung  der  Archäologie  ist  durchaus  unzulässig.  Die  Sprach- 
vergleichung kann  oben  aus  sich  heraus  in  der  Urgeschichte 
nichts  entscheiden,  sie  kann  hier  nur  lernen.  Im  Gegensatz  zur 
Sprachvergleichung  mit  ihren  unfruchtbaren  Wörterstammbäumen  steht  die 
Geschichte  der  Einzelsprachen,  die  zwar  nicht  für  die  Urzeit,  wohl 
aber  für  den  Übergang  von  der  Vorgeschichte  zur  Geschichte 
von  allerhöchstem  Werte  wird,  wenn  sie  mit  Hilfe  von  alten  Völker-, 
Gebirgs-  und  Flussnamen  vorhistorische  Lautübergänge  chronologisch  und 
lokal  derart  festzulegen  vermag,  dass  ethnographische  Schlüsse  gezogen 
werden  können. 

Dies  ist  der  Fall  bei  einigen  der  ältesten  keltischen  Namen  in 
Deutschland,  die  vor  der  sogenannten  germanischen  Lautverschiebung  von 
den  Germanen  an  ganz  bestimmten  Orten  übernommen  wurden  und  dem- 
nach die  Anwesenheit  der  Kelten  und  die  Nachbarschaft  der  Germanen  an 
jenen  Orten  für  die  genannte  Zeit  erweisen.  Nachdem  die  germanische 
Sprache  Jahrtausende  lang  in  ihrem  Konsonantensystem  sich  nicht  sehr 
erheblich  von  den  anderen  indogermanischen  Sprachen  unterschieden  hatte 2), 
erfuhr  sie  im  Laufe  des  vierten  Jahrhunderts  vor  Chr.,  offenbar  infolge 
der  starken  Ausbreitung  über  anderssprachige  Nachbargebiete,  die  während 
des  sechsten  und  fünften  Jahrhunderts  namentlich  in  Ostdeutschland,  während 
des  vierten  ebenso  in  Westdeutschland  erfolgt  war,  eine  durchgreifende 
Änderung  in  ihrem  konsonantischen  Lautstande,  ähnlich  wie  später  nach 
Abschluss  der  Völkerwanderung  die  zweite,  sogenannte  hochdeutsche  Laut- 
verschiebung eintrat.  Bis  dahin  hatte  der  in  unserem  „Dach"  und  „Decke" 
enthaltene  urgermanische  Stamm  genau  wie  im  griechischen  und  lateinischen 
teg  gelautet:  im  4.  Jahrhundert  wurde  daraus  pek  (thek);  ebenso  wurde 
urgermanisch  podus  „Fuss"  =  griech.  nod-,  lat.  ped-  damals  zu  fotus, 
urgermanisch  dekum  „zehn"  =  griech.  dexa,  lat.  decem  damals  zu 
techum.  Es  wurde  also  unter  anderem  t  zu  p,  p  zu  f,  k  zu  h  (/);  ruhte 
aber  der  Accent  des  Wortes  auf  der  diesen  Konsonanten  folgenden  Silbe 
und  waren  sie  nicht  mit  s  oder  t  verbunden  (hs,  ht;  fs,  ft),  so  wurden 
die  neuen  p,  f,  h  weiter  zu  den  tönenden  Spiranten  3,  ü,  g  erweicht.  So 
musste  also  der  Name  *Perküuia,  womit  die  Kelten  den  Hauptzug  der 
deutschen  Mittelgebirge,  namentlich  aber  die  böhmischen  Randgebirge 
bezeichneten,  im  Germanischen  zu  Fergünia  werden.    Da  nun  die  Kelten 


1)  Dieser  Vorwurf  trifft  besonders  die  erste  Auflage  des  Werkes,  während  die  zweite, 
je  strenger  sie  allein  auf  sprachlicher  Grundlage  die  Urkultur  aufbaut,  desto  weniger  mit 
den    gesicherten  Ergebnissen    der  Prähistorie    und  Ethnologie  in  Einklang  zu  bringen  ist. 

2)  Die  Germanisten  pflegen  die  der  Lautverschiebung  voraufliegende  Zeit  „vor- 
germanisch" zu  nennen  und  lassen  die  germanische  Sprache  mit  dem  Vollzug  der  Laut- 
verschiebung aus  der  indogermanischen  Ursprache  gleichsam  erst  geboren  werden:  eine 
gänzlich  falsche  Anschauung. 


Die  vorgeschichtliche  Ausbreitung  der  Germanen  in  Deutschland.  7 

spätestens  im  fünften  Jahrhundert  die  aus  der  Urzeit  ererbten  p  verloren 
haben,  wodurch  Perkunia  zu  Erkunia  ('Eqxvvux,  Hercynia)  wurde, 
die  germanische  Entlehnung  aber  nicht  nur  vor  der  Lautverschiebung  statt- 
fand, sondern  auch  vor  dem  Verluste  der  keltischen  p  (germanisch  f  aus 
urgermanisch  p  =  keltisch  p),  so  sind  spätestens  im  fünften  Jahrhundert 
vor  Chr.  Germanen  und  Kelten  am  Erzgebirge  Nachbarn  gewesen.  Ebenso 
erweist  der  Name  Walchen,  der  in  allen  germanischen  Sprachen  die 
Verschiebung  von  k  zu  ch  aufweist,  dass  die  mährischen  Volken  (Volcae), 
denen  die  Germanen  die  Bezeichnung  für  die  Gesamtheit  der  Keltenstämme 
entlehnten,  spätestens  um  400  vor  Chr.  sich  mit  den  Germanen  an  den 
Sudeten  berührt  haben  müssen.  Umgekehrt  können  wir  mit  Sicherheit 
behaupten,  dass  die  Gegenden,  wo  keltische  Namen  im  Germanischen 
unverändert  geblieben  sind,  erst  nach  Abschluss  der  germanischen  Laut- 
verschiebung germanische  Bevölkerung  bekommen  haben  können.  Die 
bis  heute  uoch  unverschobenen  niederdeutschen  Flussnamen,  die  auf  -p 
auslauten,  dem  Reste  der  ehemaligen  keltischen  Endung  -apa  (=  lat. 
aqua,  gotisch  ahva),  und  im  Verein  mit  den  im  hochdeutschen  Gebiete 
auf  -f  auslautenden  gleichen  Flussnamen  etwa  von  der  Leine  aus  südwärts 
bis  zum  Main,  westwärts  bis  über  den  Rhein  sich  erstrecken,  bezeugen 
neben  manchen  anderen  Anzeichen  das  spätere  Eindringen  der  Germanen 
in  Westdeutschland. 

Soviel  zur  Erläuterung  des  Wertes  der  Sprachgeschichte,  deren  Er- 
gebnisse wir  dort,  wo  uns  die  Archäologie,  sei  es  aus  Mangel  an  Material, 
wie  namentlich  in  Westdeutschland,  sei  es  aus  sonstigen  Gründen,  keine 
klare  Antwort  auf  ethnographische  Fragen  giebt,    zu  Rate  ziehen  müssen. 

Die  Fehlerquellen,  die,  wie  wir  gesehen  haben,  die  Methode  der 
Sprachvergleichung  bei  der  Ermittelung  der  sogeuannten  Urzeit  so  unzuver- 
lässig machen,  fliessen  nun  nirgends  reichlicher  als  bei  den  uns  hier  am 
meisten  angehenden  Versuchen,  die  Urheimat  der  Indogermanen  zu  ermitteln. 
In  dieser  Frage  ist  die  linguistische  Paläontologie  über  ein  Herumraten 
bisher  nicht  hinausgekommen.  Selbst  ein  Schwärmer  für  Asien,  wie  Max 
Müller,  verzweifelt  an  der  Möglichkeit  sprachvergleichender  Beweise. 
Ähnlich  Johannes  Schmidt,  doch  war  dieser  es  gleichzeitig,  der,  gestützt 
auf  Beobachtungen  über  das  Zahlsystem,  den  unglücklichen  Gedanken  hatte, 
Babylonien  oder  seine  Nachbarschaft  als  Urheimat  zu  empfehlen.  Ebenso 
wrenig  kann  uns  Schraders  südosteuropäisches  Steppenland,  Hirts  südöstliche 
Ostseeküstenländer,  oder  gar  Penkas  Skandinavien  annehmbar  erscheinen. 

Wenn  wir  uns  überhaupt  auf  die  Ermittelung  der  indogermanischen 
Urheimat  einlassen  wollen,  können  wir  das  nur  als  Kulturhistoriker  thun. 
Die  früheste  zu  ermittelnde  Verbreitung  der  Indogermanen  zeigt  ihre  Haupt- 
masse im  östlichen  Mitteleuropa.  An  der  mittleren  Donau  war  also  viel- 
leicht ihre  Urheimat,  von  der  aus  sie  sich  baumkronenartig  nach  allen 
Richtungen  verzweigten,    als  durch  die  Einführung  der  Viehzucht  und  die 


8  Kosshma: 

Verwendung  des  Zugstieres  beim  Ackerbau  unzählige  bisher  beim  Hackbau 
verwendete  Menschenkräfte  frei  wurden.  Es  erfolgte  offenbar  ruckweise 
das  Ausschwärmen  einerseits  der  Kelten  die  Donau  aufwärts  und  den 
Rhein  abwärts,  andererseits  der  Slawen  nach  den  Gegenden  des  oberen 
Dniestr  und  der  oberen  und  mittleren  Weichsel.  Inmitten  beider  Schwärme 
gingen  die  Germanen  zwischen  Oder  und  Elbe  abwärts.  Spätestens  zu 
Beginn  des  dritten  Jahrtausends  v.  Chr.  sassen  Germanen  in  Südschweden, 
Dänemark,  Schleswig.-Holstein,  Mecklenburg. 

Hier  setzt  nun  die  Archäologie  ein. 

Wir  gehen  jedoch  nicht  von  dieser  Urzeit  aus  vorwärts,  sondern  als 
richtige  Seiler  lieber  rückwärts,  indem  wir  den  Faden  möglichst  an  die 
Enden  der  Geschichte  und  Sprachforschung  anknüpfen. 

Die  geschichtlich  frühesten  Sitze  der  Germanen  kennen  wir  durch  die 
Forschungen  des  letzten  Jahrzehnts,  namentlich  durch  Müllenhoffs,  Rudolf 
Muchs  und  meiue  eigenen  Arbeiten.  Danach  sind  zur  Zeit  des  Kimbern- 
kriegs Germanen  über  den  Main  gezogen  und  haben  in  Süddeutschland 
die  Sitze  eingenommen,  die  im  zweiten  Jahrhundert  vor  Chr.  Helvetier 
und  Bojer  inne  hatten:  erstere  zwischen  Main  und  Bodensee,  letztere  öst- 
licher nach  Böhmen  hin  und  in  Böhmen  selbst.  Diese,  Süddeutschland 
besetzenden  Germanen,  die  den  Namen  Markomannen  erhielten,  waren 
eine  Ausscheidung  der  nördlich  des  Mains  sitzenden  Mainsweben,  gegen 
die  später  Cäsar  seine  Rheinübergänge  richtete.  Um  90  v.  Chr.,  also 
bereits  vor  Ariovist,  wurde  auch  die  Rheinpfalz  und  das  Elsass  von  Ger- 
manen besetzt,  während  in  der  linksrheinischen  Rheinprovinz  und  in  Ost- 
belgien Germanen  schon  um  die  Mitte  des  zweiten  vorchristlichen  Jahr- 
hunderts eingedrungen  waren  Westlich  des  unteren  Rheins  haben  wir 
also  in  der  mittleren  und  späten  Tenezeit  eine  germanisch-gallische  Misch- 
bevölkerung und  Mischkultur,  in  Süddeutschland  aber  ist  erst  die  jüngste 
Tene-Zeit  germanisch.  Rechtsrheinisch  sassen  in  Nassau  die  Ubier  bis 
zum  Jahre  38  v.  Chr.:  ihnen,  und  nicht  den  Chatten,  wie  Tischler  meinte, 
gehören  die  reichen  Nauheimer  Spät-Tenefunde  an.  Die  Chatten  wohnten 
damals  noch  um  die  obere  Eder,  Ruhr  und  Lippe,  also  nördlich  von  den 
Ubiern,  während  als  Ostnachbarn  der  Ubier  längs  des  Mains  die  erwähnten 
Mainsweben  sassen,  ein  Spross  der  märkischen  Ursweben,  die  sich  Sem- 
nonen  nannten.  Von  diesen  Semnonen  aus  hatten  sich  die  Mainsweben 
über  Thüringen  allmählich  bis  zu  deu  Ubiern  ausgebreitet,  zogen  dann 
aber  samt  den  Markomannen  um  9  v.  Chr.  von  der  römischen  Grenze 
uud  dem  Rheine  ostwärts  fort  bis  nach  Böhmen  und  Mähren,  welche 
Länder  damit  zuerst  germanisch  wurden.  Ob  die  Anfänge  der  berühmten 
vorgeschichtlichen  Station  auf  dem  Burgstall  zu  Stradonic,  die  bis  in  die 
jüngste  Tene-Zeit  zurückreichen,  noch  keltisch  oder  bereits  germanisch 
sind,  bleibt  also  zweifelhaft. 


Die  vorgeschichtliche  Ausbreitung  der  Germanen  in  Deutschland.  9 

In  Norddeutschland  unterhalb  des  Gebirges,  das  für  Undset  Kelten- 
und  Germanengrenze  bedeutete,  sollen  nach  Tischler  nur  mittlere  und 
späte  Tene-Formen  erscheinen.  Man  könnte  also  weiter  schliessen,  dass 
wo  die  reine  Eisenzeit  erst  mit  der  mittleren  Tene-Kultur  eindringt,  ger- 
manische Bewohner  anzunehmen  sind.  Allein  diese  Aufstellung  ist  nicht 
richtig,  denn  in  sicher  germanischen  Gegenden,  wie  Hannover,  Branden- 
burg, Provinz  und  Königreich  Sachsen,  Schlesien  zeigt  sich  auch  Früh- 
Tene.  Für  die  Tene-Zeit  müssen  wir  daher  neben  der  Archäologie  noch 
die  germanisch-keltische  Sprachgeschichte  zu  Rate  ziehen. 

Dass  Nordwestdeutschland  zwischen  Rhein  einerseits  und  Leine, 
Werra,  Thüringerwald  andererseits  seine  germanische  Bevölkerung  erst 
seit  etwa  300  v.  Chr.  erhalten  hat,  habe  ich  vor  kurzem  dargelegt1).  Eine 
Linie  von  Köln  nach  Eisenach  schneidet  die  Südwesthälfte  dieses  Gebietes 
ab,  in  der  die  keltischen  Münzfunde  noch  für  einen  Teil  der  mittleren 
Tenezeit,  also  bis  etwa  zum  Jahre  200  v.  Chr.,  keltische  Bevölkerung 
bezeugen.  Die  berühmteste  vorhistorische  Station  dieses  Gebietes  ist  wohl 
der  kleine  Gleichberg  bei  Römhild,  der  sich  durch  seine  Skelettgräbcr, 
die  gläsernen  Armringe,  die  wunderschönen  Ringglasperlen,  deren  Grün 
und  Blau  mit  Weiss  und  Gelb  gemischt  ist,  sowie  durch  den  roten  Furchen- 
schmelz  am  Eisengerät  als  entschieden  keltisch  erweist.  Markomannen 
haben  diese  Bojerburg  wohl  um  Christi  Geburt  bei  ihrer  Auswanderung 
vom  Rhein  nach  Böhmen  zerstört. 

Das  einst  ganz  keltische  Thüringen  wurde,  wie  ich  festgestellt  habe, 
etwa  bis  zur  Unstrut  spätestens  um  400  v.  Chr.,  südlich  der  Unstrut 
frühestens  um  300  v.  Chr.  germanisch.  Die  Tene-Skelettgräber  bei  Ranis 
gehören  noch  den  Kelten  au. 

Dass  auch  im  Königreiche  Sachsen  und  in  Schlesien  nördlich  des 
Gebirgsrandes  einst  Kelten  gesessen  haben  müssen,  zeigt  der  alte  Name 
„Fergunna"  (Erzgebirge),  die  lautgesetzliche  Weiterbildung  von  keltisch 
Perkunia,  sowie  der  Name  „Walchen",  eine  germanische  Weiterbildung 
des  Namens  der  mährischen  „Volken"  (Volcae),  eines  keltischen  Stammes 
(s.  oben  S.  6 f.).  Beide  Namen  zeigen  zugleich  durch  ihre  Lautgestalt,  dass 
spätestens  um  400  v.  Chr.  Germanen  am  Gebirgsrande  gesessen  haben 
müssen.  Aber  noch  zu  Tacitus*  Zeiten  kennen  wir  in  Oberschlesien  den 
germanischen  Stamm  der  Narvalen,  der  einen  keltischen  Namen  trägt,  also 
einst  keltische  Nachbarn  gehabt  haben  muss. 

Noch  weiter  östlich  an  den  Weichselquellen  müssen  seit  mindestens 
300  v.  Chr.  germanische  Bastarnen  gesessen  haben,  denn  bereits  um 
"200  v.  Chr.  erscheinen  Ausläufer  von  ihnen  an  der  unteren  Donau,   sowie 


1)  Vgl.  meine  Abhandlung  über  den  ,ürsprung  des  Germanennamens'  (Beiträge  zur 
Geschichte  der  deutschen  Sprache  20,  297  ff.).  —  Nur  die  Meeresküste  nördlich  einer 
Linie  von  Bremen  nach  Amsterdam  zeigt  weit  ältere  germanische  Besiedelung;  siehe 
auch  S.  11. 


1()  Kossinna: 

am  schwarzen  Meere.  Bastarnen  waren  spätestens  um  300  v.  Chr.  die 
Vermittler  skythischer  Goldsachen  bis  nach  Deutschland  hin,  wie  wir  sie 
aus  dem  berühmten  Vettersfelder  Goldfunde  kennen. 

Sehen  wir  von  den  längs  den  Karpaten  in  Galizien  wohnhaften 
Bastarnen  ab,  so  ist  zu  Cäsars  und  Augustus  Zeiten  die  Weichsel  die 
Ostgrenze  für  Germaneu  und  gleichzeitig  für  die  Tene-Kultur.  Au  der 
unteren  Weichsel  liegen  zwar  die  Tene-Stationen  Rondsen  und  Willenberg 
schon  rechts  des  Stromes,  aber  doch  unmittelbar  am  Ufer.  Und  wenn 
Tischler  noch  an  drei  Punkten  des  archäologisch  reichen  Samlandes 
schwache  Tene-Spuren  entdeckt  hat  so  zeigt  doch  der  Umstand,  dass  sie 
sich  nur  in  Nachbestattungen  am  Rande  von  älteren  Hügelgräbern  fanden, 
nicht  aber  in  Urnenfeldern,  wie  überall  bei  den  Germanen,  dass  in  Sam- 
land  damals  keine  Germanen  wohnten. 

Zwischen  Weichsel  und  Leine,  sowie  zwischen  Ostsee  und  Harz, 
Unstrut,  Erzgebirge  und  den  schlesischen  Gebirgen  ist  also  zu  Beginn  der 
Tene-Periode,  im  4.  Jahrhundert  v.  Chr.,  germanischer  Boden. 

In  der  Provinz  Westpreussen  haben  wir  nun  genau  dieselbe  Ostgrenze 
wie  für  Tene-Kultur,  so  für  die  voraufgehende  Periode  der  Gesichtsurnen, 
sogar  mit  denselben  beiden  Orten  rechts  der  Weichsel,  bei  Graudenz  und 
Marienburg.  Südwärts  reichen  die  Gesichtsurnen  über  Posen  bis  nach 
Schlesien;  in  Posen  und  Mittelschlesien  haben  wir  gleichzeitig  die  be- 
malten Gefässe.  Es  besteht  kein  Gruud,  in  dieser  letzten  Periode  der 
Bronzezeit  einen  Bevölkerungswechsel  anzunehmen. 

Doch  um  für  die  ganze  Bronzezeit  den  richtigen  Standpunkt  zu  ge- 
winnen, müssen  wir  vor  allem  das  sicher  germanische,  sogenannte  nordische 
Bronzegebiet  näher  betrachten.  Ich  schliesse  mich  hier  in  der  Chrono- 
logie an  Montelius  an,  mit  den  für  Norddeutschland  nötigen  Änderungen, 
wie  sie  Beltz  uud  Lissauer  getroffen  haben.  Danach  haben  wir  1.  eine 
frühe  (1600—1400  v.  Chr.);  2.  eine  ältere  (1400—1000);  3.  eine  jüngere 
(1000—600);  4.  eine  jüngste  Bronzezeit  (600—350)  zu  unterscheiden.  Es 
gilt  jetzt,  den  Umfang  dieses  nordischen  Bronzegebiets  in  Norddeutschland 
festzulegen. 

In  der  frühen  Bronzezeit  haben  wir  im  Norden  fast  gar  keine  eigenen 
Typen;  nur  der  Schwertstab  ist  rein  nordisch,  erscheint  in  Norddeutschland 
und  Schonen,  genügt  aber  nicht  zu  einer  sicheren  Umgrenzung  eines 
eigeneu  Bronzegebietes. 

Dagegen  bietet  die  ältere  nordische  Bronzezeit  ganz  eigene  Typen 
in  Rand-  und  Hohlkelten,  Schwertern,  Messern,  Hals-  und  Brustschmuck, 
Hals-  und  Armringen,  Tutuli,  Doppelknöpfen,  Schmuckdosen.  Östlich 
dehnt  sich  dies  Bronzegebiet  kaum  über  die  Oder  aus,  westlich  überschreitet 
es  die  Elbe  nur  an  ihrer  Mündung.  Die  Südgrenze  geht  längs  der  Aller, 
der  Havelseen  und  auf  einer  Linie  von  Berlin  nach  Stettin. 


Die  vorgeschichtliche  Ausbreitung  der  Germanen  in  Deutschland.  11 

Nach  allen  Seiten  weiter  reicht  das  jüngere  nordische  Bronzegebiet: 
westlich  geht  es  an  der  Meeresküste  bis  etwa  zur  holländischen  Grenze1), 
östlich  über  die  Oder  hinaus  bis  etwa  zum  34°  östlich  von  Ferro,  dann 
südlich  bis  an  die  Netze,  hierauf  diese  und  die  Warte  abwärts,  dann  auf 
einer  Linie  von  Küstrin  nach  Halle  a.  S.  und  über  den  Harz  an  die  Aller, 
schliesslich  über  die  untere  Weser  zur  unteren  Ems.  Die  Ost-  und  West- 
grenze stimmt  genau  mit  der  Ost-  und  Westgrenze  der  Goldspiralen  aus 
Doppeldraht,  die  in  Norddeutschland  nach  Olshausen  nur  zwischen  Aller 
und  Persante  vorkommen. 

Für  die  jüngste  nordische  Bronzezeit  fehlt  bei  Montelius  die  Angabe 
ihres  Gebietes. 

Die  Ausbreitung  der  spezifisch  nordischen  Bronzekultur  ist  zugleich 
die  Ausbreitung  der  Germanen.  Ich  wende  mich  nochmals  gegen  die 
Meinung,  dass  hier  lediglich  eine  Kulturströmung  vorliege,  da  die  Bronze 
sich  von  Süden  nach  Norden  und  dann  nach  Osten  verbreitet  habe.  Denn 
erstens  breitet  sich  das  nordische  Bronzegebiet  mit  seinen  ganz  eigentüm- 
lichen Stilformen  auch  nach  Westen  und  Süden  aus  und  zweitens  fand  es 
mitten  zwischen  Elbe  und  Weser  oder  gar  mitten  zwischen  Oder  und 
Weichsel  keine  geographischen  Hindernisse  der  Weiterverbreitung.  Hier 
ist    nur  eine  ethnographische  Grenze  denkbar. 

Prüfen  wir  nun  das  östlich  der  Germanengrenze  liegende  Gebiet  links 
der  Weichsel.  In  Westpreussen  zeigt  die  ältere  Bronzezeit  eine  recht 
spärliche  Hinterlassenschaft,  dazu  keinen  einzigen  eigenen  Typus,  keine 
Gussform.  Es  bestand  dort  also  gar  keine  Bronzeindustrie,  nur  Einfuhr 
von  Bronzen,  hauptsächlich  aus  dem  westbaltischen,  d.  h.  nordischen  Bronze- 
gebiet. Unverändert  besteht  dies  Verhältnis  auch  in  der  jüngeren  Bronze- 
zeit. Ganz  anders  aber  in  der  jüngsten  Bronzezeit,  füv  die  wir  vorher 
bereits  Germanen  bis  zum  linken  Weichselufer  festgestellt  haben.  Neben 
allgemein  nordischen  oder  nur  ostdeutschen  Typen  (wie  die  Spiral-  und 
Schwanenhalsnadeln,  die  Schleifen-  und  Nierenringe)  haben  wir  nun  auch 
besondere  westpreussische  Lokaltypen:  die  Schieberpincetten,  die  acht- 
kantigen Halsringe,  die  spiralförmigen  Fussringe.  die  schildförmigen  Ohr- 
ringe und  die  Ringhalskragen,  letztere  beiden  Typen  auch  an  den  durch- 
aus lokalen  Gesichtsurnen  nachgebildet. 

Ganz  ähnlich  liegen  die  Dinge  in  Posen,  dessen  Norden  archäologisch 
zu  Westpreussen,  dessen  Süden  zu  Mittelschlesien  gehört. 

In  Schlesien  nun  hat  die  gesamte  Bronzezeit  nicht  einen  einzigen 
Lokaltypus  geschaffen.  Die  früher  „schlesisch"  genannte  Ösennadel  ist 
allgemein  ostdeutsch  und  kommt  zudem  in  Ostpreussen  häufiger  vor  als 
iruendwo  anders.    Schlesien  zei«t  in  seinem  unbedeutenden  Bronzebestande 


1)  Archäologie  und  Sprachgeschichte  stimmen  in  dem  Erweis   dieser  Thatsache  aufs 
schönste  überein,  vgl.  oben  S.  9,  Anin. 


|2  Kossinna: 

in  der  älteren  Bronzezeit  nordische,  in  der  jüngeren  vorwiegend  Hallstatt-, 
auch  ungarische  Typen:  alles  ist  Einfuhr.  Erst  die  jüngste  Bronzezeit 
zeigt  auch  hier  grösseren  Reichtum,  sogar  Gussformen  und  Schmelzstätten. 
Neben  südlichem  Import,  wie  ungarische,  Doppelspiral-,  Schlangen-  und 
Certosafibeln,  sind  aber  nur  die  allgemein  ostdeutschen  Typen,  wie 
Schwanenhals-  und  Spiralnadeln  hier  zu  finden.  Wir  müssen  also  die 
einheimische  Bronzeindustrie  wie  die  germanische  Besiedelung  in  Schlesien 
noch  später  ansetzen,  als  in  Westpreussen,  etwa  in  den  Beginn  des 
5.  Jahrhunderts. 

Die  Besiedelung  dieser  ostdeutschen  Lande  westlich  der  Weichsel  und 
um  die  obere  Oder,  deren  Bewohner  in  historischer  Zeit  in  einem  Gegensatz 
zu  den  Westgermanen  und  in  naher  Verwandtschaft  mit  den  Skandinaviern 
stehen,  fand  zweifellos  von  Südschweden  und  Ostdänemark  aus  statt.  Das 
zeigen  auch  die  Völkernamen  dieser  Ostgermanen,  die  sich  entweder  in 
Jütland  oder  Südschweden  oder  Südnorwegen  wiederfinden  und  auf  einen 
gemeinsamen  Ausgangspunkt  zurückweisen.  Zu  diesen  Namen  gehören 
diejenigen  der  Wandalen,  Warinen,  Burgundionen,  Rügen,  Goten.  Auch 
der  von  den  Slawisten  in  seinem  Ursprung  als  unslawisch  bezeichnete,  weil 
aus  dem  Slawischen  nicht  zu  erklärende  Name  „Danzig"  scheint  mit  dieser 
nordischen  Einwanderung  zusammenzuhängen1). 

Vor  der  Einwanderung  der  Skandinavier  sassen  zwischen  Weichsel 
und  Oder  im  Norden  wohl  Angehörige  der  lettischen  Sprachfamilie,  im 
Süden  sicher  Slawen,  wie  aus  Herodots  Nachrichten  über  diese  Gegenden, 
die  bis  ins  sechste  Jahrhundert  hinaufreichen,  hervorgeht.  Auch  der  Name 
der  Weichsel  scheint  nach  allem,  was  wir  wissen,  letto-slawischen  Ur- 
sprunges zu  sein.  Zwischen  600  und  500  vor  Chr.  wurden  die  Letten  bis 
zur  Weichsel  von  den  Germanen  überwältigt,  die  Westslawen  aber,  die 
bei  Herodot  Neuroi  heissen,  nach  Südosten  hin  verdrängt.  Und  die 
Germanen  stiessen  ihrerseits  um  400  v.  Chr.  oder  etwas  früher  am  Nord- 
rande des  Gebirges  auf  Kelten,  die  von  Südwesten  aus  hier  angelangt 
waren. 

Ethnographisch  schwer  bestimmbar  sind  die  Urnenfeld  er  vom  sogenannten 
Lausitzer  Typus,  die  von  Mittelschlesien  bis  an  die  mittlere  Saale  und  über 
das  südliche  Brandenburg  sich  erstrecken.  Die  Bronze  erscheint  auch  hier 
spät,  aber  doch  schon  in  der  jüngeren  Bronzezeit  (seit  etwa  1000  v.  Chr.), 
freilich  ziemlich  ärmlich.  Indessen  es  bestehen  doch  Verbindungen  nach 
Süden  (Böhmen,  Mähren),  bald  auch  nach  Norden,  zudem  ist  hier  das 
Gebiet  der  glänzendsten  Keramik  von  ganz  Nordeuropa.  So  kann  es  sich 
wohl  nur  um  Germanen  oder  Kelten  handeln.  Wo  aber  hier  in  der  jüngeren 
und  jüngsten  Bronzezeit  beide  Nationen  grenzten,  bleibt  fraglich. 

1)  Nähere  Ausführungen  über  die  hier  ausgesprochenen  Behauptungen  denke  ich  in 
einer  besonderen  Schrift  zu  bringen.  Doch  will  ich  gleich  hier  dem  möglichen  Missver- 
ständnis vorbeugen,  als  wäre  nach  meiner  Meinung  der  Name  „Danzig"  mit  dem  Namen 
„Dänen"  in  Verbindung  zu  bringen. 


Die  vorgeschichtliche  Ausbreitung  der  Germanen  in  Deutschland.  13 

Im  Westen  fehlt  uns  noch  ein  Gebiet  zwischen  der  Leinegrenze  vom 
Beginn  der  Tene-Periode  und  der  Allergrenze  vom  Ausgang  der  jüngeren 
Bronzezeit.  Dies  Stück  zwischen  Aller  und  Leine  muss  also  Erwerb  der 
jüngsten  Bronzezeit  sein. 

So  sehen  wir,  wenn  wir  rückwärts  gehen,  wie  das  Gebiet  der  Germanen 
sich  stetig  verengt  und  nach  Norden  zurückzieht. 

Die  der  Brouzeperiode  voraufgehende  Kupferperiode  hat  nicht  lange 
genug  gewährt,  um  eine  Hinterlassenschaft  zu  erzeugen,  die  für  unsere 
Zwecke  neue  Aufschlüsse  bringen  könnte,  denn  mehr  noch  als  die  frühe 
Bronzezeit  bestellt  die  nordische  Kupferzeit  nur  durch  den  Import.  Wohl 
aber  thut  dies  die  Steinzeit,  die  von  Montelius  chronologisch  eingeteilt, 
von  Tischler  in  ihrer  lokalen  Ausdehnung  näher  bestimmt  worden  ist. 

Tischler  scheidet  ein  ostbaltisches  Steinzeitgebiet  vom  Ladogasee  längs 
der  Ostseeküste  bis  an  die  Oder,  und  ein  westbaltisches  von  der  Oder  be- 
ginnend in  den  Ländern  südwestlich  und  nördlich  der  Ostsee.  Leitmotive 
für  Tischler  waren  das  sogenannte  echte  Schnurornament1)  und  der  ge- 
geschweifte Becher.  Beide  kommen  im  Ostbaltikum  vor,  sowie  in  Thüringen, 
Böhmen,  Schweiz,  Frankreich,- England,  Holland,  sollten  aber  im  West- 
baltikum fehlen.  Später  aber  zeigte  sich,  dass  der  Becher  auch  in  Hannover, 
Oldenburg,  Schleswig-Holstein  und  Dänemark  vorkomme.  Auch  die  Ver- 
breitung des  echten  Schnurornaments  ist  zweifelhaft  geworden.  Tischler 
leugnete  noch  in  den  letzten  Lebensjahren  sein  Vorkommen  im  Norden, 
obwohl  Voss  es  in  Dänemark  kenneu  wollte  und  demgemäss  mir  Nord- 
westdeutschland westlich  einer  Linie  Stettin-Dessau  als  das  Gebiet  frei- 
stehender Dolmen  und  des  vorwiegenden  Stichornaments  in  der  Keramik 
aussonderte. 

Unzweifelhaft  bewährt  aber  hat  sich  Tischlers  Einteilung,  wenn  wir 
den  Bernsteinschmuck  der  Steinzeit  betrachten,  wobei  wir  im  Westbaltikum 
nicht  die  rohen  Arbeiten  der  Moor-  und  Erdfunde,  wie  der  ältesten  Dülmen, 
sondern  die  kunstvolleren  Stinke  der  jüngeren  Ganggräber  vergleichen. 
Diese  haben  neben  zahlreichen  mit  dem  Ostbaltikum  gemeinsamen  Typen 
als  Besonderheit  durchbohrte  Knöpfe,  hammerförmige  und  amazonenaxt- 
förmige  (doppelaxtförmige)  Perlen;  das  Ostbaltikum  dagegen  hat  undurch- 
bohrte  Knöpfe,  besondere  End-  und  Mitteillängestücke,  sowie  massenhafte 
Knöpfe  mit  V  oder  Winkelbohrung.  Letztgenannte  Knöpfe  kommen  zwar 
auch  im  Westbaltikum  vor,  aber  nur  sehr  vereinzelt  und  dann  bereits  in 
der  ältesten  Bronzezeit. 

Von  hervorragender  Bedeutung  für  die  Scheidung  von  Ost-  und  West- 
baltikum in  der  Steinzeit  sind  schliesslich  die  Megalithgräber,  deren  älteste 
Gestalt     die     freistehenden    Dolmen    sind,    denen    dann 


1)  Nach    dem    heutigen    Stande    der   Forschung    und    der    Terminologie    muss   man 
eigentlich  sagen:  echtes  Schnurornament  im  engeren  Sinne. 


14  Kunze: 

endlich  die  grossen  Steinkammern  zunächst  mit  freier,  später  aber  mit  vom 
Erdkugel  verdeckter  Steindecke  folgen.  Östlich  der  Oder  zeigen  sich  diese 
Megalithgräber,  wie  Voss  im  Jahre  1877  nachwies,  nur  noch  unmittelbar 
an  der  Oder  im  Kreise  Kammin.  Obwohl  man  östlich  der  Oder  dasselbe 
Geschiebematerial  zur  Verfügung  hatte,  erscheinen  dort  keine  westbaltischen 
Megalithgräber,  sondern  die  ganz  eigenartigen  Formen  der  Trilithen  und 
der  sogenannten  cujavischen  Gräber,  die  eine  langgezogene  dreieckige 
Steinsetzung  zeigen.  Es  ist  klar,  dass  hier  eine  ethnographische  Grenze 
vorliegt,  zumal  noch  die  älteste  Bronzezeit  an  derselben  Stelle,  der  Oder, 
gleichfalls  eine  Volksgrenze  aufweist. 

Nach  Süden  und  Westen  haben  wir  in  der  Steinzeit  keine  archäologisch 
erkennbare  Volksgrenze.  Da  wir  aber  die  Germanengrenze  bisher  stetig 
zurückweichen  sahen,  werden  wir  nicht  fehl  gehen,  wenn  wir  ihre  älteste 
Heimat  in  Mecklenburg,  Schleswig-Holstein,  Jütland,  den  dänischen  Inseln 
und  Südschweden  erkennen.  Dieser  Urzustand  der  germanischen  Verbreitung 
reicht  bis  in  den  Anfang  des  dritten  Jahrtausends  v.  Chr.  hinauf.  Sehen 
wir  die  Inder  im  Pendschab  um  1500  v.  Chr.  ihre  Veden  dichten,  weisen 
Homers  Gesänge  auf  die  mykenische  Kultur  etwa  derselben  Zeit  zurück, 
sind  also  diese  Völker  nicht  etwa  als  Indogermanen,  sondern  als  volle 
Inder  und  Griechen  1500  Jahre  v.  Chr.  in  ihren  historischen  Sitzen  ge- 
wissermassen  litterarisch  bezeugt,  so  haben  wir  nicht  den  geringsten  Grund 
uns  zu  wundern,  dass  Germanen  ein  Jahrtausend  vor  dieser  Zeit  an  der 
Ostsee  wohnten. 

Deutsches  Volkstum  und  deutsche  Kultur  haben  in  ihrer  kraftvollen 
Überlegenheit  es  nicht  nötig,  zur  Stütze  weiterer  Ausdehnung  oder  gar  zur 
Sicherung  ihres  Bestandes  auf  die  Besitztitel  vorgeschichtlicher  Jahrtausende 
zurückzugreifen,  wie  das  andere  Nationen  nicht  ohne  Vergewaltigung  der 
geschichtlichen  Thatsachen  gethan  haben.  Uns  Deutsche  und  mit  uns  alle 
anderen  Glieder  germanischen  Stammes  kann  es  aber  nur  mit  Stolz  erfüllen 
und  bewundern  müssen  wir  die  Kraft  des  kleinen  nordischen  Urvolkes, 
wenn  wir  sehen,  wie  seine  Söhne  in  Urzeit  und  Altertum  ganz  Skandinavien 
und  Deutschland  erobern  und  im  Mittelalter  über  Europa,  in  der  Neuzeit 
über  ferne  Erdteile  sich  ausbreiten. 


Volkskundliches  vom  Thüringer  Walde. 

Aus  der  Wiedersbacher  Chronik  des  Pfarrer  Möbius 
herausgegeben  von  F.  Kunze. 

Im  südlichen  Teile  des  auf  dem  Thüringer  Walde  gelegenen  Kreises 
Schleusingen  (Regierungsbezirk  Erfurt,  Provinz  Sachsen)  führt  ein  Kirch- 
dorf den  Namen  Wiedersbach.     Es  gehörte  ehemals  zu  dem  fränkischen 


Volkskundliches  vom  Thüringer  Walde.  15 

Gau  Grabfeld,  aus  welchem  sich  später  die  Grafschaft  Henneberg  bildete, 
die  bekanntlich  von  1583—1815  dem  Hause  Sachsen  unterthan  war  und 
nach  Beendigung-  der  Freiheitskriege  an  Preussen  fiel. 

Im  Pfarrarchive  dieses  friedlichen  Dörfchens  Wiedersbach,  welches 
urkundlich  zuerst  unterm  Jahre  1311  erwähnt  wird,  befindet  sich  eine 
ausführliche  handschriftliche  Ortschronik,  die  Anno  1842  von  dem  damaligen 
Pfarrer  Möbius  mit  grossem  Fleisse  verfasst  worden  ist.  Auch  des  benach- 
barten Filialdorfs  Gerhardsgereuth.  das  1181  als  „  Gerhard isgirute"  vor- 
kommt, ist  in  diesem  Foliobande  gedacht.  Ein  volkskundliches  Interesse 
hat  besonders  der  Abschnitt:  „Gebräuche  in  Wiedersbach  und 
Gerhardsgereuth",  weshalb  ich  denselben  nachstehend  mit  geringen 
Änderungen  folgen  lasse. 

„Betrachtet  man  den  Parochianer  (den  zum  Kirchspiel  gehörigen 
Bauer)  in  seinem  Hause,  so  findet  man  denselben  mit  bedecktem  Haupte 
auch  im  schwülsten  Sommer,  und  in  der  heissesten  Stube  im  Winter  mit 
der  Pelzmütze  auf  dem  Kopfe.  Auch  im  Sommer  heizt  er  ein,  denn  er 
kocht,  da  er  kein  Kasseroi  hat,  das  ganze  Jahr  im  Stubenofen  uud  es  ist 
oft  zum  Umsinken  heiss,  wenn  man  aus  der  Sonnenhitze  des  Sommers  in 
die  von  Millionen  Fliegen  angefüllte  Stube  desselben  eintritt.  Es  sind  nur 
wenige  Ausnahmen,  wo  man  im  Sommer  auf  dein  Herde  feuert.  In  allen 
Haushaltungen  füttern  die  Männer  das  Vieh.  „Willkommen!"  ruft  man 
dem  Eintretenden  entgegen  und  reicht  ihm  die  Hand;  dem  Weggehenden 
sagt  man:  „Komm  bald  wieder!",  worauf  dieser  spricht:  „Es  kann  wohl 
geschehen!"  Eigentümlich  ist  die  Art  und  Weise,  wie  die  Frau  wäscht. 
Abends  vorher  wird  die  Wäsche  in  kaltem  Wasser  eingeweicht,  am  Morgen 
ausgerungen  oder  auf  den  Tisch  gebreitet,  dass  sie  abläuft.  Einige,  jedoch 
wenige,  seifen  dieselbe  dann  ein.  aber  auch  sehr  wenig  stecken  sie  in  den 
Kessel,  um  sie  in  Lauge  zu  kochen.  Hierauf  trägt  man  sie  entweder  in 
der  Butte  oder  in  einem  Fasse  ans  Fliesswasser  oder  an  einen  Brunnen 
(an  welchem  deshalb  zwei  Tröge  sich  vorfinden,  dass  das  Trinkwasser 
durch  die  Wäsche  nicht  verunreinigt  werde)  und  schlägt  mit  kurzen 
hölzernen  Keulen  (Bläuein)1)  auf  die  Wäsche,  spült  sie  am  frischen  W^asser 
aus  („flöht"2)  in  Wiedersbach,  „lühet"  in  Gerhardsgereuth),  „patscht"  sie 
wieder,  lühet  sie,  ringt  sie  aus,  brüht  sie  zur  Winterszeit  noch  einmal, 
während  man  sie  im  Sommer  auf  die  Bleiche  legt.  Seife  wird  natürlich 
sehr  wenig  gebraucht,  aber  die  Wäsche  ist  auch  nicht  weiss. 

Die  Bibel,  ein  Tisch  und  zwei  Stühle  bleiben  beim  Verkauf  des  Hauses 
Inventarium. 

Das  Gebet  wird  hier  nicht  so  viel  vernachlässigt,  wie  in  anderen 
Gegenden,    wenn   es  auch  hier  und  da  nur  gewo  hnheitsmässig  geschehen 

1)  Bläuel  von  bläuen  =  mhd.  bliuwen  schlagen,  prügeln  (Grimm,  D.  Wb.  II.  111). 

2)  Flöhen  (aus  flauen,  fleuen  entstanden)  und  lühen,  bedeuten  beide  die  Wäsche  im 
Wasser  auschwenken  oder  schweifen,  Grimm,  D.  Wb.  III.  1735.    VI,  1286. 


16  Kunze: 

sollte.  An  jedem  Morgen,  Mittage  und  Abende  mahnt,  früh  und  abends 
die  mittlere,  nachmittags  die  grosse  Glocke  die  Gemeinde  zum  Gebet. 
Jeder  lässt  da  seine  Arbeit  stehen,  faltet  die  Hände  in  stiller  Andacht, 
spricht  ein  Vaterunser  oder  ein  anderes  Gebet  und  wünscht  dann  den 
Anwesenden  einen  „guten  Abend!"  Höchst  ergreifend,  wenn,  während  die 
Glocke  melancholisch  dazwischen  tönt,  die  ganze  Familie  entweder  in 
stiller  Andacht  mit  entblösstem  Haupte  betet  oder  ein  Kind  der  Familie 
ein  Gebet  laut  vorspricht. ')  0  dasss  es  nur  überall  so  recht  von  Herzen 
käme  oder  zu  Harzen  ginge!  Ebenso  beten  die  Daheimgebliebenen,  wenn 
wärend  des  Vaterunsers  in  der  Kirche  am  Sonn-  und  Festtage  angeschlagen 
wird,  ein  Vaterunser.  Auch  ist  keine  Familie,  die  nicht  vor  Tische  ein 
Gebet  spräche;  z.  B.: 

„Trank  und  Speis'  und  jede  Gabe,  Preist  mein  dankbares  Gemüte; 

Die  ich  jetzt  empfangen  habe,  Noch  mehr  wirst  Du  mir  einst  geben 

Leib  und  Seele,  Gut  und  Leben  Dort  in  jenem  Freudenleben. 

Hast  Du  mir,  mein  Gott,  gegeben.  Mache  Du  mich  selbst  bereit 

Diese  Deine  milde  Güte  Zum  Genuss  der  Seeligkeit."  — 

Braucht  der  Parochianer  einen  Dienstboten,  so  dingt  er  ihn  vor  Weih- 
nachten; denn  Petri  Stuhlfeier,  22.  Februar2),  zieht  derselbe  an.  Der 
Lohn  an  Geld  ist  gering,  aber  sie  bekommen  10 — 14  Ellen  Band,  ein  Paar 
Schuhe,  einen  Hut,  ein  paar  Pfund  Wolle,  einen  „Flickert" 3)  Leder,  ausser 
Jahrmarkt  und  Weihnachten.  Sind  die  Dienstboten  dem  Herrn  nicht  recht, 
so  braucht  er  ihnen  den  Dienst  nicht  aufzukündigen,  denn  wenn  der  Herr 
seine  Dienstboten  nicht  fragt,  ob  sie  bleiben  wollen,  so  versteht  es  sich 
von  selbst,  dass  sie  abziehen.  Unangenehm  ist  es  freilich,  diese  Sitte,  den 
Dienstboten  zu  fragen,  festzuhalten,  zumal  dem  Dienstboten  ein  gewisses 
Übergewicht  dadurch  gestattet  wird.  Auch  erhält  derselbe  jedes  Jahr 
Dinggeld.  Verlässt  ein  Bursche  seinen  Dienst  und  giebt  er  in  seiner  Licht- 
stube einen  „Scheideweck"  (Bier;  Schnaps;  auch  wohl  Musik),  so  erhält 
er  von  den  Mädchen  der  Lichtstube  ein  schönes  seidenes  Tuch,  steckt 
dasselbe  beim  Abzüge  an  den  Hut  oder  an  die  Mütze,  muss  aber  dann 
auch,  während  die  übrigen  Mitglieder  der  Lichtstubengesellschaft  seine 
Sachen  fortschaffen  und  ihn  unter  Schiessen  begleiten,  beim  Abzüge  aus 
dem  alten  und  beim  Einzüge  in  das  neue  Dorf  jeden  Bewohner,  der  aus 
dem  Fenster  sieht,    aus  einer  Schnapsflasche,    die  er  trägt,  trinken  lassen. 

Auch  die  Mädchen  werden  von  den  Burschen  ihrer  Lichtstube  begleitet, 
es    müsste    denn    sein,    dass   sie  sich  übel  aufgefürt  oder  sich  Feindschaft 


1)  War  ehemals  Sitte,  besonders  beim  Läuten  der  mittäglichen  Betglocke  (cfr.  Freybe, 
Das  deutsche  Haus  und  seine  Sitte  1892,  S.  127). 

2)  Heute  noch  wird  in  fränkischen  Gauen,  überhaupt  in  Süddeutschland  zum  Peters- 
tage, dagegen  im  Norden  zu  Martini  von  den  Dienstboten  die  Herrschaft  gewechselt. 

3)  „Flicket":  ein  Flicket  Leder,  so  viel  man  zum  Besohlen  eines  Schuhes  oder  Stiefels 
nötig  hat,  Spiess,  Henneb.  Idiotikon,  S.  63. 


Volkskuudliches  vom  Thüringer  Walde.  17 

zugezogen  hätten,  wo  sie  dann  nicht  nur  nicht  Geleit  erhalten,  sondern 
sogar  unter  trommeln  auf  Giesskannen  bis  ans  Ende  des  Dorfes  geführt 
werden.  Bis  zum  neuen  Herrn  begleitet  die  Lichtstube  ihre  verziehenden 
Glieder,  und  dieser  trägt  ihnen  von  der  Mittagskost  auf.  Zieht  ein  Dienst- 
bote an,  so  erhält  er  von  der  Herrschaft  einen  Laib  Brot,  einen  „Riemen" 
Fleisch,  auch  wohl  Kochspeise.  Dieses  geschieht  wohl  in  der  Absicht, 
dass  der  Dienstbote  bis  zum  nächsten  Fleischtage  nach  Petri,  an  welchem 
sie  erst  auszuziehen  pflegen,  Unterhalt  haben  könne. 

In  geselligen  Kreisen  ist  das  Gespräch  des  Bauern  einförmig,  der 
Viehhandel  ist  Hauptgegenstand  desselben.  Er  hört  gern  von  Weltbegeben- 
heiten, aber  keiner  hält  selbst  oder  in  Gesellschaft  mit  mehreren  eine 
Zeitung.  Nur  das  Missionsblatt  wird  seit  einigen  Jahren  von  fünf  Personen 
gehalten.  Allemal  im  Winter  ist  bei  ihm  Krieg  in  der  Welt;  „wenn  der 
Bauer  in  den  Acker  fährt,  ist's  Friede".  Die  Lichtstuben,  die  man  Bauern- 
kasinos nennen  könnte,  sind  nicht  wohl  Bedürfnis,  sondern  für  Ärmere, 
die  Holz  und  Licht  sparen  wollen,  notwendig.  Dahin  geht  man  an  den 
Winterabenden  zu  einander,  unterhält  sich  über  Getreide-  und  Yiehpreise 
oder  spielt  auch  wohl  Karten,  während  die  Weiber,  in  einem  Halbkreise 
um  das  Licht  herum  sitzend,  spinnen.  Oft  aber  ist  auch  die  Lichtstube 
eine  wahre  Schlafgesellschaft.  Talglichte  („Gollichte")1)  werden  wenig- 
gebrannt,  sondern  lange  Kiefernspüne.  die  entweder  durch  eiserne,  auf 
Klötzen  befestigte  Scheren  oder  durch  besonders  dazu  gemachte  hölzerne 
Leuchter,  die  man  hoch  und  niedrig  schieben  kann,  gehalten  werden. 
Die  Lichtstuben  sind  in  der  Art,  wie  sie  bestehen,  ein  wahres  Gift.  Die 
anzüglichsten  Reden  und  Lieder  sind  darin  gang  und  gebe,  und  je  toller 
es  hergeht,  desto  schöner  ist  den  Besuchern  die  Liditstube.  Am  tollsten 
geht  es  in  der  Lichtstube  der  14— IS  jährigen  Leute  her,  welche  polizeilich 
unter  keiner  Bedingung  geduldet  werden  sollte. 

Das  schändlichste  Manöver  ist  hier  der  sogenannte  „Fleischhaufen". 
Dabei  stellt  ein  Bursche  einem  Mädchen  einen  Fuss,  so  dass  das  Mädchen 
fällt.  Auf  sie  stürzt  sich  der  Bursche,  und  unter  wildem  Geschrei  folgen 
sämtliche  Mädchen  und  Burschen  der  Lichtstube  durcheinander  nach,  Ins 
sie  alle  auf  einem  Haufen  liegen.  So  tummeln  sie  sich  eine  Zeitlang 
unter  wildem  Geschrei  auf  den  Dielen  herum.  Manches  wohlerzogene 
Kind  ist  schon  in  diesen  Lichtstuben  durch  und  durch  verdorben  worden. 
Die  „Lichtfrau",  auch  wohl  noch  der  „Lichtherr",  erhält  von  der  Licht- 
stubengesellschaft  alljährlich  ein  Geschenk,  ein  Tuch,  eine  Schürze  oder 
dergleichen  für  die  Aufnahme,  die  sie  ihr  gewährt,  und  die  Mädchen  sind 
verbunden,    wöchentlich    abwechselnd    ihrer  Lichtfrau    die  Stube  scheuern 


1)  Gölicht  =  Talglicht  (Rcinwald  I,  52;  Schleicher,  Volkstüml.  aus  Sonneberg,  S.  67. 
Schindler  P,  893.  Schmid,  Schwab.  Wörterb.,  S.  237.  Vilmar,  Hess  Idiotikon,  S.  119) 
erklärt  sich  wohl  aus  der  im  Schlesischen  erhaltenen  Form  Goklicht,  Gokellicht:  Licht  im 
Leuchter,  womit  man  herumgokeln  (hin  und  her  lauten    kann. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1S96. 


18  Kunze: 

zu  helfen.  —  Silvester  und  Fastnacht  sind  die  Hauptfreudentage  der  Licht- 
stube. Da  wird  Kuchen  gebacken,  Kaffee  gekocht,  auch  wohl  Suppe, 
Klösse  und  Fleisch  angerichtet.  Die  Kosten  tragen  die  Weibspersonen. 
Die  Männer  oder  Burschen  sorgen  für  Bier,  Schnaps  und  Musik.  Hier 
wird  nun  bis  früh,  Fastnacht  sogar  bis  Mittwoch  Abend  geschwärmt. 
Oftmals  wird  den  ganzen  Winter  über  nicht  soviel  zusammengesponnen, 
als  an  diesen  Abenden  verzehrt  wird,  und  manches  arme  Mädchen  giebt 
für  die  Lichtstube  die  Hälfte  ihres  Lohnes  hin. 

Ausserdem  giebt  es  während  der  Spinnzeit  im  Winter  sogenannte 
Rockenstuben1),  wozu  die  besten  Freunde  eingeladen  werden;  es  ist  dies 
ein  geselliges  Vergnügen,  recht  in  der  Art  der  Kaffees  in  der  Stadt.  Hier 
giebt  es  Kaffee  und  Eierkuchen,  auch  Brotkuchen  und  Pfannkuchen  (Kräpfle), 
Brezelsuppe,  Kraut  und  Fleisch.  Eine  Brezel  erhält  jede  Spinnerin  beim 
Nachhausegehen  ans  Rad.  Bei  diesen  Festen  sucht  eine  Frau  die  andere 
in  den  Gerichten  zu  übertreffen.  Auch  die  Schlachtschüsseln  (Eisbän, 
Eisbeine)  sind  ähnliche  Gesellschaften;  nur  bekommt  man  hier  Suppe 
(Reis,  Nudeln,  Graupen  mit  Safran  gefärbt;  Gemüse,  Meerrettig,  Kohl) 
und  Rindfleisch,  Sauerbraten  und  Klösse  und  zuletzt  Sauerkraut  und 
Schweinfleisch;  später,  um  9  oder  10  Uhr  abends,  kommt  noch  frische 
Wurst  auf  den  Tisch.  Überall  wird  nach  üblicher  Sitte  die  ganze  Wurst 
der  Länge  nach  in  zwei  Hälften  durchschnitten.1') 

Neujahrsheiligabend  werden  „Talken"3)  gebacken,  wobei  gekochtes 
Obst  zu  einem  Brei  gequirlt,  Anis  und  Pfeffer  dazu  gethan,  das  Ganze 
dünn  aufgetrieben  und  mittels  Formen  mit  Figuren  bedruckt  wird;  zuletzt 
wird  noch  Runkelsaft  darauf  gestrichen. 

Zu  den  öffentlichen  Gebräuchen  gehört  folgendes:  Am  Neujahrsmorgen, 
gleich  nach  12  Uhr  mitternachts,  wünscht  der  Wächter  auf  seinen  Ruforten 
ein  glückliches  Neujahr,  und  bald  darauf  singt  der  Schullehrer  mit  seinem 
Chor  an  vier  Orten  des  Dorfes,  zuerst  am  Pfarrhause,  einen  Gesang  und 
schliesst  mit  dem  Liede:  „Nun  danket  alle  Gott".  Dafür  bekommen  die 
Sänger  aus  der  Gemeinde  12  Batzen4)  oder  für  dieses  Geld  Bier.  —  In 
der  Nacht  zum  ersten  Pfingsttage  setzt  man  dem  Pfarrer,  dem  Schulzen, 
dem  Schullehrer,  ingleichen  jeder  Bräutigam  seiner  Braut,  zwei  junge 
Birken  vor  das  Haus,  und  man  kann  daraus  fast  bestimmt  vorher  wissen, 
welches  Mädchen  sich  in  diesem  Jahre  verheiratet.  Auch  wird  in  dieser 
Nacht    die    ganze  Kirche  mit  jungen  Birken  geschmückt  (Psalm  118,  27). 

Allemal  am  Klausmarkte  in  Eisfeld,  der  am  Montag  nach  Nikolaus 
(6.  Dezember)  fällt,    maskiert  sich  das  junge  Volk,    d.  h.  sie  wickeln  sich 

1)  Nach  dem  Spinnrocken  (cfr.  Vilmar  s.  v.  Wocken,  S.  457)  so  genannt. 

2)  Diese  Sitte  ist  auch  bei  den  Landbewohnern  Nordthüringens  noch  lebeudig. 

3)  Talk  ist  eine  süddeutsche  Bezeichnung  für  eine  teigige  Masse  aus  Mehl,  Lehm  etc. 
(Reinwald  1,  161;  Schindler  II2,  314;  Schöpf  731). 

4)  1  Batzen  galt  im  Hennebergischen  5  Kreuzer  Südd.  W. 


Volkskimdliches  vom  Thüringer  Walde.  19 

in  Erbsenstroh  mit  einer  selbstgefertigten  Larve  und  einer  Narrenmütze 
von  Stroh,  oder  man  kleidet  sich  von  oben  bis  unten  wie  Papageno  in 
Federn,  in  Troddeln  von  Leinenband  oder  in  Schroten  von  Tuch  mit  einer 
Narrenmütze  von  Pappe.  Sie  hängen  ein  Schellengeläute  um  sich  und 
springen  so  unter  Klatschen  mit  Peitschen  und  Juch-Schreien  aus  einer 
Lichtstube  in  die  andere,'  lassen  dort  die  Mädchen  oder  in  anderen  Häusern 
die  Kinder  beten,  teilen  Äpfel  und  Nüsse  aus,  nehmen  aber  auch  überall 
Geschenke  an.  Kehren  sie  in  ein  Haus  ein,  so  klopfen  sie  artig  an  — 
und  Rupperich  und  Nikolaus1)  treten  ein:  N.  Ruppert,  Ruppert,  Herr 
Ruppert,  's  ist  warm  dahier!  —  R.:  Ja,  beim  Ofen,  Nikolaus,  das  glaub 
ich  dir.  —  N.  Ruppert,  Ruppert,  die  Leute  sehn  uns  an.  —  R.  Ich  danke 
Gott,  dass  wir  beim  Ofen  stahn.  —  N.  Hans  Flederwisch,  komm  auch 
herein.  —  Fl.  Ja,  wenns  die  Leut'  zufrieden  sein.  —  N.  Wollten  sie's 
nicht  zufrieden  sein,  so  schlagen  wir  ihnen  die  Fenster  ein.  —  Fl.  tritt 
ein  und  spricht:  „Ich  bin  der  Hans  von  Flederwisch,  kann  die  Kinder 
schon  erwischen  hinterm  Tisch,  vor  dem  Tisch,  in  den  Ecken,  wo  sie 
stecken,  und  schreien  sie  alle  mordjo,  so  rufen  wir  doch  nur  ho!  ho!" 


1.   Lebensart  der  Bewohner. 

Die  meisten  Bauern  leben  sehr  einfach:  der  Gerichte  sind  wenige  und 
den  wesentlichen  Teil  derselben  machen  die  Kartoffeln  aus,  die  man  hier 
reichlich  und  von  recht  gutem  Geschmack  baut.  Wollte  man  den  Küchen- 
zettel für  den  Mittag  der  ganzen  Woche  entwerfen,  so  würde  er  mutatis 
mutandis  additisque  addendis  sein:  0  Klösse  aus  rohen  Kartoffeln,  ])  die- 
selben aufgewärmt,  oder  Erbsen,  d*  Kartoffelsuppe  und  Kuchen  („Tätscher"), 
¥  Dulch,  Zammete,  4  Klösse  wie  O,  $  Kartoffelkuchen  und  Kraut,  t  Linsen. 
Zum  Frühstück  werden  entweder  rohe  Kartoffeln  von  einander  geschnitten 
und  in  den  an  allen  Öfen  befindlichen  blechernen  Röhren,  linksum  an- 
geklebt, gebraten,  oder*  die  Kartoffeln  werden  in  der  Schale  gekocht,  und 
aufs  blosse  Tischtuch  geschüttet  und  entweder  (und  zwar  meist)  mit  Salz 
gegessen  oder  auch  mit  Preisseibeeren  („Hölperle,  Musjucken")2),  rohem 
Kraut,  geronnener  Milch,  grünem  Salat  oder  auch  mit  den  Überbleibseln 
vom  Mittagsessen  genossen.  Man  geniesst  auch  die  sogenannten  gesalzenen 
Erdäpfel:  es  werden  die  geschälten  Kartoffeln  mit  Salz  und  etwas  Kümmel 
gekocht,  und  etwas  braune  Butter  oder  gebratener  Speck  darüber  gegossen. 
Statt  des  Kaffees  trinkt  man  Runkelrübenbrühe. 

Zu  den  bemerkenswerten  Speisen  gehört  vor  allem  die  Lieblingskost 
der  Henneberger  überhaupt  und  der  hiesigen  Bewohner  insbesondere,    die 


1)  Der    „HeiTsc-hei-upperich''    (der   herrisch   und   anmassend   auftretende    (?)    Knecht 
Ruprecht)  ist  mit  dem  „Herrschekloas",  im  Fränkischen  identisch. 

2)  Vgl.  Reinwald  I,  211.     Schleicher  G7;  Vilmar  175  und  Schmeller  P,  1083. 

2* 


'20  Kunze: 

Klösse  aus  rohen  Kartoffeln1).  Die  Kartoffeln  werden  roh  geschält,  gerieben, 
abgewässert,  ausgepresst,  Salz  darauf  gestreut,  dann  mit  Wasser  oder  Milch, 
oder  Kartoffelbrei  oder  Hirsebrei  gebrüht,  gemengt  und,  nachdem  Semmel- 
brocken  in  die  Mitte  gelegt  sind,  geformt,  dann  in  sprudelnden  Brunnen 
gethan,  wo  sie  eine  Stunde  kochen  müssen.  Sobald  sie  herausgethan  sind, 
müssen  sie  gleich  gegessen  werden,  sonst  sind  sie  so  fest  wie  Kanonen- 
kugeln. Merkwürdig,  dass  die  Eingeborenen  diese  Klösse  leidenschaftlich 
essen,  während  sie  jeden  Eingewanderten  anwidern. 

Ausserdem  kennt  man  gebackene  Klösse,  Stärkemehlklösse  und 
Schüttelklösse.  Als  Brühe  zu  den  Klössen  benutzt  man  die  Bratenbrühe, 
Wiesenkohl,  Schwämme,  Petersilie  und  Porree,  Milchbrühe,  Schnittlauch 
und  Petersilie. 

Tätscher2):  eine  Art  Kuchen  aus  rohen  Kartoffeln  (gerieben,  gepresst, 
gebrüht  wie  die  Klösse);  mau  legt  diesen  Teig  in  eine  mit  Fett  oder 
Butter  versehene  Pfanne  von  Blech. 

Leberkuchen:  die  Leber  wird  gewiegt,  mit  Salz  und  Pfeffer,  sowie 
mit  in  Milch  geweichter  Semmel  gemengt,  dann  in  Fett  mit  Zwiebeln  fest 
gebraten.  Ähnlich  wird  die  Küchelwurst  bereitet,  wozu  man  statt  der 
Leber  Blut  verwendet.  Ein  nahrhaftes  Gericht  sind  saure  Runkelrüben- 
stiele. Hier  wird  der  Stiel  des  Runkelblattes  in  ganz  kurze  Stückchen 
geschnitten,  einigemal  abgekocht  und  abgeseiht  und  darüber  eine  saure 
Eierbrühe  gegossen.  Besondere  Kompositionen  sind:  Kraut  und  Dulch 
oder  Zammete,  Klösse  mit  Salat,  Kartoffelmus  und  Salat.  —  Im  Sommer 
gemessen  sie  sehr  oft  Schwämme,  welche  in  der  Nähe  wachsen,  z.  B. 
Ilirschschwämme,  Ellerschwämme,  Eier-,  Milch-  und  Butterschwämme,  die 
verschieden  zubereitet  werden.  Da  die  Leute  in  der  sommerlichen  Arbeits- 
zeit kein  Fleisch  mehr  haben  (nach  ihrem  Grundsätze:  der  Bauer  muss 
das  Fleisch  im  Winter  essen,  damit  er  im  Sommer  Kraft  hat),  so  suchen 
sie  dasselbe  durch  Kuchen  zu  ersetzen.  Man  geniesst  Suppe,  dann  ge- 
backenes  Obst  („Schnitze")  oder  saures  Kraut  oder  Hirsebrei  und  dann 
jedesmal  Kuchen;  wer  Fleisch  hat,  auch  Klösse  und  Fleisch. 

Bei  Kindtaufen  und  Hochzeiten  erhält  jeder  Gast  1/4  Kuchen  auf 
den  Teller;  auch  giebt  es  Reissuppe,  Gemüse  und  Fleisch  (Klösse  und 
Braten),  Sauerkraut  und  Schweinefleisch  (oder  Bratwurst),  wieder  Braten 
(Gänse,  Schöps),  Hirsebrei  und  Zwetschen.  Auf  dem  Hirsebrei  befinden 
sich  grüne  Zuckerplätzchen  und  kleine  Rosinen.  So  oft  der  Hirsebrei 
ohne  Butter  ist,  muss  er  wieder  geschmälzt  werden.  Hat  man  gegessen, 
so  werden  jedem  zwei  Viertel  Kuchen  (ein  Schmalzviertel  und  ein  trockenes), 
hernach  ein  grosser  Pfannkuchen  oder  eine  Bretzel   oder  eine   „zerrissene 


1)  Im  Henneberg.  „Hutes"  genannt.     Das  Wort  ist  dunkler  Herkunft ;  Reinwald  I,  ('.'.). 
II,  62.    Schneller,  I2,  1191;  Spiess,  Volkstüml.  aus  dem  Fränk.-Henneb.  1869,  S.  16. 

2)  Dätscher    oder  Deitscher   ist.    ein    auf  dem  Blech   oder  in  der  Pfanne  gebackentr 
Kuchen  aus  vermengtem  Weizen-  und  Kartoffelmehl  (Reinwald  IT,  125.    Vilmar  163). 


Volkskundliches  vom  Thüringer  Walde.  21 

Hose"  (eine  Art  Gebäck  aus  Weizenteig)  aufgelegt;  nach  Beendigung  der 
Mahlzeit  wird  noch  das  Lied  gesungen:  „Nun  danket  alle  Gott".  Abends 
um   10  bis  11  Uhr  giebt  es  nochmals  Kaffee  und  Kuchen. 


2.    Kleidung. 

Die  Sonntagskleidimg  der  alten  Männer  besteht  gewöhnlich  aus  einem 
grossen  runden  Kamme,  welcher  das  lange  Haar  ringsum  zusammenhält 
(bis  in  die  letzten  Jahrzehnte  war  dies  die  Tracht  der  Gerhardsgereuther. 
wesshalb  sie  die  „Schüttelköpf"  genannt  werden);  einem  schwarzen  seidenen 
Halstuche,  unter  dem  noch  ein  gebundenes  weisses  sich  befindet;  aus  einer 
schwarzen  mit  rotem  Futter  verzierten  und  mit  Knopflöchern  bis  über 
die  Knie  versehenen  Oberweste  („Motze"1)  oder  aus  einem  blauen  Rocke 
mit  übersponnenen  und  metallenen  thalergrossen  Knöpfen  oder  einer 
langen  tüllenen  Weste  („Buselappe")  mit  metallenen  Knöpfen;  einer  kurzen, 
bis  über  die  Knie  reichenden  bocksledernen  Hose;  weissen  Strümpfen  und 
Schuhen  mit  grossen,  silbernen  Schnallen.  Unter  der  Weste  tragen  sie 
einen  oder  zwei  Lätze.  Die  schwarzen  Röcke,  die  sie  zum  Abendmahl 
und  Leichentragen  anziehen,  sind  ihre  Bräutigamsröcke.  Unter  dem  drei- 
eckigen Hute  tragen  sie  eine  mit  Pelz  verbrämte  Sammetmütze,  die  früher 
mit  Goldtressen  besetzt  war. 

Die  Alltags-  oder  Werkeltagskleidung  ist  gewöhnlich  zusammengesetzt 
aus  einem  dreieckigen  Hute,  dessen  Krempen  man  in  der  Sonnenhitze  und 
im  Regen  herunterschlägt;  einer  langen,  ledernen,  manchesternen  odei 
schwarzen  (bei  jungen  Burschen  auch  roten)  Weste  und  einer  kurzen 
ledernen  oder  auch  weisslinnenen  Hose. 

In  Gerhardsgereuth  gehen  die  Bewohner  meist  barfuss,  in  Wiedersbach 
sind  sie  dagegen  angethan  mit  langen,  weissen  Strümpfen,  grossen  Schuhen 
oder  langen  Stiefeln;  in  Wiedersbach  aus  einem  langen,  sonst  weissen, 
(seit  zehn  Jahren  aber  blauen)  Staubhemde,  in  Gerhardsgereuth  aus  einem 
von  weisser  Leinwand,  gemachten  Rocke  („Motzekittel").  Zuhause  und 
auf  dem  Felde  setzen  sie  im  Sommer  und  Winter  eine  grüne  Pelzmütze 
auf,  deren  schmales  Gebräm  sie  vorn,  das  breite  hinten  tragen.  Holz- 
schuhe sind  ziemlich  im  Gebrauche;  die  Jacken  nennen  sie  „Koller". 

Die  Weiber  tragen  an  Sonn-  und  Festtagen  Hauben  mit  schönen  ge- 
stickten Haubenfleckchen,  die  in  Gerhardsgereuth  und  Neuendambach,  wo 
die  Deckel  der  Haube  bunt  und  wie  im  Zählbrett  geformt  sind,  vollständig, 
dagegen  hier  in  Wiedersbach,  wo  das  Fleckchen  in  einer  Erhöhung  der 
Haube  versteckt  liegt,  nur  wenig  gesehen  werden.  Ein  schönes  seidenes 
Tuch  befestigt  die  Haube  auf  dem  Kopfe.  Am  Halse  tragen  sie  Perlen 
von    verschiedener  Farbe    (schwarz,    blau.    grün,    weiss)    von    Glas    oder 


1    Motze,  Mutze  =  Mannesrock;  heute  im  Kreise  Schleusingen  weniger  gebräuchlich. 


22  Kunze: 

Steinen  (Nüster,  Patterle1).  Das  Mieder  oder  Leibchen  ist  eine  Art  Ober- 
Jäckchen,  doch  auf  besondere  Art  gearbeitet,  einst  von  rotem  Tuch,  jetzt 
aus  Manchester.  Über  dieses  ziehen  sie  nicht  selten  ein  Oberjäckchen, 
meist  von  blauer  Leinwand  (Schapp,  Schäpper8).  Ein  langer,  vielfältiger 
schwarzer,  grüner  oder  blauer  Rock  deckt  den  übrigen  Teil  des  Körpers. 
Früher  war  ein  Büffelrock  mit  scharlachnem  Mieder  die  grösste  Pracht. 
Die  gebrämte  und  gewürfelte  oder  gestreifte  Schürze  heisst  Schurzlappen. 
Sie  tragen  meist  graue  oder  blaue  Strümpfe  mit  Zwickeln.  Da  ein  Teil 
der  Weiber  gegen  ein  leinenes  Schnupftuch  (Hader,  Hadel)  sich  von 
herumziehenden  Haarhändlern  die  Haare  abschneiden  lässt  und  ein  anderer 
Teil  zu  bequem  ist,  die  Haare  an  jedem  Morgen  auszukämmen,  so  sehen 
sie  sich  zu  diesem  Kopftuch  genötigt.  Es  sieht  erschrecklich  aus,  wenn 
unter  diesem  Hadel  die  ungekämmten  Haare  hervorsehen,  und  ich  habe 
es  darum  in  der  Schule  bei  Strafe  verboten,  diese  Hadel  aufzustocken, 
weil  sie  nur  ein  Beförderungsmittel  der  Unreinlichkeit  und  des  Ungeziefers 
sind.  —  Auf  dem  Wege  nach  der  Stadt  sieht  man  ebenso  wie  bei  der 
Feldarbeit  einen  Strohhut  mit  schwarzem  Bande  oder  einen  sogenannten 
„Pferdekopf"  mit  bunten  Bändern  oder  Strohblumen  verziert,  auf  dein 
Kopfe  der  Weiber  und  Mädchen. 

Eine  besondere  Tracht  bildet  die  Hochzeitskleidung,  welche  auch 
bei  anderen  Feierlichkeiten  (Kirchweihen,  Kindtaufen,  Jubiläen  u.  s.  w.) 
üblich  ist.  Dem  Bräutigam  wird  an  der  rechten  Seite  des  Kopfes  ein 
Kränzchen  befestigt,  welches  unten  mit  einem  roten  Bande  eingefasst  ist. 
Aus  der  Mitte  des  Kränzchens  ragen  verschiedene  Blumen  hervor,  deren 
Gestalt  in  messingenen  Plättchen  eingeschlagen  ist.  Auch  sind  Eicheln, 
Sterne,  Sonne  und  Mond  in  diese  Plättchen  eingeschlagen.  Solche 
Kränze  („Flämmerleskränz")  tragen  nur  die  (sogenannten)  Junggesellen. 
Der  Bräutigam  trägt  noch  einen  mit  schimmernden  Bändern  geschmückten 
Strauss  an  der  linken  Seite  seiner  Brust  oder  auch  am  Arm.  Die  Braut 
hat  ein  gleiches  Kränzchen  auf  dem  Kopfe,  und  zwar  auf  der  Mitte,  wo 
alle  Haare  aufgestreift  zusammenlaufen,  so  dass  man  eine  gekrönte  Pyra- 
mide vor  sich  zu  sehen  glaubt.  Unterhalb  des  Kranzes  ist  ein  etwa  drei 
Quadrat-Zoll  grosses,  aus  zusammengelegtem  roten  Bande  mit  vielen  Steck- 
nadeln durchstochenes  viereckiges  Stück  (Klitsch3)  befestigt  und  unterhalb 
des  Nackens  an  ein  Perlenband  gebunden,  welches  auch  Nüsterband  heisst. 


1)  Nüster  f.,  plur.  =  Perle,  Glasperle,  Perlenschnur  als  Halsschmuck  für  Frauen. 
Dasselbe  wird  auch  durch  „Paterlich"  bezeichnet.  (Beide  Worte  stammen  von  Paternoster, 
dem  Rosenkranz  ab.  Cf.  Reinwald  I.  111,  II.  92;  Schleicher  65;  Schmerler  I8  17G8; 
Vilmar  288;  Stalder  II.  244:  Schöpf  477.) 

2)  Schaper,  Schäpper  =  Spenser,  Janker:  Schindler  II2  436. 

3)  Klitsch  =  roter  Bänderaufsatz  in  Pyramidenform  auf  dem  Haupte  der  Braut  (daher 
in  Schleusingen  der  Ausdruck  „Klitschebraut"),  gleichbedeutend  mit  „Schappcl".  Cf. 
Firmenich,  Völkerstimmen  II.  155. 


Volkskunrllichcs  vom  Thüringer  Walde.  23 

Reine  Jungfrauen  allein  sollen  diesen  Schmuck  tragen,  aber!!  —  Zu  be- 
merken ist  noch  das  sogenannte  Feiertagshemd,  welches  oben  mit  feineu 
Spitzen  besetzt  ist.  Die  Ärmel  desselben  werden  nicht  eingenäht,  sondern 
eingehängt.  Der  übrige  Teil,  der  den  Busen  und  Leib  umgiebt,  ist  wie 
ein  gewöhnlicher  Weiberrock  oder  Kleid  gearbeitet  und  in  viel  Falten 
gelegt;  man  braucht  zu  demselben  fast  ebensoviel  Leinwand  als  zu  einem 
gewöhnlichen  Rocke  oder  Oberkleide.  Bei  Begräbnissen  tragen  die  Weiber 
schwarze  Mäntel,  Tücher  und  Hauben  und  die  Träger  haben  ebenfalls 
schwarze  Kleidung. 


3.    Wohnung. 

Die  Wohnungen  haben  einerlei  Beschaffenheit:  die  Giebelseite  des 
Hauses  sieht  auf  die  Strasse  uud  hat  nicht  viele  Fenster.  In  der  Lang- 
seite befindet  sich  die  Hausthüre.  Die  Stube  ist  ziemlich  geräumig,  hat 
meist  vier  Fenster  und  an  sie  stösst  die  Kammer,  jedoch  ohne  Zwischen- 
schied, meist  durch  einen  Bretterverschtag,  öfter  nur  durch  Vorhänge  ge- 
trennt. Beim  Eintritte  ins  Haus  befindet  man  sich  der  Küchenthür  gegen- 
über. Die  Küche,  den  Herd  eingerechnet,  sieht  keineswegs  einer  Küche 
ähnlich:  weder  ein  Küchentisch  noch  ein  Kuchenbrett  ist  anzutreffen  und 
nur  ein  ganz  kleines  Fenster  erleuchtet  sie.  Der  Stubeuthür  gegenüber 
ist  die  Treppe,  welche  in  das  kleine  Oberstübchen  führt  und  an  deren 
Fusse  vorbei  der  Weg  in  den  Viehstall  geht.  Aus  dem  Hausflure  gelangt 
man  überall  durch  einen  Gang  zwischen  dem  vorderen  und  hinteren  Stalle 
(oft  auch  durch  eine  Kammer)  in  den  hinteren  Hof,  so  dass  kein  Haus- 
bewohner, der  in  den  Hofraum  gehen  will,  einen  Fuss  nass  zu  machen 
braucht.  Die  Wohnungen,  in  denen  bloss  eine  Familie  wohnt,  sind  be- 
quem. Durch  die  doppelten,  ja  dreifachen  Haushaltungen  unter  einem  Dach, 
besonders  wenn  viele  Kinder  da  sind,  werden  die  Stuben  beengt;  sie  würden 
aber  doch  noch  geräumig  genug  sein,  wenn  nicht  die  Ungeheuer  von 
Öfen  einen  grossen  'Platz  einnähmen.  Trotzdem  herrscht  aber  hier  wie 
auf  dem  ganzen  Walde  eine  ausserordentliche  Reinlichkeit,  die  jedem 
Fremden  wohlthut.  Die  Dielen,  die  wöchentlich  wenigstens  einmal  ge- 
scheuert werden,  sind  sehr  weiss  und  die  Fussdecken  von  Leinwand,  die 
man  auch  in  den  ärmsten  Wohnungen  antrifft,  erhalten  dieselben.  Sand 
wird  nicht  eingestreut.  Zum  Abtreten  der  Füsse  an  der  Stubenthüre  findet 
man  Strohbüschel  oder  Streureisig.  Doch  sind  die  Wohnungen  sehr 
feucht,  teils  durch  die  grossen  im  Ofen  befindlichen  Blasen  (eiserne, 
unten  abgerundete  Töpfe),  noch  mehr  durch  das  stete  Brühen  in  der 
Stube.  Vom  Fensteröffnen  weiss  man  nicht  viel;  bei  furchtbarer  Hitze 
lässt  man  nur  ein  kleines  Spältchen  offen.  Die  Stube  war  sonst  ganz 
getäfelt,  jetzt  ist  sie  es  oft  nur  noch  halb.  Man  hat  dieses  Täfelwerk  ab- 
reissen  müssen,  weil  seit  etwa  1816  sich  ein  Ungeziefer  (Russen  genannt, 


24 


Prato: 


blatta  orientalis)  unter  demselben  einnistete.  In  den  Stuben  findet  man 
ein  Kannenbrett,  auf  welchem  zinnerne  Flaschen,  Gläser,  auch  wohl  Teller 
stehen;  unter  diesem  Kannenbrett  ist  das  Bett  aufgestellt.  Dem  Ofen 
gegenüber  in  der  anderen  Ecke  steht  der  grosse  Tisch  und  um  denselben 
an  zwei  Seiten  die  an  der  Wand  befestigten  Bänke;  in  einigen  Häusern 
findet  man  auch  ein  Kanapee  von  Holz,  ohne  Polster,  einer  Gartenbank 
nicht  unähnlich.  Ausser  einigen  hölzernen  Stühlen  am  und  zwei  finger- 
starken Stangen  um  den  Ofen,  auf  denen  Sonnabends  die  Wäsche  getrocknet 
wird,  findet  man  nichts  weiter  in  den  Stuben. 

Die  Scheune  („Stadel")  ist  ganz  von  Holz,  ringsum  mit  Brettern  zu- 
geschlagen, unten  zu  Heu,  oben  zu  dem  wenigen  Stroh.  Einen  Hof  giebt 
es  in  Wiedersbach  bei  den  wenigsten  Häusern,  dagegen  in  Gerhardsgereuth 

bei  den  meisten. 

(Schluss  folgt.) 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  SckönlieitssymMe 
in  Volksmärchen  und  -Liedern. 

Ein  kritischer  Beitrag  zur  vergleichenden  Völkerpsychologie 
von  Dr.  Stanislaus  Prato. 

(Fortsetzung  von  Zeitschrift  V,  363-383.) 

In  den  germanischen  und  vor  allen  Dingen  in  den  slavischen  Volks- 
märchen1) bilden  der  Morgenstern2)  und  die  Morgenröte,  die  in  wunderbar 
poetischer  Weise  personifiziert  erscheinen,  ein  häufiges  Motiv  und  sie 
werden  daselbst  in  symbolische  Beziehungen  zu  einander  gebracht.  Der 
Morgenstern  Lucifer,  mit  dem  oft  die  Schönheit  irgend  einer  anmutigen 
Jungfrau  verglichen  wird,  tritt  in  einer  Volkssage  der  Ojibwas  in  Nord- 
amerika als  persönliches  Wesen  entgegen;  dort  verliebt  sich  ein  junges 
Mädchen  in  die  Schönheit  der  Aurora3),  sie  verzehrt  sich  in  Sehnsucht 
nach  dieser  und  ergeht  sich  unaufhörlich,  aber  umsonst  in  verzückten 
Betrachtungen;  endlich  erbarmen  sich  die  vier  Winde  des  Himmels  ihrer, 
sie  entführen  sie  und  tragen  sie  zum  fernen  Horizont,  wo  die  Morgenröte 
glänzt,  deren  ewige  Gefährtin  sie  nun  als  Morgenstern  wird.     Ein  rührendes 

1)  In  diesem  Abschnitt,  in  denen  nach  Volksmärchen  verschiedener  Länder  selten 
schöne  Mädchen  im  Schmucke  der  Sonne,  des  Mondes  und  der  Sterne  geschildert  werden 
benutzte  ich  die  vergleichenden  Anmerkungen  zu  No.  1  der  Indian  Fairy  Tales  von 
Maive  Stokes,  §  1-3  und  etwas  von  §  4,  SS.  240-242. 

2)  In  einem  serbischen  Volkslied  ist  der  Morgenstern  ein  Jüngling,  der  sich  in  die 
Morgenröte  verliebt  hat. 

3)  Dante  nennt  die  Venus,  die  wie  eine  Verliebte  der  Sonne,  des  Abends  als  Hesperus, 
nachfolgt  und  des  Morgens  als  Lucifer  vorangeht  im  8.  Ges.  des  Paradieses:  La  Stella  | 
Che  il  sol  vagheggia  or  da  coppa  or  da  ciglio,  d.  h.  den  Stern,  der  bald  sich  nach  dem 
Sonnenlichte  von  vorn,  bald  in  ihrem  Rücken  sehnt. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.       25 

estlmisches  Volksmärchen  lautet1):  Wänna-Issi  (Altvater)  hatte  zwei 
unsterbliche  Diener,  einen  Jüngling  und  ein  Mädchen.  Zu  diesem,  das 
Ämmarik  (Abendröte)  heisst,  spricht  er:  Töchterchen,  dir  vertraue  ich 
die  Sonne,  lösche  sie  aus  und  verbirg  das  Feuer,  dass  kein  Schade  geschehe. 
Dann  zu  Koit  (Morgenröte):  Söhnchen,  dein  Amt  ist  die  Leuchte  zu  neuem 
Lauf  wieder  anzuzünden.  —  Keinen  Tag  fehlt  die  Leuchte  am  Himmelsbogen; 
Am  Winter  hat  sie  lange  Rast,  im  Sommer  nur  kurze  Ruhezeit,  und  Ämmarik 
übergiebt  die  erlöschende  unmittelbar  den  Händen  Koits,  der  sie  alsbald 
zu  neuem  Leben  anfacht.  Zu  einer  solchen  Zeit  sehen  beide  einmal  sich 
zu  tief  in  die  braunen  Augen,  ihre  Hände  fassen  einander,  ihre  Lippen 
berühren  sich.  Altvater  sieht  es  und  spricht:  Seid  glücklich  als  Mann 
und  Weib.  Sie  antworten :  Alter,  störe  unsere  Freude  nicht,  lass  uns  ewig 
Braut  und  Bräutigam  bleiben,  so  ist  die  Liebe  immer  jung  und  neu.  Nur 
einmal  im  Jahr,  vier  Wochen  lang,  kommen  beide  zur  Mitternachtszeit 
zusammen.  Dann  legt  Ämmarik  die  erlöschende  Sonne  in  die  Hand  Koits, 
ein  Händedruck  und  ein  Kuss  beseligt  sie.  Die  Wange  der  Ämmarik 
errötet  und  spiegelt  sich  rosenrot  am  Himmel,  bis  Koit  die  Leuchte  wieder 
anzündet.  Weilt  Ämmarik  zu  lange,  so  ruft  ihr  die  Nachtigal  scherzend 
zu:  Säumiges  Mädchen,  die  Nacht  wird  zu  lang. 

Bei  Dante  heisst  es  von  der  persönlich  gefassten  Morgenröte  im 
Purg.  II,  7  ff.: 

.  .  .  Le  bianche  c  le  vermiglic  guancie 

La  dove  io  era,  dclla  bell'aurora 

Per  troppa  etate  divcnivan  rance. 

Ariost  ferner  sagt  im  Orlando  Furioso  XXIII,  52: 
Poichc  l'altro  mattin  la  bell'Aurora 
L'aer  seren  fe'  bianco  e  rosso  e  giallo. 

Und  Torquato  Tasso  in  seiner  Gerusalemme  liberata  III,  1  Str.: 
Giä  l'aura  messaggiera  erasi  desta 
A«nunziar,  che  se  ne  vien  l' Aurora; 
Ella  intanto  s'adorna  e  l'aurea  testa 
Di  rose  colte  in  paradiso  infiora.2) 

So  häufig,  wie  in  den  Volksmärchen  das  Bild  der  Sonne,  des  Mondes 
und  der  Sterne  zur  Bezeichnung  weiblicher  wie  männlicher  Schönheit  ver- 
wendet ist,  begegnet  es  nun  auch  in  den  Volksliedern  und  ebenso  in  der 
Kunstpoesie  verschiedener  Länder;  beliebter  noch  als  die  Sonne  war  aber 
bei    den    Orientalen,    wie    wir    gesehen    haben,    der    Mond3)    als    Symbol 


1)  Vgl.  für  dasselhe  Brüder  Grimm,  Kinder-  und  Hausmärchen,  Göttingen,  1856, 
III,  Bruchstücke,  385. 

2)  Auch  die  Griechen  nannten  die  Morgenröte  "Ecog  {joöoddy.ndo?  (die  rosenfingrige). 
Vgl.  F.  Petrarca,  Oanzoniere,  Bd.  I,  S.  187:  Due  rose  fresche  e  colte  in  paradiso. 

3)  Hier  fallen  mir  die  folgenden  beiden  Verse  eines  deutschen  Dichters  ein: 

Wo  Mondschein  die  duftige  Primel  umlebt, 
Da  werde  der  luftige  Reihen  gewebt, 


26  Prato: 

besonders  der  weiblichen  Schönheit.  Die  persischen  Rhetoren  nennen 
diese  Figur  ighräb  (Absonderlichkeit).  In  einem  Verse  von  Saadi  heisst 
es  so:  Nie  habe  ich  einen  Mond  mit  gelocktem  Haar  und  nie  eine  Cypresse1) 
(einen  zart  gebauten  Wuchs)  in  einem  Gewände  erblickt  (nur  du  wärest 
beides).  In  gleichet  Weise  sagt  ein  anderer  persischer  Dichter  El  Mokhtäri: 
Ein  Mond  wäre  es,  hätte  der  Mond  den  Wuchs  der  Cypresse;  eine  Cypresse, 
hätte  die  Cypresse  den  Busen  des  Mondes.  Ein  Nachkomme  von  Khosrou 
Anouchirvän  (Chosroe  dem  Grossen),  der  Dichter  Medj  Ed  din  Hamgar, 
hat  dasselbe  Gleichnis  gebraucht;  er  sagt:  Wenn  wirklich  jemand  einmal 
einen  funkelnden  Mond  auf  dem  Gipfel  einer  schlanken  Cypresse  gesehen 
hat,  war  jener  dann  nicht  dein  Antlitz  und  diese  nicht  deine  Gestalt? 
(Vgl.  Garcin  de  Tassy,  Rhetorique  et  prosodie  des  langues  de 
TOrient  musulman,  S.  36;  Huart,  Anis  ET  Ochchäq,  S.  95— 9G). 
Rudeghi,  ein  anderer  persischer  Dichter,  schrieb,  um  in  dem  Fürsten  die 
Lust  zu  erwecken  in  Buckhära  zu  wohnen,  ein  lyrisches  Gedicht,  das 
folgende  Stelle  enthält:  Der  König  ist  der  Mond  und  Buckhära  der  Himmel, 
und  geht  nicht  allzeit  am  Himmel  der  Mond  auf!  Der  König  ist  eine 
Cypresse  und  Buckhära  ein  Garten,  und  kommt  die  Cypresse  nicht  allzeit 
dem  Garten  zu!2) 

Beiläufig  sei  hier  auf  die  Bemerkung  De  Gubernatis'  zur  Personifizierung 
des  Mondes  hingewiesen,  dass  die  Mondfrau  die  Wohlthäterin  des  Prinzen 
Sonne  und  der  Prinzessin  Morgenröte  ist,  wenn  der  Zauberer,  der  Popanz, 
die  Hexe  oder  die  Finsternis  der  Nacht  sie  verfolgt.  Er  erinnert  daran, 
dass  in  den  Vedenhymnen  der  Mond  am  Abend  vor  dem  Vollmonde 
Anumati  oder  die  gnädige,  bei  Vollmond  Räkä,  die  glänzende,  und  an 
den  beiden  Neumonden  Sinivali  und  Kuhn  oder  Gufgu  heisst.  Der 
junge  Mond  zu  Neumond  wird  als  subahü,  kleinarmig,  und  svanguri, 
schönfingrig,  gepriesen.  Von  Sinivali  heisst  es  auch,  sie  bereite  den 
jungen  Keim,  lege  den  zeugenden  Keim  an.  Der  weibliche  Charakter  der 
Räkä  tritt  deutlich  zu  Tage,  wenn  sie  im  Rigveda  emsig  an  der  strahlenden 
Arbeit  mit  unzerbrechlicher  Nadel  näht;  es  ist  dies  der  goldene  Schleier, 


Auch  die  folgenden: 

Diese  Erd'  ist  so  schön,  wann  der  Lenz  sie  beblümt 
Und  der  silberne  Mond  hinter  dem  Walde  steht, 
Ist  ein  irdischer  Himmel, 
Gleicht  den  Thalen  der  Seligen. 

Sowie: 

Mondbeglänzte  Zaubernacht, 

Die  den  Sinn  gefangen  hält. 

Wundervolle  Märchenwelt, 

Steig'  auf  in  der  alten  Pracht.     (Tieck,  Octavianus,  Prolog.) 

1)  Ein  Lieblingsbild  der  persischen  Dichter. 

2)  Italo   Pizzi,    Manuale    di   letteratura  persiana,   Milano,    U.    Hoepli,    188' 
Cap.  III,  1,  Seite  80. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.       27 

das  Gewand,  das  Kleid  oder  das  Hemd,  das  zur  Hochzeit  der  jungen 
Sonne  bestimmt  ist,  das  Tuch,  das  Penelope  für  ihren  umherirrenden 
Gatten  Odysseus  unablässig  webt.  Gleich  nachdem  von  der  Arbeit  die 
Kode  gewesen,  welche  Eäkä,  die  strahlende  Mondfrau,  zu  nähen  hat,  ergeht 
in  dem  Vedahymuus  an  diese  die  Aufforderung,  den  Heros  mit  den  hundert 
Gaben,  der  gefeiert  zu  werden  verdiene,  den  jungen  Sonnengott,  zu  er- 
schaffen. Später  sind  diese  Worte  eine  religiöse  Formel  geworden,  die  in 
das  häusliche  Glaub ensceremoniell  überging,  und  immer,  wenn  die  Geburt 
eines  Kindes  bevorstand,  griff  man  zu  ihr,  um  Glück  auf  dasselbe  herab- 
zuflehen.  Die  Verwunderung  aber,  die  die  Vorstellung  erregen  könnte, 
dass  die  Mondfrau,  wenn  sie  das  Gewand  nähe,  ein  Kind  ans  Licht  bringe, 
wenn  man  an  die  Wahrscheinlichkeit  eines  Doppelsinnes  in  der  Sprache 
denkt,  den  die  Sanskritwurzeln  siv,  syu,  su,  nähen  (daher  das  vedische 
süci,  Nadel,  das  was  näht;  daher  auch  das  indische  Wort  sütra,  Faden, 
und  das  lat.  suere,  nähen,  sowie  sutor,  der  Schuhnäher)  und  die  Wurzel 
su,  erzeugen  (daher  die  Sanskritwörter  süta,  sunu,  Sohn)  hervorgerufen 
haben  mögen.1) 

Um  wieder  zu  unserem  Gegenstande  zurückzukehren,  so  singt  der 
amerikanische  Dichter  Longfellow  von  einer  Frau:  Du  hast  wie  die  Sonne 
so  goldiges  Haar.  Der  Sanskritdichter  Bratrihari  richtet  an  eine  Geliebte 
die  Verse:  Was  nützen  mir  Sonne,  Mond  und  Sterne,  was  nützen  mir 
Fackeln?  Finsternis  umgiebt  mich,  wenn  meine  Herrin  fern  von  mir 
weilt.  Auch  Kalidasa  singt  im  Meghadüta:  Jedesmal,  wenn  ich  das  helle 
Antlitz  des  Mondes  habe  schauen  müssen,  gedachte  ich  des  Glanzes,  den 
ich  so  oft  aus  deinem  Angesicht  habe  strahlen  sehen. 2 

Wenn  mau  über  die  Verschiedenheit  hinwegsieht,  die  in  der  Ver- 
tauschung des  Mondes  mit  dem  Morgenstern  liegt,  so  findet  man  ein  ähn- 
liches Bild  auch  in  der  hebräischen  Poesie,  nur  dass  es  hier  mehr  die 
Bedeutung  einer  einfachen  Metapher,  als  diejenige  eines  Mythus  besitzt, 
ebenso  wie  in  einigten  oben  berührten  Volksmärchen,  in  denen  auf  den 
Morgenstern  angespielt  wird.  So  ruft  der  Prophet  Jesaia  (XIV,  12)  aus: 
Wie  bist  du  vom  Himmel  gefallen,  du  schöner  Morgenstern  (Sohn  der 
Morgenröte)?  In  einem  arabischen  Volksliede  liest  man:  In  ihren  Augen 
habe  ich  den  Vollmond  glänzen  sehen.  In  einem  anderen:  Eine  Licht- 
woge ist  sie,  und  ihre  Zähne  gleichen  dank  ihrem  Glänze  dem  Vollmonde 
wahrlich,  der  soeben  im  Osten  aufging.  In  einem  khecinischen  oder  quechuea 


1)  Mitologia  comparata  di  Angelo  de  Gubernatis,  Milano,  U.  Hoepli,  1880, 
Lettura  quarta:  II  sole,  la  In  na,  le  stelle,  S.  92;  daher  tragen  Kinder,  die  unter  der 
Herrschaft  des  Mondes  geboren  wurden,  bisweilen  dieses  Gestirn  als  Schmuck  an  ihrem 
Leibe. 

2)  Derselbe  Dichter  singt,  als  er  von  der  Lotusblume  spricht:  Wenn  die  Scheibe  des 
Mondes  (wörtlich  des  Mondgottes)  verschwindet,  schliesst  sich,  traurig  wie  die  Gattin  ist, 
deren  Gemahl  sich  entfernt,  die  Lutusblume  der  Nacht. 


28  Prato: 

Volkslied  begegnet  dasselbe  Bild:  Schimmernd  ist  ihre  Stirn  wie  der  Mond, 
wenn  er  am  Horizont  hoch  aufgestiegen  ist  und  all  sein  Licht  nun  von 
dort  ausgiesst. 

Man  trifft  unser  Bild  auch  in  der  Revue  des  langues  romanes 
1889,  1.  Heft  (Poesies  inedites,  S.  116): 

Com  del  solheih,  qu'es  mot  clars  et  luzens, 
Hern  per  sos  rais  enluminat  sa  jos, 
E  jes  nol  pot  corrompre  locx  brumos, 
Tot  enayshi,  Dona  pros  avinens, 
Vostra  beautat(z)  los  aymans  esclarsish, 
Don  so  joyos,  menan  vida  pompoza; 
Mas  jes  per  so  vostre  pretz  nos  delish, 
Can  mal  vos  ditz  Favols  gens  envejoza. 

In  den  Cantos  populäres  do  Brazil,  colligidos  pelo  Dr.  Sylvio 
Romero,  Lisboa,  1883,  Bd.  II,  S.  51 — 52  liest  man: 

A  mais  linda  bizarria  Resplandece  corao  o  sol, 

Isto  näo  vai  o  major,  Ah!  meus  Dens,  näo  abrazar, 

E  tao  claro  como ')  o  dia,  Adeus,  minha  linda  rosa, 

Resplandece  como  o  sol.  Adeus,  querida  e  amada. 

Ebendaselbst  S.  27  ferner:  und  S.  47: 

Se  as  estrellinas  brilhassem  A  estrella  que  no  ceo  gira, 

Todas  juntas  de  uma  vez,  Näo  tem  brilho,  näo  tem  luz, 

Näo  dariam  uma  idea  Como  esses  olhos,  menina, 

D'esses  teus  olhos  crueis.  Meu  martyrio,  minha  cruz. 

In  den  Cantos  populäres  do  Archipelago  Aporiano,  publicados 
e  anotados  por  Theophilo  Braga,  Porto  1869,  S.  30  findet  sich  folgendes 
Bild,  das  von  der  Farbe  des  Himmels  ausgeht  und  zum  Preise  der  blauen 
Augen  einer  Geliebten  dient: 

Oh  olhos  azues  garridos 
En  campo  de  azul  Celeste 
Lembra  te  que  eu  que  fui  tua 
0  tempo  que  tu  quizeste. 

Mit  den  vorhergehenden  verknüpfen  sich  durchaus  auch  die  weiteren 
Bilder  auf  S.  97: 

A  vossa  testa  e  espelho 

Onde,  o  sol  se  vae  mirar, 

Onde  vae  tomar  altura 

Dos  rajos  que  hade  botar. 
auf  S.  98: 

Vossas  mäcas  do  rosto 

Como  a  rosa  alexandria 

Däo  tanta  luz  de  noute 

Como  o  proprio  claro  dia. 

1)  Como  für  come  war  auch  dem  altitalienischen  eigentümlich,  und  Beispiele  für 
seinen  Gebrauch  finden  sich  bei  Dante  Alighieri,  Dante  da  Majano  und  Francesco  da  Barberino, 
vgl.  auch  sicil.  comu. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.        29 

und  auf  S.  100: 

Os  vossos  cabellos,  secia, 
E  que  vos  däo  toda  a  graea, 
Parecern  meadas  de  ouro, 
Aonde  o  sol  se  embaraca. 

In  der  Biblioteca  de  las  tradiciones  populäres  espanolas,  Bd.  V, 
S.  86—87  liest  man  folgende  Verse: 

Tienes  los  ojos  azules,  Tus  cejas  son  medias  lunas, 

Ojos  de  color  de  cielo,  Tus  ojos  son  dus  luceros, 

Yal  cielo  le  daras  cuenta  Que  alumbran  de  noche  y  dia, 

Del  mal  que  hiciste  con  ellos.  Siendo  mas  que  los  dol  cielo. 

Ein  andalusisches  Volkslied  lautet: 

En  fronte  el  sol  saliente 
Tiene  mi  nina  el  balcon, 
Säle  el  sol,  sale  mi  nina. 
Sälen  mi  nina  e  el  sol. 

Diese  anmutigen  Bilder,  zu  denen  der  Himmel  und  die  Himmels- 
körper, also  die  Sonne,  der  Mond  oder  die  Sterne,  begeistert  haben  um 
die  Schönheit  geliebter  Frauen,  freilich  durchaus  hyperbolisch,  zu 
schildern,  sind  aber  bei  keinem  Volke  so  häufig  wie  bei  den  Griechen, 
den    Humanen1)    und    den  Italicnern:    ich    werde    zunächst    eine  Auswahl 


1)  In  den  Liedern  aus  dem  Dimbovitzathal,  aus  dem  Volksmunde  ge- 
sammelt von  Helene  Vacaresco,  ins  Deutsche  übertragen  von  Carmen  Sylva,  Bonn, 
Strauss,  1889  (eine  italienische  Übersetzung  rührt  her  von  der  Contessa  Anna  Miliani 
Vallemani,  Cittä  di  Castello,  S.  Lapi,  1891)  stösst  man  auf  einige  verwandte  Bilder,  vgl. 
folgende  Lieder: 

Zigeunerlied  (S.  73;  Ital.  Übers.  S.  121). 

Und  pochst  du  des  Morgens  ans  Fensterlein, 
Rasch  mach'  ich  es  auf,  dass  hereinweht  dein  Hauch, 
Danu  gucken  zwei  Sonnen  ins  Zimmer  hinein  — 
Sprich,  Himmel:  hast  du  zwei  Sonnen  auch? 

Dann  lacht  der  Himmel  in  guter  Ruh, 

Er  weiss,  wen  ich  liebe,  und  der  bist  du. 

Wenn  der  Audere  abends  ans  Fenster  tritt, 
Dann  wird  ganz  geschwiud  es  ihm  zugemacht, 
Doch  bringt  er  immer  zwei  Nächte  mit. 
Hilf  Himmel!  hast  du  denn  zweimal  Nacht? 

Dann  macht  der  Himmel  ein  schlau  Gesicht. 

Er  weiss  es  ja:  den  da,  den  lieb  ich  nicht. 

Das  Kupfer  am  Halsband,  das  lieb'  ich  sehr, 
Es  glänzt  so  goldig  im  Sonnenglauz. 
Mein  Liebster  glänzt  mir  im  Herzen  mehr, 
Ich  seh'  ihn  leuchten  wie  Strahlen  ganz 

Und  wandern  wir  morgen,  spriesst  Blütenwelt 

Dort,  wo  gestanden  bei  Nacht  seiu  Zelt. 


30  Krato: 

griechischer,  sodann  italienischer  Volkslieder  geben,  in  denen  sie  entgegen- 
treten.   Bei  Nicolo  Tommaseo,  Canti  popolari  italiani,  corsi,  illirici, 


Und  singt  er  beim  sterbenden  Feuer,  gleich 
Aufflammt  es  von  neuem  in  starker  Glut. 
Es  fällt,  was  er  trifft,  bei  dem  ersten  Streich, 
Und -an  seinem  Messer  nicht  schwarz  wird's  Blut. 

Sein  Hass  macht  welken  wie  Sonnenbrand, 

Sein  Lieben  giebt  Leben  wie  Bronnenrand. 

Sein  Liebchen  wird  schöner,  ihr  Singen  klingt, 
Uir  kupfernes  Halsband  hat  Sonnenglanz, 
Das  sterbende  Feuer  wird  hell,  wenn  er  singt 
Er  steht  mir  im  Herzen  mit  Strahlenglanz 

Und  wandern  wir  morgen,  spriesst  Blütenwelt 

Dort,  wo  gestanden  bei  Nacht  sein  Zelt. 

Und  pochst  du  des  Morgens  ans  Fensterlein, 
Rasch  schliess'  ich  auf,  dass  hereinweht  dein  Hauch, 
Dann  gucken  zwei  Sonnen  ins  Zimmer  herein, 
Sprich,  Himmel:  hast  du  zwei  Sonnen  auch? 

Dann  lacht  der  Himmel  in  guter  Ruh; 

Er  weiss,  wen  ich  liebe,  und  der  bist  du! 

Der  Mond  (S.  106,  Itäl.  Übers.  S.  165). 

Im  Hofe  steht  mir  ein  grüuer  Baum,  Den  Wäldern  das  Grünen. 

Den  liebt  die  Sonne,  den  wiegt  der  Wind;  Mir  hat  sie  verraten,  warum 

Doch  fällt  der  Schnee,  so  vergisst  der  Baum,  So  bleich  ist  der  Mond. 

Dass  dereinst  es  April  gewesen.  Der  Mond,  der  ist  eines  Mägdleins  Herz 

Sehr  fürchtet  der  Mond  den  Sonnenschein;  Die  Liebe,  die  wohnte  darinnen; 

Denn  es  weiss  die  Sonne,  warum  Zu  jener  Zeit  war  des  Mägdleins  Herz 

So  bleich  ist  des  Mondes  Glanz.  Ein  Sonnenschein. 

Der  Mond  will  nicht,  dass  der  Sonnenschein  Doch  als  die  Liebe  gegangen  war, 

Erzählt  sein  Geheimnis.  Ward  bleich  der  Jungfrau  Herz. 

Der  Mond  verbirgt  sich,  wenn  Sonne  kommt,  Da  nahm  der  Himmel  es  auf.     Doch  stets 

Auf  dass  die  Sonne  vergisst.  Sieht's  traurig  zur  Erde  hinab, 

Doch  ich,  ich  bin  der  Bruder  der  Sonne,  Wo  Liebe  gewohnt  hat, 

Mir  sagt  sie  jeglich  Geheimnis,  Und  bleicher  wird  es  davon. 

Wie  sie  den  Vöglein  das  Singen  gelehrt,  —  —  — —   —  — 

Der  Feldfrucht  das  Gelbsein, 

Die  Flüsse  sagen,  sobald  er  (der  Mond)  erscheint: 

0,  Mägdleins  bleiches  Herz, 

Komm,  ruh'  in  uns!     Und  die  Vöglein  sagen 

Im  Schlaf:  Komm,  schlaf  in  dem  Nest  mit  uns! 

Das  Grab,  das  spricht:  Mach'  bleicher  mich, 

Du  bleiches  Jungfrauenherz, 

Und  alles  wandelt  in  Schlummer  sich, 

Auf  dass  das  Herze  schlafe. 

Doch  es  sieht  sie  schlummern  und  nickt  nicht  ein, 

Und  steht  und  bewacht  den  Schlaf. 


,Des  Soldaten  Zelt'  (S.  121,  Ital.  Ausg.  S.  187),  das  in  zwei  Versionen  gedruckt  ist, 
enthält  folgendes  seltsame,  aber  hübsche  Bild:  der  Mond  tritt  (beidemal)  in  das  Zelt  des 
schlafenden  Soldaten  und  spricht  zu  ihm.  er  sei  seines  Bräutleins  Blick  (auch  das  zweit«' 
Mal:  er  sei  der  Bück  seiner  Braut). 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Sehönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.        31 

greci    (Venezia,   G.  Tusso.    1842,  2  Bände)    Band  2  (Canti  greci),   S.  268 

liest  man: 

*Eob  ~oai  öiajLiavrojterga,  xal  ij/uog  xf\g  fjfiEQag, 

Eloai  (peyydgi1)  rfjg  vvxrbg,  T)~]g  evjuogqpiäg  ro  regag. 

Du  bist  ein  Demant  und  die  Sonne  des  Tages, 

Bist  der  Mond  in  der  Nacht  und  ein  Wunder  von  Schönheit. 

S.  267:  Herrin  in  goldenem  Gewände  am  Sonntag,  in  silbernem  am  Montag, 

Wenn  du  dich  anschickst  dich  zu  schmücken  vom  Morgen  bis  zum  Mittag. 
Machst  du  zur  Sonne  das  Antlitz  und  zum  Monde  die  Brust. 

S.  268:  ügößale,  <pe£rj  r    ovgavov,  xal  'oogijoi2)  rov  xoojliov. 

Tritt  hervor,  Leuchte  des  Himmels  und  Sehmuck  der  Welt. 

"Eyeig  rov  fjÄlov  ev[J.OQ<paug,  rov  cpeyyagiov  dongdötg. 

Du  hast  die  Schönheit  der  Sonne,  das  blendende  Weiss  des  Mondes. 

S.  343:  AdfiTiEi  6  fjhog,  Xd/xjiei  'od  jragtiivgia  oov. 

Es  glänzt  die  Sonne,  sie  glänzt  an  deinen  Penstern. 

'AyyeÄoi  oloogioave  öfov  'oo  (peyyagdy.i3), 
K'fyirr]g  noTigi]  xal  Xa/JJir]  'öd  jiiagyagtTandyj. 
Die  Engel  malten  dich  im  freien  Mondeslieht. 
Und  weiss  und  blendend  wie  eine  Perle  gingest  du  hervor. 
In  einem  anderen  Liede,  S.  212,  wäscht  eine  Mutter  ihre  Tochter  im 
Dunkeln,  aber  im  Mondschein  kämmt  sie  ihr  das  Haar,   denn  jenes  milde 
Licht  spricht  einzige  Dinge  zum  Herzen. 

Von  einem  Jüngling  heisst  es  anderswo:  Er  hatte  des  Mondes  weissen 
Glanz  im  Antlitz. 

S.  207:  'Eg'  eloai  trag  fjhog,  peyydgi  lafiTigb 

M(hi')(jni.-T(')otg  Wy  ßXetprj,  xal  dt   '/lukoqöj  yd  idd>. 

Du  bist  eine  Sonne,  ein  Mond  voll  Glanz, 

Du  hast  mir  die  Augen  geblendet,  dass  ich  nicht  sehen  kann. 

'0  fjkiog  'ßyaivsi  trjv  avyr],  od  oi'jiJia  oov  nqoßaivEi, 
Ki  ömoai  dato  t£>)  nhuaig  oov  ndei  xal  ßaaiXevsi. 
Die  Sonne  tritt  hervor,  wenn  der  Morgen  dämmert,   über  deinem  Busen 

geht  sie  auf, 
Und  hinter  deinen  Schultern  verbirgt  sie  sich. 

S.  437:  'Eov  'oat  t'  ovgavov,  tov  Ilagaöeioov  ßovla*), 

Na  oe  yagi]  fj   narov/.a  oov  'rro?  otyn   iiovayovka. 
Du  bist  des  Himmels  Schlüssel,  des  Paradieses  Siegel, 
An  dir  erfreut  sich  die  sanfte  Mutter,  die  nur  dich  besitzt. 


1)  $fyyos,  Mondlicht  mit  Antonomasie,  Licht,  Glanz,   daher  <psyyaqi,  der  Mond:    be- 
kanntlich bedeutet  tpiyyeiv  glänzen. 

2)  Das  o  entspricht  im  Neugriech.  hier  dem  or. 

3)  In  einem  anderen  Liede  an  eine  Mutter  heisst  es:    Und  du  legtest  ihr  den  Gürtel 
um  draussen  im  Mondschein. 

4)  Wörtlich  Siegel,    nimmt    es    hier,    wo    es   elliptisch  auch  auf  ovoavov  bezogen  ist. 
auch  die  Bedeutung  Schlüssel  an. 


32  Prato : 

S.  449:  2v  eloa  ijliog  xrjg  fjfugag  \  Kai  (peyydoi  rfjg  vvxxog, 

Tijg  xagdiäg  /uov  xgvög  degag  \  Kai  xc5v  öpi/mriwi'  /uov  cpdjg. 
Du  bist  das  Licht  des  Tages  und  der  Mond  der  Nacht, 
Meines  Herzens  frischer  Hauch  und  meiner  Augen  Glanz. 

AvTixova  /uov  ?]Q£g  xlxaxt,zg,  'oeb'  fjfoog,  'oa  (pe.yydgi. 

Du  erschienest  und  sassest  mir  gegenüber  wie  die  Sonne,  wie  der  Mond. 

8.  245:  Ava)  doxegyia  XafiJirjgd  ehai  xd  ovo)  oov  /xdxta, 

'Uov  ojioiov  KVXxä$ovv,  tfjv  xagdtd  xov  xdvovv  ovo)  xojujudria. 
Zwei  leuchtende  Sterne  sind  deine  Augen1), 
Die  jedem,  den  sie  anschauen,  das  Herz  entzweibrechen. 

'Ati    ovXa  rov  jtooocojiov  oov,  ru  fidria  oov  jiidgeoa, 

riaxl  eyovv  xov  avyegivö,  xal  xö  (peyydgi  jueoa. 

Von  allem  in  deinem  Antlitz  gefielen  mir  deine  Augen  zuhöchst, 

Denn  sie  haben  den  Glanz  der  Diana2)  und  des  Mondes  an  sich. 

Emile  Legrand,    Chansons    populaires    grecques,    Paris,    Maison- 
neuve,   1873,  7e  Partie,  Distiques  amoureux,    No.  4  bietet  folgende  Verse: 
AvavagaXig'w  xal  dwgtio,  r    doxgo  jiov  XdjmiEi  m    shai, 
K))  äjidva)  oxb  xecpdXi  juov  xal  oxljv  t,wt}v  jhov  £o'  ehai. 
Ich     schaue  auf  und  sehe,  der  Stern,  der  funkelt,  bist  du, 
Du  stehst  über  meinem  Haupte,  stehst  über  meinem  Leben. 

No.  14:  "Aoxgo  fxöx  xrjv  dvaxoXij,  cpeyydgi,  ju'öx  x>p>  dvoi, 
Kai  ng  vd  na  vd  xoi/LU]&fj,   xal  xig  vd  yahp'io/j; 
Stern  des  Morgens,  Mond  des  Abends, 
Wer  könnte  schlafen  (neben  dir)  und  ruhig  bleiben  V3) 

Italienische  Volkslieder  —  sicilianische  Lieder. 

Giuseppe  Pitre  bemerkt  in  seiner  kritischen  Studie  über  die  Volks- 
lieder, die  sein  treffliches  Werk  Canti  popolari  siciliani,  Palermo, 
L.  Pedone-Lauriel,  1870—71,  einleitet,  Bd.  I,  S.  48  zu  dem  uns  beschäfti- 
o-enden  Bild  sinnreich:  Die  Sonne  schmerzt  es  tief,  dass  der  Glanz  des 
bezaubernden  Weibes,  das  in  der  Volkspoesie  gefeiert  wird,  den  ihrigen 
herabmindere,  der  Glanz  eines  Weibes,  dessen  Erscheinen  am  Fenster 
bewirkt,    dass    die    Blumen    in    den    Töpfen  (grasti)    aufblühen    und    der 


1)  Ariost  sagt  von  den  Augen  der  Fee  Alcina,  sie  seien  zwei  helle  Sonnen  (due 
chiari  soli);  ebenso  sagt  Marino  von  der  Magdalene:  due  soli  i  lumi. 

2)  Der  Morgenstern,  Lucifer. 

3)  In  der  erwähnten  Sammlung  von  N.  Tommaseo,  II,  449  kann  ein  Jüngling  seine 
schlafende  Geliebte  nur  damit  ermuntern,  dass  er  ihr  zuruft:  Komm  ans  Fenster  und  schau 
wie  am  Himmel  der  Mond  mit  dem  Morgenstern  tändelt.  Dies  ist  eine  zwiefache  glück- 
liche Personifizierung,  die  in  einigen  Volksmärchen  und  -liedein  beobachtet  worden  ist. 
In  der  oben  namhaft  gemachten  Sammlung  von  Legrand,  No.  109  wählt  ein  Mädchen,  um 
in  strahlenderem  Schmuck  zu  erscheinen,  die  Sonne  als  Antlitz,  den  Mond  als  Hals- 
geschmeide und  den  Morgenstern  als  Demantring. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern*       33 

umwölkte  Himmel  sich  klärt. ')  .  .  .  Was  Wunder  daher,  weuu  ein  Vergleich 
zwischen  dem  Monde  und  der  sicilianischen  Schönen  dahin  ausfällt,  dass 
diese  über  den  Mond,  aber  auch  nicht  unter  die  Sonne  gestellt  wird,  (vgl. 
die  schon  mitgeteilte  Strophe:  La  luna  e  bianca  e  vu'  brunetta  siti,  etc.). 
.  .  .  Eine  mächtige  Sonne  ist  sie,  vielmehr  eine  Sonne,  die  die  Erde  in 
ihren  Grundfesten  erschüttert,  die  Berge  in  Ebenen  verwandelt  und  die 
Toten  wieder  lebendig  macht  (Bd.  II). 

Canzuni  e  Ciuri  (Fiori),  S.  204. 
Kap.  I.    Schönheit  der  Geliebten. 
No.  40  (Ficarazzi): 

Bedda  (bella)  comu  vui  (voi)  nu  (non)  nni  (ne)  truvati  (trovate), 

Ca2)    (che,  im  Sinn  von  perche)  di  tutti  'i  (di  tutte  le)  bdlizzi  (bellezze) 

adorna  siti  (siete); 
Cchiu  (piii)  bedda  di  li  stiddi  (le  stelle)  vu'  (voi)  brillati  (brillate), 
Cchiü  lustru  (luce)  di  la  luna  nni  faciti  (fate); 
Li  (i)  raggi  di  lu  (del)  suli  (sole)  vu'  oscurati  (voi  oscuvate), 
Quannu  (quando)  ssi  biunni  (queste  bionde)  trizzi  (treccit;)  vi  faciti; 
Chi  (che)  cumparennu  (comparendo)  "mmenzu  (in  mezzo)  di  li  strati  (delle 

strade) 
'Nnamurari  (innamorare)  di  tutti  vi  viditi  (vedete). 

No.  41  (Castelbuono) : 

Quannu  t'affacci  tu  cara,  cuscina  (cugina), 
S'oscuranu  li  stiddi  (le  stelle)  cu  la  (con  la)  luna3). 

No.  42:   Lu  suli  t'annuto  (ccncesse)  lo  so'  (suo)  splenduri  (Alimena). 

Kap.  V.    Liebeserklärung,  Gelöbnis,  Standhaftigkeit. 

No.  210:  Nesci  (esce)  lu  suli  in  punta  di  la  trizza  (treccia): 
Giuvana,  ca  di  tia  (te)  mi  'nnamurai  (innamorai); 
Si'  (sei)  tutta  mela  (miele),  si'  tutta  ducizza  (dolcezza); 
Comu  la  nivi  (neve)  squagnari  (squagliare)  mi  fai. 
Nascisti  bella  e'  cu  la  tua  grannizza  (grandezza), 

A  lu  suli  cci  (ci)  lievi  (levi)  li  so'  rai4)  (raggi).    (Ein  oft  in  den  Liedern 
wiederkehrender  Gedanke). 

1)  Ein  Zug,  der  bereits  in  Sonett  26,  27  und  28,  Bd.  I,  Canzoniere  von  Petrarca 
und  in  einem  arabischen  Volksmärchen  v.  Spitta-Bey  begegnete;  vgl.  an  den  betreffenden 
Stellen  und  die  3.  Anm.  auf  dieser  Seite. 

2)  Vgl.  das  griechische  ydg  und  französische  car. 

3)  In  den  Documents  pour  servir  ä  l'etude  des  dialectes  roumains, 
recueillis  et  publies  par  Emile  Picot  (s.  Revue  de  linguistique  et  philologie 
comparee,  Bd.  VI,  3.  Heft  liest  man  Chants  populaires,  No.  XXVI: 

Oelui  qui  soupire  apres  le  jour, 

Sait  quand  la  lune  se  couche; 

Celui  qui  soupire  apres  la  nuit  (eig.  sous  le  soleil), 

Sait  quand  la  lune  se  leve. 

4)  In  einem  unedierten  umbrischen  Volksliede  finde  ich  folgendes  analoge  Bild : 

Bella,  che  sete  nata  per  rubare,  |  Te  Thai  rubati  li  raggi  a  lo  sole, 
A  lo  pavone  l'bai  rubate  Pale,  |  All'  alberi  li  frutti,  a  nie  lo  core. 

Zeitsclir.  ii.  Vereins  f.   Volkskunde.    1S96.  3 


34  Prato: 

Kap.  XXI.    Lieder  verschiedenen  Inhalts  (während  der  Arbeit  gesammelt). 
No.  629:  Stidda  Diana  (Stella  Venere  al  mattino  o  Lucifero),  'ntra  (entro)  l'aria  batti, 
Traluci  d'ogni  parti  (parte)  e  d'ogni  via 
Li  to7  (le  tue)  biddizzi  (bellezze)  lu  suli  cumbatti, 
Trema  la  terra,  quando  vidi  (vede)  tia  (te). 

Canti  popolari  siciliani  in  aggiunta  a  quelli  del  Vigo,  rac- 
colti  e  annotati  da  Salvatore  Salomone-Marino,  Palermo,  Francesco 
Giliberti,  1867,  No.  36: 

Bedda,  quannu  (quando)  tu  affaeci  all'  alba,  pari 
La  stidda  ch'  a  li  tri  (tre)  Re  cci  (ci)  appariu  (appari): 
Venari  (Venere)  nun  ti  potti  (puö)  'nnavanzari  (avanzare), 
B^inu  a  li  setti  (sette)  ninft  (ninfe)  spussidiu  (levo  il  possesso) 
(Borgetto  e  Carini). 

No.  39:   Siti  (siete)  cchiü  (piü)  bianca  assai  di  la  (della)  quacina  (calcina). 

Chi  si  metti(mette)  'nta  (dentro)  l'aequa  e  allura(allora)  addumaa(si  accende); 

Siti  comu  'na  parma  (palma)1)  grattulina  (che  fa  i  dätteri), 

La  vostra  facci  (faccia)  e  lu  suli  e  la  luna  .... 
No.  75:   Quannu  cadisti  (cadesti)  'mmanu  (in  mano)  a  la  mammana  (levatrice), 

Ca  (qua)  t'aduraru  (adorarono)  lu  suli  e  la  luna. 

No.  45:   Lu  suli  cu  la  luna  vannu  e  vennu  (vengono), 

Puru  (pure)  li  stiddi  (stelle)  chi  'ncelu  (in  cielo)  si  stamm. 

Ed  a  vddiri  (vedere)  a  vui  (voi),  signura,  vennu, 

Vi  guardanu  ssu  (questo)  visu  e  si  nni  (se  ne)  vannu 

'Na  bedda  comu  vui  nun  cc'  (c')  e  'm  Palermu  (in  Palermo), 

Ne  maneu  a  Murriali  (Monreale)  cci  (ce)  nni  (ne)  stannu 

Si  mori  (se  muore)  la  rigina  di  lu  Regnu  (del  Regno) 

Pri  (per)  li  biddizzi  (le  bellezze)  a  vui  rigina  fannu.2) 

No.  44:   Lu  suli  e  forti  (forte  per  fortemente)  allagnatu  (lagnato)  di  tia  (te), 

Li  to'  biddizzi  (le  tue  bellezze)  'nn  (non)  lu  (lo)  fannu  (fanno)  affacciari. 

No.  77:  La  to'  biddizza  lu  suli  eunfunni  (confonde). 

No.  76:   L'occhi  su'  stiddi 

Lu  pettu  e  Falba,  la  facci  (faccia)  e  lu  suli. 

J.  Caselli,  Chants  populaires  de  l'Italie,  Paris,  A.  Lacroix  Ver- 
hoeckhoven,  1865,  S.  157: 

Guarda  lu  suli  che  straluci  (straluce)  tantu, 

E  la  vostra  biddizza  (bellezza)  luci  (luce)  chiui  (piü);  •  •  • 

Ein  picenisches  Lied  sagt: 

Bella,  la  sole  ti  farä  citare 

Dice  gli  avete  tolto  lo  splendore. 

Anclie  lo  hma  ce  (ci)  vuo'  (vuole)  ragionare; 

Gli  avete  tolto  due  stelle  d'amore. 

1)  Vgl.  den  biblischen  Vers:  Quasi  palma  exaltata  sum  in  Cades  .  .  .  :  grattulina 
für  dattulina. 

2)  Salvatore-Marino  bemerkt  zu  diesem  herrlichen  Liede :  Könnte  man  all  die  Schön- 
heiten und  Vorzüge  dieser  acht  Verse  angeben?  Und  Tommaseo  fügt  hinzu >  Es  wäre 
überflüssig  auf  die  Schönheiten  hinzuweisen,  wenn  man  sie  genug  würdigen  kann,  und 
nutzlos,  wenn  man  sie  nicht  spürt. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.        35 

S.  161:    Quannu  (quando)  ti  vitti  (vidi)  non  sapia  (sapeva)  chi  (che)  diri  (dire), 
Setti  (stetti)  alluccatu  (stordito)  e  non  sapia  chi  fari; 
Mi  pareva  'na  stidda  di  scupriri, 
0  la  luna  chi  nesci  (esce)  di  lu  mari. 

Siti  (siete),  scanciu  (in  cambio)  di  luna  suli  e  stilli. J) 

Vu'  siti  la  rigina  di  li  (le)  beddi  (belle), 
E  di  li  beddi  n'avanzati  middi  (mille), 


E  quannu  (quando)  v'adurnati  li  circeddi-')  (i  riccioli), 
Luci  la  luna,  lu  suli  e  li  stiddi.3) 

S.  159:   L'occhi  du'  stiddi  su'  (sono)  tutti  allegria  .... 

S.  158:   Lu  suli  si  lamenta  assai  di  tia  (te), 

Quantu  si'  bedda  (bella),  ca  lu  (lo)  fai  ammucciari  (nascondere). 
S.  170:    Stiddi,  pianeti,  e  suli  con  la  luna, 

Faciti  fari  vui  l'aria  sirena  (serena); 

Mi  fu  addimannata  'na  cansuna  (canzone), 

Di  quattro  zittiduzzi  (zitellucie)  stamatina; 

E  tutti  quattro  su'  comu  la  luna, 

La  menu  bedda  e  cornu  l'aura  fina. 

Cui  (chi)  ti  ha  misu  (messo)  a  tia  (te)  ssu  (questo)  nomu  (noine)  Ana  (Anna), 

Cui  ti  lu  (lo)  misi  ssu  nomu  d'amuri? 

Mi  porti  lu  galofaru  (garofano)  a  la  banda, 

Di  centu  migghia  (miglia)  si  senti  l'uduri  (odore); 

Dammilo  e  poi  to'  (tua)  mamma  m'addimanna 4)  (domanda) 

Di  quali  grasta5)  (vasi)  cugghisti  (cogliesti)  'stu  (questo)  ciuri  (höre)? 

„L'haju  (ho)  cogghiutu  (colto)  'ntra  (dentro)  In  (il)  pettu  d'Anna, 

Unn'  (dove)  abita  la  luna  cu'  (col)  lu  suli. ") 

Tu  fosti  scritta  a  la  banca  di  l'oru  (oro), 

Unni  (dove)  tredici  re  munita  fanu  (fanno), 

Tu,  quannu  sparmi  (sciogli)  ssi  (questi)  trizzuua  (treccione)  d'oru, 

A  menzanotti  (*mezzanotte)  pari  journo  (giorno)  chiaro, 

Quannu  cammini  tu,  scarpisi  (scalpicci,  calpesti)  l'oru, 

Ti  ciaranu  (chiariscono,  vedono)  li  muschi  di  luntanu, 

Quanno  ti'ntuzzi  (intrecci)  ssi  (questi)  calami  d'oru  (cioö  le  chiome), 

La  notte  fai  pariri  journo  chiaro.     (Pitre,  Canti  pop.  sie.  1,  197.) 

1)  Pitre,  Canti  pop.  sie,  Bd.  I,  S.  189. 

2)  Vgl.  das  Wort:   Cirro  (bei  Dante,   Paradiso,  VI.  Gesang,  V.  46)  für  Kopfhaare. 

3)  Lionardo  Vigo,  Canti  popolari  siciliani,  Catania,  1870—74,  S.  122. 

4)  Für  addimanda;  das  Wort  (für  domanda)  ist  auch  in  Dante  (Parad.  XII.  94) 
und  Boccaccio,  Dekameron,  Tag  II,  No.  5,  3. 

5)  Vgl.  das  griechische  ydaroa  für  metathesis,  Boccaccio,  Dekameron,  Tag  III, 
No.  5,  12;  Qual  esso  lo  mal  Cristiano  Che  mi  furo  la  grasta  Del  basilico  mio  sclemontano 
(altsicilianisches  Volkslied). 

6)  Tigri,  Canti  popolari  toscani,  Firenze,  Barbera,  S.  41: 

Bella  ragazza  che  vi  chiamate  Anna  „Dove  fu  colto  codesto  bei  fiore?"  — 

Quanto  mi  piace  lo  vostro  bei  nome!  „Io  l'ho  colto  nel  bei  giardin  d'amore, 

Voi  portate  un  garofano  da  banda,  Dove  si  leva  la  spera  dcl  sole: 

Dali'  altra  parte  un  gelsomin  d'amore,  Dove  si  leva,  dove  si  riposa, 

Se  arriva  il  vostro  amore  e  vi  domanda:        Voltati  veiso  nie  vermiglia  rosa." 

3* 


36  Prato: 

Lieder  aus  den  Marken.1) 
Quant'  e  bella  la  luna,  quando  e  pina2)  (piena)! 
Quant'  e  belle  Vince  (Vincenzo)  quando  cammina! 
Quant'  e  bella  la  luna.  quanno  (quando)  e  tonna  (tonda)! 

Vedo  la  luna,  e  non  la  vedo  tonda3) 

Tutta  la  vita  nie  sento  tremare; 

Un  giovinetto  dalla  faccia  bionda 

Un'  ora  non  me  lascia  riposare; 

E  non  me  lascia  riposare  un'  ora 

Questo  e  lo  spasso  di  chi  s'innamora; 

E  non  me  lascia  riposa'  un  momento 

Questo  e  il  piacer  dell'  innamoramento. 

Toskanische  Volkslieder4). 

Sete  piü  chiara  dell'  acqua  di  fönte, 
Sete  piü  dolce  della  malvagia, 
II  sole  s'alza  e  vi  si  specchia  in  fronte; 
Sete  piü  bella  che  Kachele  e  Lia5) 
Quando  vi  vedo  quella  Stella  in  fronte, 
Voglio  piü  bene  a  voi,  che  a  mamma  mia. 
g    20  Cupido  v'  insegno  tirar  i  cori: 

Quanto  risplende  quel  viso  gentile!  Cupido  v'  insegno  tirar  le  freccie, 

Quanto  un  fuoco  di  notte,  un  sol  d'aprile.     M'innaraoraron  le  vostre  bellezze. 
Quanto  risplende  quel  viso  giocondo!  S.  32. 

Quanto  un  fuoco  di  notte,  un  sol  di         Alla  mattina,  quando  vi  levate, 

giorno.     H  sol  dalle  montagne  fate  uscire; 
g    29  E  quando  vi  vestite  e  vi  calzate, 

Quando  nasceste  voi,  nacque  bellezza');    L'Angel  di  Dio  vi  viene  giü  a  seryire 
II  sol,  la  luna  vi  venne  a  adorare,  S.  34. 

La  neve  vi  donö  la  sua  bianchezza,  Rizzatevi  da  letto  e  uscite  fora, 

La  rosa  vi  donö  il  suo  bei  colore,  Venite  a  vede'  "1  cielo  quant'  e  bello! 

La  Maddalena  la  sua  bionda  trezza  II  vostro  viso  al  lume  della  luna 

(treccia);     Pare  un  angelo  fatto  col  pennello. 


1)  Canti  popolari  inarchigiani,  raccolti  e  annotati  dal  prof.  Antonio 
Gianandrea,  1875;  L'innamorato,  S.  14,  No.  10. 

2)  „Una  virtü  d'amor  si  pina."     (Dante  Rimario,  Son.  16.) 

3)  Eine  venetianische  vilota  (d.i.  canto  di  villa,  ländliches  Lied)  beginnt  folgender- 
massen  (Angelo  Dal  Medico,  Canti  popolari  veneti,  p.  14):  Vedo  la  luna  e  no' la  vedo 
tutta.  —  Tonda  steht  auch  bei  Dante:  E  gia'  ier  notte  fu  la  luna  tonda.    (Inferno  XX,  127.) 

4)  J.  Caselli,  Chants  populaires  de  l'Italie,  S.  19. 

5)  Vgl.  folgende  Verse  des  Purgatoriums  (XXVII.  Gesang,  Vers  100—109) : 
Sappia  qualunque  il  mio  noine  dimanda     Dal  suo  miraglio  e  siede  tutto  il  giorno. 
Ch'io  mi  son  Lia  e  vo  movendo  intorno         Ell'  e  de'  suoi  begli  occhi  veder  vaga, 
Le  belle  mani  a  farmi  una  ghirlanda  Com1  io  dell'  adernarmi  con  le  mani: 
Per  piacermi  allo  specchio  qui  m'adorno;    Lei  lo  vedere  e  me  l'ovrare  appaga. 

Ma  mia  suora  Rachel  mai  non  si  smaga 

(Symbole  des  thätigen  und  des  beschaulichen  Lebens.) 

6)  Vgl.  die  schon  oben  von  mir  ausgesprochene  Andeutung  über  diese  und  ähnliche 
Lieder  als  Nachklänge  des  kosinogonischen  Mythus  von  der  Liebe. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern. 


37 


S.  43. 
Guarda  la  luna  come  la  cammina, 
Che  va  per  Paria  e  non  si  ferma  mai: 
Cosi  fa  '1  cuor  di  vui,  bella  barnbina. 

S.  23. 
Bella,  che  fra  le  belle  bella  sei, 
'L  mondo  veniste  con  gran  maraviglia: 
Della  bella  Diana  sete  sorella 

S.  25. 
Quando  tu  passi  dalla  casa  rnia, 
Mi  par  che  passi  la  spera  del  sole. 
Illuminar  tu  fai  tutta  la  via. 
Quando  tu  passi,  lasci  lo  splendore: 
Ma  lo  splendor,  che  lasci  per  la  via, 
E  sempre  meno  della  fiamma  mia; 
Ma  lo  splendore  che  lasci,  scema  e  cala; 
L'amor  mio  durera  fino  alla  bara. 

S.  30. 
Dove  passate  voi,  l'aria  si  ferma, 
Voi  siete  del  giardin  la  vaga  Stella. 

S.  31. 
Bella  c'  hai  tolte  le  bellezze  al  sole1) 
Hai  fatto  in  terra  un  nuovo  paradiso: 
E  hai  tolto  alla  luna  lo  splendore, 
Agli  angeli  del  ciel  l'incanto  e  il  riso: 
A  me  m'  hai  tolto  la  libertä  e  '1  core, 
Cosi  all'  altre  non  posso  porre  amore. 

S.  33. 
Vattene  bella,  vattene  a  dormire: 
II  letto  ti  sia  fatto  di  vi'ole2): 
AI  capezzale  ci  possa  venire 
Dodici  stelle  e  tre  raggi  di  sole. 
E  ti  possa  venir  la  luna  in  fronte: 
Ricordati  di  me,  figlia  d'un  conte. 


E  ti  possa  venir  la  luna  in  capo: 
Ricordati  di  me,  giglio  incarnato. 
E  ti  possa  venir  la  Stella  a'  piedi; 
Ricordati  di  me,  quando  ti  levi. 

Avete  gli  occhi  neri  e  sete  bella, 
A  guisa  d'un  falcon  che  in  alto  mira: 
Voi  rilucete  come  chiara  Stella3). 
Patti  vedere,  o  Stella  rilucente4) 

S.  43. 
Siete  piü  bello  il  lunedi  mattina, 
Massimamente  martedi  vegnente, 
Mercoledi  una  Stella  brillantina, 
II  giovedi  uno  specchio  rilucente, 
II  venerdi  un  mandorlo  fiorito, 
II  sabato  piii  bello  che  non  dico. 
S'arriva  alla  domenica  mattina: 
Mi  parete  figliol  d'una  regina. 

S.  50. 
Quando  ti  vidi  a  quel  canto  apparire, 
T'assomigliai  alla  spera  del  sole; 
Abbassai  gli  occhi  e  non  seppi  che  dire  . .  • 

S.  62. 
A  pie'  d'un  faggio  in  sull'  erba  fiorita 
Aspetto,  aspetto,  che  giu  cada  il  sole, 
Perche,  quando  sara  l'aria  imbrunita, 
Appunto  allor  vedrö  spuntare  il  sole; 
Levarsi  quel  bei  sol  che  m'  ha  ferita, 
Che  m'  ha   ferita  e  che  guarir  mi  vuolc: 
E  questo  sol,    ch'io    dico,    e    il    mio    bei 
damo  (amante), 
Che    sempre   io  gli  riprico  (replico):    „lo 
t'amo,  io  t'amo", 
E  questo  sol  e  il  giovinetto  bello, 
Che  a  ferragosto ä)  mi  dara  l'anello. 


1)  Man  ersieht  hieraus,  wie  sich  der  toskanische  Ausdruck  ,Occhio  di  sole'  erklärt, 
der  eine  schöne  Frau  bezeichnet,  wie  wir  bereits  an  einer  früheren  Stelle  unseres  Aufsatzes 
angemerkt  haben. 

2)  Dieses  Bild  findet  sich  auch  in  folgenden  toskanischen  Volksliedern: 

Fate  la  nanna,  la  nanna  farai  |  Questo  bimbo  si  possa  addormentare 
II  letto  gli  sia  fatta  di  viole  |  Questo  bimbo  si  possa  addormentare. 

3)  N.  Tommaseo,  Canti  popolari  toscani,  I,  72. 

4)  Giuseppe  Tigri,  Canti  pop.  tose,  No.  268. 

5)  , Ferragosto,  das  aus  feriae  Augusti  abgeleitet  ist,  heisst  der  erste  Tag  im 
Monat  August,  weil  zu  dieser  Zeit  im  Altertum  das  Fest  des  Augustus  mit  grossem  Jubel 
gefeiert  wurde.  Dasselbe  ist  noch  heute  in  unserem  Volke  heimisch  und  besteht  in  Banketten 
und  Freudenfeuern,  als  ob  es  ein  Festtag  wäre,  und  in  zahlreichen  Geschenken  Höher- 
stehender an  Untergebene.'  Giuseppe  Manuzzi.  Vocabolario  della  lingua  italiana, 
Buchst.  F. 


38 


Prato: 


S.  82.   0  sol,  che  te  ne  vai,  che  te  ne  vai, 

0  sol,  che  te  ne  vai  su  per  quei  poggi, 

Fammelo  un  piacer,  se  tu  potrai, 

Salutami  lo  mio  amor,  non  l'ho  vist'  oggi; 

0  sol,  che  te  ne  vai  su  per  quei  peri, 

Salutameli  un  po1  quegli  occhi  neri: 

0  sol,    che  te  ne  vai  su  per  gli  ornelli  (o-rni), 

Salutameli  un  po'  quegli  occhi  belli. 


S.  47. 

Bella,  che  delle  belle  sei  la  bella, 
E  delle  belle  sei  la  capitana; 
Degli  uccellini  sei  la  rondinella; 
Delle  fontane  sei  quella  piü  chiara: 
Riluci  piü  che  in  ciel  la  Diana  stella, 
E  piü  che  in  terra  la  fönte  leggiadra, 
Bella  che  delle  belle  siete  una, 
lo  sono  il  sole  e  tu  sarai  la  luna. 
Bella,  che  delle  belle  siete  quella, 
lo  sarö  il  sole  e  voi  la  Diana  stella 

S.  75. 

0  casa  buja,  o  vedova  finestm, 
Dov'  e  quei  sol  che  ci  soleva  dare? 
E'  ci  soleva  ridere  e  far  festa: 
Ora  vedo  le  pietre  lagrimare, 
Ora  vedo  le  pietre  stare  in  pena, 
0  casa  buja,  o  finestra  serena! 


S.  82. 

Quando  iersera  tramontava  il  sole, 
Pensavo  a  te  che  sei  lontano  tanto: 
E  mi  pareva  udir  le  tue  parole, 
Ma  eran  dolorose  come  pianto; 
E  sospirar  sentia  sommessamente, 
E  afflitta  in  volto  mi  parea  la  gentc. 
Ohime,  ben  mio,  di  te  che  cos'  e  questa? 
Ah!  Tora  del  tramonto  e  un'  ora  mesta! ') 
Ah!  quella  del  tramonto  e  una  inest'  ora: 
E  tu,  ben  mio,   perche  non  torni  ancora? 

S.  107.    Ritornelle: 

Quanto  nosceste  voi,  nacque  un  bei  fiore 
La  luna  si  fermö  nel  camminare, 
La  stelle  si  cangiaron  di  colore. 
Alzando  gli  occhi  al  ciel,  veggo  una  stella: 
E  non  sapendo  a  chi  rassomiglialla, 
La  rassomiglio  a  voi,  ragazza  bella. 


1)  Dieser  und  der  folgende  Vers  erinnern  an  die  so  anziehenden  pathetischen  Verse 
Dantes,  Purgatorio,  VIII,  1—6:  Era  giä  Tora  che  volge  il  desio  |  A'naviganti  e  intene- 
risce  il  core  |  Lo  di  c'hau  detto  a'  dolei  amici  addio;  |  E  che  lo  novo  peregrin  d'amorc  | 
Punge  se  ode  squilla  di  lontano  |  Che  paja  il  giorno  pianger  che  si  muore.  —  Vincenzo 
Monti  ahmte  das  in  der  Bassvilliana  (I,  V.  251-52)  meisterhaft  nach:  Le  nubi  immote  e 
rnbiconde  a  scra  |  Par  che  piangano  il  di  che  va  mancando.  —  Ein  anderer  Dichter 
schildert  die  untergehende  Sonne  ebenso  schwermütig:  Da  (die  Sonne)  un  pio  saluto  alle 
campagne  e  ai  monti,  E  in  mistico  linguaggio  Sembra  annunziare  che  ogni  cosse  interno 
E  nasce  e  muor  con  l'armonia  del  giorno.  —  Auch  Andrea  Maffei  dichtete  über  den 
Untergang  der  Sonne  die  ergreifenden  Verse: 


L'occhio  immoto  ed  immoto  il  pensiero, 
lo  contemplo  la  striscia  lucente, 
Che  mi  vien  dal  sereno  oeeidente 
La  qm'ete  solcando  del  mar. 

E  desio  di  quell'aureo  sentiero 
Avv'iarmi  sull'orma  infinita 
Quasi  debba  la  mesta  mia  vita 
Ad  im  porto  di  calma  guidar. 

Ein  schwermütiges  livornisches  Volkslied  sagt  gleichfalls:  Vorrei  morir,  quando  tramonta 
il  sole,  Quando  sul  prato  spuntan  le  v'iole,  |  A  noi  faria  dal  mar  l'alba  ritorno  |  Di  primavera 
in  sull  morir  del  giomo. 


Arno  Tora  del  giorno  che  muore 
Quando  il  sole  giä  stanco  dechina, 
E  nell'  onda  di  queta  marina 
Veggio  il  raggio  supremo  languir. 

In  queH'ora  mi  torna  nel  core 
Un'  etä  piü  felice  di  questa, 
In  queH'ora  doleissima  e  mesta 
Volgo  a  te,  cara  donna,  il  sospir. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.        39 

S.  114.     E  lo  mio  amore  gli  e  lontan  le  miglia; 
Lo  mando  a  salutar  per  una  Stella1): 
Le  genti  se  ne  fanno  maraviglia. 

Volkslieder  aus  den  luccheser  Bergen.2) 
Güte  und  Schönheit  des  Weibes. 

0  bella  bella, 

Sul  vostro  petto  la  luna  ci  balla, 

E  il  sole  vi  ci  fa  la  tarantella. 

Volkslieder  aus  Latium. 

S.  117  (der  Sammlung  von  Caselli). 

Tu  Nena  sei  vestita  di  splendore! 
Di  tutte  le  creature  la  piü  bella. 
La  faccia  tua  per  lo  bianco  colore 
Riluce  come  mattutina  stella. 
La  faccia  tua  per  lo  colore  fino 
Riluce  come  stella  del  mattino. 

S.  122.    Lucentissima  stella  mattutina, 

Vaga  ninfa  d' amore,  dea  serena, 

Non  ci  passa  ne  sera,  ne  mattina, 

Che  non  rimiri  la  bellezza  tena  (tua), 

Chi  la  rimira  sa  (questa)  faccia  divina. 

L'aria,  se  ce  (ci)  va  nuvola,  serena,  (si  ra  serena) 

Quando  esce  lo  (il)  sole,  a  lei  s'inchina, 

Credendo  che  ce  sia  la  Maddalena. 

Picenische  Lieder  (S.  139). 

Voi  siete  quella  stella  piü  serena 
Che  la  notte  sen  va  presso  la  luna. 
Voi  siete  quella,  che  mi  date  pena, 
Che  giorno  e  notte  lo  mio   cor  consuma. 
S.  115.  S.  129  n.  63.     Luna  ed  uccelli. 

0  luna,  o  sole!  Sole,  va  sotto,  ma  piü  non  tardare, 

0  Stella  Diana,  non  mi  abbandonare        Non  aspettare  la  tüa  sorella, 
Fammi  rifar  la  pace  col  mi'  amore.  Perche  si  leva  in  sulla  mezzanotte, 

Non  si  vuol  fä'  vede1  ch'  e  tanto  bella; 
S.  116.  E'  tanto  bella,  che  rende  splendore: 

II  fuoco3)  d'amor  e  fuoco  d'inferno,  ?erö  si  chiama  sorella  del  sole; 

Chi  v'  entra  una  sol  volta,  arde  in  eterno.     E?  tanto  bella,  che  splendore  rende: 

Pero  si  chiama  sorella  di  stelle. 


1)  Dieses  Bild  findet  sich  in  mancherlei  anderen  Volksliedern  von  Toskana  und  des 
Auslandes. 

2)  Gesammelt  und  mit  Anmerkungen  versehen  von  Giovanni  Giannini,  S.  10,  No.  52. 

3)  Dieses  Bild  der  Volkspoesie  beweist  nicht  nur,  dass  ich  das  Richtige  getroffen 
habe,  sondern  auch,  dass  das  Volk  selbst  durchaus  davon  durchdrungen  ist,  was  denn 
auch  als  die  Ursache  des  häufigen  Heranziehens  von  Licht,  Wärme  und  Feuer  in  seinen 
Liedern  zu  gelten  hat. 


40  Prato : 

S.   119;    Tanti  saluti,  o  bella  mia,  te  manno  (mando) 
Per  quanti  fili  d'erba  in  prato  sono, 
Per  quante  goccie  d'aequa  in  mare  stanno, 
Per  quante  arene  11  stanno  d'intorno, 
Per  quanti  uccelli  su  per  l'aria  vanno, 
Per  quante  miglia  fa  lo  sole  il  giorno, 
Par  quanti  flor  carica  Aprile  e  Maggio, 
Altrettanti  i  saluti  e  d'avvantaggio  (e  anche  di  piü). 

S.  129.     Ritornelle: 

Fiore  dell'  orno 

Luce  la  luna  la  meta  dell'  anno! 

Voi,  bellina,  lucete  notte  e  giorno. 

Umbrische  Lieder  (S.  130). 

Oh  quanto  siete  bella  Marianna! 
Oh  Dio!  ti  sei  calata  da  una  Stella: 
Pa  peccato  mortale  chi  t'  inganna. 

S.  140:    Porti  lo  stendardo  dell'  amore: 

Porti  'na  (una)  treccia  e  par  la  Maddalena, 
Gli  occhi  nerelli  assomigliano  al  sole  l). 

S.  140:    Quando  che  leva  il  sole,  leva  a  basso. 
E  piü  s'innalza  e  piü  getta  splendore, 
E  cos'i  fa  la  donna,  quando  nasce, 
Piü  se  (si)  fa  grande,  e  piü  se  fa  galante. 
Co  nie  la  rosa  fra  le  verdi  branche; 
Piü  se  fa  grande  e  piü  se  fa  gentile, 
Come  la  rosa  fra  le  verdi  spine. 

S.   142:    Ancor  non  e  levata  quella  Stella, 
La  stella,  ch'era  solita  a  levare, 
E  n'  e  levata  una  e  mi  par  quella; 
Lo  cor  me  se  (mi  si)  comincia  a  rallegrare: 
Me  se  comincia  a  rallegrar  lo  core, 
Che  s'  e  levata  la  stella  d'amore. 

Corsische  Lieder  (S.  273). 
Ninna  —  nanna.     Str.  oa. 
Quando  poi  nascesti  vui,  .  L'aria  riturnö  serena 

Vi  portonu  (portarono)  a  battezzani,  Tutta  piena  di  splendori! 

La  cumari  fu  la  luna,  Anche  li  sette  pianeti 

E  lu  suli  lu  cumpari,  Vhanno  infusu  li  so'  odori  (sie), 

I  stelli,  ch'erano  in  cielu,  Ottu  di  fecero  festa 

D'oru  avianu  li  cullani  (collane),  Tutti  quanti  li  pastori. 


1)  Wir  haben  gesehen,  dass  Ariost  und  Marino  gleichfalls  dies  Bild  gebrauchen  und 
Dante  von  den  Augen  der  Beatrice  sagt:  Lucevan  gli  occhi  suoi  piü  che  la  stella  (die  Sonne): 
in  einem  anderen  Liede  heisst  es:  Ti  rassomigli  alla  stella  d' Amore. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.        41 

Istrische  Volkslieder  aus  Rovigno.1) 
No.  17,  S.  35-36. 
Oh  quante  vuolte  (volte)  ch'  i'  t'  (io)  e  veisto  (visto),  biela  (bella)! 
T'ho  veisto  a  la  finestra  in  camiciola! 

E  li  tu'  carne  toüte  tralusiva!  (le  tue  carni  tutte  tralucevano) 
Gira  de  nuoto  e  de  guiorno  pariva;  (Era  di  notte  e  di  giorno  pareva) 
E  li  tu'  carne  tanto  li  brilava  (le  brillavano)! 
Gira  de  nuoto  e  de  guiorno  pariva!  (Era  di  notte  e  di  giorno  pareva.) 

Eine   andere  Variante   derselben  Stelle    findet  sich  bei  Bernoni,   Pun- 
tata  IV,  8.  7  seiner  Sammlung  Canti  popolari  veneziani. 

Genuesische  Lieder  (S.  133). 

Vettela  (vedila)  la  quella  lucente  stella, 

Che,  dund'  (dove)  a  posa  i  pe'  (piedi),  nasce  'na  (una  stella): 
E  dund'a  pos  (posa)  r  (le)  man,  u  j  (vi)  nasce  un  fiure, 
Vettela  la  quel  bei  pumin  (pomino)  d'ainure. 

A  mi  xi  deito  (rni  si  e  detto)  che  ti  nomi  (nomini)  Ana  (Anna) 

0  Deio,  quanto  me  piase  (piace)  el  (il)  tu'  (tuo)  biel  (bei)  nomc! 

Ti  porti  du  garufuli  (garofani)  a  la  banda 

E  in  raiezo  (raezzo)  al  pito  (petto)  due  freschite  (freschette)  viule  (violc). 

E  se  qualcofm  (qualcun)  per  suorto  (sorte,  caso)  te  (ti)  domanda: 

„Duv'  astu  priso  quile  frische  viule?"  (Dove  hai  tu  preso  quelle  fresche  violc ?J 

„L'6  (ho)  prise  in  nel  (nel)  giardein  (giardino)  de  la  Diana, 

Duve  che  la  miteina  (mattina)  liva  (leva)  el  sule  (il  sole)-)- 

Var.  v.  V.  3—6. 
E  li  tu'  carne  tanto  splenduriva  (splendevano)! 
Gira  de  nuoto  e  de  biel  dei  pariva  (di  bei  di  pareva) 
E  li  tu'  carne  tanto  li  brilava 
Gira  de  nuoto  e  de  biel  dei  parava  (pareva). 

Venezianische  Variante  bei  A.  Dal  Medico,  S.  31  seiner  Sammlung: 

Mi  gera  (io  era)  in  orto  che  colgea  fenochi  (cogliea  finocchi); 
Alzo  la  testa  e  vedo  do  bei  ochi  (belli  occhi); 
E  tanto  che  sti  (questi)  ochi  me  luseva  (mi  rilucevano); 
Note  che  gera,  zorno  (notte  che  era,  giorno)  me  (mi)  pareva. 

Verwandter  mit  dem  rovignesischen  Liede  ist  die  veronesische  Variante, 
herausgegeben  von  Righi,  S.  13  in  seiner  Sammlung: 

La  prima  volta  che  t'o  visto  bela, 

T"  6  visto  a  despojarte  (spogliarti)  in  camarela  (camerctta). 
E  te  gavevi  (tu,  avevi)  la  carne  che  sluzeva  (riluceva); 
L'era  de  note  e  giorno  me  pareva. 


1)  Von  Antonio  Ive  in  der  Sammlung  Comparetti-D'Ancona. 

2)  Vgl.  zwei  schon  vorher  mitgeteilte  Varianten  dieses  Liedes,  eine  siciliauische  und 
eine  toskanische. 


42  Prato : 

S.  43,  No.  24: 

La  nie  (mia)  murusa  xi  (e)  de  (di)  quile  (quelle)  biele  (belle), 

De  quile  che  lavura  in  nel  telaro: 

La  gia  (ha)  dui  (due)  uoci  (occhi)  che  parc  dui  stile  (stelle), 

De  quile  de  (del)  lo  mise  de  Genaro  (mese  di  Gennajo): 

Genaro  eun  Febraro  (con  Febbrajo)  se  (si)  lamenta 

Che  ghe  (gli)  manca  dui  stile  in  quil  biel  mise, 

'Na  (una)  pouta  (putta,  fanciulla)  biela  avia  (avea)  dui  uoci  in  tiesta. 

Douti  disiva  che  li  fuozzo  quile.     (Tutti  dicevano  che  fossero  quelle.) 

Var.  v.  V.  7:  Ragazza  biela  ecc. 
Venezianische  Variante,  veröffentlicht  von  A.  Dal  Medico,  S.  14  seiner 
Sammlung: 

La  mia  morosa  (amorosa)  xe  (e)  de  quele  bele, 

De  quele  bele  che  sta  nel  piagiaro  (stanno  nel  pagliajo). 

La  ga'  do'  ochi  che  le  par  do'  stele  (ella  ha  due  occhi  che  pajono  due  stelle), 

Come  le  gate  (gatte)  el  mese  de  Genaro. 

Für  den  zweiten  Teil  des  rovignesischen  Liedes  vgl.  eine  andere 
venezianische  Variante,  die  S.  30  der  Sammlung'  Dal  Medico  bekannt 
gemacht  ist,  eine  weitere  zudem  bei  Bernoni,  Punt.  VI,  S.  24;  eine 
toskanisclie  Variante  steht  bei  Tomaseo,  Bd.  I,  S.  51  und  bei  Tigri  S.  21 : 
La  luna  s'e  venuta  a  lamentare  ecc;  vgl.  auch  die  andere  toskanisclie 
Variante  bei  Tigri  S.  13:  lo  Tho  sentita  a  lamentar  la  luna. 

Umbrische  Variante,  veröffentlicht  von  Marcoaldi  S.  67  seiner  Sammlung: 

La  luna  sta  su  in  cielo  e  s'allamenta  (si  lamenta), 
E  dice  che  glie  (le)  mancano  le  stelle, 
Le  stelle  che  glie  mancano  so'  (sono)  due, 
So'  gli  belli  occhi  che  portate  voi. 

Eine  weitere  picenische  Variante,  in  derselben  Sammlung,  S.  118: 

Guarda  su  in  cielo  mancano  du'  (due)  stelle; 

Quelle  che  mancan  le  portate  voi, 

E  le  portate  in  sti  (questi)  occhietti  belli, 

E  le  portate  su  sti  occhi  gentili: 

Senza  le  stelle  il  sol  non  puö  partire, 

E  le  portate  su  sti  occhi  galanti, 

Senza  le  stelle  il  sol  non  va  piü  avanti, 

Ein  höchst  liebliches,  wenn  auch  etwas  hyperbolisches  Bild;  aber  der 
hohe  Schwung  der  Phantasie  erklärt  sich  hier  aus  der  Lebhaftigkeit  der 
Empfindung. 

Toskanisclie  Variante,  veröffentlicht  von  Tommaseo,  I,  150  in  seiner 
Sammlung: 

'Ndetti  (andai)  nel  giardin  cogliere  un  ftore, 
E  vidi  lo  mio  amor  fra  le  viole, 
Che  rassembrava  una  spera  di  sole. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.      43 

Variante  der  Provinz  Marittima  und  Carapagna,  herausgegeben  von 
Visconti,  s.  die  Sammlung  seiner  Lieder,  S.  15: 

Stella  non  vidi  mai  si  rilucente, 
Che  simigliante  fosse  al  tuo  sembiante, 
La  luna  stessa  se  (si)  riduce  a  niente, 
Che  non  appare  bella  in  ogni  istante; 
Splende  negli  occhi  tuoi  'na  fiamma  ardente, 
La  notte  oscura  ancor  rni  sei  presente, 
Tanto  la  tua  bellezza  e  penetrante! 

Vgl.  oben  unter  den  sicilianischen  Liedern  eine  sicilische  Variante 
dieses  Liedes;  eine  Variante  aus  Saponara  wird  von  V.  Imbriani  in  einer 
Anmerkung  zu  No.  XXI  der  Lieder  aus  Spinoso  (Basilicata)  zitiert,  s.  die 
Canti  delle  provincie  meridionali  von  Casetti  und  Imbriani 
(Sammlung  Comparetti-D'Ancona,  Bd.  III)  S.  84. 

Volkslieder  aus  dem  Süden  Italiens. 

Palazze  aute  che  sse  mura  (palazzo  alto  con  queste  mura), 
Ce  (ci)  voglie  (voglio)  amare  chi  detite  (dentro)  ce  sta. 
Dente  ce  stanno  la  luna  e  Iu  sole, 
Le  stelle  de  lu  ciele  tutte  quante. 

Fe1  sse  (per  queste)  bellizze  toje  (tue)  j'  ce  (io  ci)  more  (muojo), 

0  puramente  nie  fa'  muri  dannate  (dannato). 

Lu  sole  va  pe'  terr'  (per  terra)  e  tu  lu  ciele  (Io  ccli), 

La  luna  va  pe'  aria  e  tu  la  cruope  (copri).1) 

T'  ha  misu  (rnesso)  'na  curuna  de  brillanti, 

Pari  cchiü  (piü)  bella  e'  (che)  'na  rigina  assai: 

Quannu  (quando)  tu  mini  (meni)  'ssu  (questo)  peduzzu  (pieduccio)  avanti, 

'1  petri  (Le  pietre)  de  la  via  mövari  'i  (muovere  le)  fai. 

Tu'tieni  dua  bell'  uocchi  joculanti  (hai  due  belli  occhi  giocosi) 

Cchiü  belli  de  lu  suli  troppu  (troppo)  l'hai  .  .  . 

Acula,  che  d'argentu  porti  l'ali, 

Ti  fruscianu  li  pinni  quannu  vuli, 

Pe"  duve  passi,  l'aria  fa'  (fai)  "nchiarari  (risehiarare). 

E  cadinu  de  "ncielu  rose  e  ghiuri  (flori), 

La  tua  billizza  nun  si  pö  (puo)  pittari  (pitturare), 

Mancu  (manco,  nemmeno)  si  viegnu  (se  vengono)  1'  (gli)  antichi  pitturi, 

Ca  li  billizzi  tua  su'  cosa  rara  (che  le  bellezze  tue  sono), 

Chi  scurano  li  speri  de  lu  suli  (che  oscurano  le  spere  del  sole). 

Tanti  billizzi  a  tia  (te)  chi  ti  1'  ä  dati? 

Pari  nivi  sopr'  arbori  (sopra  alberi)  caduta. 

Quannu  'quando)  camini  (cammini),  rni  pari  'na  (una)  fata, 


1)  Rivista  delle  tradizioni  popolari,  diretta  da  A.  De  Gubematis, 
IL  Jahrg.,  Heft  V;  L.  D'Amato,  Tradizioni  popolari  di  Campochiaro,  Molise. 
Buch  I,  Canti,  Abteilung  I,  Canti  amorosi,  No.  52—53. 


44  Prato: 

'U  cielo  cculla  (colla)  terra  ti  saluta. 

Mi  criu  (credo)  ca  'mparavisu  (che  in  paradiso)  ci  si  (sii)  stata, 
Si  no,  nun  fussi  de  stilli  vestuta1)    (Se  no,  non  fossi  per  saresti  di  ste 
vestita). 

Volkslieder  aus  der  Sammlung  von  A.  Casetti  e  V.  Imbriani,  S.  20 
uwd  21;  Bd.  II  Variante  von  No.  XII  Gessopalena,  Abruzzo  Citeriore. 
Variante  des  nächstfolgenden  calabresischen  Liedes,  das  im  Principato 
Citeriore    häufig   ist  und  in  Neapel  mit  denselben  beiden  Versen  beginnt: 

Capille  d'oro  e  capille  anellate! 

Cielo  che  bionne  (bionde)    tiezze  (treccic)    ca  vo'  (che  voi)  avite  (avete)! 

Ve  mmeritate  (vi  meritate)  d'essere  'ncoronata 

De  prete  (pietre)  preziose  e  calarnita, 

Quanno  a  la  fenesta  v'affacciate 

Li  ragge  (i  raggi)  de  lu  sole  intrattenite. 

Quanno  jäte  (ite,  andate)  a  lu  lietto  a  reposare 

"A  (la)  luna  canta  'a  nonna  (ninna  nanna)  e  voi  dormite. 

Bisweilen  ist  das  letzte  Wort  des  ersten  Verses  aonnate  und  lautet 
der  zweite  Vers:  Cielo,  che  bella  trezza  voi  che  avite! 

Stilluzza,  chi  (che)  te  (ti)  lievi  (levi)  la  matina  (mattina) 

D'oru  e  d'argientu  carricata  (caricata)  vai  .  .  . 

Tu  si  cumu  (sei  come)  la  rosa  a  llu  jardinu  (al  giardino), 

Chi  cchiü  (che  piü)  te  (ti)  crisci  (cresci),  cchiü  bella  te  (ti)  fai. 

Bella,  ecu  'ssi  (con  questi)  capilli  (capelli)  'nnanellati  (inanellati), 

Treme  (trema)  la  terra,    quandu  li  sciunditi  (li  scendete,  fate  seendere): 

Vene  la  festa  e  ve  li  pettinati, 

'Ncapu  'sta  'janca  (in  capo  questa  bianca)  faccia  li  teniti  (l'avete). 

Vene  la  sira  (sera),  quandu  ve  curcäti  (coricate) 

A  (la)  luna  fa  la  ninna  e  vui  (la  ninna-nanna  e  voi)  dormiti; 

Vene  lu  juornu  (il  giorno)  quandu  ve  susiti  (vi  alzate) 

A  (La)  spera  de  lu  sule  tratteniti  (tratte riete).-) 

Variante  aus  Lecce  und  Caballino  (Terra  d'Otranto). 

Capiddhi  d'oru,  capiddhi  biundati  (biondati), 

O'Ddio  (Dio)  ci  (che)  beddhe  (belle)  trezze  ci  tenite, 

Sse  (siij  mmeritanu  sianu  'neurunate 

De  prete  preziuse  e  calamite. 

Quandu  'sciata  (andata)  allu  liettu  ripusati, 

Mia  nave  (?)  gira  "nturnu  e  bui  (voi)  dormiti: 

Quandu  mmane  (di  mattina)  per  tiempu  (tempo)  v'  ausati  (alzate), 

De  vi'  (voi)  'ndorano  Taria  de  li  liti; 

Quandu  de  la  finestra  v'  'nfacciati, 

Li  rasci  (raggi)  de  lu  sule    ntratteniti. 


1)  Vgl.  in  der  obengenannten  Zeitschrift:  Antonio  Julia,  Canti  popolari  di  Acri 
(Provinz  Cosenza),  S.  381—83;  vestuta  für  vestita  gebraucht  auch  Dante  in  dem  Sonett: 
Tanto  gentile  e  tanto  onesta  pare  etc.  So  auch  ferute  für  ferite  im  1.  Gesänge 
der  Hölle,  Vers  108. 

2)  In  derselben  Zeitschrift:    Canti  popolari  d'Ajello  (Oalabria,),  S.  385. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.      45 

Yigo  giebt  in  seinen  Canti  popol.  sicil.  vier  Varianten  aus  Sicilien 
davon. 

Gessopalena,  Abruzzo  citeriore.     S.  36,  Varianten  von  No.  XXI. 
Neapolitanische  Variante. 

Jesce  (esce)  la  luna  e  nun  fa  luce  tanta, 

Jesce  lu  sule,  quanno  fa  bon  tiempo. 

Dant'  a  stu  pietto  vuosto  'ne  e'  tanto  'janco  (dentro  a  questo  petto  vostro 

c'e  tanto  bianco), 
'Mmiezo  nee  (in  mezzo  ci)  stanno  doje  pome  d'argiento  (due  pomi  d'argento); 
Chi  nee  sse  mmira  (chi  vi  si  mira)  deventa  (diventa)  'nu  (un)  santo, 
Chi  nee  sse  corca  (chi  vi  si  corica),  e  felice  e  contente. 

S.  74,  75,  76,  Lied  XL.     Gessopalena  (Abruzzo  Citeriore). 

So'  tutt'  d'or'  'ssi  (sono  tutti  d'oro  questi)  brun*  capill'; 

Chiss'    bell'    occh'    mai    pate  'nu   fall'    (Questi   begli  occhi  mai  patiscono 

alcun  fallo). 
Chiss'  billezz'  nun  sacce  chi  rassumijj  (Queste  bellezze  non  so  chi  rasso- 

miglino) ; 
Quand'  cumper'  (conipari)  tu,  lu  saul'  sball1)  (il  sole  si  copre);  .  .  . 

Variante  aus  Arnesano,  herausgegeben  von  De  Simone. 

Li  zziti  cu  le  zzite2)  fannu  festa; 

Lu  sule  cu  la  luna  mi  euntrasta: 

Quandu  te  'nfacci  tu  de  la  fenestra, 

Mename  (mandami)    nu  (un)  suspiro,  ca  mme  (nie)  basta. 

Variante  aus  Paracorio  (Calabria  Ultra). 

Donna  cu  'ssi  (con  questi)  capilli  ananellati 
\a  'ntrizzatura  (una  intrec.ciatura)  d'oro  nci  (ce  ne)  faciti. 
Veni  la  festa  e  ve  li  pettinati, 

Trema  la  terra,  quando  gli  (li)  sciogghiti  (sciogliete). 
Veni  la  sira,  (|iiando  vi  curcati, 

Lu  luna  prendurija  e  vui  durmiti  (Per  la  luna  vi  si  prenderebbe) ; 
E  la  mattina,  quando  vi  levati. 
Li  raggi  di  lu  suli  tratteniti. 

Variante  aus  Öturno  (Principato  Ulteriore). 

Capilli  junni  (biondi),  capilli  aunnati  (aondati,  cio(;  ondati) 

O'Ddio  che  belle  treccie  che  tenite! 

Vo"  meritate  d'esse'  (essere)  'ncoronata, 

Ue  prete  preziose  e  calamite 

Co'  (con)  la  scaletta  lu  cielo    nchianate  (al  cielo  salite): 

Parlati  cu'  li  (con  i)  Santi  e  po'  (poi)  scennito  (scendete). 

1)  Ein    ähnliches  Bild    haben    wir  oben   schon  Petrarca  in  einem  Sonett  gehrauchen 
sehen,  als  er  von  Madonna  Laura  spricht. 

2)  Die  Bräutigame  mit  den  Bräuten. 


46  Prato: 

Variante  aus  Baculi. 

Luce  la  luna,  ma  non  luce  tanto, 

Quanno  lu  sole  mo'  che  fa  bon  tiempo  (ora  dal  lat.  modo); 

Luce  lu  petto  a  Nenna  e  luce  tanto, 

Addo'  li  porta  doje  pome  d'argiento; 

Chi  ei  beve  arrasso  (una  volta),  nee  (ei  si)  s'  incanta; 

Chi  ci  mmaneja  (rimane),  resta  contiento. 

Variante  aus  Lecce  und  Caballino. 

Luce  la  luna,  ma  'nu  luce  tantu, 

Quantu  luce  lu  sule  'nu  (un)  gran  tiempu. 

Luceno  l'uecchi  (occhi)  toi  (tuoi)  'nu  veru  lampu  .... 

Ein  Rispetto  aus  Monteroni  in  Lecce  sagt  am  Schlüsse: 

Mo'  si  te  ('nfacci  tie  de  la  fenescia  (ora  se  ti  affacci  tu  alla  finestra), 
Se  ne  trase  (parte)  lu  sule  e  tantu  basta! 

Variante  aus  Lecce  und  Caballino. 

Quando  te  'nfacci  tie  (tu)  de  la  finestra, 

Lu  sule  culla  luna  sse  euntrasta; 
Die  zwei  anderen  Verse  sind  genau  ähnlich  den  zwei  letzten  des  vor- 
herigen Liedes. 

Canti  popolari  meridionali  von   A.   Casetti  und  V.  Imbriani.     Chieti, 
Abruzzo  Citeriore.     No.  VI,  S.  6: 

Com'  vo'  fa'  lu  ciel?    Ha  pers'  lu  sol? 

(Come  vuol  fare  il  cielo?     Ha  perso  il  sole) 

Sse  (se)  l'ha  retruvat'  chella  (ritrovato  quella)  donna  bell'  (bella). 

Sse  l'ha  post'  sopr'  alla  su'  cann', 

(Se  l'ha  posto  sopra  la  sua  canna,  s'intende  della  gola) 

Sse  l'ha  legat'  nche  din  fil'  d'or'  (Se  l'ha  legato  con  un  filo  d'oro). 

Vid'  che  abeltä  tien'  la  donn'!  (Vedi  che  beltä  ha  la  donna!) 

Tien'  legat'  lu  sol'  al  sue  comann'.  (Tiene  legato  il  sole  al  suo  comando.) 

Pietracastaguara  o  Pietrastornina,  Principato  Ulteriore,  No.  II,  S.  205: 

L'aggio  (ho)  perduta  la  Stella  lucente 

Quella  che  rnme  (mi)  luceva  ppe'  (per)  davante: 

„Stella  lucente  mia,  Stella  lucente, 

Pe'  voi  nee  vanno  sperte  doje  ammante.  (Per  voi  ci  vanno  spersi  due  amanti.) 

Uno  e  d'oru  e  l'auto  (l'altro)  e'  d'argiento; 

Dimmelo,  bello  mio  quäle  va  innante?" 

—  „Chillo  (quello)  d'oro  lo  tengo  alla  mente, 

E  chillo  d'argiento  mme  (mi)  pe'  'nnante  (innanzi)." 

No.  XV,  S.  75,  Spinoso,  Basilicata: 

Pallazzo,  ca  (che)  sei  alto  qualtro  miglia, 
Abassati  'nn  (un),  poco  quanto  io  saglia  (salga); 
Dinta  mi  (c'  e)  la  mamma  co'  la  figlia, 
Ca  di  bellezze  lu  sole  commoglia  (eclissa). 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.      47 

No.  V,  S.  171,  Carpignano  Salentino.     Variante  auch  aus  Carpignano: 

La  luna,  qnandu  e  noa  (nuova),  cchiu  (piii)  pare  bella; 
Quantu  cchiü  all'  autu  (in  alto),  vae  (va),  cchiu  bella  pare; 
Poti  'scire  (puö  uscire)  cchiu  all'  autu  di  'na  Stella; 
Ma  de  le  manu  mei  (mani  mie)  no'  po'  scappare  .... 

S.  361  Analoges  Lied: 

Spunta  lu  suli  e  spunta  'na  bandera, 
Facia,  ca  spunta  e  no'  spuntava  mai, 
Ora  spuntasti,  o  Limpia  (o  Olimpia)  serena, 
L'oru  sopra  li  trizzi  t'affacciai  (ti  vidi). 
Sii  comu  l'olivara  a  primavera, 
Chi  fogghia  cangia,  ma  euluri  mai. 
E  se  lu  suli  perdi  la  so  'sfera 
Chissa  bellizza  non  si  perdi  mai. 

Analoges  Lied  aus  Paracorio: 

ü  luna  d'oru,  carricati  (caricata)  na  vi 
Ca  cu  'nu  sguardo  toi  fermau  lu  suli! 
(Che  con  un  tuo  squardo  fermö  il  sole!) 
Ssi  capilli  mi  fannu  pacciari, 
Quannu  veni  lu  ventu  e  ti  li  movi. 

No.  1,  S.  57,  Grottaminarda,  Principato  Ulteriore: 

Stella  regale,  quanno  comparistc, 

La  luna  co'  lo  sole  commannaste  (comandaste); 

Co'  'no  cortiello  (con  un  coltello)  a  mme  (me)  lo  coro  apriste, 

Quello  che  dinto  (dentro)  c'era  tc  pigliaste. 

No.  X,  S.  161,  Variante  aus  Paracorio: 
Stilla  lucenti  chi  a  lu  celu  jisti  (andasti), 
E  a  'nu  momentu  lu  mundu  girasti, 
E  chiddhu  (quello)  ch'era  d'intru,  ti  pigghiasti  (pigliasti). 

Variante  aus  Latronico  (Basilicata) : 
Chiange  lu  cielu,  ch'  ha  persu  lu  sole, 

'Na  ronna  (una  donna)  si  lu  tene  al  sui  (suo)  cumann'  (comando). 
Ligatu  l'ave  (ha)  chi  (con)  dui  (due)  fili  d'ore  (oro), 
Puosto  si  l'ave  a  la  sui  (Posto  se  l*ha  alla  sua)  bianca  canna; 
Tene1)  l'ammante  e  sse  lu  va  vantanno  (Ha  Pamante  e  se  lo  va  vantando): 
—  „Aggio  'na  ronna  che  lu  sole  cumanna." 
(Ho  una  donna  che  comanda  il  sole.) 

No.  VIII,  S.  159,  Latronico,  Basilicata: 

(Rosa)  Tu  di  billizzi  (bellezze)  sei  la  luce  chiara, 
E  di  lu  sole  sei  li  raggi  fini. 

No.  IX,  S.   160: 

Stilluccia  di  lu  cielo,  quanto  si'  (sei)  bella 

1)  Teuere  für  uvere,  eine  spanische  Redensart. 


48  Prato: 

No.  XXVI,  S.  360,  Paracorio,  Calabria  Ultra  la: 
0  luna  cinti  di  petri  e  rubini, 
Bellizza  stra form  ata  di  'stu  (trasformata  di  questo)  cori. 

No.  XXVIII: 

Spunta  lu  soli  cu  la  matinata, 

Tutti  l'acelli  (uccelli),  cantaru  'mpartita  (cantarono  da  parte). 

E  spunta  cu'  'na  bona  matinata, 

E  l'angellini  chi  fannu  'mpartita; 

Si  mentino  (mettono),  mu  (ora)  cantanu  (cantano)  a  lu  zitu  (al  fidanzato), 

Di'na  figghiola  ch'eu  aju  (d'una  figliuola  ch'io  ho)  chiamata. 

No.  XIX,  S.  432,  Lecce  und  Caballino,  Terra  d'Otranto: 

Nun  c'  e  tant'  acqua  alli  mari  a  Gaeta, 

Qantu  la  'ucca  (bocca)  tua  'llemicca1)  (stilla)  manna; 

Nu'  luce  tantu  'na  Stella  planeta, 

Quantu  te  luce  lu  piettu  e  la  canna  (il  petto  e  la  gola), 

Lucenu  li  capelli  toi  de  seta, 

Dannu  sprendore  (splendore)  a  tutta  la  campagna. 

S.  433: 

Quanno  sse  corca  non  ge  vo'  lumera  (Quando  si  corica  non  ci  vuole  lume) 
Ra  l'aria  re  (DaH'aria  le)  cale  (cala)  lo  sbiannore  (splendore) 
Tene  re  (Ha  le)  treccie  de  la  Maddalena, 
Pare  che  fosse  figlia  re  (del)  barone. 

Analoges  Lied  aus  Lecce  und  Caballino. 

Sule  ci  si  patrunu  (sei  padrone)  de  la  spera, 
Sempre  'ngerando  (aggirandoti)  vai  per  la  campagna; 
Nu'  caccia  (non  produce)  tanti  frutti  primavera 
Quanti  saluti  'stu  core  te  manda; 
Nu'  luce  tantu  'na  Stella  planeta, 
Quanto  luceno  a  tia  l'occhiu  e  la  canna  (gola), 
Nun  hae  tant'  acqua  lu  mare  de  Siena  (sie), 
Quantu  la  bocca  tua  'llemicca  (stilla)  manna. 

Splendore  deiramata.     Analoges  Lied  aus  Bagnoli-Irpino. 

Voglio  canuV  (cantare)  accanto  a  'sta  (questa)  cantonera  (cantonata), 

Poco  distante  ra  (da)  la  ca  casa  mmia. 

G'e  'na  figliola  che  pare  valena, 

Lo  porta  lo  stennardo  re  (de)  lo  sole. 

Analoges  Lied. 

Spunta  lu  suli  la  matina  a  Gioja 

Spunta  pe'  adornari  'ssa  bellizza! 

Spunta  da  parti  a  parti  e  ss'arriposa, 

Guardando  'ssa  bellizza  ss'arriprisa  (si  riprende.  si  rianima). 

1)  Vgl.  das  toskanische  Wort  gemica  für  stilla;  vgl.  aucli  das  italienische  gerne. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.      49 

Xo.  XXI,  S.  394,  Napoli  (Provincia  di  Napoli). 
Palazzo  fabbrecato  da  li  inasti  (maestri  muratori), 
'I  prete  (le  pietre)  a  fila,  a  fila  stanno  poste. 
So'  (sono)  'mpostate  de  zucchero  c  latte: 
De  'mostaccioli  (paste  dolci)  so'  porte  e  fmeste: 
Quanno  la  nenna  (ragazza)  mia  ssi  uce  affaccia, 
Schiara  la  luna  (de  la  mezzanotte). 

Analoges  Lied  aus  Paracorio. 

Lima,  chi  luci  pe'  tutta  la  notti; 

Stidha  (stella),  chi  nasci  a  l'arba  alla  raatina. 

Quandu  cumpari  avanti  a  chissi  porti, 

Mi  pari  allura  'n  'acula  (aquila)  divina. 

E  quando  veni  chi  (che)  cali  di  notti, 

Risplendinu  li  scogghi  (scogli)  a  la  marina:  , 

Mbiatu  cu  avi  chidha  bona  sorti  (Beato  chi  ha  quella  buona  sorte) 

Pe'  mu  adurä'  'sta  rosa  carmusina  (Per  odorarmi  questa  rosa  cremesina). 


Anhang. 

Nachdem  wir  bislier  über  das  Sternenlicht  als  Symbol  der  Schönheit 
gehandelt  haben,  bleibt  noch  übrig,  flüchtig  von  dem  vermeintlichen  Einflüsse 
der  Gestirne  auf  das  sittliche  Leben  der  Welt  zu  sprechen.  Dante  vereinigt 
im  8.  Gesänge  des  Paradieses  die  göttliche  Vorsehung  mit  der  himm- 
lischen Einwirkung  der  Planeten  auf  die  Menschen  und  im  16.  Gesänge 
des  Purgatoriums,  Y.  G7 — 78,  sucht  er  diese  mit  der  menschlichen  Willens- 
freiheit zu  vereinigen.  Petrarca  sagt  ferner  in  dem  Sonette:  La  gola  e  il 
sonno  e  l'oz'iose  piume  etc.:  Ed  e  si  spento  ogni  benigno  lume 
Del  ciel,  per  cui  s'informa  umana yita,  Che  ...;  der  Dichter  schreibt 
somit  den  Mangel  der  Tugend  in  der  W'elt  dem  Unistande  zu,  dass  ge- 
wisse Sterne,  die  dieselbe  in  den  Menschen  zu  wecken  pflegten,  vom 
Himmel  verschwunden  siud.  Dass  ferner  bestimmte  Gestirne  einen  guten, 
andere  wiederum  einen  schädlichen  Einfluss  ausüben,  sagt  er  uns  in  einem 
anderen  Sonett,  indem  er  die  Einwirkung  des  Jupiter  sanfter  (gütiger) 
nennt  als  die  des  Mars.  Auf  eine  derartige  Vorstellung  stützt  sich  Dantes 
Sonderung  der  verschiedenen  Seligen  in  den  sieben  ersten  Himmeln  seines 
Paradieses,  die  je  nach  der  Natur  der  Sterne,  nach  denen  die  letzteren 
benannt  sind,  erfolgt.  In  den  1.  Himmel,  den  des  Mondes,  versetzt  er  so 
diejenigen,  die  gegen  Gelübde  gefehlt  haben,  und  zwar  im  Hinblick  auf 
die  Mondflecken  (vgl.  die  Flecken  der  Seele  als  Wirkung  solcher  Über- 
tretungen); im  2.,  dem  des  Merkur,  der  an  den  gleichnamigen  Gott  der 
Beredsamkeit,  die  dem  Menschen  Ruhm  einbringt,  erinnert,  hat  er  die  aus 
Liebe  zum  Ruhm  Thätigen  untergebracht;  im  3.  Himmel,  dem  der  Venus, 
der  an  die  Göttin  der  Liebe  gemahnt,  die  liebenden  Geister;  im  4.,  dem 
der  Sonne,  die  Gottesgelehrten  (von  dem  Motiv  hierzu  ist  bereits  die  Rede 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.     1896.  4 


50  Prato: 

gewesen);  im  .">.,  dem  des  Mars,  der  auf  den  Gott  des  Krieges  weist,  die 
streitbaren  Geister,  die  Märtyrer  der  Religion  Christi;  im  6.  Himmel,  dem 
des  Jupiter,  der  einstmals  Gott  des  Himmels,  Vater  der  Menschen  und 
Götter  und  König  der  Könige  gewesen  und  dem  der  Adler,  der  König  der 
Vögel,  heilig  ist,  die  Könige,  Fürsten  und  Feldherrn,  die  sich  in  der  Auf- 
rechterhaltung der  Gerechtigkeit  auf  Erden  hervorgethan  haben;  im 
7.,  dem  des  Saturn,  dem  Vater  des  Jupiter,  zu  dessen  Zeit  das  sogenannte 
goldene  Zeitalter,  das  Zeitalter  der  Glückseligkeit  herrschte,  die  be- 
trachtenden Seligen;  besitzt  doch  der  Mensch  einen  unwiderstehlichen 
Hang  nach  der  Glückseligkeit,  um  so  mehr,  wenn  sie  entrückt  ist,  da 
eine  versagte  Frucht  das  Verlangen  nach  ihrem  Besitze  nur  noch  stärker 
entfacht.  Schon  Dante  schrieb  daher  im  5.  Gesänge  der  Hölle:  .  .  .  Nessun 
maggior  dolore  Che  ricordarsi  del  tempo  felice  Nella  miseria  .... 

Diese  Bemerkungen  werden  durch  die  Worte  bekräftigt,  die  Dante 
den  Brunetto  Latine  im  15.  Gesänge  der  Hölle  an  ihn,  den  Dichter,  richten 
lässt:  .  .  .  Se  tu  segui  tua  Stella  (dem  Sternbilde  der  Zwillinge,  unter 
dem  du  geboren  bist),  Non  puoi  fallire  a  glor'ioso  porto,  Se  ben 
in  accorsi  nella  vita  bella  (als  ich  dir  auf  Bitten  deiner  Mutter  das 
Horoscop  gestellt  habe).  Und  im  22.  Gesänge  des  Paradieses  richtete  er 
au  das  erwähnte  Sternbild  folgende  Verse  (112 — 117):  0  glor'iose  stelle, 
o  lume  pregno  Di  g'ran  virtii,  dal  quäle  io  riconosco  Tutto  quäl 
che  si  sia,  il  mio  ingegno.  Con  voi  nasceva  e  s'ascondeva  vosco 
(=  con  voi)  Quegli  clr  e  padre  d'ogni  mortal  vita  (d.i.  die  Sonne, 
die  deshalb  das  Symbol  des  Lebensspenders  oder  Schöpfers,  Gottes,  ist), 
Quando  io  senti"  dapprima  l'aer  tosco  (d.  h.  als  ich  in  Toscana 
geboren  wurde).  Es  sei  auch  an  das  französiche  Wort  erinnert,  das  den 
Wahlspruch  des  Königs  Karl  Albert  von  Sardinien,  des  Vaters  Victor 
Immanuels  II.  bildete:  Je  suis  mon  astre,  Ich  folge  meinem  Sterne. 

Zusätze. 

In  der  Erzählung  von  Nur  eddin  Ali  und  Bedreddin  Hassan, 
dem  93.  der  arabischen  Märchen  von  1001  Nacht,  bedeutet,  wie  man  be- 
merken kann,  der  erste  von  diesen  beiden  Namen,  mit  dem  ein  Vezir  aus 
Kairo  gemeint  ist,  nach  Gallaud  Licht  des  Glaubens  und  der  zweite, 
der  Name  von  dessen  Sohne,  Vollmond  des  Glaubens.  Der  ältere 
Bruder  Nureddins  heisst  Schemseddin,  was  soviel  ist  wie  Sonne  des 
Glaubens. 

Die  186.  Nacht  enthält  die  Geschichte  von  Abulhassan  Eli  Ebn 
Becar  und  Schemseluchar,  der  Geliebten  des  Khalifen  Harun -al- 
Baschid;  es  sei  darauf  hingewiesen,  dass  der  Name  der  letzteren  im 
Arabischen  Sonne  des  Mittags  bedeutet. 

In  der  Erzählung  von  Ganem,  dem  Sohne  des  Abu  Aibu,  mit  dem 
Beinamen    Liebessklave,    begegnen  als  Namen  zweier  hübscher  junger 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymoole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.     51 

Sklavinnen:  Nuronnihar  (Licht  des  Tages)  und  Nagematossobi  (Stern 
des  Morgens). 

In  der  Erzählung  von  dem  wiedererwachten  Langschläfer  trifft 
man  in  ähnlicher  Weise  als  Namen  zweier  ebenso  hübscher  Sklavinnen 
am  Hofe  des  Sultans  Harun-al-Raschid:  Mondesantlitz  und  Sonnen- 
glanz. In  der  Geschichte  von  Aladdin  und  der  Wunderlampe  kommt 
die  Prinzessin  Badrulbudur  (Vollmond  oder  Vollmonde),  die  Tochter 
eines  Sultans,  vor. 

Der  111.  Tag  in  den  persischen  Märchen  von  1001  Tag,  die  Geschichte 
von  Mal  eh  und  der  Prinzessin  Schiri  na,  enthält  den  Namen  Mah- 
pe'iker  (Mondesgestalt),  den  eine  schöne  junge  Sklavin  im  Dienste  der 
Prinzessin  Schirina,  der  Tochter  des  Königs  Bahaman  von  Gozna  trägt. 

In  der  ( reschichte  des  120.  Tages  von  Hormoz.  dem  Könige  von 
Damaskus,  mit  dem  Beinamen  kummerloser  König  hat  dessen  be- 
zauberndes Weib  zwei  Augen,  die,  wie  es  dort  heisst,  zwei  Sonnen  gleichen; 
an  einer  späteren  Stelle  derselben  Erzählung  sagt  ein  Narr,  der  die  Pveize 
seiner  Geliebten  in  Versen  preist,  ihre  blonden  Flechten  seien  die  Wohn- 
stätte der  Sonne  (sie):  ein  anderer  Narr  besingt  seine  Geliebte  folgender- 
massen:  0  du.  deren  Schönheit  der  Sonne  das  Lichl  leiht,  das  sie  in 
Palästen  wie  in  Hütten  verbreitet,  wisse,  o  bezaubernde  Prinzessin,  dass 
ich  den  Lichtstrahl,  mit  dem  es  dir  gefallen  sollte,  meine  traurige  kleine 
Kammer  zu  erhellen,  gar  liebreich  empfangen  werde. 

Aus  dem  458.  Tage,  der  Erzählung  von  der  Liebe  des  Maugraby 
und  der  Planetenschwester,  der  Tochter  des  Königs  von  Ägypten,  sei 
der  merkwürdige,  in  ihrer  Schönheit  begründete  Name  dieser  Prinzessin 
hervorgehoben,  der  im  Arabischen  Areheta-il-Kuakib  lautet. 

In  einem  unedirten  türkischen  Märchen,  der  Sänger,  das  in  dem 
Buche  La  fleur  Lascive  Orientale,  contes  libres  inedits,  tradnits 
dn  mongol,  de  l'arabe,  du  japonais,  de  1"  in  dien,  du  chinois,  du 
persan,  du  malai,  du  tamoul  etc.,  Oxford,  imprime  par  les  presse*  de 
la  Bibliomaniac  Society,  exclusivement  pour  les  membres,  1882,  p.  89 
heisst  es  von  der  lieblichen  Frau  eines  Droguenhändlers,  die  sich  an 
einem  Fenster  zeigt:  schön  wie  der  Mond  (das  Schönheitsideal  im  Orient) 
tauchte  ihr  Antlitz  auf. 

In  dem  persischen  Märchen:  die  unbesiegliche  Prinzessin, 
S.  1G0,  findet  man  über  diese,  wie  sie  mit  den  Mägden  in  den  Galten 
geht  den  Ausspruch:  sie  gleicht  dem  Monde,  der  von  den  Sternen  um- 
geben ist. 

In  dem  Heiligen  Buch  der  Liebe,  S.  147,  liest  man,  der  König 
des  Hochgebirges,  der  einen  blitzenden  vel  (Wurfspiess)  trägt,  erblickte 
ein  liebliches  Mädchen  und  eine  Liane  schien  sie  ihm,  wachsend  wie  das 
Antlitz  des  Mondes,  und  auf  S.  155  wird  der  Schoss  eines  hübschen 
.Mielchens  mit  einem  Halbmonde  verglichen. 


52  Höfler: 

In  dem  imedirten  hindostanischen  Märchen  von  der  unerbittlichen 
Buhlerin,  S.  171,  wird  diese  folgendermassen  beschrieben:  ihr  Angesicht 
glich  dem  Aussehen  des  Mondes  nach  vierzehn  Nächten  (in  Livorno  würde 
man  sagen:  der  luna  in  quintadecima1),  d.  h.  dem  Vollmonde. 

In  der  letzten  Erzählung  des  Buches,  die  aus  dem  Arabischen  über- 
tragen ist,  wird  der  Jüngling,  der  nicht  weiss,  zu  welchem  Ge- 
schle chte  er  gehört,  S.  181,  gleich  im  Anfange  als  schön  wie  der  Mond 
geschildert. 

Man  sehe  noch  ähnliche  Bilder  des  indischen  Dichters  Ksemendra: 
„Die  weisse  schlafende  Gestalt  lag  über  ein  Blumenbett  gestreckt,  ganz 
keusch,  ohne  anderen  Schleier  als  ihre  Schönheit,  die  der  Mondgöttin  glich, 
wenn  sie  von  ihrem  Strahlenwege  sich  verirrt  hat;  die  schwarzen  Haare 
schienen  zu  leuchten." 

Neapel. 

Der  Wechselbalg. 

Beitrag  aus  der  Volksmedizin  von  Dr.  31.  Höfler. 


I.    Begriffe. 

Wechselbalg  ist  eine  dem  Wasserbalge  ähnliche,  ihm  formell  an- 
geglichene Missgeburt  bei  Mensch  oder  Tier,  verursacht  a)  durch  den 
Einfluss  des  Mondes  oder  b)  durch  Auswechselung  von  Seiten  dämonischer 
Wesen  (Alp,  Butz,  Teufel,  Kobold,  Hexen  etc.),  c)  durch  widernatürliche 
Erzeugung,  d)  durch  den  bösen  Blick  oder  das  Versehen.  Sein  Haupt- 
charakteristikum  ist  seine  Erscheinung  mitten  unter  sonst  normalen  Ge- 
burten, bezw.  Generationen;  die  Ähnlichkeit,  mit  einem  prall  gefüllten 
Wasserbalge,  die  Verbindung  mit  dem  Kröpfe,  das  häufige  Abgestorbensein 
der  entartetsten  Formen,  die  zwerghafte  Verkümmerung  im  weiteren 
WTachstume,  sein  Vorkommen  bei  Mensch  und  Haustier  (Rind),  seine 
grössere  Häufigkeit  in  gebirgigen  Gegenden. 

Der  Name  Wechselbalg  wird  für  menschliche  Wesen  gebraucht; 
Wasserkalb  für  tierische  und  menschliche  Missgeburten.  Letzterer  Name 
ist  keine  Übertragung  eines  pathologischen  Begriffes  (vitulus  hydropicus), 
sondern  blosser  Vergleich  mit  dem  ursprünglichsten  Gefässe  des  wandernden 
Nomaden,  dem  Wasserbehälter  desselben,  der  Kalbshaut  oder  dem  Büttling 
(Butte,  Bottich),  dem  Vorläufer  des  durch  ergänzende  Reparaturen  aus- 
gebildeten oder  entwickelten  Holzbottiches.  Wie  sonst  sehr  oft,  so  wurde 
auch  hier  ein  Hausgerät  zum  Vorbilde  bei  der  Bezeichnung  eines  Körper- 


1)  Man  vergleiche  den  bekannten  toskanischen  Rispetto  auf  ein  schönes  Mädchen: 
Siete  piü  bella  che  non  e  la  luna, 
Qnando  che  in  quintadecima  si  leva. 


Der  Wechselbalg.  53 

teiles,  bezw.  einer  Leibesfrucht.  Von  dem  prall  und  schwellend  mit  Wasser 
gefüllten  Büttling  aus  Kalbshaut  stehen  stummeiförmig  die  vier  Extremitäten- 
Stümpfe  ab.  Diese  abgestreifte  Kalbhaut,  die  vernäht  und  verklebt  oder 
mit  Schilf,  Bast,  Rinde  etc.  verstopft  wurde,  diente  in  ihrer  gefüllten  Form 
als  Wasserbutte  zum  Vergleiche  mit  dem  körperlich  ähnlichen  Wechsel- 
balge1), der  damit  den  Namen  „Wasserbalg"  erhielt.  Wasserkalb  ist  wohl 
der  ältere  Name  für  das  Wesen;  die  Versuche,  seine  Herkunft  und  Ent- 
stehung zu  erklären,  führten  dann  zu  den  übrigen  Namen,  worunter 
Wechselbalg,  WTechselkind,  Mondkind.  Mondkalb  die  bevorzugteren  sind; 
diese  Namen  werden  in  den  Kapiteln:  Aetiologie  und  Krankheitwesen  ihre 
Begründung  erhalten.  Andererseits  wurden  auch  die  ursprünglicheren  Namen 
für  eine  Reihe  von  anderen  Missgeburten  und  Muttergewächsen  verall- 
gemeinert. 

IL    Aetiologie. 

1.  Alle  Völker  glauben,  dass  der  Mond  auf  die  Fruchtbarkeit  und 
auf  die  Frucht  Einfluss  hat:  der  cyklische  Verlauf  der  weiblichen  Monatzeit, 
der  Eintritt  der  Geburt  nach  zehn  .Mondzeiten,  das  dem  Monde  eigene 
Wachsen  und  Abnehmen  seines  Lichtumfanges  (Mondwechsel),  Ebbe  und 
Flut  etc.  beweisen  dem  Volke  (nicht  aber  den  modernen  Schulärzten), 
dass  nicht  umsonst  im  Monde  das  Bild  des  fruchtbaren  Hasen,  der  alljährlich 
sein  Geschlecht  „wechselt",  zu  sehen  ist.  Die  Erzeugung  der  Frucht  wird 
vom  Monde  beeinflusst,  das  sagen  alle  Völker;  darum  ist  der  Mond  und 
die  Mondzeit  Ursache  der  Missgeburt  des  Weohselbalges,  der  Erzeugung 
des  Kropfes,  der  cyklisch  verlaufenden  Fall-(Mond-)Sucht;  Kropf  und 
Epilepsie  begleiten  oft  genug  den  Wechselbalg  durchs  Leben.  Schwängerung 
im  Mondenscheine  giebt  mondsüchtige  Kinder  und  der  coitus  in  mensibus 
erzeugt  den  Wechselbalg  (Grimm,  D.  W.  2486.  2504.  2508.  A.  v.  Haller, 
Onomatol.  I,  1018.).  Kleinen,  aufwachsenden  Kindern  darf  man  darum 
nicht  den  Mond  mit  den  Fingern  zeigen,  sonst  schauen  sie  in  den  Mond 
hinein  und  bekommen  den  Kropf.  Ist  die  weibliche  Mondzeit  (menses) 
verhalten,  dann  kommt  es  unter  diesem  widrigen  Einflüsse  des  Mondes 
zur  Missgeburt  in  Gestalt  des  Wasserbalges  oder  Wechselbalges,  nicht  bloss 
beim  menschlichen  Weibe,  sondern  auch  beim  Haustiere;  es  bildet  sich 
eine  widernatürliche  Frucht,  eine  böse  Bürde,  ein  Mondkind,  ein  miss- 
gestaltetes Mondkalb  aus.  ein  monstrum  per  fabricam  alienam. 

2.  Die  Widernatürlichkeit  der  Erzeugung  ist  aber  nicht  bloss  Folge 
des  Mondeinflusses,  sondern  auch  Folge  von  übernatürlicher  geschlechtlicher 
Vermischung.  Durch  den  Glauben  vieler  Völker  zieht  sich  die  Vorstellung 
der  Möglichkeit  geschlechtlicher  Verbindung  von  göttlichen  oder  dämonischen 


1)  Das  Wort  wehselbalc  kommt  seit  dem  13.  Jahrli.  vor  (Lexer,  Mhd.  Wb.  III,  732) 
und  ist  gewiss  älter,  aber  im  Althochd.  nicht  belegt,  wo  sich  im  10./11.  Jahrh.  wihselinc 
für  untergeschobener  Sohn  findet. 


54  Höfler: 

Wesen  mit  den  Menschen.  Im  deutschen  Volksglauben  sind  es  besonders 
die  elbischen  Geister,  die  nach  «lern  Verkehr  mit  menschlichen  Weibern 
trachten.  Die  Volkssage  berichtet,  dass  der  Alp  schlafenden  Weibern  sich 
geselle,  so  dass  diese  ein  „Alperkalb"  als  Frucht  gebären.  Oft  versteckt 
sich  auch  ein  Alp  in  dem  Leibe  der  schwangeren  Mutter  und  aus  dem 
mit  der  in  der  Geburt  gestorbenen  Mutter  mitbegrabenen  ungeborenen 
Fötus  wird  dann  wieder  ein  Alp:  quod  de  foetu,  qui  sepelitnr  cum  matre, 
hat  Alp,  qui  illudit  feminis  (Schmeller,  Bayr.  Wörterb.  I2,  64).  Dieser 
Alp-Kobold,  der  stets  zeugend,  Böses  nur  gebärt,  erzeugt  dann  mit  mensch- 
lichen Weibern  wieder  einen  Kobold  oder  Wechselbalg.  Dieser  wächst 
sich  in  der  Gebärmutter  (der  Kröten)  der  Weiber  zum  Wechselbalge  aus, 
der  dann  ganz  „verkrottet"  ist.  Das  als  Schelte  vorkommende  Krotolf 
(Lexer,  Mhd.  Wb.  I,  1752)  scheint  ursprünglich  eine  Benennung  desselben. 
Ja  sogar  Kühe  versehen  sich  nach  der  Volksmeinung  an  einer  Kröte  und 
werfen  dann  Wasserkälber. 

Wie  vom  Alp,  so  wird  auch  von  den  Wassermännern  in  Sage  und 
Lied  berichtet,  dass  sie  nach  Menschenmädchen  trachteten,  sie  ins  Wasser 
zogen  und  mit  ihnen  Bastarde  in  Form  von  „Wasserkindern"  zeugten,  die 
man  wegen  ihres  alten  Gesichtes  die  „alten  Leute"  der  Nixe  in  Nieder- 
deutschland nannte.  W^enn  sich  Menschen  in  sodomitischer  Weise  mit 
Tieren  vermischen,  gebären  diese  ein  Wasserkalb,  „halb  Mensch,  hall) 
Tier".  Je  eher,  je  lieber  muss  man  ein  solches  missbrauchtes  Tier  mit 
Haut  und  Haaren  vergraben. 

Aus  dem  Teufels-  und  Hexenwahn  ist  bekannt,  dass  der  Teufel  die 
Hexen  missbraucht.  Die  so  erzeugte  Teufelsbrut  kommt  als  Wechselbalg 
zum  Vorschein;  es  ist  ein  am  Körper  schwarzhaariges,  scheussliches  Kind. 
Auch  gebiert  der  Teufel  eine  solche  Missgeburt  (Schandbalg),  wenn  er  in 
Gestalt  eines  Weibes  (als  succubus)  das  sperma  virile  empfängt. 

3.  Die  Eiben  waren  früher  den  Menschen  auch  wohlgesinnt;  das  wird 
namentlich  von  den  Wichtein  oder  Zwergen  erzählt,  die  mit  ihren  Weibern 
auch  Kinder  erzeugten,  die  natürlich  nach  Art  der  Eltern  waren  und  ganz 
„verzwergelt"  blieben.  Vielleicht  um  diese  zu  kräftigen,  raubten  sie  den 
Menschen  gerade  die  schönsten  Kinder  und  legten  den  säugenden  mensch- 
lichen Müttern  in  listiger  Weise,  namentlich  in  der  Zeit  des  Hervorsegnens, 
wenn  die  Mutter  aus  dem  Hause  war  (Wuttke,  Deutscher  Volksaberglaube, 
§  584),  ihre  kielkröpfigen,  verkrüppelten,  verhütteten  Kinder  in  die  Wiege 
unter;  das  sind  dann  die  Wechselinge,  Wechselkinder,  Wechselbutte, 
Butte  oder  Büttlinge,  Dickköpfe,  die  fast  immer,  auch  wenn  sie  am  Leben 
sich  halten,  im  Wachstume  zurückbleiben. 

4.  Die  elbischen  Erd-  und  AVassergeister,  denen  sich  die  Hexen  hierin 
gesellten,  können  aber  auch  ein  gesund  geborenes  Menschenkind  durch 
Zauber,  üble  Meinung,  bösen  Blick,  „versehen"  und  in  einen  Wechselbalg 
verwandeln.     Ein    solches    ganz    alt    aussehendes  Vermeintkind   oder  Ver- 


Der  Wechselbalg.  55 

neidkind,  bleibt  immer  klein  und  bekommt  einen  Kielkropf,  (Kolkropf, 
Kehl-,  Kelchkropf,  der  kugeligrund  auf  der  Kehle  (chiel  =  chela,  branchia, 
Graft'  IV,  387)  aufsitzt.  Es  ist  zwar  auch  vermutet,  worden  (R.  Hildebrand 
im  Deutschen  Wörterbuch  V,  681),  dass  man  diese  Missgeschöpfe  nach 
ihrer  Wasserheimat  in  dem  Quell  (kiel)  und  nach  den  Quellgeräuschen 
Kielkröpfe  genannt  habe;  aber  unsere  Weiber  denken  nicht  an  Nixen  beim 
Anblick  eines  solchen  Kielkropfes  oder  Kielkopfes.  Wer  solche  Miss- 
geburten in  Abbildung  sehen  will,,  wie  man  sie  im  Mittelalter  als  Monstrosi- 
täten von  Ort  zu  Ort  zur  Erbauung  des  neugierigen  Volkes  herumführte, 
sehe  sich  dieselben  in  Kleinpauls  Mittelalter  S.  287  und  610  an.  Wir 
liefern  S.  56  den  Lesern  zwei  Bilder  von  wirklichen  Wasserkälbern,  das 
eine  von  einer  Kuh,  das  andere  von  einer  menschlichen  Mutter,  und  gehen 
über  zum  Kapitel: 

III.  Wesen  der  Krankheit, 
wie  die  früheren  Beobachter  und  späteren  Gelehrten  es  darlegen.  Die 
einen  halten  das  Wasserkalb,  Mondkalb  für  ein  lebloses,  bein-  und  ein- 
geweideloses, angeformtes  Stück  Fleisch,  das  unterweilen  in  der  Gebär- 
mutter wächst  und  zwei  bis  drei  Jahre  in  der  Gebärmutter  bleiben  kann. 
Es  soll  sogar  Krötengestalt  zeigen;  auch  froschleichartige  Gebilde  hat  man 
schon  als  solche  Missgeburten  beobachtet.  Andere  sagen,  dass  diese  Krebs-, 
Vögel-,  Bären-Gliedmassen  an  dem  Leibe  tragen  oder  ein  affenartiges 
Zerrbild  eines  Menschen,  keine  eigentlichen  Menschen  seien;  viele  kämen 
tot  auf  die  Welt  als  Schürfung,  wie  wenn  sie  die  Haut  abgeschürft  hätten; 
auch  die  Wasserkälber  der  Kühe  kämen  haarlos  wie  eine  abgesstreifte, 
abgeschabte  Lederhaut  zur  Welt;  die  meisten  Wechselbälge  oder  Wasser- 
kälber seien  auffallend  klein,  plump,  wie  ein  mit  Wasser  gefüllter  Leder- 
schlauch (Wasserbutte)  und  dickköpfig.  So  ein  Wesen  mache  seine  Augen 
nicht  auf  vor  lauter  Augengeschwulst,  wie  der  Auterbutz  (Schindler,  Bayr. 
Wh.  I".  37.  316),  der  auch  seine  Wangen  und  Lippen  nicht  zum  Saugen 
bewegt;  fast  alle  hätten  einen  unförmlichen  Kropf  am  Halse  und  „eine 
erwachsene,  alte  Haut  über  einem  verkümmerten  Skelete"  bringe  die  ganze 
Abscheulichkeit  dieser  Monstrosität  (in  extremis)  hervor.  Abstufungen 
dieser  bis  zu  den  leichtesten  Formen  haben  auch  die  neueren  Schulärzte 
nachgewiesen:  die  lebensfähigen  Wechselbälge  bleiben  späterhin  meist 
taubstumm,  verkrüppelt,  klein,  blond,  epileptisch,  unreinlich  und  wider- 
wärtig; meist  aber  erlagen  sie  bislang  der  schlechten  Pflege  schon  sehr  früh. 
Das  Wasserkalb  der  Kuh  (s.  Fig.  1)  zeigt  einen  kleinen  Kopf, 
der  in  einem  wulstig  angeschwollenen  Halse  steckt;  die  Ohren  sind  klein; 
der  Rumpf  hat  zu  beiden  Seiten  stark  vorspringende  Wülste,  ähnlich  den 
Poschen  am  Pferde-Dickdarm;  der  Körper  ist  von  oben  und  unten  ab- 
geplattet, das  scrotum  ist  stark  durch  Flüssigkeit  ausgedehnt;  die  kleinen 
Füsse  sind  tief  zwischen  den  Geschwülsten  der  Hautbedeckung  versteckt. 


56 


Höfler: 


Diese  poschenartigen  Geschwülste  sind  mit  einer  lymphatischen  bernstein- 
klaren, gelben  Flüssigkeit  (Myxoedem)  erfüllt  (Speckkalb),  die  auch  die 
Bauch-,  meist  auch  die  Brusthöhle  ausfüllt;  das  Skelet  ist  meist  rhachitisch  (?) 
entartet  (nach  Frank.  Handbuch  der  tierärztlichen  Geburtshilfe,  S.  387 
(1887). 


i 


Fig.  1.     Nach  Frank,  Handbuch  der  tierärztlichen  Geburtshilfe,  S.  387. 


ZT&* 


Fig.  2.    Nach  J.  Ranke,  Der  Mensch  II,  349  (Leipzig  1887). 

Der  menschliche  Wechselbalg  (Wasserbalg,  Mondkalb)  (s.  Fig.  2) 
zeigt  ausserordentlich  dicke  Glieder,  die  durch  eine  monströse  Entwickelung 
des  Unterhautzellgewebes  (Myxoedem)  grosse  Wulste  oder  Poschen  bilden, 
die  durch  querverlaufende  Furchen  getrennt  sind.  Die  geschwellte  Haut 
hat  nicht  Raum  genug  auf  dem  zu  kurzen  Rumpfe  und  Leibe  und  bildet 
daher,  wie  beim  Kalbe,  auch  solche  Poschen;  die  Röhrenknochen  sind  zu 
kurz  und  dünn,  aber  sehr  hart  und  dicht;  die  grossen  und  wulstigen  Lider 
bedecken  das  Auge  fast  ganz:  die  Lippen  sind  dick  und  aufgeworfen,  der 
weit  geöffnete  Mund  ist,  wie  beim  Kalbe,  von  einer  übermässig  grossen 
Zunge  erfüllt,  welche  den  Kieferrand  um  6  mm  überragt  (nach  Yirchow). 
Die  Forschung  der  modernen  Schulärzte  hat  nun  ergeben,  dass  das  Wesen 
der  Krankheit,  die  den  Kretinismus  erzeugende  sogenannte  con- 
genitale oder  foetale  Rachitis  (nicht  zu  verwechseln  mit  der  wahren 
Rhachitis  post  partum)  ist,  worüber  die  medizinischen  Lehrbücher  weiteren 
Aufschluss  geben  können. 


Der  Wechselbalg.  57 

Zu  bemerken  ist,  dass  früher  und  späterhin  auch  jede  nicht  lebens- 
fähige Fötusbildung-  von  etwas  entstellter  Form,  jede  Degeneration  des 
Mutterkuchens  (Blasenmole,  froschleichähnliche  Traubenmole  z.  B.),  das 
Cystovarium,  Lithopaedion,  Uterusmyom  und  der  Hydrops  (asoites)  als 
Wasserkalb x),  Aberkalb  u.  s.  w.  bezeichnet  zu  werden  pflegte.  „Wem  der 
Bauch    fest  gebläht  war,    dem  wollte  das  Wasserkalb  wachsen";    dies  war 

IV.    die  Diagnose  in  der  Volksmedizin; 

dieselbe  kennt  aber  auch 

V.    eine  Prognose. 

Die  Wechselbälge  werden  nicht  alt,  meist  nur  bis  zu  sieben  Jahren. 
Es  kann  gelingen  durch  die  Therapie,  den  Balg  zu  vertreiben;  dann  kann 
das  ausgewechselte  Kind  wieder  erscheinen  (ein  Fingerzeig  dafür,  dass 
Kretinismus  sich  durch  Pflege  verbessern  lässt,  was  auch  Forscher  wie 
Knapp,  Bircher  etc.  bestätigen);  „das  zurückgegebene  Kind  hat  dann 
freilich  viel  vom  Wassermenschen  angenommen"  (A.  Wuttke,  Der  deutsche 
Volksaberglaube,  §  585). 

VI.    Die  Therapie  der  Volksmedizin 

beim  Wechselbalge  ist  vorwiegend  eine  prophylaktische:  zum  Teil  ist  die- 
selbe in  der  Aetiologie  schon  besprochen,  zum  anderen  Teil  ist  auf  Ad. 
Wuttke,  Der  deutsche  A^olksaberglaube  der  Gegenwart.  §  588  ff.  zu  ver- 
weisen, wo  die  diesbezüglichen  Vorschriften  nach  dem  Volksglauben  der 
verschiedenen  Länder  eingehend  angeführt  sind.  Zumeist  sind  es  dämonen- 
vertreibende Mittel  zu  gewissen  Kultzeiten,  das  hochheilige  Salz,  die  Vor- 
taufe und  die  eigentliche  Taufe,  christliche  Kultgegenstände,  Sicherung 
des  Kindes  vor  dem  Berufen  und  Vermeinen  der  Wöchnerin  vor  alten 
Weibern.  Die  eigentliche  Therapie  sind  Schläge  mit  der  hochheiligen 
Haselgerte  oder  der  Birkenrute,  um  den  Alp,  Kobold  u.  s.  w.  aus  dem 
Körper  (Balg)  hinauszuprügeln,  wenn  nötig  unter  Drohworten.  Besprechungs- 
formeln, eigentliche  Bannworte  sind  dafür  nicht  üblich. 

Toelz  in  Oberbayern. 


1)  (wazarkalb,  hydrops,  Gl.  des  9.  Jahrhunderts,  Graff  IV,  391.) 


58  Köhler-Bolte: 

Zu  den  von  Laura  Gonzenback  gesammelten 
sicilianischen  Märchen. 

Nachträge  aus  dem  Nachlasse  Reinhold  Kühlers,    herausgegeben  von  J.  Bolte. 

Gerade  25  Jahre  sind  verflossen,  seit  die  von  Fräulein  Laura  Gonzen- 
bach1) in  Messina  und  Catania  aus  dem  Munde  der  sicilianischen  Land- 
bevölkerung aufgezeichneten  und  verdeutschten  Volksmärchen,  von  Otto 
Hartwig,  einem  gründlichen  Kenner  der  sicilischen  Geschichte,  eingeleitet  und 
von  Reinhold  Köhler  mit  vergleichenden  Anmerkungen  ausgestattet,  im 
Druck  erschienen.2)  Das  92  Nummern  enthaltende  zweibändige  Werk  bot  die 
umfangreichste  Lese  italienischer  Märchen,  die  bis  dahin  veröffentlicht  war, 
und  vermochte  einem  grösseren  Leserkreise  zu  offenbaren,  wie  anmutig 
sich  natürliche  Darstellungsgabe  und  heitere  Phantastik  in  diesen  Erzählungen 
des  südländischen  Volkes  vereinigten.  Und  wie  einst  deutsche  Dichter, 
Wilhelm  Müller,  August  Kopisch,  Paul  Heyse,  mit  Eifer  und  Glück  auf 
die  Schätze  des  italienischen  Volksliedes  hingewiesen  hatten,  so  forderte 
Hartwig  in  seinem  Vorworte  ausdrücklich  die  Freunde  der  Volkspoesie  in 
Italien  auf,  sich  ihrer  Volksmärchen  mehr,  als  es  seit  den  Tagen  Straparolas 
und  Basiles  geschehen,  anzunehmen,  während  Köhler  mit  intimer  Kenntnis 
die  Fäden  aufzeigte,  die  diese  Erzeugnisse  mit  der  Novellistik  ferner 
Völker  und  Zeiten  verknüpften. 

Seitdem  haben  zahlreiche  italienische  Gelehrte  mit  rühmlichem  Eifer 
an  der  Erforschung  ihres  Volkstums  in  Lied  und  Spruch,  Märchen  und 
Sitte  gearbeitet;  in  Sicilien  insbesondere  hat  Giuseppe  Pitre  eine  staunens- 
werte, fruchtbringende  Thätigkeit  entfaltet.  Der  stille  Weimarer  Gelehrte 
aber  verfolgte  dies  rege  Schaffen  und  Treiben  mit  steter  Freude  uud  führte 
mit  unermüdeter  Treue  Buch  über  jede  neue  Märchensammlung,  die  ihm 
weitere  Belege  für  die  unverwüstliche  Lebenskraft  alter  poetischer  Motive 
lieferte.  Daher  erschien  es  nach  Köhlers  Tode  als  eine  Ehrenpflicht  gegen 
den  Verstorbenen,  die  hinterlassenen  Nachträge  zu  den  Anmerkungen  über 
die  sicilianischen  Märchen  nicht  ungenutzt  liegen  zu  lassen;  wird  doch 
ohnedies  die  hilfbereite  Güte,  mit  der  er  aus  seinem  reichen  Wissen  und 
seinen  sorgsamen  Kollektaneen  jedem  Frager  Auskunft  spendete,  von  vielen 
schmerzlich  vermisst. 

Diese  Nachträge,  die  mir  die  Schwestern  Elise  und  Mathilde  Köhler 
zur  Veröffentlichung  anvertraut  haben,    bestehen  teils  in  Randnotizen,    die 


1)  Sic  starb  als  Gattin  des  Obersten  La  Racine  am  IG.  Juli  1878  zu  Messina, 

2)  Leipzig,  Engelmann  1870,  2  Bde.  —  Besprochen  wurde  das  Buch  in  der  Augs- 
burger  Allgem.  Zeitung  1S70,  No.  11  (G.  G.),  im  Litterar.  Centralblatt  1870,  No.  21. 
S.  598  (E.  K.),  in  der  Rivista  bolognese  4,  2  und  in  The  Academy  1870,  p.  170. 


Zu  den  von  Laura  Gonzenhach  gesammelten  sicüianischen  Märchen.  59 

Köhler  seinem  Handexemplare  mit  Bleistift  beigeschrieben  hat,  teils  in 
ausführlichen  Bemerkungen  auf  besonderen  Zetteln.  Meine  Aufgabe  bestand 
darin,  die  häufig  ungeordneten  Citate  in  übersichtlicher  Weise  zum  Abdruck 
zu  bringen  und  die  meist  nur  durch  den  Autornamen  oder  ein  Stichwort  (wie 
ditmarsische,  ossetische  Märchen)  bezeichneten  Werke  genau  kenntlich  zu 
machen1),  bisweilen  auch  eine  fehlende  Seitenzahl  oder  Nummer  zu  er- 
gänzen. Hinzugefügt  und  in  eckige  Klammern  eingeschlossen  habe  ich 
einige  Hinweise  auf  spätere  Veröffentlichungen  Köhlers  und  ein  paar  eigene 
Notizen,  natürlich  ohne  jede  Absicht  der  Vollständigkeit;  namentlich  das 
ausgezeichnete  Buch  von  Crane  „Italian  populär  tales"  (Boston  1889) 
glaubte  ich  regelmässig  berücksichtigen  zu  müssen.  Auch  Kadens  Ver- 
deutschung italienischer  Volksmärchen  aus  den  Sammlungen  von  Pitre, 
Comparetti  und  Imbriani  habe  ich  angeführt,  obwohl  der  Übersetzer,  wie 
Köhler  im  Litterarischen  Centralblatt  1881.  S.  337  dargethan,  unter  falscher 
Flagge  segelt,  indem  er,  seine  Quellen  verschweigend,  sich  als  den  eigent- 
lichen Sammler  geriert. 

1.    Die  kluge  Bauerntochter. 

Zerlegung  des  Huhns:  Et.  Köhler,  Germania  21,  18  [Zur  Magussaga, 
Kap.  1;  vgl.  Germ.  20,  27.").  Köhler,  Anzeiger  f.  deutsches  Altert.  '.).  406 
zu  Grünbaum,  Jüdischdeutsche  Chrestomathie  S.  128.  Hans  Sachs,  Schwanke 
No.  215  ed.  Goetze].  Bernoni,  Tradizioni  popolari  veneziani  1875,  p.  54—58. 
Corazzini,  I  componimenti  tninori  della  letteratura  pop.  italiana  1877, 
p.  432—435.  Pinamore,  Tradizioni  popolari  abbruzzesi  1882,  No.  7. 
NeoeMrjvixä  'Aväkexta  1  (Athen  1870)  S.  29—34  No.  6  [7/  ßaoihooa  mcu  6 
(uvh)js.  Misotakis,  Ausgewählte  griech.  Volksmärchen.  Berlin  1882,  S.  32]. 
Köhler,  Rivista  di  letteratura  popolare  1.  216  (1878).  —  NeoeMqv.  Aval.  1. 
25—29,  No.  5  (Tä  xonuximiyA).  Comparetti.  Novelline  popolari  italiane 
1875,  No.  43  [=  Crane,  Italian  populär  tales  1889,  Xu.  l(»s,  dazu  p.  382J. 
Imbriani.  'A  'Ndriana  Fata.  eunto  pomiglianese  1875,  p.  4.  Pinamore 
No.  36.  De  Nino,  Usi  e  costumi  abbruzzesi  1879.  Xo.  67.  Giambattista 
Basile  4,  4  Romania  11.  415  (Conte  mentonais).  Braga,  Contos  tradi- 
cionaes  do  povo  portuguez  1883,  No.  59.  [Child,  English  and  scottish 
populär  ballads  1,  6  „The  Elfin  Knight".] 

Der  Läufer  bestellt  die  Worte  des  Mädchens,  die  seine  Diebe- 
reien verraten:  Pitre.  Fiabe  novelle  e  raeconti  pop.  siciliane  1875,  No.  198: 
Canti  popolari  siciliani  2  (1871)  No.  847.  Comparetti,  No.  43.  V>of/./jyr. 
'Aval.  1.  25.  Xo.  5.  Sakellarios.  Ta  KvnQiaxd  2,  314,  No.  4  (1891)=  Jahr- 
buch f.  rom.  Phil.  11,  360.  Schiefner.  Ossetische  Märchen,  No.  2  (Melanges 
asiatiques  tires  du  Bulletin  de  l'academie  des  sciences  de  St.  Petersbourg 
5.  703.   1868).     Spitta-Bey.  Contes  arabes  modernes   1883.  No.  3. 


1)  Hierbei  hat  mich  Herr  Hofrat  Dr.  H.  Wernekke  in  Weimar  durch  Nachweise  aus 
Köhlers  hintcrlassener  Bibliothek  gütigst  unterstützt. 


6Q  Köhler  Bolte: 

2.    Maria,  die  Löse  Stiefmutter  und  die  sieben  Räuber. 
3.    Maruzzecla.        4.    Von  der  schönen  Anna. 

Pitre  No.  57  (Spiegel  in  No.  38).  Pitre,  Novelle  pop.  toscane  1885, 
No.  9  „La  scatola  di  cristallo"  =  Crane,  Italian  populär  tales  1889,  p.  326, 
No.  21.  Tuscan  Fairy  Tales  1880,  No.  9.  De  Nino  No.  50.  Corazzini 
p.  435  (Sonne).  Coronedi-Berti,  Novelle  popolari  bolognesi  (1874.  Pro- 
pugnatore  7)  No.  13.  Nerucci,  Novelle  pop.  montalesi  1880,  No.  6  (Strolaga 
statt  Spiegel).  Yisentini,  Fiabe  mantovane  1879,  No  28  (Spiegel).  De 
Gubernatis,  Novelline  di  S.  Stefano  di  Calcinaia  1870,  No.  11.  [Imbriani, 
Novellaja  fiorentina  1877,  No.  17,  p.  154  und  No.  15.  p.  147.  Archivio 
10,  322.]  Consiglieri-Pedroso,  Portuguese  Folk-Tales  (Folk-Lore  Society  9) 
No.  1  (Mädchen  und  Kämraerling).     Coelho,  Contos  populäres  portuguezes 

1879,  No.  35  (auch  Contos  nacionales  No.  20).  Maspons  y  Labros,  Cuentos 
populars  catalans  1885,  2,  No.  20  (Spiegel).  Cerquand,  Legendes  du  pays 
basque  1875.  No.  106.  Riviere,  Contes  pop.  de  la  Kabylie  1882,  p.  215 
(Mond).  Buchon,  La  Grece  continentale  et  la  Moree  1843,  p.  263  (Rodia) 
|=  Legrand,  Contes  populaires  grecs  1881,  p.  140.  Deutsche  Rundschau 
28,  129.  1881.  Misotakis,  Ausgew.  griech.  Volksmärchen  1882,  S.  04 
„Rodia".J.  D'Estournelles  de  Constant  La  vie  de  province  en  Grece  p.  260 
(Sonne).  B.  Schmidt,  Griechische  Märchen  1877,  No.  17.  Dozon.  Contes 
albanais  1881,  No.  1  (Sonne).  —  Sebillot,  Contes  pop.  de  la  Haute-Bretagne 

1880,  No.  21.  [Andrews,  Contes  ligures  1892,  No.  18.  19.  58.  Carnoy  et 
Nicolaides,  Traditions  pop.  de  l'Asie  Mineure  1889,  No.  5.  Jones  and 
Kropf,  Folk-Tales  of  the  Magyars  1889,  No.  35.]  Mailath,  Magyarische 
Sagen,  Märchen  und  Erzählungen  1,  183.  Poestion,  Isländische  Märchen 
1884,  No.  19.  Berntsen,  Folke-Aeventyr  1873—83,  2,  No.  16.  Janson, 
Folke-Eventyr  1878,  No.  1.     Yang,  Gamla  Sagner  fraa  Valdris  1871,  S.  63. 

Zu  Gonzenbach  4  vgl.  Imbriani,  Conti  poiniglianesi  1876,  No.  2. 

Ein  Kleid  mit  Glöckchen  erscheint  auch  bei  Pitre  No.  43,  p.  383 
(2,  53).  De  Gubernatis  No.  3.  De  Nino  No.  29.  49.  Nerucci  No.  11. 
Comparetti  p.  99,  No.  23.  Maspons  1,  No.  20.  —  Pandora  1787,  S.  28. 
Vulpius,  Kuriositäten  3,  212.  Rosenkranz,  Neue  Zeitschr.  d.  thür.  sächs. 
Geschichtsvereins  1,  1,  13.  Förstemann,  Kl.  Schriften  zur  Gesch.  Nord- 
hausens 1,  153.  Engl.  Studien  3,  104  (Sattel,  Zügel).  Child,  English 
Ballads  2,  320. 

5.  Die  verstossene  Königin  und  ihre  beiden  ausgesetzten  Kinder. 

Lies  Pröhle,  Kindermärchen  No.  3  [statt  5].  Ferner  Frommanns  Zeit- 
schrift Die  deutschen  Mundarten  4,  263.  .  Bechstein,  Märchenbuch  1845, 
S.  250.  [Köhler,  Melusine  1,  213  und  bei  Schiefner,  Awar.  Texte  1873, 
No.  12.     Pitre  No.  36  =  Crane  No.  4,  p.  325,  10.   355,  9.    Prato,  Novelline 


Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten  sicilianischen  Märchen.  61 

popolari  livornesi  1880,  No.  2  „Le  tre  ragazze".  Comparetti  No.  6.  30. 
Coronedi-Berti  No.  5.  Visentini  No.  46.  Imbriani,  Nov.  fior.  No.  8,  p.  69 
und  No.  6,  p.  40.  De  Gubernatis  No.  16.  Cosquin.  Contes  pop.  de  la 
Lorraine  No.  17.  Maspons  y  Labros,  Rondallayre  No.  14.  29.  NeosMrjvixa 
"Aval.  1,  1,  No.  4.  Zigeunermärchen  im  Ausland  1881,  746.  Prym-Sociu, 
Dialekt  des  Tür  Abdin  1881,  No.  35.  1001  Nacht,  103  der  Breslauer  Ausg. 
Stokes,  Indian  fairy  tales  1880,  p.  242.  247.] 

6.  Von  Joseph,  der  auszog  sein  Glück  zu  suchen. 

Pitre,  Fiabe  No.  50  [=  Kaden,  Unter  den  Olivenbäumen  1880,  S.  107. 
Vgl.  Crane  p.  77  und  344,  26.  Cosquin  2,  16  zu  No.  32.  —  Köhler,  Archiv 
f.  slav.  Phil.  5,  461].  Finamore  No.  19.  Consiglieri-Pedroso  No.  8.  Coelho, 
Contos  nac.  No.  18.  NeoeXX.  'AvdXexra  1,  56,  No.  11.  Radioff,  Volkslitteratur 
der  türk.  Stämme  Südsibiriens  4,  318.     1001  Nacht  4,  120  Weil. 

Zu  der  Einnähung  des  Helden  in  eine  Tierhaut,  die  von  Vögeln 
auf  einen  hohen  Berg  getragen  wird,  vgl.  J.  Grimm,  Kleinere  Schriften 
4,  40  (Hüon).  Spiller.  Ztschr.  f.  d.  Altert.  27,  175  f.  Goedeke,  Reinfrit 
von  Braunschweig  1849,  S.  107  [ed.  Bartsch  1871],  Pitre  No.  50.  Academy 
1891,  March  21,  p.  284. 

7.    Die  beiden  Fürstenkinder  von  Monteleoue. 

Lope  de  Rueda,  Eufemia.  Seine  Komödien,  übersetzt  von  A.  Germond 
de  Lavigne.  [Rapp,  Spanisches  Theater  1,  1S7 — 241.  1868.  |  A.  de  Latour, 
Etudes  sur  l'Espagne  2,  33.  Perd.  Wolf,  Studien  607.  Prutz'  Litt.  hist. 
Taschenbuch  1,  231.  Moratin,  Origenes  del  teatro  esp.  Lemeke,  Hand- 
buch. Klein,  Gesch.  d.  span.  Dramas.  Papanti,  Catalogo  dei  novellieri 
italiani  2,  p.  VII— XXIV  (1871).  Batacchi,  Novelle  2,  17  „La  Pianella". 
Pitre  No.  75.  Imbriani,  Novellaja  fiorentiua  No.  31.  De  Gubernatis  No.  10. 
Finamore  No.  36.  Giamb.  Basile  4,  3.  Romania  11,  415  f.  (conte  mentonais). 
Simrock,  Märchen  No.  51  und  Quellen  des  Shakespeare12  1,  276.  Madsen, 
Folkeminder  fra  Hanved  Sogn  1870,  S.  33.  [R.  Köhler,  Gott.  Gel.  Au/. 
1871,  1411  und  Littbl.  f.  germ.  u.  rom.  Phil.  1883,  270  über  Rochs,  über 
den  Veilchenroman,  Halle  1882.  Kalff,  Gescliiedenis  der  nederl.  letterkunde 
in  de  XVI.  eeuw  1889,  1,  387.  Lanehams  Letter  ed.  by  Furnivall  1890, 
p.  XXV.  Grünbaum,  Jüdischdeutsche  Chrestom.  S.  421. j  —  Auf  ähnliche 
Weise,  sagt  Grimm  (Altd.  Wälder  1,  67),  schwätzt  der  rote  Ritter  in  dem 
dänischen  Volksbuche  Lyckens  Tumle-Klode  [Köhler  besass  einen  Kopen- 
hagener  Druck  von  Nissen  von  c.  1857,  24  S.  8]  der  Amme  das  heimliche 
Mal  der  Königstochter  ab.  in  welcher  Geschichte  jedoch  alles  andere  von 
Grund  aus  abweicht. 

Der  Bruder  will  das  Blut  der  vermeintlich  schuldigen 
Schwester  trinken:  Pitre  1,  89.  212.  214,  Anm.     Webster  23. 


62  Köliler-Bolte: 

8.    Bauer  Wahrhaft. 

Pitre  No.  78  (Lu  zu  Viritati)  und  4,  391.  Le  tre  maruzze.  Imbriani, 
Conti  pomigl.  No.  1.  [=  Graue  No.  48,  dazu  p.  360.]  Coelho  No.  56. 
Braga  No-.  58.  Azeveclo,  Romanceiro  tlo  archipelago  da  Madeira  1880, 
p.  -11?).  Vgl.  auch  Keller,  Fastnachtspiele  1,  351,  No.  4(5.  [Oesterley  zu 
Gesta  Rom.  lll.J 

[Zu  dem  Aufpflanzen  des  Stockes  und  dem  Gespräch  mit  ihm  vgl. 
Bolte,  Das  Danziger  Theater  im  16.  u.  17.  Jahrhundert,  1895,  S.  175] 

9.    Zafarana. 

Zum  Teil  vgl.  Pitre  No.  39.     [Krauss  1,  281,] 

Über  das  Lausen  des  Kopfes  durch  das  Mädchen  (S.  49)  vgl. 
No.  23  (S.  145).  Grimm,  Märchen  No.  29.  92  [auch  3,  116  zu  No.  65]. 
Cosquin,  Contes  pop.  de  Lorraine  No.  23.  Dozou,  Chansons  pop.  bulgares 
p.  1741.  339.  Halm,  Griech.  u.  albanes.  Märchen  1864,  Register  s.  v.  Lausen. 
Bibl.  de  las  tradiz.  pop.  esp.  1,  110  (y  yo  le  buscare  un  piojito).  Folk- 
lore andaluz  1882,  S.  310.  403.  Romero,  Contos  populäres  de  Brazil  1885, 
p.  40.  51.  Wuk,  Volksmärchen  der  Serben  No.  31,  S.  185  (Krauen  des 
Kopfes;.  Janson  No.  10.  Hylten  -  Cavallius,  Schwed.  Volkssagen  1848, 
No.  4.  Kamp,  Danske  Folkeäventyr  1879,  No.  190  (Lysk  mig,  lysk  mig). 
Poestion.  Lappl.  Märchen,  S.  150.  167.  175.  Child,  Ballads  1,  27  b.  32  a. 
37  b.  49  a.  Tobler,  Schweizer.  Volkslieder  2,  171.  Remisch,  Die  Bilin- 
s]»rache  1883,  1,  173.  [Erk-Böhme,  Liederhort  No.  41  a  „Ulinger",  Str.  10. 
No.  42  a,  Str.  5.    No.   195,    Str.  5.     U.  Jahn,  Volksmärchen  aus  Pommern 

I,  23  No.  3.] 

10.    Die  jüngste  kluge  Kaufmanustochter. 

Pitre  No.  22.  23.  Imbriaui  No.  22.  23.  Nerucci  No.  2.  47.  Comparetti 
No.  18.  1.  Giamb.  Basile  1885,  8.  Sakellarios  No.  1  [=  Jahrb.  f.  roman. 
Litt.  11,  355.  Misotakis  S.  124.].  B.  Müller,  Aus  Davos  S.  &2.  Kamp  54. 
—  Zum  Teil  E.  Meier,  Volksmärchen  aus  Schwaben  1852,  No.  63  |  Grimm 
No.  40]. 

Zu  dem  Schlafzettel  vgl.  Pitre  No.  22.  21.  De  Gubernatis,  Zoologicnl 
Mythology  1870,  2,  36.  Giamb.  Basile  2,  53.  Wright,  Latin  stories  126, 
mit  Anm. 

[Zu  dem  silbernen  Adler,  in  dem  sich  der  Räuber  versteckt,  vgl. 
unten  zu  No.  68.] 

II.  Der    böse    Schulmeister    und    die    wandernde   Königstochter. 
Dozon,  Contes  albauais  No.  7.    AeXriov  T>~jg  iotoq.  xai  ethoA.  haigias  Ti~h~ 

cEXXddog  1,  345.  Pitre  No.  66  zum  Teil.  Imbriani,  Le  sette  mane-mozze 
1877.  Consiglieri-Pedroso  No.  15  u.  29.  Braga  No.  35.  Perle  d'esperance. 
Riviere  204.     De  Nino  No.  73.     [Archivio  10,  311.] 


Zu  den  von  Laura  Gonzenbaeli  gesammelten  sicilianischen  Märchen.  63 

Zum  Eingänge  vgl.  Bernoni  No.  15;  zum  weiteren  Verlaufe  Visentini 
No.   14. 

[Über  die  märchenhafte  Zeitbestimmung  (7  Jahre,  7  Monate.  7  Tage) 
vgl.  Köhler  bei  Sarnelli,  Posilecheata  ed.  Imbriani  1885.  p.   168.] 

12.    Von  der  Königstochter  und  dem  König  Chicchereddu. 

Zum  Eingange  vgl.  Giamb.  Basile  1883,  No.  10.  Archivio  3,  535.  — 
Comparetti  No.  33.     Melusine  1,  H6.     [Pitre  No.  287.  | 

Die  Hemmung  der  Entbindung  durch  eine  Zauberin  auch  bei 
Pitre  No.  18.  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  1879,  S.  322.  Lammert,  Volks- 
medizin, S.  165.     [Child,  English  populär  ballads  1,  84.] 

13.    Die  Schöne  mit  den  sieben  Schleiern. 

Pitre  1,  119,  No.  13.  4,  285;  Otto  fiabe  No.  2  (1873.  Propugnatore  ('.). 
Coronedi-Berti  11.  Consiglieri-Pedroso  No.  3  (2).  Nerucci  No.  14.  Com- 
paretti No.  11.  Busk,  Folklore  of  Ilome  1S74,  p.  15.  De  Gubernatis 
No.  5.  4;  Zoolog.  Myth.  2,  242.  Imbriani.  Nov.  fior.  No.  1(.»:  Novellaja 
milanese  1872,  No.  7,  Anm.  Rondallayre  1875.  1,  No.  18.  2,  Xu.  11. 
Deulin.  Contes  du  roi  Cambrinus  1874,  |».  UM.    B.  Schmidt  Xo.  5.      \sXriov 

1,  158.     Asbjörnsen,   Norske  folke-eventyr  No.  66.     [Archivio  10.  305]. 

Sieben  Schleier  (2.  211**)  auch  in  No.  2!».  S.  190;  sieben  Decken 
No.  21.  S.  133.  Comparetti  X«».  11.  p.  153.  Bernoni  p.  84.  Pitre  1,  343. 
2,42.  113.  B.  Schmidt  No.  13.  De  Nino  p.  203.  Fünf  Schleier  B  Schmidt 
No.  4.  —  Vgl.  auch  Rot,  weiss  und  schwarz  Cab.  des  Fees  31.  Kletke, 
Märchensaal  1,  181.     Busk  p.  427. 

Zum  Eingange  vgl.  Pitre  No.  13.  13.  he.  Fiabe  pop.  rovignesi  1N79. 
No.  1  [=  Crane  No.  24,  p.  338].  Prato  No.  1  (La  bella  dei  sette  cedri). 
Mourier,   Contes  et  legendes  du  Caucase  1888,  No.  4. 

Auf-  und  zuschlagende  Thür  festgehakt:  Comparetti  10.  Ive, 
Fiabe  1.  Kristensen,  Aeventyr  fra  Jylland  1881 — 84,  2.  No.  50.  Grundt- 
vig,  Danske  Folkeaeventyr  1876,  No.  16.  Ralston,  Uussian  folk-tales  1*73. 
139.  Goldschmi.lt.  Russ.  Märchen  1883,  S.  162  f.  Berntsen  2,  Xo.  12. 
De  Nino  No.  12.  Imbriani  No.  12.  Prato  71.  121.  De  Gubernatis  Xo.  2 
(cardini  stridenti).     Visentini  No.  10      Cosquin  zu  No.  65. 

Löwe  und  Esel  streiten  sich  um  Heu  und  Knochen:  \f.Xtiov  1.  149. 
Prym  228.  Enciclopedia  25.  Okt.  187!).  Pogatschnigg  No.  9  [in  Carinthia 
1865,  438]. 

Schlechte  Feigen  und  bittres  Wasser  gelobt:  Prato  a.  a.  0.  Pitre 
No.  18.     B    Schmidt  zu  No.  6.     Ausland  1881,  S.  798  (Zigeunermärchen). 

Mir  Knüppeln  statt  mit  Besen  kehren:  Köhler.  Archiv  f.  slav.  Phil. 

2,  628    (Südslav.  M.  Xo.  27).     Prato  a.  a.  0.     Comparetti  10.   33.     Ive   1. 
Grargiolli,  Novelline  pop.  delle  Marche  1878,  No.  2.     Enciclopedia  25.  Okt. 


64  Köhler-Bolte: 

1879.  Grundtvig  No.  16.  [De  Gubernatis  No.  2.  Imbriani,  Nov.  fior.2 
No.  16.] 

Die  Riesin  geht,  ihre  Zähne  zu  wetzen:  Anm.  zu  Hahn  No.  65 
(nicht  15).  Basile,  Pentamerone  2,  100  Liebrecht.  Ralston  p.  142. 
B.  Schmidt  No.  5. 

Braut  vergessen  infolge  eines  Kusses  der  Mutter:  De  Gubernatis 
No.  5.     [Crane  p.  344  oben.] 

Rot  wie  Blut,  weiss  wie  Schnee  (Marmor,  Käse),  schwarz  wie 
Rabe:  De  Gubernatis  No.  5.  Busk  p.  15.  [R.  Köhler,  Aufsätze  über 
Märchen  und  Volkslieder  1894,  S.  29 3.]  La  tavola  ritonda,  o  l'Istoria  di 
Tristano  ed.  Polidori  1864,  1,  94.     Stokes  und  Windisch,  Irische  Texte  2, 

2,  113.  K.  Zimmer,  Keltische  Studien  2,  200.  Revue  celtique  5,  232. 
Dozon  No.  24,  p.  178.  Godin.  Berntsen  2,  No.  16.  Comparetti  No.  11. 
Yisentini  No.  9  (weiss  wie  Marmor,  rot  wie  Blut),  No.  42  (weiss  wie  Schnee, 
rot  wie  Blut).  Corazzini  No.  10  (weiss  wie  Ricotta,  rot  wie  Blut).  Grön- 
borg,  Optegnelser  pä  Vendelbomäl  1884,  S.  103.  Berntsen  1,  239,  No.  30. 
Finamore  p.  216  (rot  und  weiss  wie  ein  Apfel).  Poestion,  Isl.  Märchen, 
S.  239.  J.  J.  Schmidt,  Gesch.  der  Ostmongolen  1829,  S.  139  (Elbek  schiesst 
einen  Hasen  und  sieht  sein  Blut  im  Schnee). 

Reime:  „Cuoco  de  la  cocina,  Che  fa  lo  re  co  la  Saracina?"  Basile, 
Pentam.  V,  9.  Finamore  No.  50.  Coronedi-Berti  No.  11.  Corazzini  p.  469. 
Busk  p.  18.  19.  25.  Ive  a.  a.  O.  Pitre  1,  118.  Imbriani  a.  a.  O.  Prato 
p.  77  zu  No.  1. 

Die  Sklavin  spricht  sich  selbst  ihr  Urteil:  Imbriani,  Nov.  fior. 
p.  312  u.  XIII.     B.  Schmidt  No.  5.     Aehiov  a.  a.  0. 

Eine  Hässliche  sieht  im  Wasser  den  Schatten  einer  Schönen 
(1,  81):  Basile,  Pentam.  V,  9  =  2,  240  Liebrecht.  Corazzini  p.  468. 
Nerucci  No.  14.    Prato  26.  27.    Aefaiw  1,  162  f.    Wolf-Mila  41.    Rondallayre 

3,  147.  Bibliot.  de  las  tradic.  pop.  esp.  1,  109.  Consiglieri-Pedroso  No.  2.  3. 
Coelho,  Contos  nac.  No.  22.  Romero  No.  14.  Antananarivo  Ann.  No.  3, 
p.  110  =  Folk-lore  Journal  1,  236.  2,  135  (madagaskisch).  Campbell  1, 
34.  56.  Köhler,  Revue  celtique  3,  378.  Schott,  Walach.  M.  S.  250.  Hylten- 
Cavallius  No.  14.  B.  Djurklou  S.  77.  Ayrer,  Sidea  [4,  2205  ed.  Keller 
=  Tittmann,  Schauspiele  des  16.  Jahrb.  2,  277J.  Simrock,  Märchen  S.  369. 
Zeitschr.  f.  d.  Mythologie  4,  321.  —  Bei  Stier  86  und  Hahn  1,  271  fehlt 
das  Wegwerfen  oder  Zerbrechen  des  Kruges.  Entstellt  ist  Zingerle  1, 
No.  11. 

Verwandlung  in  Taube  durch  eingestochene  Nadel  (1,  82): 
Stokes,  Indian  fairy  tales  S.  254.     [Cosquin  1,  235.] 

14.    Von  der  schönen  Nzentola. 

Consiglieri-Pedroso  No.  4.  Folklore  Journal  1,  316.  Luzel,  Veillees 
bretoimes  1879,  p.  11.    Bartsch,  Sagen  aus  Mecklenburg  1879,  1,  477,  No.  3. 


Zu  den  von  Laura  Gronzenbach  gesammelten  sicilianischeu  Märchen.  65 

Über  die  vergessene  Braut  vgl.  Köhler,  Revue  celt.  3,  376.  [Pitre 
No.  13  =  Crane  No.  15,  p.  343  Kaden  8.  122.]  Finamore  No.  4.  40.  41. 
Nerucci  No.  18.  Busk  p.  3  „Filagranata".  Djurklou,  Sagor  och  äfventyr 
1883.  S.  71.  Grundtvig  No.  5.  Pröhle,  Kiuder-  und  Yolksmärchen  1853, 
No.  8.  Webster,  Basque  legends  1877,  S.  120.  Miklosick,  Mundarten  der 
Zigeuner  1874,  Märchen  No.  15.  Ralston  p.  120.  [Cosquin  No.  32.  Rua, 
Novelle  del  Mambriano  1889,  p.  86.  Lemke,  Volkstümliches  in  Ostpreussen 
2,  139.   156.] 

Redender  Speichel:  Leger,  Contes  pop.  slaves  1882,  No.  8.  Ralston 
142.     Webster  125. 

Verwandlungen  auf  der  Flucht:  No.  32  Cosquin  No.  9.  Pitre 
No.  15  (21,  p.  194.  199).  De  Gubernatis  No.  5.  6.  Consiglieri  -  Pedroso 
No.  4.  Finamore.  Nerucci  No.  18.  Corazzini  No  10.  Ortoli,  Contes  pop. 
de  Corse  1883,  p.  27.  Rivista  1,  84.  Archivio  1,525.  Maspons  y  Labros 
2,  No.  4.  1,  No.  19.  Braga  No.  32.  Coelho  No.  14.  Carnoy,  Litt,  orale 
de  la  Picardie  1883,  No.  2.  Janson  No.  6.  Sebillot,  Contes  pop.  Leger 
No.  8.  Ralston  a.  a.  O.  Miklosich  a.  a.  0.  Krauss  1,  No.  48.  G.  Zeynek, 
Ein  Beitrag  zur  Sammlung  des  Volkstüml.  im  temescher  Banat  (Ausschnitt). 
S.  343.  Bartsch  No.  3  (Rosenstock  u  Rose,  Karoussel  u.  Besitzer,  See  u. 
Ente).     Berntsen  1,  No.  25      Cerquand  No.  99. 

Kuss  als  Ursache  des  Vergessens:  Pitre  1,  122.  Busk  p.  3  „Fila- 
granata".  Coronedi  -  Berti  11.  Finamore  12.  41  Nerucci.  Consiglieri- 
Pedroso.  De  Gubernatis  No.  5.  Archivio  1,  523.  530.  2,  73.  Rivista  1,  84. 
B.  Schmidt  No.  5.  12.  Carnoy  No.  2.  Webster  127.  Ralston  131. 
[Andrews  No.  8.] 

Wiedererweckung  der  Erinnerung  durch  zwo i  Taub en :  Pitre 
Xo.  13.  15.  Finamore  No.  12.  De  Gubernatis  No.  5.  Rivista  l,  85  (ent- 
stellt). Busk.  Coronedi-Berti.  Nerucci.  Luzel,  5.  rapport  sur  uue  mission 
en  Bretagne  p.  28  (in  Archives  des  missions  sciontifiques  et  litteraires 
3.  ser.,  vol.  1.  1873).  Coelho  No.  14.  Leger  No.  8.  Ralston  131. 
Djurklou.  Berntsen.  [Andrews  Xo.  8.  U.  Jahn.  Volksmärchen  aus 
Pommern  1,  No.   l.J 

15.    Der  König  Stieglitz. 

De  Gubernatis,  Zoolog.  Mythol.  2,  286.  Pitre  No.  18.  Var.  De  Nino 
No.  13.  Archivio  1,  424.  2,  166.  Coelho  No.  44.  Fleury  S.  135.  Kamp, 
Danske  Folkeminder  No.  914.  Grundtvig  No.  16.  Vang,  Gamla  Regio 
1850,  No.  1  -  [H.  Ross,]  Ein  Soge-Bundel  1869,  19.  Bergh,  Nye  Folke- 
Eventyr  fra  Valders  1879,  S.  1.  Godin,  Poln.  Volksmärchen,  S.  119. 
Pitre,  Nuovo  Saggio  1873,  No.  5  (Namen  wissen  wollen);  Fiabe  No.  1 
[=  Kaden  S.  89]  (sehr  abweichend),  18  (Namen  wissen  wollen  -  Crane 
Xo.   1).     Eigentümlich    entstellt    ist  Sebillot   No.  28.     Ungar.  Revue   1888, 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1896.  5 


gg  Köhler-Borte: 

S.  438.    [R.  Köhler,  Aufsätze   1 894.  S.  198.     Blade,  Contes  rec.  en  Agenais 
p.  145.     Crane  p.  321.     Romania  10,  133.] 

Das  Mädchen  beleuchtet  den  schlafenden  Jüngling  und  lässt 
einen  Tropfen  Wachs  auf  seine  Stirn  fallen  (1,  95):  Basile,  Pentam.  II,  9 
V,  4.  Pitre  No.  18,  Var.  De  Ghibernatis,  Zoolog.  Mythol.  2,  286.  De  Ninö 
No.  13.  Archivio  1,  424.  2,  166.  Coelho  No.  44.  Braga  No.  2  und  14. 
Bibliot.  de  las  trad.  pop.  esp.  1,  129  (Schwefelhölzchen;  ein  Funke  fällt 
dem  Jüngling  ins  Gesicht).  Fleury  135.  Kristensen  2,  No.  52  (drei  Talg- 
tropfen). Bergh  3.  3  (desgl.).  Berntsen  1,  No.  20  (da  dryppede  Lyset  ned 
paa  hans  Ansigt);  1,  No.  29  (Jüngling  schlägt  Feuer  an,  Königstöchter 
erwacht).  Grundtvig  1,  100  (Frau  des  weissen  Hundes  zündet  Licht  an, 
drei  Talgtropfen  fallen  auf  seine  Brust).  Kamp,  Danske  Fm.  No.  914 
(Frau  des  Prinzen  Weissbär,  drei  Talgtropfen  auf  seinen  Hals).  Yang, 
(iamla  Regio  1  =  Sagabundel  19  (ein  Talgtropfen  auf  die  Achsel  des  Yyl- 
ritters).  Bergh,  Sogur  7  (Frau  des  Eichhorns,  drei  Tropfen);  NFE.  No.  1 
(Frau  des  Königs  Weissbär  lässt  drei  Harztropfen  vom  Span  auf  seinen 
Arm  fallen).  Asbjörnsen  No.  41.  Hylten-Cavallins  No.  19.  Grrundtvig 
No.  16  (Frau  des  Wolfprinzen  zündet  Licht  an  und  küsst  ihn).  Godin 
S.  119  (Frau  des  Drachenprinzen,  Fünkchen  von  der  Kerze). 

Zum  Schwüre  der  alten  Hexe  vgl.  Hahn  2,  294,  Anm.  Basile, 
Pentam.  IV,  8  (2,  109  Liebrecht).     Pitre  No.   18.     Comparetti  No.  33. 

Zum  Kästchen,  das  die  Frau  nicht  öffnen  darf,  vgl.  Pitre,  Saggio 
No.  5;  Fiabe  No.  18.  Imbriani  No.  16.  Comparetti  33  (10).  Yisentini 
No.  20.  Enciclop.  25.  Okt.  1879,  p.  344.  Cosquin  zu  No.  65.  Wigström 
in  Svenska  Landsmälen  5,  1,  S.  35  (1884).  Kristensen  2,  No.  50.  Grundtvig 
No.  16.     Bergh,  NFE.  S.  11  (Brautschmuck  ans  der  Hölle  holen). 

Thür,  Strom,  Hund  und  Esel:  Pitre  No.  18.  Wigström  in  Svenska 
Landsmälen  5,  1,  S.  29.  33.     Kristensen  a.  a.  0.     Bergh,  NFE.  S.  12. 

Kerze  in  der  Hochzeitsnacht  halten  (S.  101):  Pitre  No.  17—18 
[=  Crane  No.  1,  p.  6].  Comparetti  No.  33.  Grundtvig  No.  16.  Bergh  19. 
Kristensen  2,  No.  50.     Sv.  Landsm.  5,  1,  S.  36. 

16.    Die  Geschichte  von  dem  Kanfmannssohne  Peppino. 

Pitre  No.  82  |'=  Kaden  S.  211].  Comparetti  No.  27.  Nerucci  No.  33. 
Maspons  1,  No.  1,  p.  15  u.  No.  16,  p.  76.  De  Gubernatis  No.  23.  Webster 
82.  Ralston  S.  100.  108.  113.  Brueyre,  Contes  pop.  de  la  Grande-Bretagne 
1875,  p.  81  ff.     Radioff  4,  505.     [Crane  p.  7.  324.  J 

Lebenskraft  eines  Riesen  an  ein  Ei  geknüpft:  Pitre  No.  81.  Yar. 
u.  82.  Imbriani  p.  10.  194.  [Cosquin  1,  173.  Leskien-Brugman  zu  No.  20. 
Andrews  No.  46.  Jahn,  Ym.  aus  Pommern  1,  348.]  —  Das  auf  S.  216 
zweimal  vorkommende  Citat  „Asbjörnsen  4"  ist  in  „Asbjörnsen  36"  ab- 
zuändern. 


Zu  den  von  Laura  G-onzenbach  gesammelten  sicilianischen  Märchen.  Q7 

17.    Von  dem  klugen  Mädchen. 

Pitre,  Nov.  pop.  tose.  No.  14.  Comparetti  No.  21  [=  Kaden  S.  205]. 
Imbriani,  Nov.  fior.  No.  37  =  Nerucci  No.  29.  Prato,  Romania  13,  160 
=  Gli  ult.  lavori  28. 

Proben  eines  als  Mann  verkleideten  Mädchens:  Leskien-Brugman, 
Litauische  Volkslieder  und  Märchen  1882,  No.  19  und  Anm.  8.  562.  De 
Nino  No.  55.  Comparetti  No.  17.  Archivio  3,  365.  Romero  No.  32. 
Yinson  p.  73.     Janson  No.  5.     [Lemke  2,  141.] 

18.    Die  gedemiitigte  Königstochter. 

Pitre  No.  105.  Coronedi-Berti  No.  15  =  Crane  p.  110,  No.  29.  Nerucci 
No.  22.  [Gradi,  La  vigilia  di  pasqua  di  Ceppo  1860,  p.  97.  |  Coelho  No.  43. 
Cosquin  No.  44.  Sebillot  No.  23.  Kennedy  p.  114.  [Lemke,  Volkstüm- 
liches in  Ostpreussen  2,  101.  Jahn,  Volksmärchen  aus  Pommern  1,  No.  12. 
Ralston,  Tibetan  Tales  1882,  p.  LVI1I.  Cederschiöld,  Clarus-Saga  (Lund 
1879  mit  Köhlers  Anmerkung  auf  S.  I)  und  Svenska  Landsmalen  5,  6,  98.] 
Wigström,  Svenska  Landsmälen  5,  1,  38.  [Bergström  och  Nordlander 
ebenda  5,  2,  6.  Nyrop  ebenda  2,  CIV,  No  24.  Bugge,  Studier  over  de 
nordiske  gude-  og  heltesagne  oprindelse  1,  136.  1882.]  Bondeson,  Svenska 
folksagor  1882,  No.  24.     Madsen  65.     Kristenseu   1.  No.   13.  14. 

Über  die  Novelle  Alamannis  vgl.  Passano,  Novellieri  italiani  in  prosa 
2.  ediz  2,  5.  [In  einein  Referate  über  E.  Gigas'  Vortrag  ,Et  eventyrs 
vandringer'  in  Kort  udsigt  over  det  philologisk-historiske  sainfunds  virk- 
somhed  21—22  (1874-76),  S.  18  wird  auf  eine  dieser  Novelle  ähnliche 
spanische  Romanze  ,La  infantina  de  Francia'  in  Durans  Romancero  general 
1,  163,  No.  308—316  hingewiesen;  ferner  auf  1001  Nacht  15,  57.  216,  auf 
Alamanni,  Basile,  Gonzenbaeh,  Grimm,  Asbjörnsen,  endlich  auf  Grundtvigs 
Folkeminder  3.  1  und  Andersens  Märchen  ,Svinedrengen'.] 

19.  Gevatter  Tod. 
[Pitre  No.  109.  Crane  p.  369,  26.  Bolte,  Das  Märchen  vom  Gevatter 
Tod,  in  dieser  Zeitschrift  4,  34;  dazu  Zeitschr.  f.  vgl.  Littgesch.  7,  450, 
Anm.  Jahn,  Volkssagen  aus  Pommern  1886,  No.  43;  Volksmärchen  aus 
Pommern  1,  No.  9.  10.  Am  Dresdener  Hofe  wurde  1677  das  Possenspiel 
vom  Gevatter  Tod  und  Teufel  (wohl  nach  Ayrer)  aufgeführt;  vgl.  E.  Vehse, 
Geschichte  der  deutschen  Höfe  31.  69.  1854.  Ein  Nachspiel  ,Tod  und 
Teufel'  erscheint  auch  im  Repertoire  der  Laufner  Schiff leute;  vgl.  R.  M. 
Werner,  Der  Laufner  Don  Juan  1891,  S.  60.  Blanches  schwedische  Be- 
arbeitung von  Haffners  Volksstück  wurde  von  E.  Bluhme  unter  dem  Titel 
.Der  Tod  als  Pate-  ins  Deutsche  zurückübersetzt  und  im  November  1894 
auf  dem  Berliner  Nationaltheater  gespielt.  H.  Steinhausen,  Gevatter  Tod, 
Barmen  1884.  C6opHHfCb  otb  6b;irapcKn  Hapo$nn  yMOTBopemiH  2,  1,  185,  No.  12 
und  494,  No.  276;  Sofia  1892—94.] 

5* 


68  Köhler-Boltc: 

[Eine  Höhle  mit  Lebenslichtern,  in  der  ein  Mädchen  von  seiner 
verstorbenen  Patin  herumgeführt  wird,  bei  Zingerle.  Sitten.  Bräuche  und 
Meinungen  des  Tiroler  Volkes,  2.  Aufl.  1871,  S.   ICO.] 

20.    Von  dem  Patenkind  des  hl.  Franz  von  Paula. 

Comparetti  No.  38.  Bernoni  No.  15.  Finamore  No.  49.  Cosquin 
No.  38.  Leskien -Brugman  No.  44.  Rink  No.  66.  [Crane  p.  83.  344. 
Pitre  No.  114] 

Ist  es  besser,  in  der  Jugend  oder  im  Alter  zu  leiden?  Riviere 
201.  Pellizzari  p.  127.  R.  Köhler,  Ztschr.  f.  roman.  Phil.  3,  276  [Haxt- 
hausen,  Transkaukasia  1,  334.     Tendlau,  Fellmeiers  Abende  1856.  S.  105]. 

21.    Die  Geschichte  von  Caterina  und  ihrem  Schicksal. 
[Übersetzt  bei  Crane  No.  28.]     Pitre  No.  86.     [Archivio  10,  311.  | 
Das   Schicksal    einer  einzelnen  Person  personifiziert:    Pitre  No.  12. 

29.     Giamb.    Basile    2,  6.      [Köhler,    Aufsätze    S.    108    „Von    Glück    und 

Unglück".] 

[Weinhold,    Glücksrad  und  Lebensrad.     Abh.   der  Berliner  Akademie 

1892.] 

22.    Vom  Räuber,  der  einen  Hexenkopf  hatte. 

Pitre  No.  21  (ohne  die  Laus). 

Floh-  oder  Lausfell  erraten:  Basile,  Pentamerone  I,  5  (Flohfell). 
Pio  S.  104  (Lausfell)  Schneller  No.  31  (Handschuhe  aus  Lausfell).  Cenac 
Moncaut,  Jahrb.  f.  roman.  Lit.  5,  13  (Kasten  mit  Wanzenfell  überzogen). 
Blade,  Contes  rec,  en  Agenais  1874,  No.  5  (Wanze).  Dozon  No.  4  (Laus, 
die  wie  ein  Bock  aussieht).  Köhler,  Archiv  f.  Littgesch.  12,  122  zu  No.  8. 
Krauss  1,  Xo.  65.  Grimm  3,  267  (Kleid  von  Lausfell).  Grundtvig  No.  16 
(Lausfell  über  ein  Ladeport).  Bergh,  Nye  Folke-Ev.  S.  32  (Schuh  aus 
Flohfell).  Coelho  No.  39  (Trommel  mit  Lausfell  bespannt).  Caballero  137 
(desgl.).  Webster  191.  Vinson  70.  Spitta  No.  5  (Lausfell  am  Thor  auf- 
gehängt, wie  bei  Gonzenbach).  Neoe/./.tjr.  'AvdXejcta  2,  118.  Grimm  3,  87, 
Z.  9  (Wolfshaut).  | Blade,  Contes  pop.  de  la  Gascogne  3,  36.  Andrews 
No.  3  „La  peau  de  puce".] 

23.    Die  Geschichte  vom  Ohime. 

Pitre,  Nuovo  Sagg.  No.  4.  Fiabe  No.  19  [=  Kaden  S.  73],  21  u.  22. 
De  Xino  No.  67.  Nerucci  No.  49.  Imbriani.  Nov.  fior.  No.  28.  Folklore 
andaluz  309;  vgl.  Bibl.  2,  25.  B.  Schmidt  No.  24.  Aekriov  1,  296.  Krauss  1, 
No.  44. 

Ein  Riese  erscheint,  wenn  man  Ach  ruft:  Schiefner,  Awarische 
Texte  No.  5  (Ohai).  Imbriani,  Novell,  fior.2  p.  328  (O  daj).  [Comparetti 
No.  63       Kaden  S.  175.] 


Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten  sicilianischen  Märchen.  69 

Zu  den  Märchen  von  den  drei  Schwestern:  Visentini  No.  39.  Im- 
briani, Nov.  fior.2  No.  1.  2  (23).  Bernoni  No.  3.  De  Gubernatis,  Zoolog. 
Mythol.  2,  35.  Tuscan  F.  T.  No.  7.  Bibliot.  de  las  trad.  esp.  2,  25. 
Rondallayre  3,  No.  17.  Coelho  No.  26.  Madsen  S.  7.  Kristensen  No.  37. 
Poestion  No.  2.  —  Zum  Öffnen  der  verbotenen  Thür  vgl.  Archivio  3,  368. 
[Cox,  Cinderella  1893,  p.  484.] 

24.  Von  der  schönen  Wirtstochter. 
[Oeuvres  poetiques  de  Philippe  de  Beaumanoir  publ.  par  H.  Suchier 
1884  1,  XXIII  „La  Manekine".1)]  Grimm  No.  31  „Das  Mädchen  ohne 
Hände".  Cosquin  No.  78.  Sebillot  No.  15  (II,  No.  39).  Fleury  p.  151. 
Archivio  1,  520  (hier  werden  die  Hände  zweimal  abgehauen).  B.  Schmidt 
No.  17.  Leskien-Brugman  No.  56.  Vgl.  auch  Nerucci  No.  6.  17.  40.  42 
(Briefvertauschung).  —  Imbriani,  Nov.  fior.  p.  158.  [A.  d'Ancona,  Sacre 
rappresentazioni  1872,  3,  317.  235.  Gonzenbach  No.  25.  38.  Simrock,  D. 
Volksbücher  10,  501:  Die  geduldige  Helena.  Krauss  2,  No.  138.]  Seelen- 
trost in  den  D.  Mundarten  2,  6  No.  76.  1001  Nacht  4,  41  Weil.  Steere, 
Swahili  Tales  1870,  p.  393.  [E.  Gorra,  Studj  di  critica  letteraria  1892, 
S.  321  über  den  Pecorone  10,   1.] 

25.    Von  dem  Kinde  der  Mutter  Gottes. 

Giamb.  Basile  2,  51.  Poestion  No.  19.  Finamore  No.  13.  Nerucci 
No.  51.  Halliwell,  Chap-books  1882,  p.  40  („The  golden  bull").  Cosquin 
No.  28.  |  Köhler,  Ztschr.  f.  romau.  Phil.  2.  351.  Sarnelli,  Posilecheata  ed. 
Imbriani  1885,  p.  152] 

Der  König  soll  einen  goldenen  Apfel  gestohlen  haben:  Straparola 
III,  1.  Coelho  No.  30.  —  Silbernen  Löffel:  Hahn  No.  8.  Grundtvig  2,  308. 
Boudeson  No.  7.  —  Becdier:  Schreck,  Finnische  Märchen  No.  8.  Troude 
et  Milin,  Le  conteur  breton  1870,  ]>.  337.  Comparetti  No.  6  (Neidische 
Schwestern).  Nerucci  No.  38.  —  Orange:  Consiglieri  -  Pedroso  No.  17. 
Eigentümlich  Visentini  No.  47. 

26.    Vom  tapferen  Königssohn. 

Pitre  No.  71.     Comparetti  No.  54.     Krauss  1,  No.  46. 

Zum  Märchen  von  der  treulosen  Mutter  oder  Schwester  vergl. 
Köhler,  Jahrb.  f.  romau.  Litt.  7,  132.  Müllenhoff,  S.  410,  Märchen  No.  11 
„Das  blaue  Band".  Asbjörnsen  No.  60  „Detblaae  baand".  Ey,  Harzmärchen 
S.  154.     Wolf,  Hausmärchen  S.  251.  154.     Engelien-Lahn  No.  14.     Madsen, 


1)  Hierzu  hat  Köhler  "an  anderer  Stelle  nachgetragen:  Busk  p.  208  =  Crane  p.  364. 
Koinero  No.  37.  Baissac,  Folklore  de  l'üe  Maurice  1888,  No.  24.  F.  Peters,  Aus  Loth- 
ringen 1887,  S.  7  (Der  Graf  und  die  Müllerstochter).  Qvigstad  og  Sandberg,  Lappiske 
eventyr  1887,  No.  11.  Jones  and  Kropf,  Folktales  of  the  Magyars  p.  182.  Brunet, 
Manuel  3,  208. 


70  Eöhler-Bolte : 

Folkeminder  S.  29.  Schleicher  S  54.  Poestion,  Lappl.  M.  No.  57  =  Friis 
No.  48.  Schreck  No.  14.  Wenzig,  Westslav.  Märchenschatz  S.  144.  Aus- 
land 1856,  S.  21*20  (rumänisch  aus  Siebenbürgen).  Roumanian  Fairy  Tales 
S.  81.  Miklosich  No.  11.  Ztschr.  f.  d.  Mythol.  2,  206  (Bukowina).  Schott, 
Walach.  M.  No.  27  „Florianu".  Krauss  1,  No.  47.  Schiefner,  Awar.  Texte 
S.  44  und  XIV.  Radioff  [1,  286.]  3,  321.  Hahn  No.  24.  32.  65,  Yar. 
Sakellarios  No.  8.  Söbillot  3,  No.  21.  Romero  No.  30  und  Anna.  Spitta- 
Bey  No.  10.  [Leskieu  -  Brugman  S.  548,  No.  12—13.  Jahn,  Vra.  aus 
Pommern  1,  No.  36.  37.] 

Zum  Anfange  des  Märchens  vgl.  Pitre  1,  65.  Comparetti  No.  52. 
Braga  No.  44. 

27.    Der  grüne  Vogel. 

Pitre  No.  101.  Giamb.  Basile  1883,  No.  10.  Consiglieri-Pedroso  No.  7. 
Braga  No.  34.  Folklore  andaluz  1882,  S.  355.  La  Enciclopedia  1880, 
No.  13  (Los  dos  hilanderas).  B.  Schmidt  No.  9.  Ungar.  Revue  1888, 
S.  438  f.  [Crane  p.  325,  7  vergleicht  hiermit  entfernter  stehende  Märchen 
wie  Bernoni  No.  17  und  Pitre  No.  38.] 

Zu  Maruzzas  geringschätziger  Behandlung  des  Königssohnes  vgl.  Spitta- 
Bey  No.  8,  zweiter  Teil.     Archivio  3,  535. 

28.  Von  der  Tochter  der  Sonne. 
Pitre,  Fiabe  No.  67;  Nov.  pop.  tose.  No.  7.  Archivio  1,  65.  De  Nino 
No.  1.  Comparetti  No.  45.  Tuscan  fairy  tales  No.  4  Prato  p.  58  f. 
[Imbriani,  Nov.  fior.2  p.  333  =  Graue  No.  30  „The  fairy  Orlanda".]  Deffuers 
Archiv  f.  mittel-  und  neugriech.  Piniol.  1,  123.  —  Sonnentochter  bei 
Hahn  No.  108  und  Comparetti  No.  27. 

29.    Von  der  schönen  Cardia. 
Schiefner,    Awar.    Texte    No.  4.      Hahn    No.  25    (nicht  23).     Buchon, 
La  Grece  continentale  1843,    p.  267    „Le  Dracophage".     Pitre,    Novelline 
pop.    tose.    No.  1;    Fiabe    No.  16.      Comparetti    No.  20  [      Crane   No.   13, 
p.  342  f.  =  Kaden  S.   134].     Finamore  No.  23. 

30.    Die  Geschichte  von  Ciccu. 
Zu  2  (Ciccu  und  die  Feigen)  vgl.  Coelho  No    45.     Vonbun  73. 

31.    Von  dem  Schäfer,  der  die  Königstochter  zum  Lachen  brachte 

(Fortunat). 

[Übersetzt  bei  Crane  No.  31.]  Pitre,  Fiabe  No.  '2X  (zum  Teil  26) 
[=  Kaden  S.  142.  159];  Nov.  pop.  tose,  No.  16.  Nerucci  No.  57  (Tuch. 
Beutel,  Mantel.  Feigen,  Nase).  Coronedi-Berti  No.  9.  De  Nino  No.  40 
(Beutel,  Mütze,  Tanzpfeife.  Feigen,  Pfirsich.  Schwanz).  Busk  p.  129. 
De  Gubernatis,  Zool.  Myth.   1,  288;   Florilegio  p.  75.     Imbriani,  Conti  pom. 


Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten  sicilianischeu  Märchen.  71 

No.  34.  Finamore  No.  30.  Archivio  1,  59.  Visenthii  No.  25.  Imbriani 
]So.  27  =  Nerucci  No.  7.  Cosquin  No.  11.  Sebillot,  Contes  pop.  No.  5. 
Carnoy  292  (Tuch,  Stab,  Mantel.  Birnen,  Nasen).  Deulin,  „Le  petit  soldat". 
Dschinnistan  3,  54  (Beutel,  Hörn,  Gürtel.  Feigen,  Quelle).  Eondallayre  3, 
No.  7  (Stuhl,  Trompete.  Feigen,  Hörner).  Kennedy  p.  67.  Schiefner, 
Ind.  Erzählungen  S.  754  (Hölzer,  die  wachsen  und  wieder  abnehmen  lassen). 
[Ralston,  Tibetan  Tales  p.  LIV].  G.  Meyer,  Archiv  f.  Littgesch.  12,  111 
No.  7.  Spitta  No.  9  (Teppich,  Schüssel,  Geldmühle.  Datteln,  Hörner). 
[Krauss  1,  178.] 

Instrumente,  die  zum  Tanze  zwingen:  [Bolte,  Das  Märchen  vom 
Tanze  des  Mönches  im  Dornbusch.  Festschr.  zum  5.  Neuphil.tage  1892, 
S.  4.  Herrigs  Archiv  90,  289.]  Schiefner.  Ind.  Erzähl.  No.  2  (Melanges 
asiatiques  7,  742.     1876). 

Äpfel,  nach  deren  Genuss  Nasen  wachsen:  Kreutzwald,  Ehstn.  M.  No.23, 
Aum.     Miklosich  No.  4.     Etlar  No.  68.     Kristensen  1,   No.  46  (Kirschen). 

[Prinzessin  zum  Lachen  gebracht:  Moulieras,  Fourberies  de  Si 
Djeha  1892,  No.  53,  p.   187.] 

32.    Von  Giovannino  und  Caterina. 

Zum  Eingange  vgl.  Imbriani,  Nov.  fior.  No.  21.  Ncrucci  No.  42.  52. 
De  Nino  No.  9.     Comparetti  No.  66.     Corazzini  p.  443. 

Nicht  wieder  heiraten,  bevor  ein  Paar  Stiefel  verbraucht  sind: 
Pitre  No.  56.  De  Nino  No.  9.  Nerucci  No.  42.  Corazzini  444.  Consiglieri- 
Pedroso  No.  18.  12. 

Spinnender  Hammel  oder  Kuh:  De  Gubernatis  No.  1.  Consiglieri- 
Pedroso  No.  18.  Ortoli  81.  Schneller  No.  8.  Imbriani  No.  LI8.  Bernoni 
No.  19.     [Andrews  No.   1.] 

Ferner  vgl.  Leskien-Brugman  No.  25.  Pitre,  Fiabe  No.  41;  Nov.  pop. 
tose.  No.  8.  Nerucci  No.  32.  Busk.  „Vaccariella".  Coelho  No.  36.  |  Mango, 
Novelline  pop.  sarde  1890,  No.  25. J 

33.    Von  der  Schwester  des  Muntifiuri. 

34.    Von  Quaddaruni  und  seiner  Schwester. 

Pitre  No.  59.  60.  61.  Consiglieri-Pedroso  No.  22.  Finamore  No.  15. 
Archivio  2,  36  [10,  235.  245].  Imbriani  No.  25  [=  Crane  No.  12,  p.  342]. 
Romero  No.  29.  Bibliot.  de  las  trad.  esp.  1,  137.  Folklore-Journal  1,  221 
(Die  gute  Schlange,  chilenisches  Märchen.  Augen  wieder  gekauft).  B. 
Schmidt  No.  13.  Sebillot  3,  No.  20.  Berntsen  1,  No.  17.  Grönborg  101. 
Bergh,  Sogur  fra  Yaldris  S.  1.  Kristensen  No.  15.  16.  Schreck  No.  10. 
Ungar.  Revue  1889,  S.  209,  vgl.  38.  Godin,  Poln.  M.  S.  88  (  Glinski  3,  97). 
Poestion,  Lappl.  Märchen  No.  6  Germ.  15,  168.  Riviere  51.  (Archiv  f. 
slav.  Piniol.  5,  60,  No.  51.     Cosquin  No.  21.  24.  | 


72  KöMer-Bolte: 

Wunderbare  Eigenschaften  der  Schwester:  Pitre  No.  50.  61. 
Knowles  443.  Riviere  51.  —  Kosen  lachen:  Grimm,  D.  Mythol.  1054 
=  4.  Aufl.  2,  923.  3,  318.  Prym  und  Socin,  Kurdische  Sammlungen  1  b, 
S.  74  (Lied:  „Dein  Mund  regnet  Rosen  beim  Lachen").  Krauss,  Orlovic  der 
Burggraf  von  Raab,  1889,  S.  114  (bulgarisch:  „Wann  die  Königin  Milica 
sieht,  so  scheint  die  helle  Sonne;  wann  sie  spricht,  so  giesst  sie  lauteres 
Gold;  wann  sie  lacht,  knospen  Rosen  auf;  wann  sie  geht,  so  weht  ein 
leichter  Windhauch").  Ungarische  Revue  1889,  S.  38.  209  (osmanisches 
Märchen.  Der  Tochter  eines  Ofenheizers  und  einer  Prinzessin  geben  drei 
Peris  diese  Gaben:  1.  Sie  soll  Rosenschön  heissen,  und  wann  sie  lächelt, 
sollen  Rosen  blühen;  2.  sie  soll  Perlen  weinen;  3.  unter  ihren  Füssen 
spriesst  frisches  Gras  hervor).  [Curtze,  Volksüberlieferungen  aus  Waldeck 
1860,  S.  121,  No.  21:  Blumen  lachen  und  Perlen  weinen.] 
Bild  der  Schönen  vom  König  erblickt:  Pitre  No.  60. 
Kein  Sonnenstrahl  darf  sie  berühren:  Pitre  No.  61.  Nerueci  No.  32. 
[Falsch  aufgefasst  ist  dies  Motiv  von  A.  Wirth,  Danae  in  christlichen 
Legenden  1892,  S.  118.] 

Die  Sirene  hält  sie  an  einer  Kette:  Pitre  No.  59.  60.  Finamore.' 
Sebillot.     Poestion  S.  294  u.  73. 

Verse  des  Bruders  an  die  Schwester:  Finamore  No.  15.  Kristensen 
No.  15.     Berntsen.     Bergh.     Friis. 

Zu  den  Versen  der  Enten  über  die  Schwester,  die  sie  gefüttert, 
vgl.  Pitre  No.  59.  60  (De  Gubernatis  No.  9.  Sebillot  No.  27.  Wolf, 
Proben  42).  Finamore  No.  15.  26.  3.  Imbriani  No.  20.  De  Nino  p.  94. 
Rondallayre  2,  74. 

Der  Bruder  der  Heldiu  fehlt:  Comparetti  No.  25.  De  Nino  No.  l(->. 
Rondallayre  3,  No.  19. 

Die  Augen  der  Heldin  werden  ausgestochen  und  später  wieder 
eingesetzt:  Pitre  No.  62  [=  Kaden  S.  183].  De  Gubernatis  No.  13.  Gradi, 
Saggio  de  letture  varie  per  i  giovani  1865,  p.  141:  „LTsabelluccia". 
Giornale  napol.  della  domenica  1882,  No.  13.  Cosquin  No.  35.  Braga  No.  22. 
Consiglieri-Pedroso  No.  9.  Knowles,  Folk-tales  of  Kashmir  1888,  S.  492. 
Ungar.  Revue  1889,  S.  208  (Rosenschön;  türkisches  Märchen).  Ausland  1856, 
S.  2122.     [Köhler,  Archiv  f.  slav.  Phil.  5,  61.] 

Die  falsche  Braut  wird  zerschnitten  und  eingesalzen:  Pitre  No.  59. 
Riviere  a.  a.  O.     Stokes,  Indian  fairy  tales  p.  253. 

35.    Von  der  Tochter  des  Fürsten  Cirimimminu. 
Imbriani,    Novellaja    milanese    No.  4;    Nov.    fior.    p.  92.     Pitre  No.  5 
[=  Kaden  S.  151];    Nov.   pop.  tose.    No.  13.     De  Nino  No.  22.     Visentini 
No.  1.     Archivio  4,  202.      (Nerueci  No.  4.)      Giamb.    Basile    1885,    p.   10. 
Rondallayre  No.  2.     Braga  No.  29. 


Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten  sicilianischen  Märchen.  73 

Zuckerpuppe  ins  Bett  gelegt:    Irabriani,   Nov.  fior.  No.  3.  4.     Pitre 

I,  214.  -216.     Nerucci  No.  56.     Giamb.  Basile  1885,  p.  8.     Basile,  Pentam. 

II,  3.  Coelho  No.  42.  Braga  No.  33.  Romero  No.  12.  Maspons  1,  88. 
Bibliot.  de  las  trad.  pop.  esp.  1,  154  f.  Kremuitz,  Rumän.  Märchen  1883, 
No.  7.     [Andrews  No.  38.] 


36.    Die  Geschichte  von  Sorfarina. 
Pitre  No.  6  [=  Kaden  S.  63].     Braga  No.  23.     Legrand,    Recueil    de 
contes  pop.   grecs  p.  263.     Neoelhp'.  'AvdXexra  2,  40.     Ungar.  Revue  1888, 
S.  335  f.     [Archivio  10,  330.] 

37.    Giufa. 

Pitre,  Fiabe  No.  190.  [Crane  p.  291—302.]  —  Über  die  Namensform 
Giucca,  Giuceo,  Ciucco  vgl.  Pitre,  Nov.  pop.  tose.  p.  195.  Dschauha  bei 
Reinisch,  Die  Nuba-Sprache  1879,  1,  162,  No.  14;  236,  No.  12.  [Moulieras, 
Fourberies  de  Si  Djeha  1892,  p.  3.  Stumme,  Tunisische  Märchen  1893, 
2,   126:  Dschuha.     Zeitschr.  des  Vereins  für  Volkskunde  5,  47.  50.] 

Giufa  mit  der  Leinwand:  Carnoy  189  (Kuckuck).  —  Verkauf  an 
eine  Statue:  Cosquin  No.  58.  Sebillot,  Contes  221.  Revue  des  langues 
roni.  31,  578.  Busk  p.  370.  371.  Ztschr.  f.  d.  Phil.  8,  94.  Pitre,  Nov. 
pop.  tose.  Xo.  32.  Coelho,  Contos  nac.  No.  14.  De  Gubernatis,  Floril.  p.  139. 
Vinson  p.  95.  [Crane  No.  99,  p.  379.  Archivio  10,  313.  Basset,  Loqmän 
berbere  1890,  No.  16.]  —  Verkauf  an  einen  Baum:  Ralston  p.  50.  Krauss  1, 
No.  53.  Veckenstedt  p.  64.  Krentzwald  II,  No.  15.  —  Regen  von  Feigen: 
Stokes  S.  2li.  Veckenstedt  S.  232.  Sebillot,  Litt,  orale  de  la  Haute- 
Bretagne  1881,  p.  106.  Leger  No.  20.  Grundtvig  No.  20  (Weizenbrot). 
Riviere  p.  179  (pluie  de  crepes  et  de  beignets).  Wigström  in  Svenska 
Landsmälen  ."».  1,  124  (Regen  von  Brei).  W.  Bütner,  Claus  Narr  1587, 
p.  119  (Regen  von  Schwoinlein).  [Andrews  No.  22:  Regen  von  Maccaroui. 
Bolte  zu  V.  Schumanns  Nachtbüchlein  1893,  No.  9.  Stumme  2,  131: 
Wurstregen.] 

Thür  mitgenommen:  Jahrb.  f.  rom.  Litt.  5,  18.  8,  266.  Gott.  gel. 
Anz.  1868,  1395.  Imbriani,  Nov.  fior.  p.  601  f.  Nerucci  No.  35.  Visentini 
No.  44.  Busk  369.  370.  374.  Cosquin  [1,  241]  No.  22.  Fleury,  Litt.  or. 
de  la  Basse -Normandie  1883,  p.  162.  Melusine  1,  89.  Rondallayre  3, 
No.  4.  Cerquand  2,  11.  Leite  de  Vasconcellos,  Tradicöes  pop.  [e  dialecto 
do  Brasil,  in  Revista  de  estudos  livres  1?],  S.  294  (cancella  velha).  Pitre, 
Nov.  pop.  tose.  p.  196,  5.  Mijatovies.  Serbian  folklore  1874,  S.  256.  Ztschr. 
f.  d.  Phil.  s.  91.  Kamp,  Danske  folke-aeventyr  No.  361.  Soge-Bundel  54. 
Bergh,  Ny  f.  e.  39.  Bondeson,  Sv.  folksagor  No.  40.  84.  [Moulieras,  Si 
Djeha  p.  18.     Crane  p.  380,  19.]     Clouston,  The  book  of  nodles  1888,  eh.  4. 


74  Köhler-Bolte: 

Giufa  und  die  Gluckhenne:  Sebillot,  Contes  223.  Coelho,  Contos 
nac.  No.  14.  [Abstemme,  Hecatomythium  secundum,  Venetiis  1520,  Bl. 
D  5  a  Neveleti  Mythologia  Aesopica  1610,  p.  618,  No.  199  „De  foemina 
maritum  ob  pullos  male  servatos  verberante".  Germania  27,  229.  Nach 
Bebel  erzählt  Frey  in  seiner  Gartengesellschaft  1556,  No.  1,  von  der  ich 
für  den  Stuttgarter  litt.  Verein  einen  Neudruck  vorbereite.  Crane  p.  380,  18.] 
Giufa  tötet  einen  Schäfer  (1,  252):  [Moulieras  No.  21,  p.  18. 
Riviere  p.  43.  Olouston  p.  152.  Ralston  p.  53.  Crane  p.  294  und  380,  16. 
Straparola  13,  4.     Pitre  4,  291.  444.] 

Giufa  giebt  dem  Kinde  zu  heissen  Brei:  Nerucci  No.  35.  Vinson 
p.  97.  [Bei  Frey  No.  20  legt  der  einfältige  Lenz  einen  schweren  Stein 
auf  das  Kind,  damit  es  nicht  aus  der  Wiege  fällt,  und  erdrückt  es  dadurch.] 
Giufa  tötet  die  wie  ein  Käuzchen  schreiende  Alte:  Melusine 
l,  475.  Wenzig  S.  9.  Arne,  Nogle  Fortaellinger  i  Slagelse-Egnen  1862, 
S.  67.  Zu  streichen  ist  Campbell  No.  45.  [Übersetzt  bei  Crane  No.  103. 
dazu  p.  380,  20.     Cosquin  No.  36.     Ztschr.  f.  Volkskunde  1,  474.] 

Giufa  steckt  die  Schwänze  der  verkauften  Schweine  in  die  Erde, 
als  wären  die  Tiere  versunken:  Koller,  Melusine  1,  474.  Ztschr.  f.  d.  Phil. 
8,  97.  Webster  p.  10.  15.  J.  Ch.  Harris,  Uncle  Remus  or  Mr.  Fox,  Mr. 
Rabbit  and  Mr.  Terrapin  1881,  Xo.  20.  [Radioff  4.  280.  Cosquin  No.  36. 
Meisterlied  des  H.  Sachs  in  Ztschr.  f.  vgl.  Littgesch.  7,  463,  No.  13.  | 

Giufa  stellt  sich  tot  und  erschreckt  die  Räuber:  Hahn  No.  44. 
Grenzboten  1853,  II,  1,  405  f.  (bosnischer  Schwank).  Ralston  S.  47.  Leskien- 
Brugman  No.  35,  p.  473.  Braga  No.  86.  La  Enciclopedia  1880,  No.  1  (El 
muerto  vivo).  1001  Nacht  14,  119.  Thorburn,  Banrni  173.  Day,  Folk- 
tales  of  Bengal  p.  170  f. 

Giufa  giebt  seinen  prächtigen  Kleidern  zu  essen  (1.  258  f.): 
[Pauli,  Schimpf  und  Ernst  No.  416  ed.  Österley.  Jahrb.  f.  rom.  Litt.  14,  425. 
Moulieras  p.  32.  Crane,  It.  pop.  tales  No.  102,  p.  380.  Etienne  de  Bourbon 
ed.  Lecoy  de  la  Marche  p.  438,  No.  507.] 

Giufa  besorgt  nur  dessen  Aufträge,  der  ihm  Geld  gegeben  (1,  260): 
Facezie  de  Piovano  Arlotto  ed.  Baccini  1884,  No.  122  „II  vento  porta  via 
i  raccordi  dati  al  Piovano  senza  danari"  (=  Scelta  di  facetie,  Vicenza,  1661, 
p.  128).  Hans  Sachs,  Des  Schäfers  Wahrzeichen  (Goedeke  und  Tittmann 
2,  259.  Haueisen,  H.  Sachs  Lobspruch  der  Hauptstadt  Wien  S.  8)  [=  Folio- 
ausgabe 5,  3,  410  c  =  Schwanke  ed.  Goetze  No.  383.  Stiefel  in  der  Fest- 
schrift Hans  Sachs-Forschungen  1894,  S.  188].  La  Monnoye,  Oeuvres  choisies, 
La  Haye  1770,  1,426.  2,479.  Andrews,  Contes  ligures  [?].  Gaster,  Ztschr. 
f.  roman.  Phil.  4,  574.  Decourdemanche,  Nasr  -  eddin  No.  46.  [(F.  de 
Callieres),  Recueil  des  bons  contes  et  des  bons  mots  Paris  1693.  p.  146: 
Arlotto.] 


Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten  sicilianischen  Märchen.  75 

38.    Von  der  Betta  Pilusa. 

Pitre,  Nuovo  saggio  No.  6;  Fiabe  No.  43  [=  Kaden  S.  219].  Giamb. 
Basile  2,  51.  De  Gnbernatis  No.  3.  Pinamore  No.  3.  De  Nino  No.  17. 
Romero  No.  9.  Archiv  f.  slav.  Phil.  2,  622,  No.  23  [Comparetti  No.  26. 
Busk  p.  84.  90.     Leskien-Brugman  No.  "24]. 

Mit  anderer  Einleitung:  Sebillot,  Litt,  or.  73.  Luzel,  5.  rapport  p.  35. 
Dozon  No.  6.  Webster  165.  Ralston  159—161.  —  Sebillot,  Litt.  or.  45. 
Webster  158.     Visentini  No.  38.     Coelho  No.  31. 

Zu  dem  hölzernen  Gewände  der  Heldin  vgl.  Cosquin  No.  28. 
Busk  p.  (](]  (Maria  del  legno).    Corazzini  p.  484  [     Crane  No.  10].    Archivio 

1,  190.  2,  21.  27  (Maria  intaulata).  Rondallayre  1,  No.  26.  2,  No.  16. 
[Andrews  No.  33.1 

3!>.    Von  den  Zwillingsbrüdern. 
10.    Von  den  drei  Brüdern. 

Köhler  bei  Blade,  Contes  pop.  rec.  en  Agenais  1874.  Xo.  2,  p.  148. 
Cosquin  No.  5.  37.  Sebillot.  Contes  pop.  No.  18  (Le  roi  des  poissons). 
Nerucci  No.  8  =  Imbriani,  Nov.  fior.  No.  28.  Coronedi  -  Berti  No.  16. 
Comparetti  Xo.  32  und  46.  [Crane  No.  6.  Kaden  S.  168.  Pitre  4.  296, 
No.  6.]  Finamore  1,  No.  22.  De  Gnbernatis  No.  17.  18;  Florilegio  p.  67. 
Visentini  No.  19.  De  Nino  Xo.  24  65.  Consiglieri-Pedroso  No.  25  (11). 
Braga  No.  48.  Cerquand  Xo.  96.  Coelho  Xo.  52.  Riviere  193.  Buchon 
]).  274  „Le  petit  rouget  sorcier".  Lal  Behari  Day,  Folk-Tales  of  Bengal 
1883,  No.  13.  Leskien-Brugman  No.  10.  11.  14—16.  p.  554.  Jecklin, 
Volkstümliches  aus  Graubünden  1874,  1,121.  Kristensen  2,  Xo.  16.  Kamp, 
Danske  Polkeminder  NO.  2;  Folkeaeventyr  Xo.  13.  Kremnitz  No.  17. 
[Köhler,  Archiv  f.  Littgesch.  12,  105.  Xo.  4.  Pio,  Contes  pop.  grecs  S.  60. 
Mijatovics  p.  256.  Caballero,  Cuentos  p.  27.  Grundtvig  Xo.  5.  ßalt. 
Monatsschrift  23,  343.] 

Die  Stücke  des  zerschnittenen  Fisches  machen  die  Essende 
schwanger:  Blade.  Luzel.  Imbriani.  Coronedi.  Comparetti  Xo.  32.  De 
Gnbernatis.  De  Nino  No.  65.  Consiglieri.  Braga.  Coelho.  Webster. 
Leskien-Brugman.  Kremnitz.  Buchon.  Grundtvig.  Caballero.  [J.  Grimm, 
Kl.  Schriften  5,  415.] 

Die  Brüder  machen  Schnitte  in  einen  Baum,  die  über  ihr  Er- 
gehen Auskunft  geben:  Luzel.  Prato  126.  Grundtvig.  Im  catalanischen 
eigentümlich. 

Drachenzungen  ausgeschnitten:    R.   Köhler,   Archiv  f.  slav.  Phil. 

2.  638,  Xo.  33.  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  S.  71.  Wolfdietrich  (Goedeke. 
D.  Dichtung  im  Mittelalter  491.  591.  Jänicke,  D.  Heldenbuch  4,  XLV1I1. 
Anz.  f.  d.  Alt.  !>,  253.  Heinzel,  Über  die  ostgotische  Heldensage  1889. 
S.  80).     Engelien-Lahn,  Volksmund  in  Brandenburg  1,   KU.     Simrock  105 


76  Köhler-Rolte 

(Köpfe  ohne  Zungen  sind  Zeugen  ohne  Lungen).  [Lemke  2,  255.  Jahn  1, 
No.  18.  Andrews  No.  49.  53.]  Hoffmeister,  Hess.  Volksdichtung  1861), 
S.  36.  40.  Leskien  -  Brugman  No.  10.  12.  14.  16.  Schulenburg  II,  32 
(Zungen  vom  Verräter  ausgeschnitten).  Melusine  1,  63.  Deulin,  „Bistecol- 
Caracol".  Sebillot,  Contes  pop.  80.  Luzel,  5.  rapport  p.  34.  Webster  89.  31. 
32.  38.  Cerquand  No.  96  (auch  No.  97,  S.  70  f.).  Vinson  p.  59.  Braga 
No.  52.  Coelho  No.  49.  Leite  de  Vasconcellos,  Trad.  277.  El  folk-lore 
andaluz  p.  359.  Romero  No.  23,  p.  87  und  No.  38,  p.  135.  Pitre,  Nov. 
pop.  tose.  No.  2,  p.  16  f.  De  Nino  No.  65.  Archivio  1,  55  Pitre,  Nov. 
pop.  tose.  No.  1.  Archivio  3,  539  (Finamore).  Tuscan  F.  T.  p.  23. 
Kristensen  2,  No.  16.  Madsen  32.  Kamp  No.  13.  Berntsen  2,  26  (Hans 
Bärensohn).  1,  145  (Von  den  drei  Hunden).  |  Cosquin  1,  70.  Jacobs, 
Engl.  Fairy  Tales  No.  23.] 

Nacktes  Schwert  als  symbolum  castitatis:  Child,  English 
Ballads  3,  127.  No.  66.  4,  511  (Beiträge  Köhlers).  Unland,  Volkslieder 
No.  121,  Str.  11.  Varnhagen,  Longfellows  Tales  of  a  Wayside  lim  1884, 
S.  94.  Golther,  Romania  17,  606.  Fischer,  Über  die  Probenächte  der  t. 
Bauermädchen  S.  54.  Keller,  Sept  Sages  S.  CCXXXIV.  Siinrock,  Quellen 
des  Shakespeare2  1,  93.  Generides  ed.  Wright  3921;  ed.  Furnivall  6511. 
Rajna,  Le  origini  dell'  epopea  francese  p.  406.  Jahrb.  f.  rom.  Litt.  11,  232. 
Consiglieri-Pedroso  No.  25.  Blade,  Contes  pop.  de  la  Gascogne  1,  284. 
Pio,  NeoeU.  jiaQafxv&ia  1879,  p.  174.  Leskien-Brugman  S.  394.  548.  Gaster, 
Beiträge  zur  vgl.  Sagen-  und  Märchenkunde  1883,  S.  28.  Prym-Socin, 
Syrische  Sagen  und  Märchen  S.  25  und  405  s.  v.  Schwert.  Reinisch,  Die 
Nuba-Sprache  1879,  1,  190.  Jecklin,  Volkstüml.  aus  Graubünden  1,  123. 
Kristensen  2,  No    16  (Brüdermärchen). 

Die  Haare  der  Hexe  versteinern:  Consiglieri-Pedroso  No.  11. 
Kremnitz  No.  17.     [Andrews  No.  39.] 

Der  eine  Bruder  erschlägt  den  anderen  aus  Eifersucht:  Imbriani. 
Braga.     Kristensen.     Grundtvig  No.  8. 

41.    Vom  tapferen  Schuster. 

Cosquin  No.  25.  Dozon  No.  3.  Kristensen  1,  No.  34.  35.  Bergh, 
Sogur  21.  [Krauss  1,  283.  Archivio  10,  89  dalmatinisch.  Ausland  1881, 
744  zigeunerisch.     Blade,  Gascogne  3,  5.] 

Aufschneiden  des  Bauches:  Pitre  No.  83.  Veckenstedt,  Wend. 
Sagen  1880,  S.  217. 

Sieben  Fliegen  auf  einen  Streich:  Pogatschnigg  [Carinthia  1865, 
356]  No.  4.  Cosquin  No.  8.  Schiefner,  Awar.  Texte  No.  11.  Imbriani. 
Nov.  milanese  No.  5.  Gaal-Stier  No.  11.  [Andrews  No.  44:  „Tue  sept, 
blesse  quatorze."  Montanus  1592  ins  Niederdeutsche  übersetzt  im  Nieder- 
deutschen Jahrbuch  20,  135.] 


Zu  den  von  Laura  Gonzcnbach  gesammelten  sicilianischen  Märchen.  77 

42.    Vom  ße  Porco. 
Imbriani,    Nov.    mil.    No.  6.     [Blade,    Contes  rec.   en  Agenais  p.  145 
„Peau  d'äne".     Archivio  10.  84.     Prato  No.  4  „II  re  serpente."    Schiefner, 
Awar.  Texte  S.  XXVI  zu  No.   14  über  die  eisernen  Schuhe;  dazu  auch 
Crane  p.  324,  2  und  142] 

43.    Die  Geschichte  vom  Principe  Scursuni. 
Archivio  1,  531.  424.     Pitre  No.  56  (ohne  Verbrennung  der  Haut). 
Zu    dem  Wiegenliede    vgl.  Pitre  No.  32.     Imbriani.    Nov.  milanese 
1872,  No.  3.     Bernoni. 

44.    Von  dem,  der  den  Lindwurm  mit  sieben  Köpfen  tötete. 
B.  Schmidt  No.  23  (siebenköpfige  Schlange.     Zauberschwert). 

45  Von  den  sieben  Brüdern,  die  Zaubergaben  hatten. 
Köhler,  Archiv  f.  slav.  Phil.  5.  36,  No.  46.  Domparetti  No  19.  Pio 
No.  2,  p.  104.  Dozon  No.  4.  Vgl.  zu  Gonzenbach  No.  74.  [Grimm  No.  121). 
Pitre  1,  196.  1!)7.  Nerucci  No.  40.  Giovanni  da  Prato,  Paradiso  degli 
Alberti  ed.  A.  Wesselofsky  1.  2.  238.  A.  d'Ancona,  Stu.lj  1880,  p.  356  n. 
504  zu  C  novelle  antiche  23  Papanti.  Sebillot,  Contes  pop.  1880,  p.  52. 
No.  8.  Grundtvig,  DFE.  Xo.  17.  Tendlau,  Fellmeiers  Abende  185(5, 
S.  16.  Benfey,  Kleinere  Schriften  2.  1.  94—156.  L892  „Das  Märchen  von 
den  Menschen  mit  den  wunderbaren   Eigenschaften".] 

46.    Von  der  Schlange,  die  für  »'in  Mädchen  zeugte. 
Grünbaum.    Jüdisch-deutsche    Chrestomathie   S.  404.      Do  Guberaatis, 
Zool.   Mythol.     [Pitre  4,  292,  No.  4.] 

47.    Von  dem  frommen  Jüngling,  der  nach  Rom  ging. 

Zum  Anfange  vgl.  Leskien-Brugman  Xo.  39.  Poestion  No.  16.  Arnason 
2,  538        Andersen  490.     Vernaleken  No.  21. 

[Zu  den  Fragen,  <lie  dem  Helden  aufgetragen  werden,  vgl.  R. 
Köhler,  Aufsätze  1894,  S.  104  (Krauss,  Sreca  S.  104  in  den  Mitteil,  der 
anthropol.  Ges.  zu  Wien  1886),  115  (Monatsberichte  d.  Berliner  Akademie 
1866,  732),  116  (macedonisch  im  Mag  f.  d.  Litt  d.  Auslandes  L880,  356). 
Archiv  f.  slav.  Phil.  5,  74,  No.  56.  —  Der  Teufel,  der  als  Koch  im  Kloster 
Unfrieden  stiftet  (1,  313),  begegnet  auch  bei  Vernaleken  No.  13  und  er- 
innert stark  an  das  Volksbuch  vom  Bruder  Rausch.] 

48.    Von  Sabedda  und  ihrem  Brüderchen. 
49.    Von  Maria  und  ihrem  Brüderchen. 
Köhler.  Archiv  f.  slav.  Phil.  5,  33,  No.  44  und  Archiv  f.  Littgesch.  12.  93. 
No.   1.     Melusine   1,419.     Archivio  1,  48.  50.  3,  546.     Pitre  No.  283.     De 


78  Beichhardt: 

Nino  No.  9.  De  Gubernatis  No.  11;  Zool.  Myth.  1,  400.  Bernoni  No.  2. 
Corazzini  S.  443.  Visentini  No.  16.  Pmsk  p.  40  (sehr  entstellt).  Krauss  1, 
No.  69.  Goldschnridt,  Russische  Märchen  S.  88.  [Crane  p.  334.  Prato, 
Romania  13,   171,  6.] 

Zum  Anfange  von  No.  40,  wie  die  Kinder  in  den  Wald  geführt 
werden  und  sich  heimfinden,  vgl.  noch  Gonzenbach  No.  2.  Pitre  No.  30. 
Imbriani,  Nov.  fior.  No.  21.  De  Nino  No.  0.  Busk  p.  40.  Nerucci  No.  42. 
Oberlin,  Essai  sur  le  patois  lorrain  1775,  S.  161.  F.  Wolf,  Portugiesische 
Volksromanzen  S.  44  (=  Wiener  Sitzungsberichte  20,  58;  nach  Mila). 
[Blade,     Agenais  S.   149  ] 

(Fortsetzung  folgt.) 


Die  Drostin  von  Haferungen. 

Eine  Sagengestalt  aus  der  Grafschaft  Hohenstein  von  R.  Reichhardt. 


Die  Grafschaft  Höllenstein,  das  Gelände  am  Südfusse  des  Harzes  am 
oberen  Laufe  der  der  Unstrut  zufliessenden  Helme  und  Wipper,  ist  ver- 
hältnismässig arm  an  Sagen.  Die  Hauptursache  dieser  Erscheinung  mag 
wohl  darin  liegen,  dass  Harz  und  Kyffhäuser.  zwischen  welchen  die  Graf- 
schaft sich  ausbreitet,  mit  ihrem  reichen  Sagenkranze  alle  Sagen  mehr  oder 
weniger  an  sich  gezogen  und  mit  sich  verknüpft  haben.  Nur  eine  inter- 
essante Sagengestalt  macht  davon  eine  Ausnahme,  nämlich  die  der  Drostin 
von  Haferungen.  Sie  ist  die  Hexe  und  Spukgestalt  der  Grafschaft,  und 
noch  heute  sind  die  abenteuerlichsten  Geschichten  über  diese  interessante 
Frau  im  Schwange. 

Lange  Zeit  hat  es  gedauert,  bis  die  Forschung  in  den  Stand  gesetzt 
wurde,  Dichtung  und  Wahrheit  über  diese  Frauengestalt  von  einander  zu 
scheiden.  Dom  Verfasser  dieses  begegnete  man  auf  seine  Nachfragen  oftmals 
mit  dem  Einwände,  die  Drostin  habe  überhaupt  nicht  gelebt,  und  alle  Sagen 
über  sie  entbehrten  jeglicher  Grundlage.  Das  Pfarrarchiv  zu  Haferungen 
und  die  Akten  des  Rittergutes  daselbst  ergaben  jedoch  genügenden  Stoff, 
dass  wir  ein  einigermassen  klares  Bild  über  diese  Frau  zu  gewinnen  ver- 
mögen. 

Sophie  Helene  von  Burchtorff,  einzige  Tochter  des  braunschweigisch- 
lüneburgischen  Drosten  (d.  i.  Landrates)  von  Burchtorf,  war  geboren  gegen 
Anfang  des  IS.  Jahrhunderts.  Nach  dem  Tode  ihres  Vaters  wurde  sie 
Besitzerin  sämtlicher  Güter  desselben,  darunter  desjenigen  zu  Haferungen 
und  verheiratete  sich  mit  dem  Drosten  zu  Walkenried,  Urban  Dietrich 
von  Lüdecken.    Sie  wird  uns  als  eine  äusserst  energische,  thatkräftiffe  und 


Die  Drostin  von  Haferungen.  79 

strenge  Frau  geschildert,  welche  über  Haus  und  Hot;  Mann,  Kinder  und 
Gesinde  ein  strenges  Regiment  führte.  Sie  war  ungeheuer  reich  und  erwarb 
in  der  Grafschaft  Höllenstein  ausser  dem  Haferunger  Gute  noch  diejenigen 
von  Pustleben  und  Grosswachsungen.  Gerühmt  wird  ferner  ihre  Frömmig- 
keit und  Gerechtigkeitsliebe.  Nach  Ausweis  des  Kirchenbuches  starb  sie 
am  8.  September  1764  und  wurde  im  Totengewölbe  der  Kirche  zu  Hafe- 
rungen beigesetzt. 

Von  den  Sagen,  welche  sich  um  die  Drostin  von  Haferungen  gebildet 
haben,  seien  folgende  erwähnt. 

Die  Knechte  und  Mägde  erzählten,  dass  die  Drostin  nachts  in  Gestalt 
einer  feurigen  Katze  sich  auf  ihre  Bettdecken  setze,  sie  anpfauche  und 
ängstige,  auch  ihnen  wohl  die  Bettdecke  abreisse,  wenn  sie  zu  lange 
schliefen. 

Auf  dein  Teichgute  in  Grosswachsungen,  welches  von  der  Drostin 
angekauft  war,  geht  sie  zu  nächtlicher  Stunde  ebenso  um  wie  in  Haferungen. 
Merkwürdigerweise  aber  erscheint  sie  dort  nicht  als  Hexe,  sondern  als  ein 
blühendes  junges  Mädchen.  So  haben  sie  die  Knechte  gesehen,  wenn  sie 
nachts  auf  der  Pferdekrippe  sass  und,  einen  hellen  Lichtschein  verbreitend, 
sich  ihre  langen,  blonden  Haarsträhnen  kämmte. 

Während  ihrer  Abwesenheit  pflegten  die  .Mägde  von  allen  Vorräten 
zu  naschen  und  zu  backen.  Das  wusste  die  Drostin,  und  doch  wollte  es 
ihr  nie  gelingen,  sie  auf  frischer  That  zu  ertappen.  Um  dies  alter  doch 
zu  ermöglichen,  verwandelte  sie  sich  in  eine  schwarze  Katze  und  nahm 
schnurrend  auf  der  Ofenbank  der  Gesindestube  Platz.  Die  Mädchen,  die 
sich  unbeobachtet  glaubten,  backten  Pfannkuchen,  von  denen  auch  die 
Katze  sich  ein  Stück  abbiss.  Aus  Ärger  darüber  sperrten  sie  dieselbe  in 
den  Ofen  und  Hessen  sie  so  lange  darin,  bis  sie  sich  die  Pfoten  gründlich 
verbrannt  hatte.  Dann  erst  liessen  sie  das  gequälte  Tier  zur  Thür  hinaus. 
Am  anderen  Morgen  lag  die  Drostin  mit  verbrannten  Händen  und  Füssen 
krank  zu  Bett. 

In  Abwesenheit  der  Drostin  vergnügten  sich  ihre  Knechte  und  Mägde 
einmal  damit,  dass  sie  ihre  Herrin  gründlich  durchhechelten,  ihr  strenges 
Regiment  einer  vernichtenden  Kritik  unterwarfen  und  sich  über  ihre  Eigen- 
tümlichkeiten lustig  machten.  Mit  einem  Male  erhob  sich  ein  furchtbarer 
Tumult  im  Hause,  die  Thür  öffnete  sich  und  ein  Mönch  im  schwarzen 
Gewände  trat  in  das  Zimmer.  Schrecken  ergriff  die  Spötter  und  eine 
Grabesstille  trat  unter  ihnen  ein.  Das  Gespenst  richtete  seine  zornfunkelnden 
Augen  auf  die  Anwesenden,  hob  drohend  den  Finger  auf  und  verschwand 
alsdann.  Als  die  Drostin  von  ihrer  Reise  zurückkehrte,  erkundigte  sie 
sich  eingehend  bei  ihren  Dienstboten  nach  ihrem  nächtlichen  Besuch. 

Von  Zeit  zu  Zeit  wusch  die  Drostin  auf  einem  Rasenplatze  ihre  Thaler 
und  breitete  sie  dann  auf  einem  Tuche  zum  trocknen  aus  Ein  vorüber- 
gehender Handwerksbursche,  dem  das  viele  Geld  in  die  Augen  stach,   bat 


SO  ßeichhardt: 

um  die  Erlaubnis,  sich  davon  eine  Handvoll  nehmen  zu  dürfen.  Aber 
siehe  da!  Als  er  die  Thaler  der  Tasche  entnehmen  wollte,  fand  er  wert- 
loses Laub. 

Einstmals  hatte  sie  den  Schlüssel  zu  ihrem  Geldschranke  verlegt.  Der 
herbeigerufene  Schlosser,  Meister  (Jorges  aus  Haferungen,  dessen  Urenkel 
mir  diese  Geschichte  erzählt  hat,  öffnete  denselben  und  seine  Augen  waren 
vom  Glänze  der  vielen  Goldstücke  wie  geblendet.  Die  Drostin  forderte 
ihn  auf,  so  viel  vom  Gelde  zu  nehmen,  als  er  vermöge.  Doch  seine  Hand 
war  wie  gebannt,  er  konnte  nicht  ein  Stück  davontragen. 

Die  Drostin  besass  einen  Papagei,  von  welchem  die  Sage  ging,  dass 
er  alle  Vorgänge  im  Hause  während  der  Abwesenheit  seiner  Herrin  bemerke 
und  ihr  davon  nach  ihrer  Rückkehr  wiederplaudere.  Bei  den  Dienst- 
mädchen war  er  darum  so  verhasst,  dass  eines  derselben  ihm  den  Kopf 
auf  den  Rücken  drehte.  Die  Drostin  aber  behexte  sie  zur  Strafe  und  sie 
behielt  Zeit  ihres  Lebens  eine  lahme  Hand. 

Im  Silberthale  bei  Haferungen  besass  die  Drostin  eine  kleine  Waldung, 
in  welcher  sie  sich  zur  Sommerszeit  gern  aufhielt.  Dort  geht  sie  auch 
heute  noch  um.  Einst  wendeten  dort  zur  Mittagszeit  am  Waldesrande 
zwei  Mädchen  aus  Immenrode  Heu,  als  plötzlich  aus  einer  Waldeslichtung 
eine  übermenschlich  grosse  Frauengestalt  trat,  in  altertümlichem  Gewände, 
mit  Puff-  und  Schlitzärmeln,  von  strahlendem  Lichtglanz  umgeben,  welche 
den  Mädchen  winkte  und  ihnen  zurief:  „Mamsellchen,  Mamsellchen!" 
Doch    die    erschreckten  Mädchen  verliessen  ihre  Arbeit  und  flohen  davon. 

Vor  Gewittern  hatte  die  Drostin  eine  entsetzliche  Furcht.  Diese 
Eigenschaft  hat  folgende  Sage  entstellen  lassen.  Zwischen  Haferungen  und 
Etzelsrode  stand  früher  das  Bastholz,  ein  Wäldchen,  in  welchem  sich  die 
Bewohner  der  umliegenden  Ortschaften  namentlich  zur  Frühlingszeit  zu 
Festen  zu  versammeln  pflegten.  Dies  Wäldchen  war  der  Drostin  ein  Dorn 
im  Auge,  weil  sie  wähnte,  es  verschiebe  die  Gewitterwolken  nach  Hafe- 
rungen. Sie  machte  darum  der  Etzelsröder  Gemeinde  den  Vorschlag,  sie 
wolle  ihr  das  Hölzchen  abkaufen  und  zwar  solle  der  Zahlungsmodus  darin 
bestehen,  dass  sie  rings  um  den  Wald  einen  Thaler  an  den  anderen  legen 
wolle.  Die  Etzelsröder  gingen  auf  den  anscheinend  vorteilhaften  Verkauf 
anfangs  bereitwilligst  ein,  bis  endlich  kluge  Köpfe  eine  grosse  Gefahr 
witterten  und  von  dem  Verkaufe  abrieten.  Sie  breiteten  nämlich  das  Ge- 
rücht aus,  die  Drostin  sei  eine  Hexe,  der  es  ein  Leichtes  sei,  das  Geld 
wieder  in  ihre  Tasche  zu  hexen.  Darob  grosser  Aufruhr  im  biederen 
Etzelsrode  und  man  entbot  der  gestrengen  Frau  Drostin  die  unterthänigste 
Nachricht,  dass  Etzelsrodo  sein  Bastholz  behalten  wolle. 

Von  ihrem  Gemahl,  dem  Drosten  von  Lüdecken,  hören  wir  wenig. 
Thatsache  ist,  dass  er  sehr  leichtlebig  und  verschwenderisch  gewresen  ist. 
Die  Chronik  nennt  ihn  „eine  reine  Null".  Zwei  Sagen  charakterisieren 
diese  Eigenschaften. 


Die  Drostin  von  Haferungen.  Sl 

Der  Drost  war  ein  Freund  von  hohen  Glücksspielen,  in  denen  er  oft 
grosse  Summen  verlor.  Einmal  hatte  er  in  seiner  Spielwut  nicht  nur  eine 
ansehnliche  Geldsumme,  sondern  auch  das  Rittergut  in  Haferungen  verspielt. 
Die  Drostin  erfunr  dies,  holte  einen  Beutel  voll  blanker  Thal  er  und  schlug 
ihn  ihrem  Gemahl  um  den  Kopf  mit  den  Worten:  „Hier,  bezahle  Deine 
Ehrenschuld;  lieber  ein  Kavalier  an  der  Tafel  als  ein  Hundsfott  hinter  dem 
Ofen."     Sie  löste  das  Gut  wieder  ein  und  berichtigte  die  Schuld. 

Einstmals  hatte  er  wieder  beim  Glücksspiel  eines  seiner  Güter  ver- 
pfändet. Der  Tag  der  Zahlung  kam  heran  und  in  seiner  Herzensangst 
beichtete  er  seiner  gestrengen  Ehehälfte  erst  am  Morgen  seine  Schuld. 
Nach  einer  gehörigen  Standrede,  bei  welcher,  wie  es  gewöhnlich  geschah, 
auch  die  Hände  der  Drostin  eine  gewisse  Rolle  spielten,  liess  sie  anspannen. 
Fünf  Stunden  dauerte  gewöhnlich  die  Fahrt  dorthin  und  zwei  Stunden  waren 
bis  zum  Ablauf  der  Frist  noch  übrig,  es  schien  also  vergebliche  Mühe.  Wer 
das  aber  glaubte,  kannte  die  Drostin  nicht.  Ihr  stand  die  Macht  zu  Gebote, 
über  Raum  und  Zeit  zu  verfügen.  Der  Kutscher  musste  auf  die  Pferde 
hauen  und  in  einer  Stunde  langte  sie  am  Orte  des  Gläubigers  an.  Der 
Kutscher  erzählte  später  mit  Grausen  von  dieser  wunderlichen  Fahrt.  Es 
sei  ihm  vorgekommen,  als  ob  Pferde  und  Wagen  durch  die  Luft  geflogen 
seien;  die  Drostin  selbst  habe  zuletzt  die  Zügel  ergriffen  und  die  Pferde 
durch  Zurufe  angetrieben. 

Auch  mit  den  bekannten  Schatzgräbersagen  hat  man  die  Drostin  in 
Verbindung  gebracht,  indem  man  in  ihr  die  Hüterin  eines  von  ihr  ver- 
borgenen Schatzes  sah.  Dieser  war  vergraben  in  der  Ecke  des  nach  ihr 
benannten  Sophiengartens  und  sie  hütete  ihn  dadurch,  dass  sie  an  die 
Stelle  ein  Lichtchen  setzte.  Drei  Gebrüder  Arnold  aus  Haferungen  ver- 
suchten es.  in  der  Stille  der  Nacht  ihn  zu  lieben.  Ohne  ein  Wort  zu 
sprechen  —  denn  dies  war  die  erste  Bedingung  —  machten  sie  sich  an 
ihr  geheimnisvolles  Werk.  Als  sie  mit  dem  Spaten  eine  Zeit  lang  gegraben 
hatten,  erhob  sich  ein  furchtbarer  Lärm  im  Gutshofe,  der  dem  einen  der 
Brüder  den  Ruf:  „Ach  Gott!"  entschlüpfen  liess.  Sofort  erlosch  der  Licht- 
schein, wie  vom  Wirbelwinde  wurden  die  Schatzgräber  ergriffen  und  ent- 
flohen entsetzt  in  ihre  Behausung. 

Alle  sieben  Jahre  soll  sie  im  Rittergute  zu  Haferungen  erscheinen 
und  nachts  durch  Haus  und  Hof  eine  Wanderung  vornehmen.  In  den 
dreissiger  Jahren  dieses  Jahrhunderts  waren  denn  einmal  die  sieben  Jahre 
wieder  um  und  ängstliche  Gemüter  harrten  mit  grosser  Spannung  der  ge- 
fürchteten Stunde.  Der  damalige  Besitzer  des  Rittergutes  liess  drei  Knechte 
in  jener  Stube  schlafen,  wo  die  Drostin  ihr  eigentliches  Unwesen  treibt, 
wo  noch  heute  ihr  Bett  gezeigt  wird.  Und  richtig!  Die  gnädige  Frau 
Drostin  erschien  zur  mitternächtlichen  Stunde,  geräuschlos  in  das  Zimmer 
tretend,  im  Gewände  ihrer  Zeit,  mit  einem  grossen  Schlüsselbund  in  der 
einen,  einer  Lampe  in  der  anderen   Hand.     Sie    leuchtete  jedem  einzelnen 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.   Volkskunde.    18%.  6 


g2  Reichhardt:  Die  Drostin  von  Haferungen. 

der    Knechte    ins    Gesicht,    welche    sich    zur   Seite    kehrten.     Ihre  Namen 
werden  noch  heute  genannt. 

In  stürmischen  Wetternächten  ist  es  nicht  geheuer  im  Schafstalle  des 
Rittergutes,  und  wem  es  vergönnt  ist,  das  Schreckliche  zu  schauen,  den 
überkommt  Furcht  und  Grausen.  Bin  Sarg,  mit  Lichtschein  umgeben  und 
getragen  von  sechs  Knechten  ohne  Kopf,  bewegt  sich  aus  der  Thür  des 
Schafstalles  über  den  Hof  nach  dem  Grabgewölbe  der  Kirche.  Im  Sarge 
liegt  die  Drostin  und  wird  in  der  Totenkammer  beigesetzt.  Die  Knechte 
quält  sie  noch  nach  ihrem  Tode  mit  diesem  letzten  Dienste. 

Zur  Zeit  der  Freiheitskriege  lag  sächsisches  Militär  als  Einquartierung 
in  Haferungen.  Ein  Soldat  berichtete  seinem  Hauswirt,  dass  er  in  seiner 
Heimat  viele  wunderbare  Geschichten  über  die  Drostin  von  Haferungen 
vernommen  habe  und  begierig  sei,  ihren  Sarg  zu  sehen.  Der  Hauswirt 
erklärte  sich  gern  bereit,  seinem  Wunsche  nachzukommen.  Unter  Führung 
des  damaligen  Lehrers  Heyser  betraten  sie  das  Grabgewölbe,  der  Sarg- 
deckel wurde  entfernt  und  der  Soldat  schnitt  unbemerkt  einen  Zipfel  von 
dem  Kleide  der  Toten.  Am  anderen  Morgen  trat  der  Soldat  bestürzt  in 
die  Stube  seiner  Wirtsleute  und  bat  den  Mann  flehentlich,  ihn  noch  einmal 
zum  Sarge  der  Drostin  zu  führen.  In  der  Nacht  sei  es  ihm  schrecklich 
ergangen.  Die  Drostin  sei  ihm  leibhaftig  erschienen,  habe  ihn  gepeinigt 
und  gequält,  bis  er  ihr  habe  versprechen  müssen,  den  geraubten  Zipfel 
wieder  in  den  Sarg  zu  legen.     Dies  soll  darauf  geschehen  sein. 

Über  den  Ursprung  vorstehender  Sagen  lässt  sich  folgendes  annehmen. 
Die  Drostin  Sophie  Helene  von  Lüdecken  war  eine  durch  Energie  und 
Reichtum  hervorragende  Frau.  Dazu  kam,  dass  sie  es  mit  weiser  Klugheit 
verstand,  den  Aberglauben  ihrer  Zeitgenossen  für  ihre  Zwecke  sich  nutzbar 
zu  machen.  Sie  war  durch  ihre  vielen,  in  der  Grafschaft  Höllenstein  be- 
legenen Güter  weithin  bekannt  und  verstand  es,  sich  beim  Volke  in  solches 
Ansehen  zu  setzen  und  diesem  bisweilen  solche  Furcht  einzuflössen,  d;iss 
man  nach  ihrem  Tode  von  ihr  alle  möglichen  und  unmöglichen  Eigenschaften 
und  Geschichten  erzählte,  welche  allmählich  in  eine  sagenhafte  Form  ge- 
kleidet wurden.  Was  nur  irgend  an  Sagen  im  Volksmunde  war  ^-  alle 
Hexen-,  Alp-  und  Mahrt-,  wilde  Fuhrmann-,  Mittags-  und  weisse  Frau-, 
Schatz-,  Gespenster-  und  Vampyrsagen  heftete  man  der  Person  der  Drostin 
an;  man  entblödete  sich  sogar  nicht,  wie  mir  allen  Ernstes  einmal  beteueri 
wurde,  der  Drostin  ein  Bündnis  mit  dem  Teufel  zuzuschreiben.  Ihre  vor- 
erwähnten guten  Eigenschaften,  vor  allem  ihre  grosse  Gerechtigkeitsliebe 
und  Frömmigkeit  nach  Gebühr  zu  würdigen,  hat  man  längst  unterlassen  — 
aber  mit  Unrecht. 

Haferungen  bei  Nordhausen. 


Greussiug:  Der  Kirchtag  in  Stubai    Tirol).  83 

Der  Kirchtag  in  Stubai  (Tirol). 

Skizze  aus  dem  Volksleben  von  Paul  Rud.  Greussing. 


Es  ist  ein  verlassenes  wildromantisches  Thal,  in  welches  ich  den  Leser 
ersuche,  mir  zu  folgen.  Unweit  der  Landeshauptstadt  Innsbruck,  an  der 
Brennerstrasse,  hart  neben  der  berühmten  Stefansbrücke,  führt  ein  steiler 
Waldpfad  in  jenen  von  der  Kultur  noch  wenig-  berührten  Erdenwinkel. 

Gegen  Norden  und  Süden  erheben  zerrissene  Bergriesen  ihre  alten 
Häupter,  nach  Westen  bilden  ewiger  Schnee  und  Gletschereis  eine  natür- 
liche Thalsperre. 

Sechs  Dörfer  mit  beiläufig  5000  Seelen  (Schönberg,  Mieders,  Fulpmes, 
Neustift,  Telfes,  Krcith)  sind  bestrebt  dafür  Sorge  zu  tragen,  dass  der 
Stubaier  als  Tiroler  Volksgattung  nicht  erlösche. 

Fünf  Seelsorger  versprechen  dem  armen,  gläubigen  Bäuerlein  un- 
geahnte Eimmelswonne  und  niemals  endenden  „Kirchtag",  wenn  er  sieh 
dereinst  am  irdischen  „Erdöpfel"  satt  gegessen  hat,  oder  verweisen  den 
„Bockbeinigen"  auf  die  Hölle  mit  ihren  geschwänzten  um)  gehörnten 
Inhabern. 

Bis  zur  Grenze  des  Hochwaldes  hat  sieh  der  Alpler  die  Hütten  oder 
Höfe  hinaufgebaut,  worin  er  bei  harter,  oft  lebensgefährlicher  Arbeit  und 
bei  Ziegersuppe  dem  Schöpfer  dreimal  fürs  Dasein  dankt. 

Es  kommt  zwar  mitunter  vor,  dass  (U-r  Hausherr  betet:  „Bisch  voller 
Gnaden,  der  Hearr  isch  mit  diar  —  du  Ölte!  bet  du  für,  i  hon  vergössen. 
muass  mit  der  „Bläss"  no  zum  Stiar"  —  und  die  Hausfrau  setzt  fort:  „Bisch 
gebenedeit  unter  den  Weibern  —  do  Katl  gugg  aussi,  do  geaht  dös  liof- 
färtige  Ding  verbei,  bot  sie  scho  wieder  a  nuis  Tüachl  un  -  und  gebenedeit 
isch  die  Frucht  deines  Leibes";  aber  «las  thut  nichts,  es  sind  „fleissige" 
(fromme)  Leut. 

Der  Mond  späht  breitwangig  in  die  dämmernde  Stube  und  zieht  dann 
lächelnd  seine  silberne  Bahn  weiter;  der  Oberknecht  äugelt  zur  drallen 
Unterdirne  hinüber  und  spricht:  „Yergieb  uns  unsere  Schulden!"  Die 
Blicke  lies  stämmigen  Burschen  wetterleuchten  heute  tollen  Übermut  — 
denn   morgen  ist  Kirchtag! 

„Kirchtag",  der  Name  klingt  dem  Bergler  ins  Herz  und  in  den  Magen 
zugleich,  denn  seine  Herrschaft  gestattet  Ausschreitungen,  welche  ihm  zu 
jeder  anderen  Zeit  den  „Titel  und  Charakter"  Dorflump  verliehen  hätten. 

Ehe  noch  die  Morgenglut  an  den  Zacken  der  Firnen  den  nahenden 
Tag  verkündet  und  wenn  die  Sterne  noch  als  Nachtlichtlein  den  Schlemmern 
und  Vagabunden,  sowie  den  Liebesleuten  leuchten,  klingen  schon  von  den 
Türmen   die  grössten  Glocken  mit  tiefdröhnendem  „bim"  „bum",    um  den 


<S4  Greussingi 

grossen  Presstag  würdig  /jU  begrüssen;  mann  nennt  dies  n Tagläuten*,  Was 
nur  an  den  höchsten  Kirchenfesten  geschieht.  Erst  eine  halbe  Stunde 
später  ertönt  die  Aveglocke.  So  eine  grosse  Glocke  ist  eine  geplagte 
„arme  Haut",  sie  muss  den  ganzen  Sommer  über  die  Wetter  vertreiben 
und  darin  hat  insbesondere  die  „Telfeserin"  Meisterschaft  erlangt,  denn 
man  sagt,  der  weihende  Priester  hätte  ihr  die  Zunge  seiner  verstorbenen 
Wirtschafterin  „einigsegnet". 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  die  Taglänter  ordentlich  mit  Schnaps 
Versehen  werden,  während  die  anderen  im  Dorfe  als  Lauschende  denselben 
aus  eigenen  Mitteln  sich  anschaffen.  So  wäre  also  der  Grund  gelegt  für 
nachfolgende  gute  Dinge.  Die  Bäuerin  verlässt  heute  früher  als  gewöhnlieh 
das  doppelspannige  Bett. 

Sie  eilt  zur  Frühmesse  und  nach  derselben  sofort  in  die  Küchel.  Da 
wird  ein  Feuer  angeschürt,  als  ob  es  gälte  für  sämtliche  verkannten 
Litteraten  und  Poeten  Österreichs  Würste  zu  sieden. 

Bald  prangt  die  einen  halben  Hektoliter  fassende  Schüssel  voll  Krapfen 
am  Tische  in  der  getäfelten  Stube. 

Der  Bauer  „schleimt  si"  (eilt  sich)  mit  der  Morgenandacht  und  hudelt 
die  Gsätzlein  herab.  Still  wird  es  dann  im  Kreise  —  man  isst  mit  Verstand, 
nur  der  Magen  legt  mitunter  laut  seinen  Protest  ein,  wenn  ihm  ein  gar  zu 
grosses  Fassungsvermögen  zugetraut  wird.  Die  dickbauchige  Wein-  oder 
Schnapsflasche  macht  ihre  Punde,  nur  das  achtzehnjährige  „Moidele" 
(Mariele)  lässt  sie  vorübergehen  —  jedoch  nicht  wegen  Verachtung  des 
Stoffes  —  nein,  —  ihr  braunes  Auge  hat  an  der  Nase  des  Nändls  (Gross- 
vaters) den  Morgentau  entdeckt.  t 

Jetzt  ist  es  draussen  mittlerweile  Tag  geworden,  das  qualmende 
Lampele  wird  von  der  „g'sparigen"  Bäuerin  ausgelöscht  und  der  Alkohol 
kündet  bereits  durch  flammende  Blicke  und  da  und  dort  erwachte  Zungen- 
thätigkeit  seinen  Einzug  an: 

Der  Altknecht,  ein  melancholischer  „Jüngling"  von  52  Jahren,  erzählt 
auch  heuer,  wie  alljährlich  die  Geschichte  von  der  bildsauberen  Sennerin, 
welche  der  Teufel  geholt  hat.  und  weint  —  und  trinkt  dazu. 

Die  neugierige,  erst  angestellte  Stallmagd  Katl  fragt:  „Warum  aber 
eigentli  hat  er  sie  gholt?"  „Jo  wissts",  flüstert  der  Erzähler,  „sie  bot  holt 
in  Bubn  ins  Kammerl  lossen  und  nochher  hot  sies  nit  gebeichtet!"  Katl 
wird  kreideblass  vor  Schrecken. 

Sie  bleibt  den  genzen  Tag  einsilbig  und  verstört.  -Am  anderen  Morgen 
sieht  man  sie  schon  um  5  Uhr  im  Beichtstuhl.  — 

Soeben  schnarrt  die  langpendelige  Schwarzwälder  Uhr  sieben  heisere 
Schläge.  Alles  erhebt  sich.  Wieder  ein  höchst  zweifelhaft  ernstliches 
Dankgebet  für  Schnaps  und  Krapfen,  und  die  männlichen  Mitglieder  der 
Tafelrunde  schlendern  langsam  zum  „Amte"  in  die  Kirche,  die  weibliehen 
jedoch    gehen    in    die   Küche    —   denn    jetzt    erst    beginnt    die   Kirchtags- 


Der  Kirchtag  in  Stubai  (Tirol).  85 

kocherei.     Die  leere  Stube  erinnert  den  Geruchssinn  an  Anfang  und  Ende 
aller  irdischen  Dinge. 

Während  des  Gottesdienstes,  der  hauptsächlich  nur  von  „Manderleut" 
heute  besucht  ist.  findet  hier  und  da  eine  „Abfuhr"  aus  der  Kirche  statt, 
insbesondere  von  Seiten  der  Schuljugend,  denn  „so  a  kloans  Magele,  woasch 
a  wolla,  kun  nit  viel  derhöbn!"  Das  kleine  „Magele"  hat  freilich  fünf 
kuhfladengrosse  Küchel  und  etliche  tüchtige  Schlucke  Branntwein  zu  ver- 
dauen und  ist  im  Durchschnitt  auf  Wassermus  allein  abgerichtet  worden. 
Ein  reicher  Bauer  hatte  vor  Jahren  sogar  einen  Preis  von  100  Gulden 
dem  Erfinder  einer  „Kirchtigkrapfenstampfe"  ausgesetzt,  womit  ermöglicht 
würde,  den  vollen  Bauch  noch  mehr  zu  füllen.  Es  hat  sich  jedoch  niemand 
gemeldet  und  so  spendierte  er  für  obige  Summe  „a  nuis  Messg'schirr" 
(Messkleid). 

Im  Hause  des  Herrn  riecht  es  heute  stärker  als  gewöhnlich  nach 
rauchlosem  Pulver  und  der  gute  Seelsorger  hält  eine  ergreifende  Predigt 
über  die  Tugend  der  Massigkeit.  Die  Bauern  weinen  vor  Rührung  und 
erwarten  kaum  das  Ende  —  den  Kirchtagstisch ! 

Endlich,  etwa  9  7a  Uhr  sitzen  die  Hausbewohner  um  den  grossen, 
kurzfüssigen  Tisch,  welcher  durch  seine  niedere  Lage  den  Tafelnden  ge- 
bietet „sich  mit  die  Eliabügn  weit  eini  z'lögn.  denn  dös  isch  kamod". 
Thatsächlich  stossen  die  einander  gegenüber  sitzenden  fast  mit  dem  „Grind" 
(Kopf)  zusammen.  Diese  Mode  wird  wohl  davon  den  Ursprung  haben, 
dass  gewöhnlich  nur  aus  einer  gemeinschaftlichen  Schüssel  gelöffelt  wird. 
Der  Küchenzettel  lautet:  „a  Saur's  als  Voröss'n,  Nudelsupp'n  mit 
bräuerinwadeldicke  Wärst,  Rindfleisch  mitKrian  (Kren)-  a  saur's  Schweinernes 
mit  Kraut,  a  Sehweinsbratl,  Kalbsbratl,  Knödel  mit  abermaliger  Supp'n, 
gebachne  Knödel  mit  Kraut,  a  schäbsernes  Bratl  mit  Erdäpfel,  a  Schnee- 
milch (halbgeschlagene  Butter),  Krapfen  mit  Füll,  Küchel  mit  Kraut, 
Wein  und  Schnaps." 

Bis  diese  Herrlichkeiten  verzehrt  sind,  ist  es  Zeit  zum  „Xäniitags- 
Kirchen". 

Bald  ist  der  Gottesdienst  vorüber  und  man  eilt  abermals  nach  Hause. 
„um  a  Stuck  Märend  (Vespermahl)  z'derwischen".  Dieselbe  besteht  in 
Kaffee,  Schunken  (Schinken)  und  Krapfen  nebst  obligatem  Schnaps.  Unter 
dieser  Mahlzeit  wird  „gebuchelt"  (geraucht),  dass  die  stets  geheizte  Stube 
in  Dezembernebel  gehüllt  erscheint.  „Itzt  isch  es  aber  fein,  so  denk  i 
miars  im  Himmel."  — 

Derbe  Witze  fliegen  von  Mund  zu  Mund  und  die  Wangen  der  Stall- 
dirne leuchten  wie  zwei  Lokomotivlaternen. 

Alles  lacht,  nur  die  Altmagd,  eine  „geräucherte"  Jungfrau  wirft  den 
ärgsten  Klaffern  ab  und  zu  wütende  Blicke  entgegen,  gleich  einer  zürnenden 
Pfarrersköchin. 


gß  Greussing: 

Zu  ihr  kommt  halt  keiner  mehr  „t'ensterlen",  darum  geht  sie  fleissig 
beichten  und  bekennt  die  Sünden  aller  Haus-  und  Dorfinsassen. 

So  sehr  sie  sonst  als  Oberstinhaberin  des  Sittenregimentes  gefürchtet 
ist,  heute  niuss  sie  dem  tollen  Übermut  gegenüber  stumm  bleiben,  denn 
sie  weiss,  dass  jetzt  jede  fromme  Ermahnung  nur  Spott  ernten  würde. 
Das  Nachtmahl  fliesst  mit  der  Märende  fast  in  eins  zusammen  und  ist  dem 
Mittagstische  ähnlich.  Während  der  kurzen  Magenpause  wird  gemolken 
und  gefüttert. 

Ins  Gasthaus  geht  man  heute  nicht,  das  verschiebt  man  auf  morgen, 
den  „Stiarmontig".  Bei  der  Milchgewinnung  soll  es  vorgekommen  sein, 
dass  eiu  wein-  und  schnapsseliges  Knechtlein  diese  Arbeit  beim  Stiere 
begonnen  hat,  was  ihm  einen  wohlgezielten  Fusstritt  eingetragen  haben 
soll.  Bald  ist  die  Tafelrunde  zum  vierten  Male,  beim  Lichte  des  nach 
alten  Ziegenböcken  riechenden  Öllämpchens,  versammelt. 

Die  Augen  der  „tugendsamen  und  wohlgeachteten  Jünglinge"  sprühen 
nun  aber  Blitze,  denn  draussen  schimmert  vom  Hügel  Dierndls  Fensterlein 
einladend  im  Scheine  des  verführerischen  Mondlichts. 

„Buabn  greifts  zua,  Kirchtig  isch  nur  ä  möl"  spricht  mit  schwerer 
Zunge  der  Bauer  und  schüttet  „a  Tupferl"  in  die  Gurgel. 

Bald  ist  der  Beherrscher  der  Dirnen  und  Knechte  eingeduselt, 
er  lächelt  im  Traume,  denn  seine  Phantasie  beschäftigt  sich  wahrscheinlich 
mit  einer  Schweinsrippe  oder  einer  Wurst. 

Seinem  Beispiel  folgt  auch  der  melancholische  Altknecht,  demselben 
kugeln  aber  noch  schlafend  Thränen  über  die  gebräunten  Wangen.  Die 
Weiberleut  haben  eben  eine  saftige  Dorfgeschichte  unter  der  Zunge,  worin 
Nachbars  Lisi  die  Heldin. 

Der  stramme  Seppel  erhebt  sich,  den  Schnurrbart  wischend:  „I  leg  mi 
nieder,  i  hon  gnua."  Er  wendet  sich  der  Thür  zu,  taucht  die  Hand  ins 
Weihbrunnkrügel  und  verlässt  mit  den  Worten:  „Gelobt  sei  Jesus  Christus!" 
die  Stube.  Schweren  Fusstrittes  poltert  er  über  die  hölzerne  Stiege  zu 
seiner  Dachkammer  empor,  verlässt  dieselbe  jedoch  wieder  lautlos  durchs 
Fenster  mit  Hilfe  des  Spalierbirnbaumes. 

Wunderbar  flutet  das  flüssige  Silber  des  Mondes  auf  die  einsame 
Landschaft  nieder.  Die  grauen  Bergeszacken  ringsum  leuchten  wie  Türme 
und  Warten  unüberwindlicher  Burgen. 

Hoch  oben  auf  der  steilsten  Halde  steht  eine  hölzerne  Hütte,  ihre 
kleinen  Fenster  senden  dem  Burschen  silberne  Grüsse  und  er  schaut  im 
Geiste  sein  weissarmiges  Kösele.  Höher  klopft  das  Herz  in  der  starken 
Brust,  er  klimmt  schnell,  immer  schneller  hinauf  zu  ihr  —  zur  Geliebten, 
zum  „Haben  Diendl,  das  grad  so  arm  isch",  wie  er  selber! 

Unbelauscht,  fern  dem  Auge  des  Pfarrers  und  der  klatschsüchtigen 
Zubringerin,  trägt  er  das  Haupt  kühner.     „Na  und  i  kanns  nit  gläben,  dass 


Der  Kirchtag  in  Stubai  (Tirol  .  87 

es  Sund  isch  —  i  hab  si  gar  so  gern  und  bis  i  so  viel  derspart  hab,  dass 
i  heiraten  kann,  nachher  sein  mir  beadi  verwelkt,  wie  da  dös  wilde 
Rösl." 

Aus  den  Schluchten  des  zerklüfteten  Schlickthaies  hallt  jetzt  das  Echo 
eines  Schusses,  grollend  verliert  es  sich  gegen  den  Apferstein  hin.  „Aha, 
der  hats  ä  g'wusst,  dass  der  Förstner  heut  an  Kirchtigrausch  hat",  murmelt 
der  Bursch. 

Noch  eine  kurze  Spanne  Zeit  und  Seppl  klopft  leise  —  leise  an 
Röseles  Fenster.  Zitternd  öffnet  das  Mädchen,  jedoch  es  öffnet,  denn  sie 
ginge  für  ihn  durchs  Feuer  und  er  liebt  sie  treu  und  redlich,  nur  der 
volle  Beutel  fehlt,  „sunst  wärens  zwoa  ung'sechne  (angesehene)  Leut". 
Er  küsst  ihr  glühendes  Antlitz;  lächelnd  verbirgt  sich  der  Mond  hinter  einer 
schützenden  Wolke  und  zwei  von  der  kalten  Menschheit  verlassene  Waisen- 
kinder ruhen  in  seliger  Liebe  Herz  an  Herz! 

Drunten  beim  Bauern  wurde  indessen  durch  einen  Zufall  der  Abgang 
Seppeis  ruchbar.  Der  halbtrunkene  Hausherr  donnert  soeben:  „Morgen 
künd  i  dem  Lumpen,  er  isch  wieder  zum  Karrner  Rösele.  i  wett!  0  dö 
Schand,  wenns  der  Pfarrer  derfragt!  Und  zu  wos  bin  i  iTmoandsrat? 
Morgen  no  soll  dös  Dörchermadl1)  mit  Schub  in  die  Hoamat  und  ös  Bubn 
passts  dem  Yalloten2)  auf  und  thietsn  surren  und  wasen!"  (mit  Jauche 
überschütten).  Krachend  fliegt  die  breite  Faust  des  Sprechers  auf  die 
Tischplatte,  als  Besiegelung  des  Ernstes  seiner  Worte,  denn  was  er  sagt, 
gilt.  Die  Altmagd  wirft  siegesstolze  Blicke  im  Kreise  herum  und  ihre 
Seele  bedauert  nur,  dass  jetzt  keine  Zeit  des  Widumsbesuches  ist. 

Die  Weibsleut  flüstern  einander  ins  Ohr.  der  Bauer  schlürft  noch 
tüchtige  Schlucke  aus  der  Flasche  und  die  Burschen  machen  sich  auf  gegen 
Röseles  Hütte 

Der  Kirchtag  ist  vorbei,  zwölfmal  kreischt  die  verrostete  Schwarzwälderin, 
man  geht  zu  Bett  und  betet:  Vergieb  uns  unsere  Schulden."  Ob  es  aber 
draussen  blutige  Köpfe  giebt,  ob  man  die  Ehre  zweier  liebender  Menschen 
an  den  Pranger  stellt,  —  das  ist  vollkommen  gleichgültig,  denn  Seppl  und 
Rösele  „sein  dahergloffne  Leut  und  wenn  sie  z*Grund  geh'n.  g'schicht 
ihnen  recht!" 

Telfes  in  Stubai. 

1)  Über  die  Dörcher,  diese  Landfahrer  Tirols  vgl.  L.  v.  Hörmann3  Tiroler  Volkstypen, 

Wien  1877,  S.  39—57. 

2)  Wohl  aus  ital.  valletto  entstellt? 


g$  Finck: 


Vier  neilirische  Zaubersprüche. 

Von  Franz  Nikolaus  Finck. 


Die  nachstehenden,  meines  Wissens  noch  nicht  veröffentlichten  Zauber- 
sprüche sind  mir  im  Sommer  des  Jahres  1S95  auf  der  nördlichen  Araninsel 
von  zwei  dort  ansässigen  Personen  mitgeteilt  worden.  Abgesehen  vom  letzten, 
den  ein  etwa  60  Jahre  alter  Mann  in  seiner  Jugend  gehört  zu  haben  an- 
giebt,  werden  sie  noch  häufig  zur  Heilung  von  Krankheiten  angewandt, 
auf  der  Insel  jedoch  nur  noch  von  einer  einzigen  Frau.  Nach  ihrer  Ver- 
sicherung hat  sie  die  ihr  von  der  Mutter  überlieferten  Sprüche  bisher  keinem 
anderen  als  mir  verraten.  Im  Hinblick  auf  den  Aufwand  von  Überredungs- 
kunst, dessen  ich  bedurfte,  um  ihr  die  Worte  zu  entlocken,  obwohl  ich 
mir  durch  einen  monatelangen  Verkehr  mit  den  Inselbewohnern  ein  ausser- 
gewöhnliches  Vertrauen  erworben  hatte,  glaube  ich  diese  Angabe  für  wahr 
halten  zu  dürfen. 

Die  Sprüche  beruhen  auf  christlicher  Anschauung,  verraten  aber  noch 
ziemlich  deutlich  den  durch  das  Germanische  bezeugten  echten  Typus: 
einen  epischen  Eingang  und  die  von  diesem  nicht  nur  durch  den  Inhalt, 
sondern  wahrscheinlich  auch  durch  den  Rhythmus  unterschiedene  eigentliche 
Formel1).  Hohe  Altertümlichkeit  ist  dadurch  natürlich  noch  nicht  für  die 
hier  mitgeteilten  Sprüche  bewiesen,  da  ja  in  verhältnismässig  später  Zeit 
ein  Lied  nach  altem  Muster  gedichtet  sein  kann.  Bewiesen  ist  nur,  dass 
der  aus  dem  germanischen  bekannte  Typus  auf  keltischem  Boden  gleich- 
falls existiert  hat  Wahrscheinlich  aber  wird  eine  gewisse  Altertümlichkeit 
trotz  der  im  allgemeinen  modernen  Sprache  dadurch,  dass  die  Sprüche, 
wenigstens  der  zweite  und  dritte,  offenbar  nur  kleinere  Trümmer  eines 
umfangreicheren  Gedichtes  sind  und  dass  sie  einige  Ausdrücke  enthalten, 
die  heute  auf  den  Araninseln  nicht  üblich  sind  wie  koxl,  hin,  kotdk  und 
andere,  vor  allem  aber  die  wundersame  Infigierung  ärj  viäl  crngl.  Ur- 
sprüngliche Poesie  scheint  mir  aus  der  in  Prosa  nicht  anwendbaren  Wort- 
stellung des  zweiten  und  aus  Reim  und  Rhythmus  des  ersten  Spruchs  her- 
vorzugehen. Die  Form  des  vierten  ist  eine  sehr  modern  klingende,  fast 
bänkelsängerartige,  und  das  ganze  Machwerk  wird  auch  wohl  recht  jungen 
Datums  sein  bis  auf  den  durch  das  Vergessen  der  Pointe  als  alt  gesicherten 
Jordan. 

Die  Besprechung  geschieht  in  folgender  Weise.  Die  Frau,  die  den 
Zauber  ausübt,  kniet  mit  dem  Kranken  nieder,  drückt  dessen  Kopf  mit 
beiden    Händen    gegen    ihre   Brust    und    murmelt,    den  Scheitel    mit    dem 


1)  Vgl.  Edw.  Schröder,  Über  das  Spell.  Ztschr.  f.  d.  A.  37,  251.     Kögel,  Gesch.  d.  d. 
Litt,  I,  80  f. 


Vier  neuirische  Zaubersprüche.  89 

Munde  fast  berührend,  den  Spruch  in  einer  für  den  Patienten  nicht  ver- 
nehmbaren Weise.  Dabei  schliesst  sie  joden  Redeabsatz  —  wohl  eine 
Verszeile  —  durch  eine  pagodenartige  Verbeugung  ab.  Diese  Besprechung 
wird  an  drei  Tagen,  einem  Montage,  dem  folgenden  Mittwoch  und  dem 
dann  folgenden  Montage  je  dreimal  vorgenommen. 

Der  Rezitation  des  ersten,  gegen  „die  kleinen  Fieber"1),  eine  nervöse 
Art  Kopfschmerz,  angewandten  Spruches  geht  folgende  eigenartige  diag- 
nostische Thätigkeit  voraus.  Die  Besprecherin  misst  den  Kopfumfang  des 
Leidenden,  indem  sie  eine  Schnur  einmal  horizontal  und  dann  vertikal 
über  die  Ohren  legt.  Nach  einem  Vergleiche  beider  Masse  erklärt  sie  den 
Kopf  oben  für  offen.  Bei  der  am  dritten  Tage  vorgenommenen  Messung 
ist  sie  natürlich  in  der  Lage,  ihn  für  geschlossen  erklären  zu  können. 

Die  Beschreibung  einer  fast  gleichen  Kankenbehandlung  findet  sich 
in  Lady  Wildes  leider  quellen-  und  kritiklosem  Buche:  Ancient  Cures, 
Charms,  and  Usages  of  Ireland,  p.  26.  Der  Spruch  selbst  scheint  der 
Verfasserin  unbekannt  geblieben  zu  sein,  da  es  nur  heisst:  „And  he  mutters 
certain  prayers  and  charms  at  the  same  time." 

Jede  Besprechung  beginnt  mit  den  Worten:  „an  omni  an  (ehr  ages  an 
vik  agas  an  sprit  Nyvu  „Im  Namen  des  Vaters  und  des  Sohnes  und  des 
heiligen  Geistes." 

Im  Folgenden  gebe  ich  nun  die  Sprüche  in  phonetischer  Schreibung, 
ueuirischer  Orthographie,  die  der  Aussprache  so  weil  angepasst  ist.  wie  es 
der  Name  Rechtschreibung  nur  eben  gestattet,  und  in  einer  Übersetzung, 
die  nicht  mehr  vom  Original  abweicht,  als  die  idiomatische  Verschiedenheit 
des  Irischen  und  Deutschen  dringend  gebietet.  Zum  Verständnis  der 
phonetischen  Zeichen  werden  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  folgende  kurze 
Angaben  genügen,  die  sich  auf  das  vom  Deutschen  beträchtlich  Abweichende 
beschränken:  d  t  x  i  durch  Anstemmen  der  verbreiterten  Zungenspitze  an 
die  Oberzähne  hervorgebracht,  j  c  russ.  gd_v  govorite,  n  it.  campägna,  g  k  n 
palatalisiert,  v  engl,  voiee.  w  d.  quelle,  *  d.  was,  s  d.  Fisch,  c  d.  ich,  \  nordd. 
sagen,  x  d.  ach,  X  it.  figtto,  r  gerollt,  f  palatalisiert,  ce  engl,  man,  ä  franz. 
madame,  <>  d.  gäbe,  0  gerundetes  e,  a  ä  ungerundetes  engl.  0.  bezw.  a  in 
not  all,  11  y  ein  mit  der  Zungenstellung  des  ü  (bezw.  u)  und  der  Lippen- 
stellung des  l  (bezw.  1)  gesprochener  Laut.  1,  ü  palataler,  bezw.  gutturo- 
labialer  Übergangslaut,  -  silbenbildend. 

I.    Gegen  die  kleinen  Fieber,  d.  h.  nervösen  Kopfschmerz. 

a)    [der  epische  Eingang:] 

[Gott  spricht:]  gd  mtvsd  jid  c  ärj  vidi  ie>igl 

[Der  Engel  spr. :]     ga  meexe  jia  s  müifa  \ic. 
[Gott  spr.:]  Jcerd  sin  ort  ürj  vv'd  cenglf 

1)  Vgl.  Zeitschr.  d.  Vereius  f.  Volkskunde  V,  15. 


90  Finck: 

[Der  Engel  spr.:]     tä  cin9s  /ein 
ciiras  />//), 
fievrds  vmga 
cb  wara  gas  da  vrö  ma  xri. 

[Erzählung-:]  na  Ny  mrire  vi  ff)  vel  j<\ 

1))  |  Die  Formel,  durch  daktylischen  Rhythmus  abgehoben:] 

koxl  vik  müifd  fy  wuiax  cb  eilt, 
ga  vi/ra  mis  ort  arisc. 

go  mbeannuighidh  Dia  elhuit  a  äird-Mhichedl-aingil. 

go  mbeannuighidh  Dia  agas  Muire  dhuit. 

cread  sin  ort,  a  äird-  Mhicheäl-aingüf 

atd  tinneas  cinn, 

tinneas  caoin1), 

fiabhrais  bheaga, 

clo  mharbh  agus  clo  bhreödh  mo  chroidhe. 

na  naoi  mbriathra  bhi  faoi2)  blical  De. 

cochal  mhic  Muire  faoi  mhullach  do  chinn, 

go  bkßlUdh  mise  ort  aris. 

Grrüss'  Gott3),  Erzengel4)  Michael. 

Grüss'  Gott  und  die  Jungfrau  Maria. 

Was  fehlt  dir,  Erzengel  Michael? 

Es  ist  Kopfschmerz, 

Eine  jämmerliche  Krankheit, 

Kleine  Fieber, 

Die  mein  Herz  gequält  und  bedrückt. 

Die  neun6)  Worte  waren  unter  Gottes  Befehl. 

Der  Schutz  des  Sohnes  der  Jungfrau  Maria  sei  über  deinem  Haupte. 

Bis  ich  wieder  zu  dir  zurückkehre. 


1)  Nach  der  Aussprache  ku'i  wäre  cuinn,  gen.  sing,  von  Conti,  uom.  propr.,  anzusetzen, 
was  aber  keinen  mir  verständlichen  Sinn  giebt.  Ich  möchte  daher  vermuten,  dass  hin 
unter  Einfluss  des  Reimwortes  lein  aus  kyn  entstanden  sei. 

2)  Gleich  fd,  ursprünglich  fä  in  Verbindung  mit  pron.  Element. 

3)  Diese  Begrüssungsi'ormeln  im  Munde  Gottes  und  des  Engels  sind  nicht  auffälliger 
als  das  „uuizze  Crist1'  der  Samariterin  im  ahd.  Gedichte  (Müllenhoff-Scherer,  Denkmäler s  22), 
da  sie  völlig  erstarrte  Redewendungen  sind  und  nicht  mehr  als  „guten  Tag"  bedeuten. 

4)  Trotz  der  auffälligen  Infigierung  wohl  so  zu  übersetzen  und  nicht  „hoher  Engel 
Michael"  oder  ähnlich,  übrigens  auch  von  der  Besprecherin  als  Erzengel  aufgefasst. 

5)  Bezieht  sich  wohl  darauf,  dass  der  Spruch  an  drei  Tagen  je  dreimal,  im  ganzen 
also  neunmal  aufgesagt  werden  muss,  obwohl  es  bei  der  Beliebtheit  der  Zahl  neun  nicht 
ausgeschlossen  ist,  dass  nichts  Besonderes  damit  gemeint  ist.  Vgl.  Zeitschr.  d.  Vereins  f. 
Volkskunde  V  6,  19,  22. 


Vier  neuirische  Zaubersprüche.  91 

II.    Gegen  die  Rose, 
a)    [Der  epische  Eingang-] 

impl  jir  müira  U  tib1)  ga  erist, 

n  t-at  xm  r  gül  agds  a  rud  sc&r  drces. 
a)    [Die  Formel] 


impidhe  d'iarr  Aluire  U  to/'l  go  Chriost, 

an  t-at  do  chur  ar  gcid  agus  an  ruadh  do  chur  tharais. 

Ein  Bittgebet  richtete  die  Jungfrau  Maria  mit  Christi  Einverständnis 

[sc.  an  Gott], 
Die  Geschwulst  zurückzutreiben  und  die  Rose  zu  beseitigen. 

III.    Gegen  Leibschmerz. 
a)    [Der  epische  Eingang]  b)    [Die  Formel?] 

für  nun  eg  bau  worab,  kir  &n  ara  sin  ga  celik 

mak  je  n-d  law  sa  ,roM:  s  ga  rn  n  dd  welik  s±än. 


fear  min  ag  bean  bhorb, 

mac  De  i  n-a  Leagkadlr)  'san  cholg, 

>■////■  an  arra  sin  go  'n  t-el<\ 

agus  go  raibh  an  do-bhoilg  ään. 

Ein  freundlicher  Mann  bei  einem   Losen   Weib8), 

Der  Sohn  Gottes  im   Stroh  liegend  .... 

Wende  diesen   Zauber4)  auf  dein    Übel   an, 

Und  der  Leibschmerz  wird  geheilt  sein. 

IV.    Gegen  Zahnschmerz. 
a)    [Der  epische  Eingang  | 
vi  pädr  eg  sru  hörlän, 
hänig  Knast  o.s  e  clN. 
fcerd  sin  ort  a  fädr'f 
a  hiarna,  m  iohl  dtä  ein. 
mosc),  kirirnsa  örd  \icsa,  fad/, 
s  ga  c-iakl  dtä  ein, 
gan  an  örd  nä  n  de  iakl 
ce  ./•  ijn  an  en  cün. 


1)  Wohl  um  des  Rhythmus  willen  statt  des  sonst  allein  gebräuchlichen  tu. 

2)  statt  leagadh. 

3)  Anspielung  auf  die  Legende,  nach  der  Josef  und  Maria  in  Bethlehem  die  Aufnahme 
zinrst  von  der  Frau  des  Hauses  versagt,  dann  aber  auf  Fürsprache  des  Mannes  gewährt 
wurde. 

4)  oder  „lege  dieses  Pfand  auf  die  leidende  Stelle."? 


02  Maurer: 

b)    [Die  Formel] 

[Do]  bhl  Peadar  ag  sruth  h-ürrthainiüin1). 

Thänig  Criost  ös  a  chionn. 

Cread  sin  ort,  a  Pheadairf 

a  thighearna  nüfhiacail  atä  tinu. 

maiseadli,  cuirimse  oradh  dhuitse,  a  Pheadair, 

agus  go  oV  fhiacail  atä  tinn, 

gon  an  oradh  nä  an  doi-fhiacail 

do  bheith  gach  aon'i  n-aon  cheann. 

Peter  war  am  Flusse  Jordan2), 

Da  holte  ihn  Christus  ein. 

Was  fehlt  dir,  Peter? 

O  Herr,  mein  Zahn  ist  krank. 

Nunwohl,  ich  will  für  dich,  Peter, 

Ein  Gebet  über  deinen  kranken  Zahn  sprechen, 

So  dass  Gebet  und  Zahnschmerz 

Nicht  zusammen  in  einem  Kopfe  weilen  können. 

Die  Übersetzungen  werden  den  Sinn,  so  hoffe  ich,  im  grossen  und 
ganzen  richtig  wiedergeben.  Hinsichtlich  jeder  Einzelheit  wage  ich  es 
nicht  zu  behaupten.  Unmittelbar  zur  Erklärung  dieser  Sprüche  dienende 
litterarische  Erzeugnisse  sind  mir  nicht  bekannt,  und  die  mir  ziemlich 
vertraute  Sprache  der  Arauinseln  giebt  keine  weitere  Auskunft.  Eingehendere 
Interpretation  muss  ich  daher  denen  überlassen,  die  tiefer  eindringenden 
Scharfsinn  und  mehr  umfassende  Kenntnisse  haben. 

Marburg  i.  H. 


Kleine  Mittdliinireu. 


Die  Königslösimg. 

In  dem  soeben  erschienenen  dritten  Bande  seiner  ungemein  reichhaltigen 
„Danske  Sagn"  (Silkeborg  1895)  teilt  der  um  die  dänische  Volkskunde  sehr  ver- 
diente Evald  Tang  Rristensen  unter  anderen  auch  eine  Fülle  von  Schatzsagen 
aus  dem  dänischen  Volksmunde  mit     Vielfach  berühren  sich  diese  mit  allgemeinen 


1)  Vgl.  Irish  Manuscript  Series  1,  74. 

2)  Offenbar  aus  einem  anderen,  zur  Stillung  des  Blutes  angewandten  Spruche.  Vgl. 
Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde  V,  12:  Lady  Wilde,  11,  14;  Müllenhoff- Scherer,  Denk- 
mäler3. 


Kleine  Mitteilungen.  93 

und  zumal  auch  bei  uns  in  Deutschland  verbreiteten  Erzählungen;  daneben  aber 
bieten  sie  doch  auch  manche  recht  eigentümliche  Züge,  und  eine  dieser  Besonder- 
heiten möchte  ich  hier  zur  Sprache  bringen,  weil  sie  ein  gewisses  rechtshistorisches 
Interesse  beanspruchen  darf. 

Wiederholt  wird  in  einzelnen  Sagen  die  Grösse  des  Schatzes,  auf  welchen 
sich  die  Erzählung  bezieht,  in  eigentümlicher  Weise  bezeichnet,  und  nicht  selten 
wird  andererseits  die  Hebung  desselben  mit  einem  bestimmt  angegebenen  zukünftigen 
Notstande  in  Verbindung  gebracht,  welchem  abzuhelfen  er  ausschliesslich  berufen 
sein  soll.  Beide  Momente  treten  selbstverständlich  auch  oft  genug  mit  einander 
verbunden  auf,  indem  der  Wert  des  Schatzes  gerade  hoch  genug  bemessen  erscheint, 
um  ihn  dem  Bedürfnisse  genügen  zu  lassen,  welches  zu  decken  er  im  gegebenen 
Falle  bestimmt  ist.  Sehr  häufig  ist  es  der  Wiederaufbau  eines  Bauernhofes,  eines 
Schlosses  oder  einer  Kirche,  dessen  Kosten  der  Schatz  im  Falle  eines  Brand- 
schadens decken  soll;  aber  es  kann  auch  die  Rettung  eines  verarmenden  Bauern 
von  dem  ihm  drohenden  Bettelstabe  sein,  um  welche  es  sich  handelt  (No.  2398, 
S.  470),  oder  die  Wiedereinlösung  eines  im  Spiel  verlorenen  Schlosses  (No.  2439, 
S.  482),  oder  gar  die  Ernährung  des  ganzen  Volkes  während  einer  schweren 
Hungersnot,  die  über  Dänemark  hereinbrechen  wird  (No.  2390,  S.  468).  Anderer- 
seits soll  einmal  ein  Schatz  dem  zehnfachen  Jahresertrage  des  Gutes  gleichkommen, 
innerhalb  dessen  er  liegt  (No.  2388,  S.  468),  oder  sein  Wert  soll  den  dreijährigen 
Steuerertrag  von  ganz  Dänemark  erreichen  (No.  2374,  S.  466),  oder  den  sieben- 
jährigen Steuerbetrag  (No.  2372,  S.  465  und  No.  2381,  S.  467),  oder  wenigstens 
den  siebenjährigen  Betrag  der  Steuern  in  Nordjütland  (No.  2377,  S.  466),  oder 
umgekehrt  den  vollen  neunjährigen  Ertrag  aller  Steuern  (No.  2378,  S.  466),  oder 
es  wird  auch  wohl  der  Schatz  als  gross  genug  bezeichnet,  um  mit  ihm  sieben 
Jahre  lang  die  ganze  Steuer  für  Dänemark  zahlen  zu  können  (No.  2379,  S.  467). 
Andere  Male  soll  der  Schatz  so  gross  sein,  dass  man  mit  ihm  alle  Schulden  von 
Dänemark  bezahlen  kann  (No.  2372,  S.  465  und  No.  2376,  S.  466)  oder  gar  alle 
Schulden  von  Dänemark  in  hundert  Jahren  (No.  2380,  S.  467);  oder  er  ist  mehr 
wert  als  ganz  Dänemark  (No.  2382  und  2383,  S.  467),  was  auch  wohl  so  aus- 
gedrückt wird,  dass  er  mehr  Geld  enthalte  als  man  brauche,  um  ganz  Dänemark 
zu  kaufen  Einmal  heisst  es  auch  wohl  von  einem  Schatze,  er  sei  gross  genug, 
dass  man  einmal  mit  ihm  Dänemark  auslösen  könne  (No.  2375,  S.  466);  weit 
häufiger  wird  aber  in  dieser  letzten  Verbindung  der  König  an  die  Stelle  des 
Reiches  gesetzt  und  allenfalls  der  Schatz  als  so  reich  bezeichnet,  „dass  er  unseren 
König  auslösen  kann,  wenn  er  gefangen  genommen  wird"*  (No.  2366,  S.  464). 
Dieser  letztere  Massstab  für  die  Taxierung  von  Schätzen  scheint  ganz  besonders 
beliebt  zu  sein,  da  die  Bezeichnung  „Kon gelosen"  oder  „Kongelasning", 
d.  h.  Königslösung  für  Schätze  sehr  erheblichen  Weites  sehr  häufig  wiederkehrt 
(No.  2365  und  2367,  S.  464;  No.  2368,  2369,  2370  und  2371,  S.  465;  No.  2418, 
S.  477).  An  diesen  letzteren  Ausdruck  knüpft  sich  nun  aber  noch  eine  nähere 
Erläuterung  an,  welche  mir  ganz  besonders  wertvoll  erscheint  (No.  2364,  S.  464), 
sie  lautet  in  wörtlicher  Übersetzung:  „Eine  Königslösung  ist  so  gross,  dass,  wenn 
der  König  auf  seinen  Knieen  liegt  und  man  Geldstücke  über  ihn  schüttet  und  sie 
niederrollen  wie  sie  woben,  sie  ihn  zuletzt  ganz  zu  verdecken  vermögen.  Wenn 
er  an  einem  oder  dem  anderen  Orte  gefangen  genommen  wird,  kann  er  sich  mit 
dieser  Königslösung  frei  kaufen  "  Wir  sehen  demnach  hier  für  den  Wert  des 
Königs  ein  für  allemal  vorgesorgt,  wie  etwTa  in  den  altenglischen  Rechtsdenkmiilei n 
für  ihn  ein  eigenes  Wergeld  vorgesehen  ist;  aber  dieser  Wert  wird  in  ähnlicher 
Weise  bestimmt,  wie  in  jenen  altgermanischen  Mordsühnen,   über  welche  J.  Grimm 


04  Schwarte: 

bereits  vor  achtzig  Jahren  im  eisten  Bande  der  Zeitschrift  für  geschichtliche  Recht- 
wissenschaft gehandelt  hat  (Kleinere  Schriften,  Bd.  VI,  S.  144 — 52).  Wir  haben 
demnach  in  der  angefühlten  dänischen  Volkssage  eine  letzte  Spur  einer  alt- 
gennanischen  Rechtsitte  vor  uns. 

München.  K.  Maurer. 


Vom  Spuken. 

Eine  Miscolle  von  Wilhelm  Sclmartz. 

In  grossen  Städten,  wo  das  Leben  bei  Tag  und  Nacht  lebendiger  pulsiert,  ist 
keine  Stätte  mehr  für  das  Spuken  Verstorbener.  Auf  dem  Lande  aber  in  den 
mehr  isolierten  Lebensverhältnissen  hält  sich  der  alte  Glaube  noch  zum  Teil,  und 
besondere  Umstände  geben  ihm  immer  wieder  gelegentlich  Nahrung. 

Interessant  ist  in  dieser  Hinsicht  folgende  Mitteilung,  welche  mir  die  ver- 
witwete Frau  Majorin  von  Unruhe  in  Neu-Ruppin  gemacht,  der  ich  schon  früher 
einzelne  hübsehe  Volksgeschichten  zu  verdanken  hatte,  die  im  ersten  Artikel  der 
„Volkstümlichen  Schlaglichter"  im  1.  Bande  unserer  Zeitschrift  S.  21  f.  eine  Stelle 
gefunden  haben. 

,,lch  hatte",  schreibt  die  Dame,  „eine  sehr  treue  Arbeiterin,  Frau  Schulz,  in 
meinem  vor  dem  Seethor  gelegenen  Garten.  Ich  bin  mit  ihr  einmal  noch  spät  in 
demselben,  da  wird  sie  unwohl.  Folgenden  Tages  kommt  sie  nicht  zur  Arbeit; 
sie  liegt  krank,  der  Typhus  bricht  aus,  sie  stirbt." 

„Ich  schicke  nach  ihrem  Tode,  als  sie  noch  nicht  begraben  ist,  meinen 
Gartenjungen  nach  Petersilie  in  den  Garten  Derselbe  ist  der  Sohn  meines  Tischlers, 
den  ich  ebenfalls  früher  als  Gartenjungen  hatte,  ehe  er  in  die  Lehre  ging.  Da 
kommt  der  Tischler  atemlos  zu  mir  und  sagt:  „Mein  Junge  ist  zu  Haus  ganz  weg.  — 
Die  Schulzen  geht  im  Garten  um,  der  Junge  hat  sie  gesehen,  als  sie  in  den 
Johannisbeersträuchern  umherraste.  —  Sie  war  zu  eifrig  nach  dem  Garten;  starb 
so  schon  schwer  und  redete  nur  immer  noch  von  dem  Garten,  und  so  lange  sie 
über  der  Erde  ist.  geht  niemand  mehr  von  uns  hin." 

„Nun",  frage  ich,  „wie  sah  sie  denn  aus?"  „Na",  sagt  er.  ..sie  war  ein  gelber 
Hund,  mit  spitzen  Ohren  und  hatte  noch  ein  Stück  Weide  am  Halse.  Sie  fuhr 
nach  allen  Seiten  hin,  bis  mein  Ernst  endlich  wieder  die  Thür  zur  Mauer  fand.  — 
Aber  hingehen  thut  er  nicht  wieder.  Da  können  Sie  machen,  was  Sie  wollen,  die 
Schulzen  ist  es,  weiter  niemand." 

„Keine  Vorstellungen  nützten,  es  blieb  dabei.  Der  Tischler  staunte  nur,  dass 
ich  so  unerfahren  wäre  in  dieser  Hinsicht,  so  etwas  nicht  glaubte  und  wüsste." 

„Auch  als  sich  später  herausstellte,  dass  es  eines  Nachbars  Hund  gewesen, 
der  sich  losgerissen  und  durch  den  Zaun  von  Sträuchern  gedrückt  und  den  ganzen 
Garten  durchlaufen  hatte,  änderte  es  in  der  Sache  nichts.  Die  spitzen  Ohren,  — 
die  Schulzen  hatte  auch  spitze  Ohren,  —  es  war  und  musste  ihr  Geist  gewesen  sein." 

„So  geschehen  im  Jahre  1890  zu  Neu-Ruppin";  mit  diesen  Worten  schliesst 
Frau  von  Unruhe  ihren  Bericht. 

Ist  die  Geschichte  in  ihrer  lebendigen  Darstellung  und  in  der  Anknüpfung  an 
den  allgemeinen,  ihr  noch  zu  Grunde  liegenden  Volksglauben  schon  an  und  für 
sich  interessant,  so  wird  sie  noch  durch  Einzelnes  besonders  charakteristisch  für 
die  Entwicklung  und  den  Typus  solchen  Spukglaubens. 

Dass  der  Tote  umgeht,  so  lange  er  noch  nicht  begraben  worden,  ist  ein  uralter 
Zu»'  des  hierher  schlagenden  Aberglaubens,    ebenso,  dass  der  Geist  namentlich  an 


Kleine  Mitteilungen.  95 

der  Stätte  spukt,  wo  er  bei  Lebzeiten  gewirkt  und  an  der  entweder  sein  Herz 
besonders  hing  oder  wo  noch  etwas  zu  sühnen  oder  umgekehrt  zu  rächen  sei1). 
Bedeutsam  wird  aber  in  dem  vorliegenden  Falle,  dass  in  demselben  so  recht  deutlich 
sich  zeigt,  wie  der  Zufall  mit  allerhand  näheren  Umständen  die  Form  bestimmt, 
unter  welcher  der  Geist  sich  angeblich  bemerkbar  macht.  Wie  in  der  Ruppiner 
Geschichte  es  ein  Hund  ist,  dem  die  Rolle  zufällt,  so  war  es  in  einer  Spukgeschichte, 
die  ich  in  Flinsberg  einmal  hörte,  „ein  Katzel",  in  deren  Gestalt  „die  alte  Heidrich" 
meist  umging  und,  wie  es  hiess.  des  Abends  immer  um  ihr  altes  Haus  ..flankierte", 
bis  sie  „gebannt  wurde"2). 

Ich  hebe  dies  besonders  hervor,  weil  man  vielfach  in  dem  Charakter  der  Tiere 
in  solchem  Falle  den  Grund  sucht,  der  sie  mit  einem  Geiste  in  Verbindung  bringe 
und  an  seiner  Stelle  auftreten  lasse,  während  meistenteils  einfach,  wie  gesagt,  die 
Verhältnisse  dabei  mitspielen  und  jede  auffallende  Erscheinung  —  ja  selbst  ein 
plötzlicher  Luftzug  oder  ein  angebliches  Licht-  oder  Schattenbild  in  den  Räumen, 
wo  der  Tote  verkehrt  hat,  —  an  den  Verstorbenen  mahnen  kann.  Die  durch  einen 
Todesfall  hervorgerufene  unheimliche,  nervöse  Stimmung  ist  nämlich  das  Agens, 
auf  das  alles,  was  aussergewöhnlich  erscheint,  einwirkt  und  die  Gedanken  je  nach 
den  sie  beherrschenden  Vorstellungen  lenkt. 

Dem  gezeichneten  Glauben  an  Spuk  sind  in  psychologischer  Hinsicht  nahe 
verwandt  Visionen,  die  nicht  bloss  in  Träumen  sondern  auch  im  Wachen  eine1 
entsprechend  gestimmte  Seele  antreten.  Auch  auf  das  Volkstum  reflektieren  sie  in 
mannigfacher  Weise,  wovon  ich  schon  gelegentlich  gehandelt  und  Beispiele  beigebracht 
habe3).  Ich  will  hier  nur  noch  ein  Moment  erwähnen,  das  sich  dein  Spuken  in 
dieser  Hinsicht  nahe  stellt,  nur  dass  es  nicht  \<>n  dem  Umgehen  eines  Toten  handelt, 
sondern  die  Fähigkeit  -umzugehen"  und  so  plötzlich  an  dieser  oder  jener  Stelle 
zu  erscheinen,  auch  Lebenden  vindiziert.  Statt  des  Grauens,  welches  den  Glauben  an 
das  Umgehen  Toter  erzeugt,  spielt  bei  solchen  Visionen  das  böse  Gewissen  eine 
Rolle.  Bedeutendere  Persönlichkeiten,  die  durch  ihre  einfache  Erscheinung  schon 
den  Leuten  imponieren  und  von  deren  Thätigkeit  sie  die  Spuren  oft  unerwartet 
plötzlich,  wo  man  sie  gar  nicht  geahnt,  wiederlinden,  kommen  leicht  in  den  Ruf, 
man  sei  nie  vor  ihnen  in  dieser  Hinsicht  ganz,  sicher,  sie  könnten  eben  mehr  als 
gewöhnliche  Menschen,  und  wo  man  noch  an  die  Möglichkeil  des  Zauberns  glaubt, 
werden  sie  so  zu  einer  Art  Hexenmeister').  Dienstleute  und  überhaupt  sogenannte 
kleine  Leute  haben  mir  oft  erzählt,  mit  dem  oder  jenem  Herrn,  meist  einem  Guts- 
besitzer oder  Förster  oder  Aufsichtsbeamten  (z.B.  einem  Steueraufseher),  sei  nicht 
zu  spassen.     Es  sei  vorgekommen,  dass  man  ihn  eben   habe  fortfahren  sehen  oder 

1)  So  verlangt  der  Geist  des  Elpenor  bei  Homer  vom  Odysseus  Bestattuug,  derweil 
er  sonst  nicht  Ruhe  finden  und  in  die  Unterwelt  eingehen  könne.  —  Desgl.  weicht  nach 
Lucian  aus  dem  Spukhause  zu  Korinth  der  umgehende  Geist  eines  daselbst  Ermordeten 
erst,  als  seine  Gebeine,  die  in  einem  Winkel  des  Hauses  eingescharrt  waren,  aufgefunden 
und  rituell  bestattet  wurden,  s  Schwartz,  Nachklänge  prähistorischen  Volksglaubens  im 
Homer.     Berlin  1894,  S.  31. 

2)  Schwartz,  Volkstümliches  aus  der  alten  Lausitzer  Gegend  von  Flinsberg  im  dritten 
Bande  der  „Niederlausitzer  Mitteilungen",  Ztschr.  der  Niederlaus  Gesellschaft  für  Anthro- 
pologie und  Altertumskunde.     Guben  1894,  S.  65. 

3)  Kulturhistorische  und  mythologische  Studien  in  Flinsberg  1876  u.  77  in  der  Zeit- 
schrift ..Ausland"  1878,  No,  10.  Wieder  abgedruckt  in  meinen  Prähistorischen  Studien. 
Berlin  1884,  S.  372  ff. 

4)  Wie  in  den  märkischen  Sagen  Markgraf  Hans,  der  alte  Ziethen,  der  Kammerherr 
von  Suckow  u.  s.  w.     s.  meine  ..Märkischen  Sagen".     Berlin  1895. 


\){]  Schatzmayr: 

gewusst  habe,  dass  er  an  einem  ganz  anderen  Ort  zu  thun  habe,  und  plötzlich, 
wenn  z.  B.  ein  Knecht  in  unredlicher  Absicht  sich  beim  Futterkasten  etwas  zu 
thun  gemacht  habe  oder  eine  Magd  in  ähnlicher  Absicht  in  die  Milch-  oder  Speise- 
kammer geschlichen  sei,  hätte  mit  einem  Male  der  Herr  leibhaftig  ihnen  über 
die  Schultern  gesehen,  so  dass  sie  vor  Schreck  alles  hätten  stehen  und  liegen 
lassen  und  gemacht  hätten,  dass  sie  nur  heil  davon  kämen.  An  derartige  Ge- 
schichten knüpft  sich  dann  leicht  eine  Sage,  wie  sie  u.  a.  von  dem  Spukschloss  in 
Meffersdorf  in  Schlesien  berichtet  wird,  wo  auf  den  alten  General-Major  von  Gersdorf 
(aus  dem  vorigen  Jahrhundert)  manches  Zauberhafte  übertragen  worden  ist  und 
erzählt  wird,  dass  er  bei  seiner  eigenen  Beerdigung  selbst  noch  unerwartet  in  figura 
als  lustiger  Teilnehmer  erschienen  sei,  denn  als  er  gestorben,  und  sie  den  Sarg 
aufhoben,  heisst  es,  um  ihn  fortzutragen,  und  zufällig  zum  Fenster  hinauf  sahen, 
da  stand  der  alte  General  am  Fenster,  wie  er  leibt  und  lebt  und  lachte  dazu1), 
ebenso  wie  im  Glatzer  Gebirge  der  sogenannte  Vogelhannes  bei  seiner  angeblichen 
Beerdigung  auf  der  Dachrinne  erschienen  und  dort  seine  Wippchen  gemacht  haben 
sollte.  Einem  Zauberer  ist  eben  alles  möglich!2) 
Berlin. 


Kärntner  Liedelu. 

Mitgeteilt  von  I  >r.  E.  Scliatzinayr  in  Mantua  aus  dem  Munde  der  zwölfjährigen 
Maria  Amenitsch  in  Widerschwing. 

I.    Plepperliedeln.3) 
1. 
In  Feld  singk  dö  Ler-hn.  Un  draussn  in  Walt 

In  Wald  schlagk  da  Fink,  Schreit  a  Vogl:  gugü, 

Und  z'Haus  häb  i  a  Nächtigal.  Griass  di  Göd,  mer  liabs  Frujäur. 

Dö  gaa  so  schean  singk;  Bist  keman?  —  juhü! 

2.    's  Karnalänt  (Kärntnerland). 

In  Gailtal  scheani  Wislan4) 
In  Lafntal  guets  Feit, 
in  Drägtal5)  groassi   Wälda. 
z'Glonfuat")  fil  Gelt, 

Af  da  Saualm  seint  Hirschlan, 
Af  da  Fladnitz  seint  Reh, 
Afn  Dobrac  zwo  Kirhlan, 
Am  Pressck  a  Se.    Jodler. 


1)  Zeitschrift  der  Niederlaus.  Gesellschaft,  1894,  S.  63. 

2)  Max  Klose,  Sagen  der  Grafschaft  Glatz.  Schweidniz.  S.  77.  Wie  der  Vogelhannes 
ein  Analogon  des  Rübezahl  ist,  so  giebt  es  von  diesem  auch  eine  Sage,  nach  welcher  ei- 
sern Testament  macht  und  sich  begraben  lässt  und  dann  noch  aus  dem  Sarge  die  Leute 
verhöhnt,  s.  Kletke,  Das  Buch  vom  Rübezahl.     Breslau  1852.     S.  73. 

3)  Das  Wort  Schnadahüpfln  für  diese  meist  vierzeiligen  Gsanglan  hört  man  in  Unter- 
Kärnten selten:  der  gewöhnliche  Name  ist  Pleppaliedlan.  Vgl.  E.  Schatzmayr  in  K. 
Frommans  Monatschrift:  Die  deutschen  Mundarten.  IV.  Band,  S.  523.  Nürnberg  1857. 
—  Lexer,  Kärntisches  Wörterbuch  31. 

4)  Wiesen.  5)  Drauthal.  fi)  Klagenfurt,  urspr.  Gl  an  fürt. 


Kleine  Mitteilungen 


97 


3.    LäfnU 
Läfntäl,  Läfntäl  — 
Scheans  Tai,  sägn's  iwaral: 
Scheani  Wislan,  scheani  Felda, 
Scheani  Berglan,  scheani  Wälda, 
Scheani  Päm'j,  guata  Most, 
Starchi  Lait,  guati  Kost. 


1  (Lavantthal). 

Läfntäl,  Läfntäl  — 
Paradis,  s:»gn's  iwaräl: 
Pili  Hirschlan,  Ali  Bechlan, 
Fili  Derflan,  Ali  Weglan, 
Roatö  Apfalan,  schean  runt, 
Dö  sein  guat,  dö  sein  g'sunt. 


I  bin  a  Karnadeandle, 
I  bin  a  fesches  Deandle, 
Hab  imma  frischn  Muet, 
Das  steaht  ma  gäa  so  guet  - 
Und  wän's  zan  singan  kimp. 
Da  sing  i's  lusti  mid, 
Den  a  Karnarin 
Tuat's  ändast  nid.     Jodler. 


I  bin  a  Karnabua, 

I  bin  a  fescha  Bua: 

I  las  mei'  Stutzal  knälln, 

I  las  mei'  Lied  erschälln  — 

Und  wän  da  Kaisa  rueft, 

Dan  gib  i  gean  mei'  Bluet, 

AVeil  a  Karnabua 

'n  Kaisa  liebn  tuet.     Jodler. 


Hin  i's  a  frischa  Jäga, 
Bin  i's  a  frischa  Pua, 
Nim's  Stutzal  af  dö  Axal 
Und  geah  in  grean  Wald  zua: 

Das  Stutzal.  das  mues  knalan. 
Man  heat  es  zimlich  weit, 
Das  Hirschlein,  das  mues  fälan, 
Dass  sich  mein  Heaz  eafrait: 
Wol  auf  dar  hoachn  Alm,  u.  s.  w. 

Hiazt  geamas3)  zua  da  Sendarm 

Und  fragn  mas'  wia  so  hast  (heisst): 

So   wartet  uns  an  Butar  auf 

Und  noh  dazua  an  Käs  — 

Wol  auf  dar  hoachn  Alm,  u.  s.  w. 


IL    Jägerlied.2) 
Af  dar  Alm. 

Wol  auf  dar  hoachn 
Wol 


\lm. 
bei  dar  hextn  Schneid, 


Wol  bei  dar  Send(r)in  drobn 
Hab  i's  mei'  Praid.     Jodler. 

Nim's  Hirschlein  bev  di  Sterndlan 
Und  ziach  es  aus  dem  Wog, 
Vom   Wöge  ins  Gesträuselein, 
Dort  hab  i's  guet  vastöckt: 
Wol  auf  dar  hoachn   Alm,  u.  s.  w. 

Dö  Sendrin  is  a  Mädl 
Wia  Milach  und  wia  Bluet, 
So  is  den  frischn  Jäga 
Von  Heazn  gäa  so  gut  — 
Wol   auf  dar  hoachn  Alm,  u.  s.  w. 
(Kehrreime.) 


Dahäm  pan  Dirndl 
Dort  gipps  ma  fil  z'  Pil  Pleach 
Geah  liawar  auf  dö  hoachi  Alm 
Wo  Mio  Hittlan  steant. 


III.  Wildschützlied.') 
pleib  i's  nid,  Und  wia  i's  auf  dö  Alma  ki 


Hat's  mir  so  sickrisch-')  g'fälln, 
Lei  wia  dö  Sendrin  umalant0) 
Bei  Kualan  und  bei  Kalm; 


1)  Bäume. 

2)  Anklänge    darin    an    das  steirische  Lied  bei  Schlossar,    Deutsche  Volkslieder  aus 
Steiermark,  No.  180.     Innsbruck  1881. 

3)  Jetzt  gehen  wir. 

4)  Anklänge    in  einem  Salzburger  Liede  bei  V 

5)  oder  sackrisch  =  verflucht,  dann  steigernd. 

6)  Umherlehnt  —  oder   uniawälgk:    sich  umhertreibt.  —  le 
auch  tirolisches  Flickwort:  Lexer,  Kärntisches  Wörterbuch  175. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1896. 


Süss,    Salzburger  Volkslieder,    S.  67. 
kärntisches,    zum  Teil 


Bolte: 


Hon  mi  a  weni  nidagsötzt, 
Äwa  freili  wol  nit  z'läng, 
Glei  wia  i's  af  dö  Gampslan  denk, 
Werd  mir  dö  Zeit  schon  z'läng. 

Und  wia  i's  af  dö  Alma  kim, 
Las  i  mei'  Stutzäl  knälln: 
Drei  Gampslan  sein  af  ämäl  tod, 
Juchhe!  das  hat  ma  g'fälln. 

Da  Jäga,  dea  wäar  ä  nit  weit, 
Ea  heat  den  Schus  gäa  balt: 
Ea  lauft  dö  Alm  wol  aus  und  ein, 
Bei  mir  da  war  a  bält; 

Da  Jäga  spänt  af  mi  den  Hahn 
Und  schiast  mar  auf  das  Löbn  — 
Dö  Kugl  ging  ins  G'wänd  hinein, 
I  hon  mi  nit  ergöbn! 


„Ei  du  vaflickta  Wüldpratschitz, 
Pass  auf,  was  i  da  säg: 
Dö  Gampslan  dö  du  g'schosn  hast, 
Dö  muest  du  selwa  trägn."  — 

„Ei  du  vaflickta  Jägasbua, 

Pas  auf,  was  ih  da  thua: 

Dö  Gampslan,  dö  muest  du  ma  trägn, 

Sunst  schias  i  di  za  Rua."  —  — 

Er  nahm  sie  auf  die  Äxl, 
Dass  ihn  da  Puckl  kracht: 
I  pin  wol  hintn  nächn  gang 
Und  hän  mi  z'  putzat  g'lächt. 

Und  wia  ma's  auf  dö  Pruckn  kern, 
Schmeist  ea  dö  Gampslan  wöck: 
„Ei  du  vaflickta  Wüldpratschitz, 
Da  hast  du  deinö  Pöck!" 


Nochmals  das  Kinderlied  vom  Herrn  von  Ninive. 

Als  Grundlage  des  rätselhaften  Kinderreimes  vom  Herrn  von  Ninive  habe  ich 
in  dieser  Zeitschrift  4,  180  ein  deutsches  Gesellschaftsspiel  nachgewiesen,  das 
schon  im  17.  Jahrhundert  citiert  wird,  von  dem  aber  bisher  kein  vollständiger  Text 
bekannt  war.  Nun  macht  mich  Herr  Dr.  John  Meier  in  Halle  freundlichst  auf 
einen  solchen  aufmerksam,  der  in  einem  um  1 750  gedruckten  Büchlein:  ,Alle  Arten 
von  Schertz-  und  Pfänderspielen  in  lustigen  Compagnien  von  Bruder  Lustigen") 
auf  S.  12  als  No.  6  zu  finden  ist.     Er  lautet: 

,Das  sogenannte  Kloster-Münch-  und  Nonnen-Spiel.' 
,Es  stellen  sich  alle  vorhandene  Manns-Personen  in  eine  lange  Reihe,  und 
gegen  über  die  Praueuzimmer,  doch  dass  die  Zahl  paar  und  paar  ausmache,  eben 
auf  die  Art,  wie  man  sich  bey  denen  englischen  Tänzen  zu  stellen  pflegt.  Unten 
queer  vor  stellet  sich  eine  Manns-Person,  so  über  die  paarweise  gegen  einander 
über  stehende  übrig  sey,  und  dieser  wird  der  weise  Mann  genennet;  die  Frauen- 
zimmer sind  die  Nonnen,  und  die  Manns-Personen  die  Münche.  Hierauf  fangen 
die  Nönngen  alle  zusammen  also  zu  singen  an: 

Hier  kommen  die  kecken  Nonnen  daher, 

Sera,  Sera,  sancti  nostri  Domine! 

Hierauf  fangen  die  gegen  überstehenden  Münche  zu  singen  an: 
Was  ist  der  Nonnen  ihr  Begehr: 
Sera,  Sera,  sancti  nostri  Domine! 

Diesem  antworten  die  Nonnen  singend: 

Wir  fragen  nach  dem  weisen  Mann, 
Der  uns  das  Petschaft  zeigen  kan. 
Sera,  Sera,  sancti  nostri  Domine! 


1)  Frankfurt  und  Leipzig  o.  J.  8°  (Berlin  Os  10  550).  Eine  andere  Ausgabe,  an- 
genehmer Zeitvertreib  lustiger  Schertz-Spiele'  (Frankfurt  und  Leipzig  1757.  In  Berlin  Os 
10  560),  enthält  das  Spiel  auf  S.  9. 


Kleine  Mitteilungen.  99 

Die  Mönche  antworten  hierauf: 

Der  weise  Mann  der  ist  nicht  hier, 
Er  ist  in  seinem  Schreibe-Loschier. 
Sera,  Sera,  sancti  nostri  Domine! 

Die  Nonnen  antworten  abermals: 

Wir  fragen  nach  den  weisen  Mann, 
Der  uns  den  Brief  recht  lesen  kan. 
Sera,  Sera,  sancti  nostri  Domine! 

Nun  fanget  der  weise  Mann  unten  queer  vor  an: 
In  diesem  Briefe  steht  geschrieben, 
Ein  jeder  soll  sein  Nönngen  lieben. 
Sera,  Sera,  sancti  nostri  Domine! 

Hierauf  nimmt  ein  jeder  Mönch  sein  gegen  überstehendes  Nönngen,  küsset  sie, 
gehet  mit  ihr  nach  dem  weisen  Mann  zu,  und  singet: 

Wir  wünschen  der  Braut  ein  neues  Jahr, 
Was  wir  wünschen,  das  werde  wahr. 
Sera,  Sera,  sancti  nostri  Domine!' 

Dieser  Spieltext  ergänzt  trefflich  die  Nachrichten  Candorins  und  der  Herzogin 
von  Orleans  und  lehrt  zugleich,  dass  die  schwedische  und  die  von  Peilberg  (Zeit- 
schrift 5, 106)  mitgeteilte  dänische  Version  alle  wesentlichen  Züge  der  deutschen  Vor- 
lage beibehalten  haben.  Wie  beliebt  übrigens  die  Verkappung  in  ein  Klosterhabit 
als  gesellige  Unterhaltung  war,  erkennen  wir  daraus,  dass  dieselbe  Sammlung  auf 
S.  53,  77  und  124  noch  zwei  Klosterspiele  und  ein  für  heutige  Anstandsbegriffe 
etwas  gewagtes  Pater-  und  Nonnenspiel  enthält. 

Von  dem  jüngeren  Kinderliede  sind  noch  weitere  Texte  nachzutragen.  Erk- 
Böhme  (Deutscher  Liederhort  3,  616,  No.  1903—1907)  bringt  fünf  Nummern  aus 
dem  Rheinland,  Sachsen,  der  Schweiz,  Oberhessen  und  Westfalen;  P.  Joerres 
(Sparren,  Späne  und  Splitter  1889,  S.  32)  eine  Aufzeichnung  von  der  Ahr:  ,Da 
kommen  die  Herren  aus  Nonnivieh';  J.  Spee  (Volkstümliches  vom  Niederrhein  1875, 
2,  15,  No.  21)  eine  andere  aus  Xanten:  ,Do  kome  dri  Kanönckes  her',  während  ein 
von  W.  Nathansen  (Aus  Hamburgs  alten  Tagen  1894,  S.  125)  veröffentlichter  Text 
beginnt:  ,Es  kommt  ein  Herr  aus  Oldenburg'. 

Berlin.  J.  Bolte. 


Bastlösereime. 

Gesammelt  von  K.  Ed.  Haase. 

(Portsetzung  von  Zeitschrift  IV,  74—76). 

28.  Pfip,  pfap,  pfepe! 
Mäk  mi  ne  Pfepe. 
Wovan? 

Van  Thymian  un  Bastian, 

Det  se  bal  mag  afgähn.     (Dierberg,  Wuthenow,  Kr.  Ruppin.) 

29.  Huppup,  Huppup,  Basteljähn, 
Lät  den  Bast  von't  Holt  afgähn, 
Lät  de  Huppup  werren, 

Lät  se  nich  verderwen.  (Lenzen  a.  d.  Elbe.) 

7* 


100 


Haase: 


30. 


32. 


33. 


34. 


35. 


Buller,  buller,  Bullerjähn. 

Will  de  Pleut  bald  rannergähn? 

Hinner  Neu-Ruppin 

Liggt  en  fettes  (dickes)  Schwin, 

Hinner  Markau 

Liggt  ne  olle  (dicke)  Sau. 

(Alt-Ruppin.) 


36. 


Rummel  de  buff, 

De  Katt  de  knuff, 

De  Scher  de  schnitt, 

De  Hund  de  bitt, 

37. 

Rummel  de  buff. 

(Alt-Ruppin.) 

a) 

Bibi,  bibi,  Bullerjahn, 

Lät  de  Pleut  zum  Schnurrer  gähn, 

Lät  se  god  wer'n, 

Lät  se  nich  verderwen. 

(Alt-Ruppin.) 

Pipas,  pipas,  lat  dine  Pleut  afgähn ! 

Hinner  Berlin 

Liggt  en  fett  Schwin, 

Det  hol  di, 

Det  brat  di, 

Det  schmeckt  di  so  schön. 

CAlt-Ruppin.) 

Hinter  Markau 

Liegt  ne  olle  Sau, 

Hinter  Ruppin 

Unten  im  Rhin 

Liegt  en  oll  Schwin, 

Hat'n  Waschlappen  im  A  .  .  .  . 

Hat'n  Waschlappen  im  A  .  .  .  . 

Treck  rat,  treck  rüt,  treck  rat. 

(Neu-Ruppin.) 

Sipp  sapp,  sipp  sapp  seute, 
Ik  mäke  mei  ne  Fleute. 
Sipp  sapp,  sipp  sapp,  sepe, 
1k  mäke  mei  ne  Pfepe. 
Thymejörn  un  Mayerorn, 
Da  gähn  de  beste  Pleuten  van. 

(Betzin,  Kr.  Ost-Havelland.) 

40.    Kloppe,  kloppe, 


b) 


:;s. 


Klopp,  klopp,  klopp,  Bullerjähn, 
Lät  de  Sunn  nich  unnergähn, 
Lät  se  god  schien 
Bes  Ol-Roppin. 
Da  danzen  de  Schwin, 
Da  fiddelt  de  Bück, 
Da  geiht't  immer  näh'n  Blocksberg1) 
rup. 

(Dabergotz,  Kr.  Ruppin.) 
Vgl.  No.  15  (IV.  Jahrg.,  S.  75). 

Klopp,  klopp,  Bullerjähn, 
Lät  de  Pfep  un  Pleut  afgähn, 
Lät  se  nich  verderwen, 
Lät  se  god  werden. 

(Langen,  Kr.  Ruppin.) 

Klopp,  klopp,  Bullerjähn, 
Lät  de  Pleut  den  Saft  afgähn, 
Dat  se  god  geiht, 
Dat  se  nich  verderwen  deiht. 

(Treskow,  Kr.  Ruppin.) 
Vgl  No.  7  u.  s  ([V.  Jahrg.,  S.  74). 

Pfifchen,  Pfifchen,  rode  (—  gerate), 
Kömmt  Hans  Knote, 
Schlett  (=  schlägt)  dich  in'n  Nacken, 
Dass  de  Lise  (=  Läuse)  knacken. 
Kömmt  der  Hahn, 
Hackt  dich  an; 
Kömmt  der  Hund, 
Prisst  dich  rund; 
Kömmt's  Kalb, 
Prisst  dich  halb; 
Kömmt's  Schwin, 

Prisst  dich  ganz  und  gar  nin  (=  hinein). 
(Prankenhausen  am  Kyffhäuser.) 


Ml) 


Pfifchen,  geb  Saft, 
Drei  Löffel  voll  Kraft. 

(Prankenhausen.     Rottleben.) 

Pfaben, 


Da  kömmt  der  Mann  von  Schlaten-) 

Un  haut  dich  den  Kopp  ab 

Un  wirft  dich  in  den  Graben, 

Da  kömmt  ein  Schwein 

Un  isst  es  nein.  (Greussen  in  Thüringen.) 


1)  Ein  Blocksberg  liegt  zwischen  Dabergotz,  Kerzlin  und  Lüchfeld  im  Kreise  Ruppin. 

2)  Schlaten  =  Schlotheim,  ein  schwarzburgiscb.es  Städtchen. 


Kleine  Mitteilungen.  101 

41.    Pfaepchen,  gieb  Saft, 
Einen  Löffel  voll  Kraft. 
Wenn  du  das  nicht  thust, 
So  werf  ich  dich  in'n  Graben, 
Da  fressen  dich  die  Raben, 
Da  kömmt  das  Kalb 
Und  frisst  dich  halb, 
Da  kömmt  d;is  Schwein 
Und  frisst  dich  ganz  und  gar  hinein. 

(Greussen  in  Thüringen.) 


Plan  einer  Ethnographical  Survey  über  Britannien. 

An  eine  rühmende  Erwähnung  des  verstorbenen  russischen  Sammlers  und 
Volksforschers  Mich.  Dragomanov  und  seiner  grossen  Sammlung  bulgarischer 
Volksüberlieferung  Sbornik  (9  Bände),  die  auf  Kosten  der  bulgarischen  Regierung 
erscheint,  wird  in  dem  englischen  Journal  Folk-Lore  (VI,  312)  folgende  Bemerkung 
geküpft:  „Our  own  government  unfortunatly  is  so  poor  that  it  cannot  find  a  penny 
for  such  patriotic  works  as  the  collection  and  preservation  of  the  national  traditions, 
and  the  Ethnographical  Survey.  These  must  be  left  to  be  carried  out  under 
manifold  disadvantages  and  consequent  defects  by  private  entreprise." 

Diese  Privatunternehmung  hat  ein  Comite  der  British  Association  for  the 
Advancement  of  Science  in  die  Hand  genommen,  bestehend  u.  a.  aus  den  Herren 
Brabrook,  Gomme,  Gower,  J.  Rhys,  Anderson,  Cunningham,  S.  Hartland.  Es  soll 
ein«'  ethnographische  Übersicht  über  das  ATereinigte  Britische  Königreich  hergestellt 
werden  und  zwar  über  die  physischen  Typen  der  Bewohner,  die  landläufigen 
Überlieferungen  und  Meinungen,  die  dialektlichen  Eigentümlichkeiten,  die  Denk- 
mäler und  Reste  alter  Kultur  und  die  geschichtlichen  Beweise  für  den  Zusammen- 
hang in  den  Ortschaften  und  Familien. 

Eine  Art  Fragebogen  (12  S.  8°)  ist  zu  diesem  Zweck  verfasst  und  in  Druck 
gegeben.  Für  jede  der  Abteilungen  ist  ein  Bearbeiter  gewonnen:  für  1.  Mr.  Galton, 
2.  Prof.  Rhys,  3.  Prof.  Skeat,  4.  Mr.  Payne,  5.  Mr.  Brabrook.  Eine  erklärende 
Ausführung  über  das  Unternehmen  hat  Mr.  Sidney  Hartland  in  den  Transactions  of 
the  Bristol  and  Gloucestershire  Archaeological  Society  (11  S.)  veröffentlicht. 

Wir  wünschen  dem  Comite  den  besten  Erfolg  seiner  Bemühungen. 

K.  Weinhold. 


Abzählreime  aus  Steiermark. 

Aufmerksam  gemacht  durch  die  „Abzählreime  aus  dem  Bergischen"  (Zeitschr. 


d.  Vereins  f.  Volkskunde  V,  67) 

und  „aus  dem  Kurpfälzischen"  (V,  450)  teile  ich 

ähnliches  aus  Steiermark  mit: 

1.    Eins,  zwei, 

|    Polizei, 

drei,  vier,    | 

Grenadier, 

fünf,  sechs, 

|    böse  Hex', 

sieben,  acht, 

|    gute  Nacht, 

neun,  zehn, 

|    schlafen  gehn, 

elf,  zwölf,    | 

sonst  kommen  die  Wolf. 

(Aus  Graz  und  Umgebung.) 

102  Ullrich: 

2.  Pika,  paka,  peier, 
Sein  ma  unser  dreier, 
Steigen  wir  auf  den  Hollerbäm, 
Essen  lauter  Milch  und  Rahm 

Und  fallen  alle  nieder.  (In  ganz  Steiermark.) 

3.  Angerle  wangerle,  zikerle  pü, 

Trakerle,  wakerle,  aussi  must  du.     (In  ganz  Steiermark.) 

4.  Zizi  a  zidel,  widi  wamperl 
Polones  Pudel  apport! 

Tri  ti  a  tridel,  tridi  tramperl 

ABC  =  Strudel  geh  fort!  (Graz  und  Umgebung.) 

5.  Eia,  pika  paka  peika 
Pika  paka  Hemmerlein 
Geht  der  Müller  aus  und  ein 
Hat  ein  strebernes ')  Hüetl  auf, 

Und  steht  22  drauf.  (Trahütten  an  der  Koralpe.) 

6.  Edi  wedi  Pingerhut, 

Stirbt  der  Bauer  ists  nit  gut; 

Stirbt  die  Bäuerin  auch  zugleich, 

Gehn  die  Engeln  mit  der  Leich.  (Graz.) 

Graz.  Fr.  Ilwof. 


Zu  Zeitschrift  III,  452  ff. 

Im  Jahrgang  1893  dieser  Zeitschrift  brachte  der  Unterzeichnete  als  Abfall 
einer  ganz  anderen  Arbeit  einen  Auschnitt  aus  einem  seltenen  Ptomane  des  ersten 
Drittels  des  18.  Jahrb. ,  weil  er  darin  ein  echtes  Volksmärchen  erblickte,  das  durch 
die  verschnörkelte  Ausdrucksweise  der  damaligen  Zeit  nur  wenig  gelitten  hatte. 
Zu  seiner  Überraschung  findet  er  jetzt,  wo  ihm  die  Gesamtausgabe  der  Kinder- 
und  Hausmärchen  der  Brüder  Grimm  in  der  Reclamschen  Universalbibliothek  zu- 
gänglich geworden  ist,  dass  sein  Märchen  sich  dort  als  No.  163  mit  dem  Titel 
„Der  gläserne  Sarg"  bereits  findet.  Als  er  nun  zu  dem  ebenfalls  bei  Reclam 
neuerschienenen  Bande  der  Grimmschen  Anmerkungen  griff,  der  ihm  in  der 
Originalausgabe,  weil  äusserst  selten  geworden,  nie  zu  Gesicht  gekommen  war, 
fand  er,  dass  in  dem  Reclamschen  Neudruck  die  Anmerkungen  zu  den  einzelnen 
Märchen  bei  No.  161  abbrechen,  weil  derselbe  nicht  nach  der  dritten  Ausgabe  von 
1856  hergestellt  ist.  Erst  eine  Anfrage  bei  dem  Herrn  Herausgeber  dieser  Zeitschrift 
bringt  ihm  heute  die  Aufklärung,  dass  nach  einer  Bemerkung  der  Brüder  Grimm 
in  der  Originalausgabe  von  1856  diese  den  Stoff  eben  aus  dem  Buche  geschöpft 
haben,  aus  dem  er  seine  Mitteilung  machte.  Hat  nun  sonach  diese  nicht  mehr 
das  Verdienst,  unsere  Märchenstoffe  zu  vermehren,  so  behält  sie  doch  vielleicht 
insofern  einigen  Wert,  als  man  an  ihr,  als  an  einem  weiteren  Beispiele,  das  Ver- 
fahren der  Brüder  Grimm  studieren  kann. 

Chemnitz.  Dr.  Hermann  Ullrich 


1)  strohenes,  von  Stroh. 


Bücheranzeigen.  103 


Bücheranzeigen. 


Cox,  Mar.  Roalfe,    An  introduction  to  Folk-Lore.     London,    David  Nutt, 
1895.     S.  XV.    320.     8°. 

Miss  M.  R.  Cox,  die  gelehrte  Verfasserin  der  Cinderella  (vgl.  unsere  Zeit- 
schrift III,  2o3),  will  in  ihrem  neuen  Buche  eine  Einleitung  zur  Volkskunde  geben. 
Nach  einer  allgemeinen  anthropologisch-ethnologisch-prähistorischen  Vorbetrachtung 
legt  sie  dem  Leser  ihren  Stoff  in  sechs  Kapiteln  vor,  die  wir  deutsch  betiteln 
können  1.  Seelenglaube,  2.  Tierische  Ahnen  und  Tierglauben,  3.  Animismus, 
Geister  und  Götter,  4.  Die  andere  Welt,  5.  Zauberei,  6.  Mythen,  Sagen,  Volks- 
dichtung. Als  eine  sehr  belesene  und  gescheite  Dame  weiss  Ms.  Cox  allerlei 
Interessantes  einem  mit  dem  Stoff  noch  nicht  vertrauten  Leser  mitzuteilen.  Als 
eine  wirklich  förderliche  Orientierung  über  die  Volkskunde  möchten  wir  das  Buch 
aber  kaum  bezeichnen.  Dazu  kommt  der  Mangel  an  allen  Noten,  die  litterarisch 
orientieren  und  weiter  weisen,  denn  die  kleine  Liste  erlesener  Bücher  (S.  297) 
giebt  keinen  Ersatz  dafür.     Lobenswert  ist  der  genaue  Index.  K.  W. 


The  Legend  of  Perseus.  A  study  of  tradition  in  story  custom  and 
belief:  by  Edwin  Sidney  Hartland.  Vol.  IL  The  Life-token. 
Published  by  David  Nutt,  1895.  (Grimm  Library  No.  3.)  S.  VIII. 
445.     8°. 

Dem  1.  Bande  dieses  Werkes,  über  den  wir  in  unserer  Zeitschrift  V,  110  f. 
berichteten,  ist  der  zweite  bald  gefolgt,  der  nach  dem  Plan  von  Mr.  Hartland  die 
Abschnitte  2—4  bringen  sollte,  aber  nur  den  zweiten,  die  Untersuchung  der  Life- 
token  enthält,  da  dieselbe  über  Erwarten  umfangreich  geworden  ist.  Der  Hr.  Verf. 
sucht  hier  die  Grundlagen  der  urältesten  Lebensphilosophie  (the  very  foundations 
of  the  savage  philosophy  of  life,  auf  und  behandelt  in  acht  Kapiteln  die  Lebens- 
zeichen in  Sage  und  Sitte;  Zauberei  (in  zwei  Kapiteln);  heilige  Quellen  und  Bäume; 
Totemism,  Blutbrüderschaft,  Bräuche  mit  dem  Speichel;  Totensitten;  Heiratsitten; 
Couvade  und  andere  Beispiele  der  Macht  der  Blutsverbindung;  Ergebnis  der 
Untersuchung. 

Aus  jedem  Teil  der  Erdkugel,  von  den  Klippen  des  Polarmeeres  bis  zu  den 
Inseln  der  Südsee  ist  der  Stoff  zusammengetragen  mit  besonderer  Vorliebe  aus 
den  Naturvölkern,  indessen  auch  unter  fleissiger  Berücksichtigung  der  europäischen 
Völker,  der  alten  wie  der  modernen.  Auf  diesem  vergleichenden  Wege  gelangt 
Mr.  Hartland  zu  der  Überzeugung,  dass  Vorstellungen  über  das  Leben,  die  sich 
ebenso  bei  den  niedersten  wie  bei  den  höchst  entwickelten  Völkern  finden,  durch- 
aus dem  menschlichen  Denken  überhaupt  entsprechen,  so  auch  der  allgemeine 
Glaube  an  ein  Leben  nach  dem  Tode.  Das  Buch  ist  für  den  Volksforscher  von 
grosser  Wichtigkeit.  K.  W. 


104 


Weinhold: 


The  Voyage  of  Bran  Son  of  Febal  to  the  land  of  the  living.  An  old 
Irish  saga  now  first  edited,  with  translation,  notes  and  glossary,  by 
Kuno  Meyer.  With  an  essay  upon  the  Irish  vision  of  the  happy 
otherworld  and  the  Celtic  doctrine  of  rebirth,  by  Alfred  Nutt. 
Section  I.  The  happy  otherworld.  London,  David  Nutt,  1895. 
S.  XVII.    331.     8°.     (Grimm  Library  No.  4.) 

Das  Buch  zerfällt  in  zwei  nur  lose  zusammenhängende  Arbeiten:  die  ersteist 
eine  kritische  Ausgabe  der  alten  irischen  Erzählung  von  der  Reise  Brans,  des 
Sohnes  Pebals,  in  das  Land  des  Lebens,  die  wahrscheinlich  im  siebenten  Jahr- 
hundert yerfasst  ward,  deren  erhaltene  Handschriften  (die  älteste  von  etwa  1100) 
aber  auf  eine  Abschrift  aus  dem  10.  Jahrh.  zurückgehen.  Prof.  Kuno  Meyer  in 
Liverpool  hat  sie  sorgsam  ediert,  mit  englischer  Übersetzung  begleitet  und  mit 
Anhängen,  die  wunderbaren  Abenteuer  Mongans,  des  Sohnes  des  Piachna,  betreffend 
ausgestattet.  Eine  dankenswerte  Arbeit,  da  wir  von  dieser  der  ältesten  irischen 
Profanlitteratur  angehörigen  Erzählung  bisher  nur  kannten,  was  Hr.  Zimmer,  Ztschr. 
f.  d.  Altert.  XXXIII,  257-261  mitgeteilt  hat. 

Durch  diese  Ausgabe  der  Reise  Brans  ist  Herr  Alfred  Nutt,  der  wohlbekannte 
englische  Gelehrte,  angeregt  worden,  über  die  irischen  Vorstellungen  von  dem 
künftigen  Leben  zu  handeln.  In  ihnen  sind  zwei  verschiedene  Stoffe  zu  unter- 
scheiden: die  national-keltischen  vom  Totenreich  und  die  kirchlich  legendenhaften 
vom  Lande  der  Verheissung.  Die  einen  haben  auf  die  anderen  eingewirkt  und  es 
ist  jene  wunderreiche  Tradition  von  den  abenteuerlichen  Meerfahrten  in  ein  fernes 
Land  voll  Seligkeit,  Jugend  und  sinnlicher  Freude  entstanden,  die  von  ihrer  Ge- 
burtsstätte in  Irland  aus  in  den  mittelalterlichen  Litteraturen  überall  sich  wahr- 
nehmen lässt.  Herr  A.  Nutt  handelt  darüber  in  zwölf  Kapiteln,  indem  er  nach 
einer  Einleitung  über  die  älteste  irische  Litteratur  die  Vorstellung  von  der  Welt 
der  Seligen  in  Brans  Reise  und  in  der  Episode  von  Mongan  bespricht,  und  die 
romantischen  Reisen  von  Maelduin  und  S.  Brendan  nach  den  Berührungspunkten 
untersucht.  Dann  geht  er  zu  dem  Wunderland  in  den  Berghöhlen,  oder  zu  den 
Sagen  von  dem  Feenreiche  über,  zu  den  irischen  Visionen  vom  Himmel,  sucht 
nach  Parallelen  in  der  klassischen,  namentlich  der  griechischen  Litteratur  und 
schliesst  mit  einem  Streifzuge  in  die  skandinavischen,  iranischen  und  vedischen 
Überlieferungen  von  der  Welt  der  Seligen.  Ein  zweiter  Teil  wird  die  keltische 
Lehre  von  der  Wiedergeburt  darstellen. 

Bescheiden  bezeichnet  sich  Hr.  A.  N.  als  einen  Düettanten,  der  die  Ergebnisse 
gelehrter  Forscher  aufnimmt  und  zu  erweitern  sucht.  Er  hat  der  wissenschaftlichen 
Litteratur  auf  solche  Weise  schon  viel  gute  Dienste  geleistet.  K.  W. 


Volkstümliche  Lieder  der  Deutschen  im  18.  und  19.  Jahrhundert.  Nach 
Wort  und  Weise  aus  alten  Drucken  und  Handschriften,  sowie  aus 
Volksmund  zusammengebracht,  mit  kritisch-historischen  Anmerkungen 
versehen  und  herausgegeben  von  Franz  Magnus  Böhme.  Leipzig, 
Breitkopf  und  Härtel  1895.     XXII,  628  S.     gr.  8°. 

Als  eine  willkommene  Ergänzung  zu  Erk-Böhmes  gross  angelegtem  und  reich- 
haltigem „Liederhorteu  erscheint  hier  in  gleich  trefflicher  Ausstattung  eine  von 
Böhme  besorgte  Auswahl  aus  der  volksmässigen  und  im  Volke  beliebt  gewordenen 
Kunstdichtung    des    18.    und    19.  Jahrhundorts,    780  Texte    mit    den   einstimmigen 


Bücheranzeigen.  105 

Weisen  umfassend.  Während  Erk  in  den  600  Nummern  seines  dreihändigen  „Lieder- 
schatzes" ein  populäres  Hausbuch  für  den  Familiengesang  lieferte,  hat  Böhme  hier 
vor  allem  der  historischen  Erkenntnis  dienen  wollen  und  aus  dem  reichen  Materiale, 
das  er  mit  grossem  Pleisse  und  bewährter  Sachkenntnis  zusammengebracht,  nicht 
bloss  die  noch  heut  beliebten  Stücke,  sondern  die  für  den  ganzen  in  Betracht 
kommenden  Zeitraum  charakteristischen  Lieder  auszuwählen  gestrebt.  Eine  solche 
Auswahl  wird  freilich  immer  etwas  Subjektives  haben;  und  so  wird  der  einzelne 
Benutzer  manche  ihm  liebgewordenen  Lieder  und  Weisen  hier  vermissen,  die  ihm 
wichtiger  dünken  als  einzelne  der  aufgenommenen.  Aufgefallen  ist  mir  namentlich, 
dass  Böhme  verschiedenen  geschmacklosen  und  schwerlich  je  ins  Volk  gedrungenen 
Fabrikaten  des  Fälschers  Zuccalmaglio  einen  Platz  gewährt  hat.  Die  ältesten 
Stücke  stammen  noch  aus  dem  17.  Jahrhundert,  es  sind  einige  Dichtungen  von 
Opitz,  Dach,  Fleming,  Rist  und  Gerhardt,  die  bis  in  unsere  Zeit  fortlebten  oder 
auch  durch  spätere  Komponisten  erneuert  wurden.  Die  Reihe  der  übrigen  Dichter 
beginnt  mit  dem  Leipziger  Sperontes,  dessen  Identität  mit  J.  S.  Scholze  nicht  be- 
zweifelt zu  werden  braucht,  und  schreitet  über  Goethe,  den  Göttinger  Hainbund 
und  die  Romantiker  bis  auf  Hoffmann  von  Fallersleben,  Geibel  und  Scheffel  fort, 
von  vielen  kleinen  Geistern,  denen  ein  einzelner  Wurf  auf  diesem  Felde  glückte, 
zu  schweigen.  In  einigen  Fällen  ist  der  Verfasser  noch  nicht  ermittelt,  auch  ein 
paar  wirkliche  Volkslieder  finden  sich  unter  den  volkstümlichen  eingeschaltet. 
Die  Melodien,  für  deren  Geschichte  neben  Hoffmann  von  Fallersleben  und  Erk 
neuerdings  besonders  Max  Friedländer  Wertvolles  geleistet  hat,  sind  zum  kleinen 
Teile  alte  Volksweisen,  zumeist  aber  Kompositionen  bekannter  Musiker  (einstimmig 
mit  Instrumentalbegleitung,  Opernarien,  Männerquartette).  Die  Anordnung  hat  B. 
mit  Recht  nach  sachlichen  Kategorien  wie  in  seinem  „ Liederhorte "  getroffen;  neu 
sind  die  Abteilungen  „Vaterlandslieder"  und  „ausländische  Weisen,  die  in  Deutsch- 
land gesungen  werden".  Für  die  Textbehandlung  befolgt  er  den  Grundsatz,  nicht 
einen  genauen  Abdruck  der  ältesten  Fassung  zu  geben,  sondern  die  dem  Volke 
geläufige  Gestalt,  die  manche  Kürzung  und  Abänderung  jener  aufweist;  in  der 
Regel  verzeichnet  er  die  wichtigeren  Abweichungen  vom  Originale  in  den  An- 
merkungen. In  den  letzteren  hat  er  zugleich  recht  dankenswerte  Nachrichten  über 
die  Entstehung  und  Geschichte  der  Dichtungen  und  der  Melodien  zusammengetragen, 
die  in  den  biographischen  Registern  der  Dichter  und  Komponisten  am  Schlüsse 
des  Werkes  ihre  Ergänzung  finden,  auch  gelegentlich  ergötzlichen  Abschweifungen 
allgemeineren  Inhalts  (S.  362.  390.  467.  517)  Raum  gewährt. 

Zu  Nachträgen  bietet  der  umfangreiche  Band  natürlich  öfter  Anlass.  Nur 
beispielsweise  gebe  ich  hier  einige,  indem  ich  von  den  Druckfehlern  absehe,  unter 
denen  sich  leider  auch  manche  nicht  sofort  erkennbare  in  Namen  und  Jahreszahlen 
befinden.  —  No.  119  (Loreley)  vgl.  W.  Hertz,  Sitzungsberichte  der  Münchener  Akad. 
1886,  217.  —  No.  147.  Phidyle  ist  ein  horazischer  Name.  —  No.  170  (Seefahrt 
nach  Afrika)  vgl.  Treichel,  Volkslieder  aus  Westpreussen  1895,  No.  32.  —  No.  282 
(Sprichst  du  zum  Vogel)  ist  von  Jeiteles  gedichtet  und  von  Gottfried  Preyer,  op.  43 
komponiert.  —  No.  285  (Ein  Herz,  das  sich  mit  Sorgen  quält)  vgl.  Bolte,  Altpreuss. 
Monatsschrift  31,  689  zu  Frischbier  98.  —  No.  355  (Willst  du  dein  Herz  mir 
schenken)  vgl.  Bolte,  Vierteljschr.  f.  Littgesch.  1,  249.  1888.  —  No.  415  (Starrend 
vor  Frost)  ist  auch  komponiert  von  Ignaz  Lachner,  op.  40,  2  ohne  Angabe  des 
Dichters.  —  No.  566  (Was  fang  ich  armer  Teufel  an)  vgl.  Erk-Böhme,  Liederhort 
No.  1625.  Treichel  No.  94.  —  No.  580  (Lebe  wohl,  es  ruft  die  Stunde)  ist  älter 
als  1870;  vgl.  Treichel  No.  43  mit  der  Anm.  —  No.  619  (Schlaf,  Kindlein,  schlaf) 
ist  1781    von  J.  F.  Reichardt   komponiert;    vgl.    Friedländer,    Wiegenlieder    No.  1 


106  Weinhold: 

(Leipzig,  Peters).  —  No.  638  (0  Tannenbaum)  vgl.  Priedländer,  Weihnachtslieder 
No.  10.  —  No.  648  (Wenn  mein  Pfeifchen  dampft  und  glüht)  vgl.  Stieglitz  in 
Steglitz  [=A.  Kopp],  Die  Friedenspfeife,  1893,  No.  27.  —  No.  730  (C'est  Mars, 
le  grand  dieu  des  alarmes)  vgl.  P.  van  Duyse,  La  melodie  Est-ce  Mars,  ce  grand 
dieu  des  alarmes  (Bulletin  de  l'academie  royale  de  Belgique  1894,  978). 

J.  Bolte. 


Lübke,  Hermann,  Neugriechische  Yolks-  und  Liebeslieder  in  deutscher  Nach- 
dichtung. Berlin,  Verlag  von  S.  Calvaiy  &  Co.  1895.  S.  XXVIII,  352.  8°. 

Wir  machen  die  Freunde  volkstümlicher  Dichtung  auf  diese  reiche  Sammlung 
neugriechischer  Lieder  aufmerksam,  die  Herr  Dr.  Lübke  in  gewandter  deutscher 
Nachdichtung  uns  dargereicht  hat.  In  der  Einleitung  orientiert  er  über  die  Fülle 
und  die  verschiedenen  Gattungen  der  griechischen  Volkslieder  und  legt  dann  ein 
reiches  Liederbuch  vor,  das  er  aus  den  in  den  letzten  Jahrzehnten  erschienenen 
Sammlungen  und  einzelnen  Veröffentlichungen  des  neuhellenischen  Volksgesanges 
gestaltet  hat.  Die  Originale  sind  teils  treu  übersetzt,  teils  in  freierer  Weise  nach- 
gebildet. In  einem  Anhange  werden  die  Quellen  kurz  angegeben.  Wer  sich  über 
die  in  jeder  Hinsicht  interessante  Volkspoesie  der  Neugriechen  unterrichten  und 
an  ihr  erfreuen  will,  dem  empfehlen  wir  das  hübsch  ausgestattete  Buch  angelegentlich. 

Bayerns  Mundarten.  Beiträge  zur  deutschen  Sprach-  und  Volkskunde. 
Herausgegeben  von  Dr.  Ose.  Brenner  und  Dr.  Aug.  Hartmann. 
Zweiter  Band.     München  1895.     Christian  Kaiser.     S.  464.     8°. 

Wir  haben  uns  über  den  1.  Band  dieser  in  Jahresheften  erscheinenden  Zeit- 
schrift, die  Prof.  Brenner  in  Würzburg  und  Bibliothekscustos  Hartmann  in  München 
herausgeben,  in  unserer  Zeitschr.  I,  345;  II,  210  geäussert.  Jetzt  ist  nach  drei 
Jahren  der  zweite  aus  drei  Heften  bestehende  Band  geendet.  Derselbe  entspricht 
in  der  Art  des  Inhalts  durchaus  dem  ersten.  Der  dialektliche  Stoff  überwiegt 
völlig,  und  dem  Titel  gemäss  ist  er  vorzüglich  den  verschiedenen  Landen  des  K. 
Bayern  entnommen,  teils  aus  älteren  Drucken,  teils  aus  lebendigem  Munde.  Das 
angrenzende  R.  Sachsen,  sowie  Westböhmen  sind  wie  im  1.  Bande  auch  berück- 
sichtigt. Eine  stärkere  Vertretung  der  Volkskunde  würde  den  Heften  einen 
frischeren  und  lebhafteren  Ton  geben. 


Wencel  Scherffer  und  die  Sprache  der  Schlesier.  Ein  Beitrag  zur  Ge- 
schichte der  deutschen  Sprache  von  Dr.  Paul  Drechsler.  (Germanistische 
Abhandlungen  begründet  von  K.  Weinhold,  herausgegeben  von  Fr. 
Vogt.     XL  Heft.)     Breslau,  Wilh.  Köbner,  1895.     S.  282.     8°. 

Wencel  Scherffer  von  Scherffenstein  (geb.  um  1603  zu  Leobsehütz  in  Ober- 
schlesien, in  die  40  Jahre  Organist  an  der  Schlosskirche  zu  Brieg,  daselbst  gest. 
27.  Aug.  1674  J)),  ein  wackerer  Mann  und  massiger  Dichter  aus  M.  Opitzens  Schule, 
ist  für  die  Kenntnis  der  deutschen  Sprache  in  Schlesien  von  besonderer  Wichtig- 
keit,   da    er    den    Idiotismen    derselben    bereitwillig   Eingang   verstattet   hat.     Dr. 


1)  Über   sein  Leben   und   seine  Werke  P.  Drechslers  Dissertation:   W.  Seh.  v.  Seh. 
Bin  Beitrag  zur  Geschichte  der  deutschen  Litteratur  in  Schlesien.     Breslau  1886. 


Bücheranzeigen.  107 

Drechsler    hat   nun    irn    vorliegenden  Buche  Scherffers  Sprache    sowohl    nach  den 
Lauten  und  Formen,    als  vornehmlich    nach  dem  Wortschatz  bearbeitet  und  einen 
sehr    dankenswerten  Beitrag    zu    dem  Thesaurus  linguae    germanicae    der  Zukunft 
dadurch  gegeben.     Ausser  dem  wohl  vollständigen  Wortschatz  Scherffers   sind  zur 
Vergleichung  eine  Reihe  Schlesier  des  17.  Jahrh.  herbeigezogen,  darunter  auch  der 
fast   nur   aus  Handschriften    zu    studierende  Czepko,    dann  die  weniger  bekannten 
Melchior  Liebig,    Abr.  Morterius  v.  Weissenburg,    Christ.  Coler   und  der  wichtige 
Sam.  Butschky.     Ich    kann    der  Arbeit  Drechslers    alles  Lob    erteilen.     Näher  auf 
Einzelheiten    einzugehen,    ist  hier  nicht  der  Ort.     Doch  will  ich  wenigstens  einige 
Kleinigkeiten  beisteuern:  S.  70,  Anm.  verneinendes  ab  findet  sich  auch  in  Strehlen, 
Schömberg  und  in  R.  Rösslers  Schnoken2,  168.  —  Ebenteur  (aventurier),  Kreck- 
witz  Sylvula  562.     ebenteurlich.  Butschky  Senec.  Flor.  423.  —  S.  99  Eier  essen 
(hier  als  Vorzeichen  von  Grobheiten)  wird  überhaupt  im  Volksglauben  als  vielfach 
vorbedeutend  gefunden,   vgl.  A.  Wuttke,    Der  deutsche  Volksaberglaube,  §  85.  87. 
459.  —  S.  112  Frömmlein  (Frommthuer);  ich  habe  Frömmling  dafür  in  Schlesien 
gehört.  —  S.  129  Hatteln  PI.  Pferde.    Hottel  ist  in  der  mittelschles.  Kindersprache 
wohl    bekannt,    ebenso    im    böhmischen  Riesengebirge,    s.  Knothe,  Wb.  d.  schles. 
Mundart  in  Nordböhmen.    Hohenelbe  1888.    S.  310.  —  S.  132  Haucher,  Scherffer 
Ged.  471  steht  „jener  der  haucht".  —  S.  240  Schweinhardens  Zucht,  Anspielung 
auf  S.  Schweinhardus,  der  unter  anderen  auftritt  in  der  kurtzweyligen  Predige,  die 
vns    beschreybt  Doctor  Schinossmann,    am    vier    vnd    zweintzigsten  kappenzipffell. 
Darin   heisst    es  u.  a.:    „Zynstag    ist   vns    gelegen    S.  Schweynhardus  |  demselben 
haben  sie  genummen  seyn  leychnam  I  vnd  haben  jm  seyn  halss  abgestochen  |  vnd 
haben    seyn    blüt   genummen   |  vnd  habens    in  derm  gefült  die  blut  verterber  vnd 
würst  esser."  K.  Weinhold. 


Dansk  Soldatensprog  til  Lands  og  til  Vands  af  Karl  Larsen.  Audet 
Oplag.  Kabenhavn,  Schubortheske  Forlag.  1895.  S.  50.  kl.  8°. 
Das  hübsch  ausgestattete  Büchlein,  dessen  Titel  eine  treffliche  Vignette  ziert, 
die  einen  dänischen  Land-  und  einen  Marinesoldaten  zeigt,  ist  die  zweite,  etwas 
erweiterte  Bearbeitung  des  Kapitels  Land-og  Ssemilitserets  Argot,  aus  des  Verf. 
Abhandlung  Om  dansk  Argot  og  Slang  in  der  Zeitschrift  Dania  I.  IL  Da  Ref. 
weder  zum  Land-  noch  zum  Sseetat  gehört,  vermag  er  nicht  zu  kritisieren,  sondern 
nur  zu  bezeugen,  dass  ihm  die  Schrift  den  Eindruck  grosser  Kenntnis  des  soldatischen 
dänischen  Argot  und  geschickter  Behandlung  macht.  Ich  wünschte,  dass  wir  auch 
den  militärischen  Slang  der  verschiedenen  Bestandteile  des  deutschen  Reichsheeres, 
nicht  minder  die  österreichische  Armeesprache  in  ähnlicher  Art  bearbeitet  hätten, 
lexikalisch  und  auch  lautlich.  Es  würde  das  interessante  und  lehrreiche  Bücher 
liefern.  R-  W- 


Die  akademische  Deposition  (Depositio  cornuum).  Beiträge  zur  deutscheu 
Litteratur-  und  Kulturgeschichte,  speziell  zur  Sittengeschichte  der 
Universitäten.  Von  Dr.  Wilhelm  Fabricius.  Frankfurt  a.  M., 
Völcker  1895.     S.  59.     8°. 

Der  durch  seine  Geschichte  der  Studentenorden  des  18.  Jahrhunderts  und  seine 
erläuternde  Ausgabe  der  Schochschen  Komödie  vom  Studentenleben  auf  dem 
akademischen  Gebiet  wohlbewährte  Forscher,  von  dem  wir  grössere  und  umfassendere 
Leistungen  erwarten,  prüft,   berichtigt  und  ergänzt  die  nach  Meiners'  und   anderer 


108  Schmidt: 

Vorgang  durch  Schade  gelehrt  und  scharfsinnig  im  Weimarischen  Jahrbuch  VI 
dargebotenen  Studien  über  die  Depositionsbräuche  und  ihre  Entwicklung.  Ohne 
mit  Schade  alle  Jünglingsweihen  zu  mustern,  sondern  nur  gelegentlich  auf  Analogien 
im  deutschen  Handwerk  bedacht,  sucht  F.  vor  allem  die  grosse  Lücke  zwischen 
der  für  das  4.  Jahrhundert  erwiesenen  Wasserweihe  der  athenischen  Füchse  und 
den  an  den  ältesten  Universitäten  Frankreichs  und  Deutschlands  bezeugten  Sitten 
auszufüllen.  Aber  man  darf  wohl  jene  von  Gregor  von  Nazianz  geschilderten 
und  schon  vor  Schade  herangezogenen  Badspässe  der  akademischen  Jugend  Athens 
nur  vergleichend,  nicht  als  anregend  und  massgebend  verwerten.  Auch  mir 
scheinen  die  von  F.  mit  reicher  kritischer  Belesenheit  erörterten  Bräuche  der 
Klosterschulen  ohne  byzantinische  Einflüsse  aufgekommen  zu  sein  und  die  spätere 
lavatio  eine  von  jener  Wasserweihe  unabhängige  Nachahmung  der  christlichen 
Taufe  zu  sein.  F.  zeigt,  wie  die  angehenden  Artisten,  die  beani  —  ein  Anhang 
erhärtet  die  Herkunft  des  Namens  von  bec  jaune  — ,  in  Frankreich  im  14.  Jahr- 
hundert zu  einer  Abgabe  ,loco  bejaunii*  an  die  Nation  gezwungen  wurden  und 
wie  sich  damit  wohl  schon  früh  gewisse  Initiations-  und  Vexationsbräuche  ver- 
banden, die  mit  der  Deposition  aus  Paris  nach  Deutschland  kamen,  um  sich  hier 
frei  fortzubilden.  Der  Ausdruck  depositio  findet  sich  zuerst  in  den  Erfurter  Statuten 
von  1447.  Dass  die  Einrichtung,  am  frühesten  im  Heidelberger  Manuale  1481 
eingehender  geschildert,  eng  mit  den  Bursen  zusammenhängt  und  lange  Zeit  des 
Geldertrages  wegen  von  ihren  Rektoren  festgehalten,  dass  sie  nachmals  aus  einer 
privaten  Sitte  oder  Unsitte  unter  Wegfall  der  komischen  Bräuche  ein  offizieller 
akademischer  Akt  wurde,  hat  F.  genau  und  überzeugend  dargelegt,  auch  die  späte 
Anwendung  von  Handwerkszeug  aus  einem  nach  dem  Aufhören  der  geschlossenen 
Bursen  eindringenden  Einfluss  der  Gesellenweihen  teils  mit,  teils  gegen  Schade 
erklärt.  Er  sieht  sich  an  allen  deutschen  Universitäten  um,  die  Reinigung,  Hobe- 
lung,  Prüfung,  Absolution  ausführlich  verfolgend.  Auch  auf  Satiren  wie  den 
Eccius  dedolatus  hätte  hingewiesen  werden  können.  Endlich  wird  das  zeitlich  sehr 
verschiedene  Erlöschen  der  Deposition  aus  den  Urkunden  belegt,  Fuehsbrennen 
und  Fuchstaufe  oder  gewisse  Bräuche  der  heutigen  , Pennäler'  als  letzte  Reste 
aber  nicht  mehr  erwähnt.  Wir  danken  dem  Verf.  für  seine  gelehrte  und  klare 
Untersuchung.  Erich  Schmidt. 


Feril.  Mencik.     Velikonocne  hry  (Osterspiele).     Holeschau  1895.    XX  und 

332  Ss.     8°. 

Es  ist  dies  der  zweite  Band  einer  Sammlung  böhmischer  Volksspiele;  der  von 
uns  bereits  angezeigte  erste  umfasste  Weihnachtsspiele.  In  der  Einleitung  bespricht 
der  Herausgeber  die  handschriftliche  Überlieferung,  sowie  Geschichte  und  Einzeln- 
heiten (Kostüme,  Bühne  u.  a)  der  Aufführungen;  die  letzte  hatte  1891  stattgefunden, 
deren  Bühneneinrichtung  hier  wiedergegeben  wird,  sowie  zwei  Scenen  (Abschied 
Christi  von  Marien  und  die  Dornenkrön ung)  nach  photographischen  Aufnahmen. 
Hierauf  werden  drei  Texte  abgedruckt,  eine  „Komödie  von  der  Marter"  u.  s.  w. 
und  „Marter  des  Herrn"  (S.  1 — 57  und  59 — 222),  sowie  ein  Auferstehungsspiel; 
die  beiden  ersten  verraten  den  Einfluss  des  bekannten  Werkes  von  P.  Cochem; 
im  dritten  ist  das  Evangelium  Nicodemi  samt  der  Cura  sanitatis  Tiberii  dialogisiert. 
Die  Reimpaare  sind  vielfach  noch  die  alten  achtsilbigen,  doch  kommen  auch  andere 
Verse,  sowie  prosaische  Abschnitte  vor.  Der  Inhalt  ist  der  geläufige;  im  ersten 
Spiel  geht  eine  Adam-  und  Eva-Scene  und  ein  Streit  zwischen  Tod  und  Hoffart 
voraus,    im  zweiten,  ausführlicheren,    nur  letzterer,   worauf  Herodes  die  Regierung 


Bftcheranzeigen.  109 

an  den  Sohn  abgiebt  und  die  hl.  Familie  aus  Egypten  zurückkehhrt;  die  einleitenden 
Worte  zu  jeder  Scene,  eine  Art  Inhaltsangabe,  werden  stets  abgesungen.  Die 
Darstellung  ist  ernst  und  des  Gegenstandes  würdig,  die  mittelalterlichen  trivialen 
und  derben  Elemente  sind  längst  ausgemerzt. 

Es  ist  sehr  zu  bedauern,  dass  diese  Passionsauffiihrungen  bei  den  Böhmen 
abgestellt  worden  sind;  die  Möglichkeit  einer  Wiederbelebung  der  guten,  alten 
Sitte  scheint  nicht  ganz  ausgeschlossen;  sollte  sie  eintreten,  so  würde  in  erster 
Reihe  dem  fleissigen,  keine  Rosten  und  Mühen  scheuenden  Herausgeber  für  die 
Bewahrung  der  handschriftlichen  Überlieferung  vor  sicherem  Untergange  zu  danken 
sein.  —  Auch  diesmal  sind  Ausstattung  und  Druck  von  ausserordentlicher 
Sauberkeit.  A.  Brückner. 


Cesky  Lid.      (Das  Böhmenvolk.)      Jahrgang  IV  (Schluss),    497—592    und 

Jahrgang  V,  1—192.     Prag  1895. 

Mit  dem  neuen  Jahrgang  hat  der  den  Lesern  der  Zeitschrift  aus  verschiedenen 
Publikationen  wohlbekannte  Dozent  der  Kulturgeschichte,  Dr.  C.  Zibrt,  die  alleinige 
Redaktion  des  Ö.  L.  übernommen.  Der  neue  Jahrgang  steht  ganz  unter  der 
Wirkung  der  so  glänzend  gelungenen  Prager  ethnographischen  Ausstellung  des 
verflossenen  Sommers;  ist  durch  dieselbe  die  Grundlage  für  ein  ethnographisches 
Museum  geschaffen  worden,  so  soll  der  V.  Band  des  C.  L.  dem  Andenken  der 
Ausstellung  selbst  gewidmet  sein.  Der  Herausgeber  übernimmt  daher  eine  aus- 
führliche Schilderung  aller  Einzelnheiten  und  erläutert  dieselbe  durch  zahlreiche, 
wohlgelungene  Text-  und  Vollbilder.  Im  Interesse  der  Sache  hätten  wir  nur 
gewünscht,  dass  auch  den  Illustrationen,  wie  bei  der  Inhaltsangabe  der  Artikel 
französische  Bezeichnungen  hinzugefügt  würden.  Die  Fülle  guter  Illustrationen 
zeichnet  gerade  den  C.  L.  vor  allen  ähnlichen  Publikationen  vorteilhaft  aus. 

Aus  dem  übrigen  Inhalt  der  drei  Hefte  können  wir  nur  weniges  hier  nennen; 
Märchenstudien  von  G.  Poh'vka  (Empfänger  teilt  mit  dem  Gesinde  erhoffte  Be- 
lohnung); ältere  Notizen  über  Regenbogenschüsselchen  (keltische  Goldmünzchen), 
über  allerlei  Glauben  und  Aberglauben,  Sitten  und  Bräuche;  Abdruck  kurzer  Texte 
eines  Dreikönigsspieles,  Georgsspieles  und  Weihnachtsspieles;  Berichte  über  die 
Gregorsfeier  (der  Schuljugend,  heute  meist  ganz  unbekannt),  über  Hochzeiten  und 
ihre  Bräuche,  über  Pfingstfeiern;  über  Küche,  Wohnung,  Trachten  und  Stickereien, 
sowie  einzelne  Typen  des  Volkes  aus  verschiedenen  Gegenden;  dialektische  Auf- 
zeichnungen aus  dem  Munde  des  Volkes  (Sagen  vom  Wassermann  u.  ä.);  Be- 
schreibung des  Todaustragens  zu  Mittfasten,  der  Totenbräuche,  sowie  einiger 
Rechtsbräuche  seien  noch  besonders  hervorgehoben.  Kritische  und  bibliographische 
Angaben  beschliessen  die  einzelnen  Hefte.  Der  archäologische  Teil  scheint  aus 
dem  neuen  Programm  gestrichen  zu  sein;  dadurch  wird  dasselbe  nur  einheitlicher. 

A.  Brückner. 


Lud.  Organ  Towarzystwa  ludoznawczego  we  Lwowie  pod  redakcya  Dra. 
Antoniego  Kaliny.  (Das  Volk.  Organ  der  Gesellschaft  für  Volks- 
kunde in  Leinberg  unter  der  Redaktion  von  Dr.  A.  Kaiina.)  Lemberg 
1895.     I.  Jahrgang;  Heft  1—8,  S.  1—224. 

Neben  die  Warschauer  „Wisla"  tritt  als  zweites,  polnisches  Organ  für  Volks- 
kunde der  Lemberger  „Lud"  und  wir  können  der  neuen  Zeitschrift  nichts  besseres 


HO  Weinhold:  Bücheranzeigen. 

wünschen,  als  dass  es  ihr  gelingen  möge,  für  Galiziens  Land  und  Leute  dasselbe 
zu  leisten,  was  die  „Wisla"  für  Russisch-Polen  geschaffen  hat  und  schafft. 

Die  Aufsätze  der  ersten  Hefte  bewegen  sich  allerdings  mehrfach  in  anderer 
Richtung,  bringen  Erörterungen  und  Ausführungen  allgemeiner  Art  („Aus  der  Ge- 
schichte der  Urfarnilie",  Fragment  aus  der  Geschichte  der  Familie",  „Über  die 
Arier  und  ihre  Urheimat1',  ausführliche  Anzeige  des  altindischen  Hochzeitsrituells 
von  Winternitz  u.  dgl.  m.).  Aber  daneben  finden  wir  auch  heimisches,  interessantes 
Material  verarbeitet,  so  besonders  von  Dr.  Matyas  lebensvolle  Schilderungen 
bäuerischen  Treibens  (zu  Fasching,  Fasten  und  Ostern)  in  der  Tarnobrzeger  Gegend, 
wobei  Proben  eines  begabten  Bauerndichters  (Walski)  mitgeteilt  werden;  Kolbu- 
szowski  berichtet  über  Volksglauben,  die  an  Pflanzen  (Hollunder,  Pilze)  und 
Sterne  geknüpft  sind;  Dobrowolski  beschreibt  ausführlich  Land  und  Leute  im 
Hrubieschower  Kreise  (bereits  auf  russischem  Gebiet,  doch  angrenzend  an  Galizien). 
Dass  mit  der  Zeit  auf  ähnliches  Material  der  grössere  Nachdruck  gelegt  wird,  ist 
wohl  zu  erwarten  Nach  dem  Vorgange  der  „Wisla"  werden  auch  im  „Lud" 
Fragen  und  Fragebogen  nach  allerlei  ethnographischem  Material  an  die  Leser 
gerichtet,  doch  laufen  Antworten  noch  spärlich  ein. 

Die  Schwierigkeiten  des  Anfanges  scheinen  glücklich  überwunden  zu  sein; 
wir  wünschen  der  neuen  Gesellschaft  und  ihrem  Organ  gesunde  und  kräftige 
Entwicklung.  A.  Brückner. 


Beiträge  zur  Volkskunde.  Festschrift  Karl  Weinhold  zum  50jährigen 
Doktorjubiläum  am  14.  Januar  1896  dargebracht  im  Namen  der 
Schlesischen  Gesellschaft  für  Volkskunde  von  Willi.  Creizenach, 
P.  Drechsler,  Siegm.  Fränkel,  Alfr.  Hillebrandt,  L.  L.  Jiriczek,  E.  Mogk, 
K.  Olbrich,  P.  Regell,  Fr.  Schroller,  Th.  Siebs,  Fr.  Vogt.  0.  Warnatsch. 
Breslau,  W.  Köbner  (M  u.  H.  Marcus),  1896.  (Germanistische  Ab- 
handlungen, begründet  von  Karl  Weinhold,  herausgegeben  von 
Friedrich  Vogt.     XII.  Heft.)     S.  245.     8°. 

Inhalt:  Widmungsschreiben  von  Friedr.  Vogt.  —  W.  Creizenach:  Zur 
Geschichte  der  Weihnachtsfestes.  —  P.  Drechsler:  Handwerkssprache  und  -Brauch. 
—  Siegm.  Fränkel:  Die  tugendhafte  und  kluge  Witwe.  —  Alfr.  Hillebrandt: 
Brahmanen  und  Cüdras.  —  0.  L.  Jiriczek:  Die  Amlethsage  auf  Island.  — 
E.  Mogk:  Sagen-  und  Bannsprüche  aus  einem  alten  Arzneibuche.  —  K.  Olbrich: 
Der  Jungfernsee  bei  Breslau.  —  P.  Regell:  Etymologische  Sagen  aus  dem  Riesen- 
gebirge. -  Frz.  Schroller:  Zur  Charakteristik  des  schlesischen  Bauern.  —  Th. 
Siebs:  Flurnamen.  —  Fr.  Vogt:  Dornröschen-Thalia.  —  0.  Warnatsch:  Sif. 


Festschrift    zur    50  jährigen    Doktorjubelfeier    Karl   Weinholds    am 

14.  Januar  1896  von  Oskar  Brenner,  Finnur  Jönsson,  Friedrich  Kluge, 
Gustaf  Kossinna,  Heinrich  Meisner,  El.  Hugo  Meyer,  Friedrich  Pfaff, 
Paul  Pietsch,  Richard  Schröder,  Hermann  Wunderlich,  Oswald  von 
Zingerle.  Strassburg,  K.  J.  Trübner,  1899.  S.  VII.  169.  8°. 
Widmung  von  P.  Pietsch.  —  0.  Brenner,  Zum  Versbau  der  Schnaderhüpfel. 
—  F.  Jönsson,  Horgr.  —  Fr.  Kluge,  Deutsche  Suffixstudien.  —  G.  Kossinna, 
Zur    Geschichte    des  Volksnamens    Griechen.  —  H.  Meisner,    Die    Freunde   der 


Roediger:  Protokolle.  111 

Aufklärung.  Geschichte  der  Berliner  Mittwochsgesellschaft.  —  E.  H.  Meyer, 
Totenbretter  im  Scbwarzwald.  —  Fr.  Pf  äff,  Märchen  aus  Lobenfeld.  -  P.  Pietsch, 
Zur  Behandlung  des  nachvokalischen  -n  einsilbiger  AVörter  in  der  schlesischen 
Mundart.  —  R.  Schröder,  Marktkreuz  und  Rolandsbild.  —  H.  Wunderlich, 
Die  deutschen  Mundarten  in  der  Frankfurter  Nationalversammlung.  —  0.  v.  Zingerle, 
Etzels  Burg  in  den  Nibelungen. 

Festgabe  an  Karl  Weinhold.     Ihrem  Ehrenmitgliede    zu    seinem  fünfzig- 
jährigen   Doktorjubiläum    dargebracht    von    der    Gesellschaft    für 
deutsche    Philologie    in    Berlin.     Leipzig,    0.  R.  Reisland,    1896. 
S.  135.     8°. 
R.  Bethge,    Die  altgermanische  Hundertschaft.  —  W.  Luft,    Zur  Handschrift, 

Zum    Dialekt    des    Hildebrandliedes.    —    W.  Scheel,    Die    Berliner    Sammelmappe 

deutscher  Fragmente.  —  Joh.  Bolte,  In  dulci  jubilo.         P.  Kaiser,  Schillers  Schrift 

vom  ästhetischen  Umgang. 


Aus  den 

Sitzungs-Protokollen  des  Vereins  für  Volkskunde. 

Freitag,  den  25.  Oktober  1895.  Herr  Privatdozent  Dr.  Paul  Kretschmer 
sprach  über  die  ältesten  Kulturzustände  der  Indogermanen  und  die  linguistische 
Paläontologie  Er  kann  letzterer  nicht  den  Wert  zugestehen,  den  man  ihr  seit 
Adalbert  Kuhns  Studien  beigelegt  hat,  weil  sie  auf  einem  falschen  Prinzip  beruht, 
das  Fehlerquellen  enthält.  Der  gemeinsame  Besitz  eines  Wortes  beweist  noch 
nicht  für  den  des  damit  benannten  Dinges,  denn  es  können  sich  Benennungen  mit 
demselben  Worte  dennoch  unabhängig  von  einander  entwickelt  haben.  Zweitens 
können  Worte  verloren  gehen  und  durch  andere,  gleichbedeutende  ersetzt  werden. 
Die  linguistische  Paläontologie  giebt  auch  keine  Auskunft  über  die  ursprüngliche 
Heimat  des  angenommenen  indogermanischen  Urvolks,  während  die  prähistorische 
Archäologie  dies  vielleicht  wird  leisten  können.  Wenigstens  hat  sie  uns  z.  B.  schon 
gelehrt,  dass  das  Pferd  nicht  aus  Mittelasien  stammt,  da  bereits  im  paläolithischen 
Diluvium  massenhafte  Pferdereste  in  Europa  gefunden  worden  sind,  und  dass 
Ackerbau  bereits  von  Pfahlbauern  getrieben  wurde.  Freilich  leidet  sie  noch  unter 
dem  Mangel  einer  positiven  Chronologie  und  der  Schwierigkeit,  aus  den  Funden 
auf  die  Völker,  denen  sie  angehörten,  zu  schliessen.  Immerhin  kann  die  linguistische 
Paläontologie  ohne  die  Archäologie  nichts  erreichen.  Auf  eine  Debatte  musste 
verzichtet  werden,  da  Herr  Professor  Dr.  Andreas  Heusler  noch  über  eine  von 
ihm  und  seiner  Gemahlin  unternommene  Reise  nach  Island  berichten  wollte.  Die 
Insel  wurde,  wie  das  nicht  anders  möglich,  zu  Pferde  durchstreift,  wobei  ein  Er- 
wachsener und  zwei  Knaben  die  Reisenden  begleiteten.  Unterkommen  fanden  sie 
als  Gäste  der  Geistlichen  oder  Bauern.  Der  Typus  der  Isländer  ist  keineswegs 
so  ausgesprochen  germanisch,  wie  man  anzunehmen  geneigt  sein  wird.  Auch  eine 
nationale  Tracht  ist  erst  in  den  siebziger  Jahren  zum  grössten  Teil  wieder  neu 
konstruiert  worden.  Die  Häuser  sind  niedrig,  aus  Stein  und  Rasen  errichtet,  vier 
bis  acht  werden  zu  einer  Reihe  vereint.    Die  ba&siofa  ist  nicht  nur  ein  Badezimmer, 


\\2  Roediger: 

sondern  der  allgemeine  Schlafraum.  Für  Reisende  giebt  es  gewöhnlich  eine  be- 
sondere Gaststube.  Von  Aussätzigen,  von  denen  in  neuester  Zeit  so  viel  berichtet 
worden  ist,  hat  der  Vortragende  nichts  gesehen.  Erwerbsquellen  der  Isländer  sind 
Fischfang  und  Viehzucht,  die  aber  ungenügend  ausgenutzt  werden.  Man  fängt 
zumeist  Dorsche,  und  zwar  in  sehr  primitiver  Weise;  obenein  ist  der  Fischfang 
hauptsächlich  in  den  Händen  fremder  Fischer,  namentlich  französischer  (vgl.  Pierre 
Loü's  Pecheurs  d'Islande).  Die  Viehzucht  erstreckt  sich  auf  Schafe  und  Pferde; 
Kühe  und  Ziegen  giebt  es  wenig,  Schweine  gar  nicht.  Die  Pferde  werden  viel  in 
den  schottischen  Bergwerken  gebraucht.  Das  Land  starrt  von  Sümpfen.  Ihre 
Pflanzendecke  kann  zwar  gemäht  werden,  liefert  aber  kein  gutes  Futter.  Trocknete 
man  sie  aus,  so  könnte  das  Land  statt  der  jetzigen  70  000  wohl  3—400  000  Einwohner 
ernähren.  Ausser  den  Pferden  werden  Eiderdaunen  und  die  Felle  der  Polarfüchse 
exportiert,  entweder  durch  englische  Schiffer  oder  durch  die  an  der  Rüste  ange- 
siedelten dänischen  Kaufleute.  Der  Handel  ist  Tauschhandel,  wenig  ergiebig  für 
die  Isländer;  eine  Beteiligung  deutscher  Kaufleute  wäre  für  beide  Teile  vorteilhaft. 
Standesunterschiede  oder  Bildungsgrenzen  nach  Ständen  giebt  es  nicht,  ausgenommen 
dass  der,  der  die  Lateinschule  besucht  hat,  sein  Lebelang  sti'idevt  bleibt.  Von 
Charakter  sind  die  Isländer  aufgeweckt,  gesprächig,  voll  Humor,  spottlustig,  aber 
daneben  wieder  weichherzig,  auch  gegen  Tiere,  und  friedlich.  Melancholie  ist 
keineswegs  ein  Charakterzug  der  Insulaner.  Bauernhaftes  klebt  ihnen  nicht  an, 
vielmehr  sind  sie  fein,  liebenswürdig  und  aufmerksam,  von  echter  Herzensbildung, 
aber  nicht  eben  religiös.  Sie  arbeiten  wenig  und  haben  keine  Initiative,  doch  war 
das  früher  anders  und  ist  nur  eine  Folge  der  auf  den  Handelsmonopolen  beruhenden 
Unterdrückung  durch  die  Dänen.  Sie  sind  daher  auch  Dänenfeinde  und  republi- 
kanisch gesinnt.  Praktische  Politiker  sind  sie  nicht.  Sie  leisten  Gutes  als  Seeleute 
und  Reiter,  sind  aber  schlechte  Fussgänger  und  Bergsteiger.  Von  bildender  Kunst 
ist  nicht  viel  vorhanden,  nur  gefällige  Ornamente  bringt  man  hervor.  Auch  an 
musikalischer  Anlage  fehlt  es  nicht;  eigentümlich  ist  der  Zwiegesang,  wobei  die 
beiden  Stimmen  sich  in  der  Quinte  bewegen.  Den  Schwerpunkt  des  geistigen 
Lebens  bildet  die  Litteratur,  an  der  jeder  Bauer  Anteil  nimmt.  Alle  kennen  die 
Sagas  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  in  der  alten  Sprache,  sowie  die  modernen 
isländischen  Lyriker.  In  jedem  Bauernhofe  findet  man  Bücher  Man  darf  sagen, 
dass  der  Isländer  als  Dichter  und  Litteraturfreund  in  seinem  Fache,  als  Bauer  und 
Fischer  Dilettant  ist. 

Freitag,  den  22.  November  1895.  Herr  Geheimrat  Weinhold  machte  Mit- 
teilungen aus  dem  Volksleben  der  Nieder-Bretagne,  wo  sich  bis  heut  keltische 
Bevölkerung  und  keltische  Charaktereigentümlichkeiten  gehalten  haben.  Namentlich 
schweifen  die  Gedanken  des  Bretonen  gern  in  das  Jenseit  hinüber  und  überall 
glaubt  er  sich  von  den  Seelen  der  Verstorbenen  umschwärmt.  Der  Verkehr  der 
Lebenden  mit  ihnen  reisst  nicht  ab  und  eine  Menge  von  volkstümlichen  Geschichten 
zeugt  dafür.  Der  Vortragende  teilte  solche  aus  der  vortrefflichen  Sammlung  von 
Le  Braz  mit,  die  er  in  der  Zeitschr.  V,  333  angezeigt  hat.  Die  eine  erinnerte  an 
die  nächtlichen  Messen,  welche  die  Bewohner  des  üntersberges  bei  Salzburg,  eines 
Aufenthaltsortes  der  Toten,  im  Salzburger  Dom  abhalten  sollen;  in  der  andern  trat 
die  Seele  eines  Verstorbenen  als  weisse  Maus  auf;  die  dritte  bildete  eine  der 
zahlreichen  Varianten  der  Lenorensage.  —  Herr  Kustos  Buchholtz  legte  alt- 
berlinischen Hausrat  aus  dem  märkischen  Provinzialmuseum  vor,  besonders  Lampen, 
Leuchter,  Löffel,  Fasshähne.  Erstaunlich  war  die  langsame  Entwicklung  der  Lampe. 
Metallene  Löffel  scheinen  erst  zur  Renaissancezeit  aufgekommen  zu  sein.  Der  Name 
des  Hahnes  am  Fass  erklärt  sich  daraus,  dass  der  Griff  vorwiegend  die  Gestalt 
dieses  Vogels  aufweist. 


Protokolle.  113 

Freitag,  den  27.  Dezember  1895.     Herr  Zeichenlehrer  Mielke  spricht  über 
die  Hausformen  des  nördlichen  Afrikas  und  erläutert  seinen  Vortrag  durch  Vorlage 
zahlreicher    von    ihm    angefertigter    Skizzen    und    an    Ort   und   Stelle    erworbener 
Photographien.     Von    einem   einheitlichen  Typus  ist  keine  Rede,    wie  ja  auch  die 
Bevölkerung  Nordafrikas    eine    gemischte    ist    und    mancherlei  Einwirkungen    sich 
gekreuzt    haben.     Im  Westen    findet    man  Anlehnung    an    das  römische  Haus,    im 
Osten  setzt  man  zwei  Geschosse  auf  einander  und  benutzt  das  obere  als  Wohnraum, 
doch    geht  diese  geographische  Sonderung  keineswegs  mit  Schärfe  hindurch.     Die 
Berbern    haben  keinen  gemeinschaftlichen  Haustypus.     In   der  Ebene  benutzen  sie 
zum  Teil  das  Zelt,  das  einem  umgekehrten  Schiffsrumpf  ähnlich  sieht  und  ebenso 
bei    den  Arabern    sich    findet.     In    den    Oasen    errichtet    man    Lehmhütten,    deren 
Grundform  ein  rechteckiger  Kasten  ist,  der  aber  durch  An-  und  Aufbauten  erweitert 
werden    kann.     Hier    finden    sich    auch    schon    einfache   Ornamente.     Die    Städter 
bedienen    sich  teilweise  des  Mittelmeerhauses,    teils  übertragen  sie  das  Oasenhaus 
in    die  Stadt.     Sie  errichten  es   dort  aus  Holz  und  schlechten  Backsteinen,    indem 
sie    eine  Lage  Holz    und    eine  Lage  Ziegel  mit  einander  abwechseln  lassen.     Die 
Berbern  in  den  Bergen  sind  stark  mit  Vandalen  gemischt,   lassen  sich  gern  civili- 
sieren    und    haben    kein    ursprüngliches  Haus    mehr.     Das  Mittelmeerhaus  ist  aus 
dem  antiken  erwachsen.     Eigentümlich  ist  ihm  die  Vernachlässigung  des  Äussern. 
Nur    das  Portal    wird    geziert,    die  Thür    gewöhnlich    grün    angestrichen    und   mit 
Nägeln  beschlagen,  die  zu  Figuren  geordnet  sind      Allen  weiteren  Schmuck  bringt 
man    im  Innern    an.     Gern    verwendet    man   antike  Reste,    dazu  bunte  Ziegel  und 
Kacheln.     Kunstvoll    ausgebildet  sind   die  spitzenartigen  Verzierungen,    die  in  den 
weichen    Mörtel    eingeritzt    werden.      Ihre    Elemente    sind    wenig    zahlreich,    aber 
manigfach    die    daraus    geschaffenen  Verbindungen.     Auch    älteren    und  modernen 
Palastbauten    widmete    der  Vortragende   noch  Bemerkungen  und  hob  u.  a.  hervor. 
wie  geringe  Neigung  die  Einheimischen  besitzen,  solche  Prachtwerke  zu  verschönen 
oder    auch    nur    zu    erhalten.  —  An    die    Lehmhäuser    anknüpfend    erinnerte  Herr 
Waiden  an  die  im  westlichen  Thüringen  ganz  allgemeine  Bauart,  ein  Flechtwerk 
zu  beiden  Seiten  mit  Lehm  zu  bewerfen.     Man  baut  auch  in  den  Städten  so,  und 
zwar    führen    diese  Arbeit    die  Kleiber    aus.     Sie  wohnen   zu  ganzen  Dörfern  bei- 
sammen   und    verdienen    sich  Sonntags    und    im   Winter    ihr  Brot  als  Musikanten. 
Herr    Mielke    sah    gleichartige    Bauten    bei    den    Zigeunern    in    Sofia    und    Herr 
Wein  hold    wies    darauf  hin,    dass  sie  sich  schon   bei  den  Pfahlbauern  linden.  - 
Herr  Geheimrat  Schwartz    legte    die    historisch  und  sprachlich  lehrreiche  Schrift 
von  W.  J.  Hoffmann,  Gschicht  lün  da  altä  fcsaitä  in  Pensilfani  (Proceedings  ofthe 
americ.  philos.  soc.  vol.  XXXI 1.    Philadelphia   L894)    vor,    die    für    das    Fortleben 
pfälzischer  Art  und  Sprache  in  Amerika  zeugt.  —  Herr  Geheimrat  Weinhold  stellte 
eine  Anfrage    nach    den  Spuren    von  Brunnencult.     In    das  Wasser    von    Brunnen, 
die    mit  Heiligen    in  Verbindung    gebracht    werden,    wirft    man  Opfer  von  Metall, 
namentlich  Nadeln.     Wir  finden  das  in  Irland,  Schottland,  im  nördlichen  England, 
aber    nicht    nur    in    keltischen    Gegenden,    sondern    auch  z.  B.    in    Schlaupitz    am 
Geiersberg,    in    der  Nähe  des  Zobten,    wo  viele  kleine  Hufeisen  gefunden  worden 
sind.     Auch    aus    dem  Vogtland    wird    vielfach  Ähnliches    berichtet.     Einige    Mit- 
teilungen   in  der  Sitzung  Anwesender  ergaben  leider  nichts  genau  Entsprechendes. 
—  Der  Vorstand  wurde  durch  Zuruf  für  das  Jahr  1896  wiedergewählt. 

Freitag,  den  24.  Januar  1896.  Herr  Bankier  Alexander  Meyer  Cohn  be- 
richtete über  die  cecho-slavische  Ausstellung  in  Prag  und  über  das  Trachtenfest  in 
München  im  Sommer  und  Herbst  1895,  wobei  er  eine  Fülle  von  Bildern  vorlegte. 
Man  hat  von  der  Prager  Ausstellung  sehr  wenig  gehört,  weil  alles  Deutsche  sorgsam 
von   ihr    ferngehalten    wurde,    doch    ist    das  Schweigen   über  sie  zu  bedauern,    da 


114.  Roediger:  Protokolle. 

sie  grossartig  und  mustergültig  war.    Angeregt  hat  sie  der  Direktor  des  böhmischen 
Nationaltheaters,    Herr  Schubert,    im  Jahr  1891    während  der  böhmischen  Landes- 
ausstellung,   der    dadurch    ein    cechisch.es    ethnographisches    Museum    vorbereiten 
wollte.     Platz    und  Baulichkeiten    der  Landesausstellung    blieben   für  die  neue  er- 
halten   und  wurden  ihr  überlassen.     Ausstellen  durften  nur  diejenigen  Landesteile, 
in    denen    effektiv    böhmisch    gesprochen    wird,    Böhmen,    Mähren,    die  Walachei, 
Schlesien,  die  mährische  und  ungarische  Slowakei.    Zunächst  fielen  die  zahlreichen 
Modelle  von  Volksbauten   auf:    Kirchen,    Glockentürme,    Bauernhäuser,    Scheunen; 
dann    die  Fülle    der  Stickereien.     Zum  ersten  Mal  ist  hier  wohl  versucht  worden, 
Volksgebräuche    figürlich    darzustellen,    wie  den  in  seinen  Einzelheiten  nicht  ganz 
klaren  Königsritt,    einen  Kunkelschmaus,    eine  Brautwerbung.     Daran   reihten  sich 
Sammlungen  bemalter  Ostereier,    von  Gebacken,   bäuerlichen  Spielsachen  u.  s.  w. 
Vortrefflich    waren    die  Einzelausstellungen,    welche    den  Charakter    eines    ganzen 
Gebietes    zum  Ausdruck    bringen    sollten,    und    in  denen,    wie  im  Berliner  Volks- 
trachtenmuseum,   um    eine    charakteristische    Gruppe    von    Personen    die    typische 
Wohnungsausstattung   nebst    andern    Gegenständen    angeordnet    war.     Ferner    war 
ein  ganzes  Dorf  von  mehr  als  50  Gebäuden    aufgebaut  und  mit  Familien  aus  den 
einzelnen   Landesteilen  besetzt.     Man  konnte  dort  die  verschiedenen  Nationaltänze 
in    Augenschein    nehmen.     Ebenso    war    ein  Stück    des    alten    Prag    aus    der  Zeit 
Rudolfs  II.    aufgebaut    worden.     Erwähnt    seien    noch    die   Fachausstellungen    der 
Geschichte    des  Theaters,    der    Litteratur,    des    Studententums  und    des    Handels. 
—   Für    das    Münchener   Trachtenfest   Ende    September    vorigen    Jahres    konnten 
nur    mit   grosser    Mühe    alte  Trachten    in    genügender  Vollständigkeit    zusammen- 
gebracht werden,  ja  in  manchen  Gegenden  ist  die  alte  Kleidung  völlig  verschwunden, 
wie    namentlich    in    der  Rheinpfalz,    aber    auch    in  Oberbaiern    zum  Teil    und    in 
Schwaben;    an    gewissen  Orten    ist    sie    erst  durch  die  Thätigkeit  von  besonderen 
Trachtenvereinen    wiedererweckt  worden.     Dennoch  war  es  gelungen,  eine  grosse 
Anzahl    von  Ortsgruppen    mit    etwa  1500  Personen  in  München  zu  vereinigen,  die 
in  einem  Aufzug  sowie  bei  Tänzen  und  Vorträgen  volkstümlicher  Lieder  vorgeführt 
wurden.      Hervorgehoben    sei    der    in    Baiern   untergegangene    und    nur    noch    im 
Salzburgischen,    in    Zell    am    See    erhaltene    Berchtentanz.   —   Herr    Zeichenlehrer 
Mielke    legte  Skulpturen    aus  norddeutschen  Kirchen  in  eigenen  Skizzen  vor  und 
teilte    die    daran    sich    knüpfenden  Sagen  mit.     Es  handelte  sich  um  Kreuze,  Ein- 
drücke   von  Hufen    oder   menschlichen  Füssen,    Tierfiguren,   Steinmetzzeichen,  die 
das  Volk  je  nach  ihrer  Art  an  verschiedenen  Orten  in  ziemlich  übereinstimmender 
Weise    auszulegen    pflegt.     Besonders    gaben    noch    die    bekannten  Näpfchen    und 
Rillen  an  der  Aussenseite  von  Kirchen  zu  Erörterungen  Anlass,  an  denen  sich  die 
Herren  Friedel,  Weinhold  und  Sökeland  beteiligten.    Letzterer  hat  Näpfchen 
auch    auf  Gemmen  der  romanischen  Zeit  (9.— 12.  Jahrh.)  gefunden,    unter  anderm 
auf   dem    grossen  Topas    im  Kölner  Dom.     Zu    unterscheiden   von  ihnen  sind  die 
gerstenkornartigen  Vertiefungen.  —  Die  Herren  Weinhold  und  Cohn  legten  den 
Geschäftsbericht  über  das  Jahr  1895  vor.    Die  Mitgliederzahl  des  Vereins  ist  durch 
den  Beitritt  von  Stadtmagistraten  und  Bibliotheken  auf  202  gestiegen,    keine  hohe 
Zahl,    so  dass    er  trotz    der  auch  für  das  Jahr  1895  geneigtest  gewährten  Beihilfe 
des    hohen  Königl.    preussischen  Kultus-Ministeriums    doch    nur    über    nicht  eben 
bedeutende  Mittel    verfügt.     Der  Bibliothek  des  Vereins  hat  Herr  Geheimrat  Prof. 
Dr.  Bastian  im  Museum  für  Völkerkunde  gastliche  Unterkunft  vergönnt.     In  den 
Ausschuss   wurden   gewählt  Fräulein  Lemke   und  die  Herren  Bartels,   Mielke, 
Erich  Schmidt,  Bastian,  Friedel,  Goerke  (Bibliothekar  des  Vereins),  Lübke. 
Voss,  Waiden.  Moebius,  Bolte.  Max  Roediger. 


Die  Kraniche  des  Ibykns  in  der  Sage. 

Von  Gaetano  Amalfl. 


Es  war  einmal  ein  armer  Mann,  der  einst  auf  einem  einsamen  Wege 
dahinschritt.  Da  stiess  er  auf  einen  Menschen,  der  sich  auf  der  Suche 
nach  einer  Stellung  befand.  Dieser  kam  auf  den  Gedanken,  der  andere 
möge  Geld  bei  sich  haben,  und  fiel  über  ihn  her,  um  ihu  zu  töten.  Ver- 
gebens rief  der  Arme:  ,Ach  töte  mich  nicht.  Beim  Heil  meiner  Seele, 
ich  besitze  kein  Geld.' 

Jener  aber  blieb  hartnäckig  und  versetzte:  ,Du  mögest  Geld  haben 
oder  nicht,  du  musst  doch  sterben.-     Und  er  schlug  ihn  tot. 

Während  der  Unglückliche  seinen  Geist  aufgab,  sah  er  eine  Taube 
vorüberfliegen.  Da  rief  er  aus:  , Taube,  niemand  ist  da,  der  mich  sähe. 
Du  allein  kommst  vorüber,  und  so  sei  du  meine  Zeugin!- 

Der  Thäter  kümmerte  sich  nicht  um  diese  Worte  und  setzte  gleich- 
mütig seinen  Weg  fort.  Er  kam  in  den  benachbarten  Ort,  und  trat  als 
Koch  bei  einem  Herrn  in  Dienst  Eines  Tages  trug  dieser  ihm  auf  eine 
Taube  zu  schlachten.  Während  er  sie  rupfte,  schüttelte  er  lächelnd  den 
Kopf. 

Die  Töchter  des  Hausherrn  sahen  ihn  lachen  und  fragten  ihn,  was  es 
gebe.  Er  antwortete  ihnen:  .Sehet  her,  ob  eine  Taube  wohl  als  Zeugin 
hat  dienen  können?' 

Sie  verlangten  mit  aller  Gewalt  zu  wissen,  um  was  es  sich  handle, 
und  sicher,  dass  er  straflos  ausgehen  werde,  erzählte  er  ihnen  die  ungefähre 
Begebenheit. 

Die  jungen  Mädchen  riefen  ihren  Vater  herbei  und  veranlassten  jenen 
die  Erzählung  zu  wiederholen. 

Während  er  noch  bei  dieser  verweilte,  schickte  der  Hausherr  einen 
seiner  Diener  heimlich  nach  der  Polizei  aus. 

Er  wurde  ins  Gefängnis  gesteckt,  die  Mitglieder  jener  Familie  traten 
selbst  als  Zeugen  auf,  und  so  büsste  er  den  auf  offener  Strasse  begangenen 
Mord  mit  seinem  Kopfe. 


Z,-itM-|,r.   <1.  Vereins  I.   V.»lk-U 


116  Amalfi: 

Diese  Erzählung,  die  ich  in  Tegiano  (Provinz  Salerno)  aus  dem 
Munde  eines  Analphabeten  vernommen  habe,  ist  bei  Licht  besehen  eine 
einfache  Spielart  der  dem  griechischen  Lyriker  Ibykus  aus  Rhegium,  der 
um  528  v.  Chr.  lebte,  angehängten  Sage  von  den  Kranichen,  an  deren 
Stelle  hier  eine  Taube  getreten  ist. 

Wer  kennt  jene  Geschichte  nicht?  Als  der  Sänger  auf  seinen  Wander- 
zügen eines  Tages  durch  eine  öde  Gegend  in  der  Nähe  von  Korinth  kam, 
wurde  er  von  Räubern  angefallen  und  tötlich  verwundet.  Ehe  er  seinen 
Geist  aufgab,  rief  er  zum  Zeugen 'seiner  Ermordung  einen  Kranichschwarm 
an,  der  zufällig  am  Orte  der  That  vorüberfiog,  und  den  er  bat,  seinen  Tod 
zu  rächen.  Einige  Tage  nach  dieser  Begebenheit  befand  sich  das  Volk 
im  Theater  von  Korinth,  als  in  grosser  Anzahl  Kraniche  erschienen  und 
über  den  Häuptern  der  Zuschauer  hin  und  her  flatterten.  Unter  den 
letzteren  war  auch  einer  der  Mörder,  dem  beim  Anblick  der  Vögel  die 
Worte  entfuhren:  ,Sieh  da  die  Rächer  des  Ibykus!'  Er  hatte  sich  wider 
seinen  Willen  verraten,  und  bewirkte  hierdurch  die  Entdeckung  der  Mörder, 
und  ihre  Bestrafung. 

Aus  dieser  Sage  ging  das  griechische  Sprichwort:  al  'Ißvxov  yegavoil 
(die  Kraniche  des  Ibykus!)  hervor,  das  Erasmus  kommentiert  hat1).  Er 
erzählt  die  bekannte  Anekdote  und  fügt  hinzu,  dass  Plutarch  sie  in  seiner 
Abhandlung:  De  futili  loquacitate,  und  Ausonius  sie  mit  den  Worten 
Ibycus  ut  periit,  vindex  fuit  altivolans  grus  erwähnen.  Auch  merkt 
er  das  Epigramm  des  Antipater  Sidonius  aus  der  Anthologie2)  an,  das  in 
der  lateinischen  Übertragung  beginnt: 

Quondam  ad  desertum  venienti  Ibice  littus 

Vitam  praedones  eripuere  tibi. 
Nempe  gruum  nubem  imploranti,  quae  tibi  testes 

Advenere  necis  quum  morerere  tuae,  etc. 

Noch  an  anderer  Stelle  kommt  Erasmus  auf  das  Sprichwort  zurück3). 
Plutarchs  Worte  sind  die  folgenden:  ,Und  wurden  die  Mörder  des  Ibykus 
nicht  auf  die  gleiche  Weise  entdeckt?  Als  diese  im  Theater  sassen,  sahen 
sie  über  sich  in  der  Luft  einige  Kraniche  auftauchen,  und  lachend  flüsterten 
sie  einander  zu:  Schau  dort  die  Rächer  des  Todes  des  Ibykus!  Lange 
Zeit  war  schon  vergangen,  ohne  dass  man  Ibykus  gesehen,  und  man  forschte 
nach  ihm;  darum  merkten  sich  die  neben  jenen  Sitzenden  deren  Worte 
und  hinterbrachten  sie  der  Obrigkeit;  man  überführte  sie,  nahm  sie  fest 
und  bestrafte  sie,  was  nicht  die  Kraniche,  sondern  ihr  unzeitiges  Gerede 
gethan4).' 

1)  Erasmi  A.dagia.  Basilea,  ex  officina  Frobeniana,  1539,  S.  298— 99.  Vergleiche 
Henr.  Stephanus,  Carm.  poet.  novem  etc.  1566,  S.  88-89. 

2)  Suidas,  Aiitip.  Sid.  Epigr.  78,  ap.  Brunk,  Anal.  Bd.  II,  S.  27. 

3)  Ibid.  S.  984. 

4)  Plutarco,  Opusc.  volgarizzati  da  Marc.  Adriani,  Milanu  1827,  Bd.  III, 
S.  443:  Della  loquacitä. 


Die  Kraniche  des  Ibykus  in  der  Sage.  117 

Diese  Anekdote  wiederholen  fast  alle  Darsteller  griechischer  Literatur- 
geschichte, ohne  ihrer  historischen  Bedeutung  näher  zu  treten;  es  genüge 
beispielshalber  Müller  (I3,  S.  345)  anzuführen,  dessen  Worte  sind:  ,1.  war  ein 
wandernder  Dichter,  wie  auch  die  bekannte  Sage  von  den  Kranichen  als 
Zeugen  und  Rächern  seiner  Ermordung  andeutet,  .  .  .' 

Es  handelt  sich  hier  aber  um  eine  rein  traditionelle  Erzählung,  die 
nicht  allein  beim  Volke  lebendig  war,  sondern  auch  in  litterarischen  Nach- 
bildungen recht  weite  Verbreitung  gefunden,  wie  ich  durch  einige  Zusammen- 
stellungen beweisen  werde. 

In  dem  Piacevolissimo  Fuggilozio  des  Neapolitaners  Tommaso 
Costo1)  wird  folgende  Geschichte  erzählt: 

Ein  Diener  eines  Kardinals  wird  erschlagen,  man  entdeckt  die  That 
mit  Hilfe  einiger  Vögel  und  bestraft  den  Mörder. 

Ein  Mann  aus  der  Romagna  bietet  sich  einem  Provenzalen,  der  eine 
reiche  Erbschaft  gemacht  hat,  als  Begleiter  nach  Livorno  an.  Aber  voll 
Verlangen  sich  seines  Geldes  zu  bemächtigen,  greift  er  nach  dem  Schwerte. 
Vergebens  fleht  jener  ihn  an,  ihn  am  Leben  zu  lassen,  und  er  fügt  hinzu, 
er  werde,  wenn  er  ihn  töte,  bestraft  werden.  Der  andere  macht  sich  hier- 
über lustig  und  sagt:  Wer  sollte  mich  anklagen?  Etwa  die  Vögel?  Und 
er  führt  sein  ruchloses  Vorhaben  aus.  Nach  Rom  zurückgekehrt  erzählte 
er,  dass  er  jenem  sorgsam  das  Geleit  gegeben  habe.  Doch  eine  Anzahl 
Raben  stürzten  sich  auf  den  Leichnam  des  Ermordeten,  auch  Krähen  und 
Geier,  und  zwar  unter  so  grossem  Getöse,  dass  die  Bewohner  der  Nachbar- 
schaft und  die  in  der  Nähe  Vorübergehenden  herbeieilten,  und  als  sie  den 
Toten  erblickt,  den  Vorfall  in  Rom  anzeigten.  Der  Leichnam  wurde  nach 
Rom  geschafft  und  erkannt.  Der  Mörder  aber  wurde  entdeckt,  gestand 
sein  Verbrechen  ein  und  erhielt  seine  gerechte  Strafe.  So  waren  die 
Vögel,  die  er  höhnisch  herausgefordert  hatte,  seine  Ankläger  geworden. 

Costos  Erzählung  klingt  nahe  an  eine  andere  von  weit  höherem  Alter 
an,  die  Francesco  Zambrini  im  Libro  di  Novelle  Antiche  veröffentlicht 
hat2): 

Von  dem  Juden,  der  von  des  Königs  Kammerdiener  getötet  wurde. 

Ein  Jude,  der  sehr  reich  war,  kam  einst  durch  das  Land  eines  Königs. 
Um  sicher  zu  reisen,  machte  er  dem  Könige  ansehnliche  Geschenke,  auch 
bat  er  ihn  um  Geleit,  damit  man  ihn  durch  sein  Gebiet  ziehen  lasse.  Der 
König  gab  ihm  den  Junker,  der  ihn  als  Mundschenk  bediente,  zum  Be- 
gleiter. Wie  sie  nun  durch  einen  Wald  gingen,  dachte  der  Kammerdiener 
bei  sich:  Der  da  hat  viel  Geld  im  Besitz;  ich  könnte  ihn  hier  töten,  dann 
bin  ich  reich,  niemand  aber  erfährt  es.    Und  er  sagte  laut:  Du,  geh  voraus. 


1)  Giorn.  V,  No.  3,  Venezia,  Barezzi,  1600,  S.  224—226. 

2)  Curiositä  leterarie,  Dis.  93.  Bologna,  Romagnoli,  1868,  No.  23,  S.  79—80. 
Zur  Bibliographie  s.  Papauti,  Catal.  de'  novel.  in  prosa,  Livorno,  Vigo,  1871,  Bd.  I, 
S.  198. 


118  Amalfi: 

Der  Jude  erwiderte:  Geh  du  voraus.  Jetzt  sprach  der  Kammerdiener:  Du 
sollst  sterben,  denn  nie  wird  jemand  deinen  Tod  erfahren.  Da  rief  der 
Jude:  Töte  mich  nicht,  denn  die  Rebhühner,  die  jetzt  über  uns  fliegen, 
werden  meinen  Tod  anzeigen.  Der  aber  sprach:  So  mögen  sie  es  thun. 
Und  er  erschlug  ihn,  raubte  ihn  aus,  verscharrte  ihn  und  kehrte  nach 
Hause  zurück.  Zum  Könige  aber  sagte  er,  dass  er  ihn  gut  geleitet  habe. 
Etwa  ein  Jahr  nach  dieser  Begebenheit  zerlegte  der  Kammerdiener  Reb- 
hühner vor  dem  Könige;  da  erinnerte  er  sich  der  Worte  des  Juden,  er 
begann  zu  lachen  und  vermochte  nicht  Herr  seiner  Lachlust  zu  werden. 
Als  der  König  gespeist  hatte,  fragte  er  den  Kammerdiener,  worüber  er 
gelacht  habe.  Der  aber  zögerte  ihm  die  Ursache  zu  verraten.  Da  sprach 
der  König:  Sage  es  getrost.  Und  nun  erzählte  er  ihm  die  ganze  Begeben- 
heit. Und  der  König  that  so,  als  ob  sie  ihm  gleichgiltig  sei;  indessen  hielt 
er  weisen  Rat  und  hierbei  entschied  er,  der  Kammerdiener  solle  aufgehängt 
werden,  so  dass  er  hierdurch  zu  Tode  komme.     Und  also  geschah  es. 

Eine  verwandte,  nur  in  einigen  Punkten  abweichende  Geschichte  liest 
man  auch  in  dem  Utile  col  dolce  des  P.  Carlo  Casalicchio1): 

Bei  Plutarch  wird  erzählt,  wie  jemand,  mit  Namen  Bessus,  der  seinen 
eigenen  Yater  getötet  und  den  Mord  viele  Jahre  lang  verheimlicht,  eines 
Nachmittags,  als  er  sich  zum  Abendessen  in  das  Haus  einiger  Freunde 
begab,  ein  an  diesem  Hause  befindliches  Schwalbennest  gar  unwillig  mit 
einer  Lanze  zur  Erde  herniederstiess  und  mit  gleich  grimmigem  Gebaren 
alle  Junge,  die  darin  waren,  mit  den  Füssen  zu  Tode  trat.  Auf  die 
Frage,  warum  er  dies  thne,  erwiderte  er:  Hört  ihr  nicht,  wie  diese  Yögel 
aussagen,  dass  ich  meinen  Yater  getötet  habe?  und  das  ist  doch  durchaus 
unwahr.  Hierüber  gerieten  die,  die  dabei  standen,  sehr  in  Erstaunen. 
Sogleich  eilten  sie  zum  Könige,  um  ihm  zu  sagen,  was  geschehen  sei. 
Und  der  König,  der  durch  seine  Minister  gar  gründliche  Nachforschungen 
hierüber  anstellen  liess,  erfuhr,  dass  untrügliche  Anzeichen  dafür  sprächen, 
dass  der  erwähnte  Bessus  wirklich  seinen  Yater  ruchlos  ermordet  habe; 
und  so  verfügte  er  gegen  ihn  einen  qualvollen  Tod,  wie  er  ihn  der  Schwere 
des  Verbrechens  gemäss  verdiente,  das  er  nach  Gottes  gerechter  Fügung 
selbst  verraten  hatte. 

Der  Stoff  ist  auch  in  einem  französischen  Roman  von  Pommartin, 
Les  Corbeaux  de  Gevaudan,  der  sich  im  Jahre  1867  grosser  Beliebtheit 
erfreute,  enthalten.  Dieser  Umstand  beweist,  wenn  auch  nichts  anderes, 
so  doch  die  Volkstümlichkeit  unserer  Sage  in  Gevaudan. 

Zu  vergleichen  ist  auch  Heinrich  Schliemann,  The  Stymphalian 
birds  and  the  cranes  of  Ibykus;  Ristelhuber,  Quatre  ballades, 
suivies  de  notes,  Geneve  1876,  S.  29 — 35;  Traditions  allemandes 
recueillies    et    publiees    par    les   freres  Grimm,    traduites  par  M. 


1)  Venezia  1761,  S.  82.     Centuria  I,  Decade  5,  Arguzia  2. 


Die  Kraniche  des  Ibykus  in  der  Sage.  119 

Theil,  Paris  1838.  Bd.  I,  S.  221  ff.:  La  colombe  qui  indique  un  prison, 
und  La  colombe  qui  arrit  l'ennemi;  Bouer,  Der  Edelstein,  Ausgabe 
von  Benecke,  Berlin  1816,  Fab.  LXI. 

Einige  Berührungspunkte  lassen  sich  auch  mit  der  Legende  des  heiligen 
Meinrad  finden,  über  die  man  sehe:  Histori  vom  Leben  und  Sterben 
dess  H.  Einsidels  und  Märtyrers  S.  Meinrad ts.  Freyburg  i.  d.  Ey dg.  1587. 
G.  Morell,  Die  Legende  von  S.  Meinrad,  Einsiedeln  1861.  Geistlich  Spiel 
von  S.  Meinrads  Leben  und  Sterben,  herausgegeben  von  G.  Morell, 
Tübingen  1863. 

Unsere  Erzählung  bildet  ferner  die  79.  Nummer  bei  Rudschenko, 
Narodnyja  juznorusskija  skazki  (d.  h.  kleinrussische  Märchen),  Kiew 
1869,  S.  207  ff.  Der  Inhalt  derselben,  dessen  Kenntnis  ich  einem  Freunde 
verdanke,  ist  folgender: 

Zwei  Landleute,  die  von  der  Arbeit  zurückkehren,  kommen  iu  eine 
einsame  Gegend,  woselbst  der  eine  von  ihnen  den  anderen  töten  will,  um 
sich  das  Geld,  das  dieser  sicli  verdient  hat,  anzueignen.  Der  Bedrängte 
bittet  um  die  Erlaubnis  jemandem  sein  letztes  Lebewohl,  ehe  er  sterbe, 
zurufen  zu  dürfen,  und  zu  einer  Pflanze,  deren  russischer  Name  pere- 
katipole  ist,  dem  Gipskraut,  gewendet  ruft  er  aus:  Lebe  wohl,  pere- 
katipole,  und  sieh  recht  her,  du  sollst  mein  Zeuge  sein. 

Nachdem  er  seinen  Gefährten  getötet  und  ausgeplündert,  begiebt  sich 
der  Mörder  in  sein  Dorf  zurück  und  verheiratet  sich.  Als  er  eines  Tages 
mit  seinem  Weibe  über  die  Felder  ging  und  die  Pflanze  erblickte,  erinnerte 
er  sich  der  letzten  Worte  seines  Opfers  und  konnte  sich  nicht  enthalten 
zu  lachen.  Seine  Frau  bemerkt  dies  und  wünscht  die  Ursache  hiervon  zu 
erfahren;  sie  setzt  ihm  solange  zu,  bis  sie  ihm  das  verhängnisvolle  Ge- 
heimnis entlockt.  Solange  der  Friede  in  ihrem  Hause  herrscht,  bleibt 
das  Geheimnis  verschwiegen.  Als  der  Mann  sich  aber  eines  Tages  heraus- 
genommen, jmie  zu  misshandeln  und  zu  schlagen,  enthüllt  sie  es  sofort 
ihrem  Vater,  und  die  Folge  ist,  dass  der  Mörder  nach  Sibirien  verbannt  wird. 

Es  fehlt  auch  nicht  an  orientalischen  Versionen. 

In  den  indischen  Erzählungen  und  Märchen1)  findet  sich  folgende 
Geschichte,  die,  laut  einer  Fussnote.  von  dein  Verfasser  der  persischen 
Version  in  das  Buch  von  Kaiila  und  Dimna  eingestellt  worden: 

Der  Derwisch  und  die  Diebe. 

In  Edessa  lebte  einst  ein  Derwisch,  der  seines  strengen  Lebens  wegen 

weit   bekannt    war.     Seine  Frömmigkeit    und    seine  Sanftmut    hatten  ihm 

die  Herzen  aller  Einwohner  gewonnen.    Einst  überkam  ihn  das  Verlangen 

nach  Mekka    zu    pilgern,    und    ganz    allein    machte   er  sich  auf  den  Weg. 


1)  Contes  et  fables  indiennes  de  Bidpai,  trad.  d'Ali  Tchelebi-Ben-Saleh, 
auteur  turc,  par  Galland  et  Cardonne.  In  Mille  et  un  jours  etc.,  mit  Einleitung  von 
Loiseleur-Deslongchamps,  Paris,  Dosrez,  1840,  Kap.  VIII,  S.  5111'. 


120  Amalfi: 

Einige  Tage  nach  seinem  Aufbruche  wurde  er  von  Dieben  überfallen. 
Er  reichte  ihnen  das  wenige  Geld,  das  er  besass,  dar  und  beschwor  sie, 
ihm  nicht  das  Leben  zu  nehmen;  minder  Kummer,  sagte  er  zu  ihnen, 
würde  er  hierüber  haben,  wenn  er  den  heiligen  Tempel  in  Mekka  ge- 
schaut hätte. 

Nicht  seine  Bitten  noch  seine  Thränen  vermochten  die  Unholde  zu 
erweichen.  Sie  Hessen  ihre  Säbel  vor  seinen  Augen  funkeln.  Als  Danadil 
sah,  dass  ihm  der  Tod  gewiss  sei,  spähte  er  angstvollen  Blickes  nach 
jemandem  aus,  der  ihm  Hilfe  leisten  oder  wenigstens  eines  Tages  wider 
seine  Mörder  zeugen  könnte;  doch  niemandes  ward  er  in  dieser  weiten 
Einöde  gewahr.  Als  er  sich  drum  von  den  Menschen  verlassen  sah,  richtete 
er  sich  an  einen  Kranichschwarm,  der  gerade  über  seinem  Haupte  einher- 
flog:  ,Ihr  Vögel',  sprach  er  zu  ihnen,  , seiet  ihr  die  Zeugen  dieses  Meuchel- 
mordes. Euch  überlasse  ich  die  Sorge  für  meine  Rache.'  Diese  Anrede 
brachte  die  Diebe  zum  Lachen  und  hielt  sie  keineswegs  zurück  den 
Derwisch  zu  erschlagen.  Danadil  kehrte  nicht  wieder  heim,  und  man 
nahm  in  Edessa  an,  dass  der  Tod  ihn  ereilt  habe.  "Die  Einwohner  trauerten 
um  ihn  und  quälten  sich  umsonst  mit  Mutmassungen,  wer  dies  Verbrechen 
habe  begehen  können. 

Viele  Jahre  waren  seitdem  verflossen,  bis  einst  die  Feier  eines  Festes 
die  Bewohner  der  Umgegend  in  die  Stadt  rief.  Das  Volk  war  im  Vorhofe 
der  Hauptmoschee  versammelt,  als  ein  Kranichschwarm  über  ihnen  durch 
die  Luft  strich.  Der  Zufall  oder  besser  der  Himmel  als  Rächer  der  Frevel, 
die  wider  Schuldlose  verübt  werden,  hatte  auch  die  Mörder  Danadils  an 
jenen  Ort  geführt.  Das  Erscheinen  jener  Vögel,  ihr  schrilles,  gellendes 
Gekreisch  weckte  in  einem  von  ihnen  die  Erinnerung  an  die  Mordthat, 
die  sie  begangen  hatten.  ,Sieh  da',  sprach  er  lachend  zu  einem  seiner 
Gefährten,  ,sieh  da  die  Zeugen  Danadils.'  Diese  Worte  wurden,  so  leise 
sie  auch  gesprochen  waren,  von  jemandem  vernommen  und  dieser  gab  die 
Schuldigen  an.  Sofort  wurden  sie  verhaftet  und  in  ihrer  Verwirrung  und 
Bestürzung  bekannten  sie  ihr  Verbrechen,  welches  sie  darauf  unter  qual- 
vollen Martern  büssten. 

Loiseleur-Deslongchamps ])  hatte  bereits  hervorgehoben,  dass  sich  diese 
Erzählung  in  der  Einleitung  der  persischen  Version  des  Buches  von 
Kaiila  und  Dimna  vorfinde,  deren  Verfasser  Hocein  Vaez  ist  und  die 
den  Titel  Anwari-Soha'ili2)  trägt.  Er  ewähnt  auch,  sie  stehe  in  den 
schon  angeführten  Fables  indiennes8),  im  Nouveau  Journal  asiatique*) 
u.  s.  w.     Auch    in    dem    Libro    delos    Exemplos,    herausgegeben    von 


1)  Essai  sur  les  fables  indiennes  etc.,  Paris  1838,  S.  71,  No.  5. 

2)  S.  The  Anvari  Sohaüi,  fol.  1G2  r°. 

3)  Bd.  III,  S.  98. 

4)  Bd.  XVI,  S.  179. 


Die  Kraniche  des  Ibykus  in  der  Sage.  121 

Gayangos,  begegnet  sie,  doch  in  so  veränderter  Gestalt,  dass  man  sie  kaum 
wiedererkennen  kann *). 

Sollte  jedoch  alles  dies  nicht  genügen,  um  uns  von  der  Blüte  unserer 
Erzählung  im  Morgenlande  zu  überzeugen,  so  sei  darauf  hingewiesen,  dass 
sie  auch  in  einem  Buche  vorhanden  ist,  dessen  Ursprung  in  Indien  selbst 
liegt,  und  zwar  in  den  mongolischen  Märchen  von  Siddhi-Kür,  die 
Bernhard  Jülg  ins  Deutsche  übertragen  hat2).  Diese  sind,  wie  man  festge- 
stellt hat,  eine  Paraphrase  der  Sanskrit-Sammlung  Sinhäsana-dvätrincati 
(die  32  Erzählungen  vom  Throne),  die  auch  unter  dem  Namen  Vikra- 
mäditjacharitra  (Leben  des  Vikramäditja)  bekannt  ist,  denn  die  32  Er- 
zählungen, die  sie  umfasst,  sind  ebensoviel  Legenden,  die  sich  an  diesen 
Fürsten  knüpfen. 

Uns  geht  die  15.  dieser  Erzählungen  an,  und  ich  glaube,  dass  ihr 
Inhalt  wiedergegeben  zu  werden  verdient.  Sie  führt  den  Titel:  Abara- 
schika,  das  vielbedeutende  Wort;  natürlich  ist  dieses  Wort  ein  er- 
fundenes.    Es  handelt  sich  in  ihr  um  folgendes: 

Früh  vor  Zeiten  lebte  im  Westen  Indiens  ein  König,  der  einen  gar 
klugen  Sohn  hatte.  Diesen  sandte  er  mit  dem  Sohne  eines  Ministers,  mit 
der  Bestimmung  jegliches  Wissen  von  Grund  aus  zu  lernen  und  recht 
weise  zu  werden,  in  das  Diamantenreich  Mittelindiens  (Magadha),  wobei 
er  jedem  von  beiden  ein  halb  Mass  Gold  mit  auf  den  Weg  gab.  Nach 
ihrer  Ankunft  im  Diamantenreich  überreichten  sie  zweien  Lamas  jeder 
sein  besonderes  Geschenk  und  blieben  zwölf  Jahre  lang  bei  ihnen  in  der 
Lehre.  Da  machte  der  Sohn  des  Ministers  dem  Königssohn  den  Vorschlag, 
jetzt  in  die  Heimat  zurückzukehren.  Und  nachdem  jeder  von  ihnen  es 
seinem  Lehrer  gemeldet,  gaben  die  Lamas  ihre  Zustimmung  dazu.  Auf 
dem  Heimwege,  der  eine  weite  Strecke  betrug,  konnten  sie  kein  Wasser 
finden.  Während  sie  dem  Tode  nahe  so  da  lagen,  liess  eine  Krähe  den 
Ruf  ,ikerek'  ertönen.  Kaum  hatten  sie  das  vernommen,  als  der  Königs- 
sohn sagte:  .Jetzt  wollen  wir  weiter  gehen,  es  wird  sich  Wasser  finden.' 
Doch  der  Ministersohn  sagte:  ,Wie  sollte  sich  Wasser  für  uns  finden?' 
,Jetzt,  da  ich  den  Ruf  einer  Krähe  gehört',  sprach  der  Königssohn,  , ver- 
spreche ich  Rettung:  wenn  wir  uns  von  hier  in  südlicher  Richtung  wenden, 
so  wird  sicherlich  dort  in  der  Entfernung  von  500  Schritten  ein  gutes, 
frisches,  wohlschmeckendes,  reines,  vortreffliches  Wasser  sich  finden. 
Kaum  dass  wir  es  gesehen,  werden  wir  uns  wieder  erholen.'  Es  traf  zu. 
Sie    tranken    von    dem  Wasser,    löschten    ihren  Durst  und  nahmen  davon 

1)  No.  XOVI,  S.  470. 

2)  Mongolische  Märchen,  die  neun  Erzählungen  des  Siddhi-Kür,  übersetzt 
von  Jülg,  Innsbruck,  Wagner  1868,  S.  147  ff.  Hierzu  vgl.  die  Rezensionen  von  Köhler,  Gott. 
Gelehrt.-Anz.  1868,  St.  49,  S.  1926-1931,  und  von  Leon  Feer,  Revue  Critique  1869, 
175.  S.  ferner  Melanges  asiatiques  etc.,  Bd.  III,  S.  170,  und  Schiefner,  Über  die 
unter  dem  Namen,  Geschichte  des  Ardschi-Bordschi  Ohän  bekannte  morgen- 
ländische Märchensammlung. 


222  Amalfi: 

auch  noch  auf  den  Weg  mit.  Unterwegs  dachte  der  Sohn  des  Ministers 
bei  sich:  ,Der  König  hat  uns  beiden  den  Unterhalt  gleichraässig  gewährt; 
dieser  ist  nun  so  klug  und  weise  geworden,  ich  aber  habe  nicht  den 
Umfang  seines  Wissens  erreicht.'  Darum  schlug  er  ihm  vor,  des  Nachts 
auf  einen  Berg  zu  steigen  und  dort  zu  übernachten  und  sagte  als  Vorwand, 
dass  sie  leicht  von  Dieben  geplündert  werden  könnten,  wenn  sie  die  Nacht 
auf  der  Ebene  zubrächten.  Damit  entführte  er  ihn  in  den  Wald  auf  einen 
Berg  und  tötete  ihn  dort;  der  Königssohn  rief  nur  noch  das  eine  Wort 
aus:  ,abaraschika'.  Darauf  kehrte  der  Sohn  des  Ministers  in  seine 
Heimat  zurück,  und  als  er  bereits  nahe  war,  kam  ihm  der  König  samt 
den  Ministern  zur  Begrüssung  entgegen.  Da  der  Königssohn  nicht  mit 
erschien,  so  war  die  erste  Frage:  ,Wo  ist  der  Königssohn  .hin?'  ,Er  ist 
gestorben',  erwiderte  er.  Der  König  rief  in  heftigem  herbem  Schmerze: 
,Ach  ihr  viele  Hunderte  zählenden  Städte!  ach  du  meine  Herrschermacht! 
wie  seid  ihr  nun  verwaist!'  Unter  diesen  beständigen  Klagen  und  in 
bitterer  Wehmut  kehrte  er  in  seine  Residenz  zurück.  Er  dachte  bei  sich: 
,Mein  Sohn  ist  gestorben;  sollte  er  nicht  vielleicht  irgendwie  seinen  letzte'-. 
Willen  kundgegeben  haben?'  Er  befragte  darüber  den  Sohn  des  Ministers. 
Dieser  sprach:  ,Da  ihn  eine  heftige  rasche  Krankheit  befallen,  so  hat  er 
nicht  eben  viel  gesprochen;  als  er  sein  Leben  aushauchte,  rief  er  bloss: 
,abaraschika'. '  Der  König  meinte,  diesem  Worte  müsse  doch  wohl  irgend 
ein  Sinn  zu  Grunde  liegen.  Deshalb  berief  er  aus  dem  ganzen,  grossen 
Reiche  alle  auf  Berechnungen  sich  verstehenden  Gelehrten,  die  Zauberer, 
Wahrsager,  Ärzte  insgesamt  und  legte  ihnen  die  Frage  vor,  was  es  für 
einen  Sinn  habe,  wenn  man  ,abaraschika'  sage.  Doch  insgesamt  wussten 
sie  es  nicht.  Da  sprach  der  König:  .Das  Wort  des  meinem  Herzen  teuren 
Sohnes  habt  ihr  nicht  zu  deuten  vermocht;  nun,  innerhalb  sieben  Tagen 
sehet  alle  eure  Schriften  durch,  suchet  die  Deutung  und  saget  sie  mir 
alsdann;  wenn  ihr  euch  irret  und  sie  mir  nicht  richtig  angebt,  so  lasse  ich 
euch  sämtlich  in  ein  Burgverliess  einsperren  und  hinrichten.'  Man  schloss 
tausend  Gelehrte  in  ein  Gebäude  zusammen;  doch  hatten  sie  während 
sechs  Tagen  nichts  herausgebracht.  ,Morgen  müssen  wir  sicherlich  sterben', 
hiess  es  allgemein.  Die  einen  flehten  zu  den  Himmelsgöttern,  die  anderen 
weinten,  indem  sie  ihrer  Eltern  und  Verwandten  gedachten. 

Inzwischen  hatte  sich  aus  ihrer  Mitte  einer  davongeschlichen,  ein 
niederer  Geistlicher,  und  die  Flucht  ergriffen.  Er  verbarg  sich  am  Fusse 
eines  im  Walde  stehenden  Baumes.  Während  er  so  da  sass,  fing  auf 
einmal  vom  Gipfel  des  Baumes  ein  kleiner  Junge  zu  weinen  an.  Der 
Vater  desselben  rief:  ,Weine  nicht,  mein  Sohn!  Morgen  wird  der  König 
dieses  Landes  tausend  Menschen  hinrichten  lassen;  wenn  wir  das  Fleisch 
derselben  nicht  verzehren,  wer  wird  es  verzehren?'  Abermals  nach  einer 
Weile  rief  der  Junge  weinend:  ,Ich  habe  Hunger!'  Da  tröstete  ihn  die 
Mutter  mit  den  Worten:  ,Weine  nicht,  mein  Sohn!    Morgen  wird  der  König 


Die  Kraniche  des  Ibykus  in  der  Sage.  123 

dieses  Landes  tausend  Menschen  hinrichten  lassen;  wer  anders  als  wir 
wird  ihr  Fleisch  und  Blut  verzehren?-  Auf  die  Frage  des  Jungen:  , Warum 
lässt  er  denn  die  tausend  Menschen  hinrichten?"  antwortete  der  Vater: 
,Weil  sie  die  Bedeutung  des  Wortes  ,abaraschika'  nicht  wissen/  ,Welches 
ist  denn  seine  Bedeutung?1  fragte  der  Junge.  ,Die  Bedeutung  desselben', 
versetzte  der  Vater,  ,ist  leicht.  Es  heisst:  Dieser  mein  Busenfreund  hat 
mich  in  einen  dichten  Wald  geführt:  während  er  mir  dort  Verwundungen 
beibrachte,  trat  er  mir  zugleich  mit  den  Füssen  auf  den  Hals,  und  mich 
hauend   hat   er  mir  mit  einem  scharfen  Schwerte  den  Hals  abgeschnitten.' 

Kaum  hatte  der  niedere  Geistliche  diese  Worte  vernommen,  so  eilte 
er  Hals  über  Kopf  nach  dem  Gefängnis  zurück.  Er  erreichte  es  bei  Tages- 
anbruch, trat  ein  und  sprach  zu  seinen  Gefährten:  .Ängstigt  euch  nicht; 
ich  werde  die  Bedeutung  des  Wortes  erklären.'  Als  sie  darauf  der  König- 
alle  um  sich  versammelte  und  die  Frage  nach  der  Bedeutung  an  sie  richtete, 
erzählten  sie  den  bisherigen  Verlauf  der  Sache.  Plötzlich  sprach  der  König 
zu  dem  ahnungslosen  Sohn  des  Ministers:  , Zeige  mir  die  Gebeine  meines 
Sohnes.'  Da  nahm  der  König  des  Sohnes  Gebeine  und  errichtete  ihm 
einen  Grabhügel;  den  Sohn  des  Ministers  Hess  er  hinrichten,  den  Vater 
desselben  aber  entsetzte  er  seines  Amtes  und  den  hundertfach  gelehrten 
Geistlichen  zeichnete  er  mit  hohen  Ehren  aus. 

Diese  Erzählung  des  Siddhi-Kür  bringt  Landau1)  in  ihrem  ersten  Teile 
mit  der  Sage  von  den  Kranichen  des  [bykus,  in  ihrem  zweiten  mit  dem 
deutschen  Märchen  vom  Rumpelstilzchen2)  zusammen.  Der  Stoff,  der 
uns  beschäftigt,  entbehrt  auch  dichterischer  Verarbeitung  nicht;  es  genügt 
Schillers  Ballade  aus  der  dritten  Periode:  Die  Kraniche  des  Ibykus 
hervorzuheben,  die  durch  Maffei  auch  eine  Übersetzung  ins  Italienische 
erfahren  hat.  Schiller  entnahm  seinen  Stoff  aus  der  oben  angeführten 
Stelle  bei  Plutarch. 

Es  Hessen  sich  noch  einige  andere  Fassungen  anführen;  indess  ist 
dies  um  so  weniger  notwendig,  als  die  Schlussfolgerung  durch  sie  nicht 
die  geringste  Änderung  erleiden  würde.  Auch  genügen  die  obigen  An- 
deutungen, um  die  weite  Verbreitung  der  Erzählung  darzuthun,  sowie  um 
deutlich  zu  machen,  dass  sie  rein  den  Charakter  einer  Sage  trägt  und  seit 
vielen  Jahrhunderten  im  Geiste  der  Völker  lebendig  ist.  Der  Vogel  wechselt 
in  mannigfacher  Weise:  bald  handelt  es  sich  um  eine  Taube,  bald  um 
Vögel  im  allgemeinen,  bald  um  Rebhühner,  um  Schwalben  oder  um  Raben, 
bald  gar  um  eine  Pflanze  und  endlich  bald  um  Kraniche  oder  um  Ibisse; 
aber  die  charakteristischen  Züge  der  Sage  sind  immer  dieselben. 

Den  beiden  zuletzt  erwähnten  Vogelarten  noch  einige  Worte  zu  widmen, 
veranlasst  mich  mein  Thema.     Ich  benutze  das  Zeugnis  des  alten  Herodot 


1)  Beiträge  zur  Geschichte  der  italienischen  Novelle,    Wien  1875,    S.  1G2. 

2)  Grimm,  Kinder-  und  Hausmärchen,  No.  55. 


124  Amalfi: 

der  uns  berichtet,  dass  die  Kraniche  zur  Überwinterung  von  der  skythischen 
Küste  nach  einer  anderen  Gegend  ziehen  (II,  22).  Bei  den  E&yptern, 
sagt  er  (II,  65),  ist  die  Ehrfurcht  vor  diesen  Tieren  so  gross  und  dieser 
Vogel  so  heilig,  dass  jemand,  der  einen  Ibis  oder  Habicht,  aus  Vorsatz 
oder  nicht,  tötet,  ohne  Gnade  sterben  muss.  Wenn  im  Winter,  heisst  es 
ferner  (II,  75 — 76),  die  beflügelten  Schlangen  aus  Arabien  nach  Egypten 
kommen,  so  stürzen  die  Ibise  sich  ihnen  entgegen  und  lassen  sie  nicht 
eindringen,  vielmehr  töten  sie  dieselben.  Deswegen  geniesst  der  Ibis,  wie  die 
Araber  berichten,  grosse  Verehrung  bei  den  Egyptern.  Dieser  Vogel  hat 
ganz  schwarzes  Gefieder,  seine  Beine  sind  wie  die  des  Kranichs,  er  hat 
einen  stark  gebogenen  Schnabel  und  ist  von  der  Grösse  des  Vogels  Krex; 
so  sind  die  schwarzen  beschaffen,  die  mit  den  Schlangen  Krieg  führen. 
Es  giebt  nämlich  dort  zwei  verschiedene  Arten  Ibise  und  zwar  sind  die 
gewöhnlicheren  am  Kopfe  und  am  ganzen  Halse  nackt  und,  wenn  man  den 
Kopf,  den  Nacken,  die  Flügelspitzen  und  das  Hinterteil,  wo  sie  ganz  schwarz 
sind,  ausnimmt,  weiss  gefiedert;  doch  Beine  und  Schnabel  haben  sie  wie 
die  ersteren. 

Die  gewöhnliche  Definition  unseres  Vogels  lautet  so:  Ibis.  Gattung 
storchartiger  Stelzvögel  mit  langem,  nach  unten  gebogenem  Schnabel  und 
mehr  oder  weniger  nacktem  Kopfe,  deren  zahlreiche,  meist  schön  gefärbte 
Arten  nur  wärmere  Gegenden  der  Alten  und  Neuen  Welt  bewohnen.  Am 
bekanntesten  ist  der  heilige  Ibis  (Ibis,  Threskiornis  religiosa), 
etwa  40  cm  hoch,  ganz  weiss  bis  auf  die  Flügelspitzen,  Schnabel,  Kopf, 
Hals  und  Füsse,  welche  schwarz  sind.  Er  wurde  von  den  alten  Egyptern 
heilig  gehalten  und  nach  dem  Tode  einbalsamiert.  Er  war  das  Symbol 
des  Thoth,  des  egyptischen  Hermes,  des  Gottes  der  Weisheit  und  aller 
Kenntnis,  daher  dieser  Gott  auch  häufig  unter  dem  Bilde  des  Ibis  verehrt 
oder  mit  einem  Ibiskopfe  dargestellt  wurde,  wie  auch  sein  hieroglyphischer 
Name  jederzeit  mit  diesem  Vogel  geschrieben  wird.  In  den  Tempeln  des 
Thot  pflegten  mehrere  Boise  unterhalten  zu  werden,  und  die  Schonung 
dieser  Vögel  war  so  allgemein,  dass  sie,  wie  berichtet  wird,  in  den  Städten 
unbelästigt  auf  den  Strassen  umherliefen.  Gegenwärtig  sind  sie  im  ganzen 
Lande  äusserst  selten,  dagegen  südlich  von  Chartum  häufig.  Der  Vogel 
nährt  sich  vorzugsweise  von  Insekten1). 

Um  nun  an  die  Hieroglyphen  noch  einige  Erläuterungen  zu  knüpfen, 
so  sei  bemerkt,  dass  der  Kranich  (der  Ibis,  auch  der  Sperber),  allegorisch 
verstanden,  bei  den  Egyptern  eines  der  Bildzeichen  für  B  ist.  Ein  anderes 
Zeichen  für  dasselbe,  das  auch  Symbol  der  Seele  ist,  bildet  das  Kohlen- 
becken oder  das  Weihrauchfass,  sei  es  mit,  sei  es  ohne  Flamme  oder 
Räucherstoff.  Vgl.  das  griech.  fiv[i6s,  von  ftveiv  verbrennen,  opfern.  Das 
Feuer  ist  ja  das  Symbol  der  Seele,  so  ruft  Dante,  (Purg.  IV,  6)  aus:  Ch'un' 

1)  Brockhaus'  Konversations-Lexikon  etc.,  Leipzig  1894,  Bd.  IX.  Vgl.  auch 
Aristoteles,  üeqI  tä  £<pa  lozogiai  IX,  27. 


Die  Kraniche  des  Ibykus  in  der  Sage.  125 

ariima  sovr'altra  in  noi  s'accenda  (In  uns  sei  Seele  über  Seel'  ent- 
facht). Hier  bedeutet  Seele  so  viel  wie  Feuer,  Dunst,  Duft,  Thymian, 
Blume.  Vgl.  die  Metapher:  Geruch  der  Heiligkeit  (auch  ital.  odore  di 
santitä),  uud  bei  Dante  (Inf.  II,  127)  das  Bild  von  dem  Blümchen,  das 
seine  Seele  malen  soll,  sowie  (Parad.  XXII,  57)  dasjenige  von  der  Kose. 
Auch  Hessen  sich  hier  die  griechischen  Mythen  der  Vesta  und  des  Pro- 
metheus erwähnen. 

Ein  weiteres  Zeichen  für  B  ist  der  zweimalige  Vogel  Ben,  der  Kibitz 
oder  Reiher.  Bei  Forcellini1)  heisst  es:  grus  dicta  est  a  sono  vocis. 
So  würden  wir  denn  eine  Onomatopöie  vor  uns  haben.  Du  Meril  lehrt  in 
seiner  Zusammenstellung  isländischer  Wörter  von  gleichem  Stamme  mit 
Wörtern  der  romanischen  Sprachen 2),  dass  im  Isländischen  gru  synonym 
mit  Menge  ist.  Dies  rührt  davon  her,  dass  jene  Vögel  wie  die  Staare 
a  schiera  larga  e  piena  (in  dichtem,  weitem  Heer),  um  mit  Dante 
(Inf.  V,  41)  zu  reden,  zu  ziehen  pflegen.  Grex  gregis  und  grus  gruis 
haben  fast  dieselbe  Wurzel.  Alexandre  bringt  in  seinem  Dictionnaire 
grec.-franpais  yegavog,  Kranich,  vielleicht  wegen  der  Langlebigkeit  dieses 
Vogels  mit  yegacög,  alt,  zusammen.  Hervorgehoben  sei,  dass  jenes  Wort 
ebenso  wie  im  Latein,  grus,  im  Portug.  grau,  im  Italien,  gru  und  im 
Engl,  crane  den  bekannten  Vogel  und  zugleich  eine  zum  Lastenheben 
dienende  Maschine,  und  zwar  ihrer  Ähnlichkeit  mit  dem  langen  Halse  des 
Kranichs  zufolge,  bezeichnet.  Bei  den  Griechen  war  yegavog  die  berühmte 
Maschine  im  Theater,  welche  die  Götter  vom  Himmel  auf  die  Erde  und 
umgekehrt  beförderte  und  die  sprichwörtliche  Redensart  deus  ex  machina 
nach  sich  zog;  Euripides  hatte  sie  für  seine  Tragödien  erfunden,  aber 
missbräuchlich  benutzt,  um  die  Gottheit  plötzlich  und  gewaltsam  in  die 
Handlung  eingreifen  zu  lassen  und  mit  ihrer  Hilfe  den  dramatischen  Knoten 
zu  zerhauen,  statt  ihn  zu  lösen. 

Nach  Vitruvius  hiess  bei  den  Lateinern  eine  Kriegsmaschine  zum 
Niederreissen  der  Mauern  bald  grus,  bald  corvus.  Interessant  ist  hier 
das  Zusammentreffen  mit  dem  Deutschen,  das  gleichfalls  den  Krahn  und 
die  Krähe  besitzt.  Für  Zambaldi3)  ist  garrire,  zwitschern  (daher  ital. 
garrulo,  Schwätzer)  die  Basis  des  griech.  yegavog*),  zu  dem  sich  grus 
als  synkopierte  Form  für  garus,  altital.  gruga  und  gruva,  stellen  würde. 
Er    ist    ferner    der    Meinung,    dass    die    Reduplikation   gra-c    dem  latein. 

1)  Lexicon  totius  latinitatis  etc. 

2)  Histoire  de  la  poesie  scandinave,  Prolegomenes,  Paris,  Blockhaus  et 
Avenarius,  1839,  S.  253. 

3)  Vocab.  etimologico  italiano,  Cittä  di  Castello,  S.  Lapi,  Sp.  189—90. 

4)  Dazu  die  Pflanzenspezies  Geranium  (von  yegäviov,  kleiner  Kranich).  Bei  B. 
Menzini,  Eime  202  liest  man:  .  .  .  Sol  Virtü,  sebben  tace  aurora,  Qual  bei 
geranio  odora.  Der  Name  der  hierhergehörigen  Pflanzen  ist  pelargonium  nach 
nskaQyos,  Storch,  dem  Vogel  mit  zweifarbigem  (schwarzem,  nslog,  und  weissem,  aQyö?) 
Gefieder,  dtsch.  Storchschnabel.    Vgl   Ovidii,  Libellus  in  Ibin, 


126 


Amalfi: 


ran 


iülus,  ital.  gracco  (verbessere  graccio,  oder  lieber  gracchio.  Rabe, 
gracchia,  Krähe),  zu  Grunde  liege,  aus  dem  gracchiare,  krächzen  (von 
Raben  und  ähnlichen  Vögeln),  schwatzen,  mit  gracchiare,  Schwätzer, 
hervorgegangen.  Sannazaro  verwendete  in  Anlehnung  an  das  Lateinische 
auch  gracculo  für  Dohle:  Questi  compagni  del  rapace  gracculo 
(Arcadia,  Eclog.  III).  Im  Griechischen  war  yegavog  auch  ein  Tanz,  den 
Theseus  erfunden  und  in  dem  seine  glückliche  Befreiung  aus  dem  Labyrinth 
zur  Darstellung  gelangte. 

Die  Kraniche    fliegen    in  einer  bestimmten  Gruppierung  und  scheinen 
dann   die  griechischen  Buchstaben  W  oder  A  zu  bilden.     Da  man  der  An- 
sicht   war,    dass  Palamades   dies  zuerst  beobachtet  habe,    so  hat  man  jene 
beiden  Buchstaben  Palamedis    aves  genannt  (s.  Martial,    Epigr.  13,  75). 
Diese  graphische  Tradition  ruft  eine  weitere  hinsichtlich  des  griech.  W  ins 
Gedächtnis;   nach  den  Griechen  hätte  dieses  nämlich  seine  Quelle  in  dem 
im  Fluge  begriffenen  Yogel.    Sie  behaupten  in  der  That,  dass  sein  Schöpfer 
es  nach  dem  Bilde  desselben  darzustellen  beabsichtigt  hat.     In  der  Hiero- 
glyphe uschrift  der  Egypter  ist  seine  Gestalt  i  B,    was  sich  Papooi  aus- 
spricht und  Vögelchen  bedeutet.    Zu  vergleichen  ist  die  Ähnlichkeit  zwischen 
den  beiden  Lippenlauten  B  und  P,  die  einer  wie  der  andere,  ob  sich's  um 
ideographische  oder,  wenn  man  so  sagen  darf,  um  ideophonische  Benutzung 
des  Vogels  (vgl.  den  Kranich,  den  Ibis,  den  Sperber,  die  Seele  etc.)  handeln 
möge,  bei  den  Egyptern  als  fliegender  Vogel  dargestellt  erscheinen;  dieser 
könnte    allegorisch  auf  die  Seele  hinweisen,    wenn  man  an  die  bekannten 
Verse  Dantes  (im  Purg.  X,  124—126)  denkt,  welche  lauten: 
Non  v'accorgete  voi,  che  noi  siam  vermi 
Nati  a  formar  l'angelica  farfalla, 
Che  vola  alla  giustizia  senza  schermi? 
(Merkt  doch,  dass  wir  nur  Würmer  sind,  nur  leben 
Damit  der  Himmelsschmetterling  ersteh1, 
um  zur  Gerechtigkeit  schirmlos  zu  schweben), 
nur  dass   in  ihnen   der  fliegende  Vogel  in  einen  Schmetterling  verwandelt 
erschiene. 

Kehren  wir  wieder  zum  Kran  ich  (der  Seele)  zurück,  so  ist  hervorzuheben, 
dass  das  Deminutivum  grullo  (vgl.  das  span.  grulla,  das  die  Bedeutung 
des  ital.  gru  oder  grue  hat)  demzufolge,  dass  der  Vogel  als  dumm  bekannt 
ist.  metaphorisch  auf  einen  dummen,  geistesschwachen  Menschen  angewendet 
wird.  Die  Kraniche  sind  Wandervögel,  die  in  mächtigen  Schwärmen  reisen, 
vgl.  Dantes  Worte  im  Inf.  V,  47:  Di  se  facendo  in  aer  lunga  riga 
(Die  Luft  durchschneidend  in  gestreckter  Reih')  In  so  enger  Verkettung 
fliegen  sie,  dass  sie  ein  einziges  Ganze,  man  kann  sagen  einen  einzigen 
Vogel,  mit  nur  einem  Kopfe,  einem  Rumpfe  und  zwei  Flügeln  zu  bilden 
scheinen. 


Die  Kraniche  des  Ibykus  in  der  Sage.  127 

Die  Lateiner,  die  diese  Erscheinung  beobachet  haben,  schufen  hiernach 
das  Verbum  gru-ere,  dessen  Bedeutung  schreien  und  thun  wie  der  Kranich 
ist.  Dieses  ergab  dann  das  Kompositum  con-gru-ere,  zusammengehen, 
einig  wandeln  (nach  dem  Muster  der  Kraniche,  die  sich  sogar  einen  Führer, 
einen  König  wählen,  dem  alle  sich  stets  treu  unterordnen),  einander  anpassen, 
harmonieren;  an  dieses  lehnen  sich  ferner  das  Participium  con-gru-ens 
und  die  Adjektiva  con-gru-us  und  in-con-gru-us.  Mit  dem  Präfix  in- 
bildete man  aus  gruere  schliesslich  in -gru-ere,  auf  jemanden  losstürzen 
wie  der  Kranich1). 

Für  die  verschiedenen  Bezeichnungen  des  Kranichs  in  verschiedenen 
Sprachen  und  Dialekten,  für  speziell  französische  und  provenzalische 
Redensarten  mit  ihm,  einen  italienischen  Spruch,  zwei  Lieder  bei  Bauern 
und  Kindern  auf  die  fliegenden  Kraniche  und  ein  französisches  Spiel  Le 
pied  de  la  grue  sei  auf  Rolland2)  verwiesen;  der  Abschnitt  ist  zu  lang, 
um  ihn  hier  wiedergeben  zu  können. 

In  diesem  Zusammenhange  sei  auch  an  die  Novelle  Boccaccios3)  von  dem 
Koch  Chichibis  erinnert,  dessen  Geliebte  die  Keule  eines  fetten  Kranichs, 
den  er  für  seinen  Herrn  Currado  Gianfigliazzi  zu  braten  hat,  verzehrt  und 
der  seinem  Herrn  nachher  weis  zu  machen  sucht,  dass  diese  Yögel  nur 
ein  Bein  und  eine  Keule  haben,  eine  Schnurre,  die  nach  Yal.  Schmidt*)  auch 
in  einer  orientalischen  Erzählung  von  Nussredin  Hatschia,  einem  Dichter 
aus  der  Zeit  Tann  rlans,  begegnet.  .  Man  findet  sie  auch  bei  Hans  Sachs 5). 
in  der  Arcadia  in   Brenta  von  Ginnesio  Gavardo6)  und  sonst. 

WenD  in  der  mongolischen  Erzählung  die  Krähe  das  Auffinden  von 
Wasser  ansagt,  so  entspricht  dies  vollkommen  dem  Volksglauben;  auch 
heutigen  Tages  noch  schliessen  in  Italien  die  Bauern,  sobald  sie  Kraniche 
oder  Störche  kommen  sehen,  dass  Regen  bevorstehe.  Ganz  gewöhnlich 
ist  im  Italienischen  das  Sprichwort:  Sono  uscite  le  Grue,  l'acqua  e 
vicina  (Ziehen  die  Kraniche  fort,  ist  das  Wasser  nah)  oder  auch  Abb i am o 
le  Grue,  mal  tenipo!7)  (Kraniche,  schlecht  Wetter !).  Und  vermöge  eben 
dieser  Eigenschaften,  die  am  Ibis  so  wunderbar  und  erhaben  dankten,  dass 
er  sogar  den  Gott  Thotli,  den  Erfinder  und  Rechner,  ja  recht  eigentlich 
den  Denker,  symbolisch  darstellen  konnte,  wurde  dieser  Vogel  schliesslich 


1)  Luigi  Delätre,  Saggi  linguistici,  Firenze,  Barbera  1873.  Del  linguaggio 
figurato  §  4:  Figure  tratte  degli  animali,  S.  226. 

2)  Faune  populaire  de  la  France,  Bd.  II.  Les  oiseaux  sauvages,  noms 
vulgaires,  dictons,  proverbes,  legendes,  contes  et  superstitions,  Paris,  Maison- 
neuve  et  Cie.  1879:  Grus  cinerea,  Bechstein,  La  grue,  S.  367—71. 

3)  Dekameron  VI,  4. 

4)  Beiträge  zur  Gesch.  der  romantischen  Poesie,  S.  63.  Vgl.  Prato.  La 
leggenda  del  Tesoro  di  Rampsinite  etc.,  Como,  Franchi,  1882,  S.  25  und  Anm. 

5)  Werke  etc.,  Bd.  II,  T.  IV,  S.  223. 

6)  Venezia,  Bassaglia,  1785,  S.  109. 

7)  Marugj,  Capricci  sulla  jettatura,  Napoli,  Nobile  1875,  S.  56. 


128  Amalfi:  Die  Kraniche  des  Ibykus  in  der  Sage. 

fähig  gedacht,  ein  begangenes  Verbrechen  zu  bezeugen,  wenn  sonst  alles 
ringsherum  schwieg  —  ein  Gleichnis  zu  dem  göttlichen  Auge,  das  die  ver- 
borgensten Tiefen  des  Herzens  erforscht  und  die  Schuld  im  innersten 
Winkel  des  menschlichen  Gewissens  entdeckt. 

Zuweilen  kann  die  unbedeutendste  Kleinigkeit,  kann  irgend  ein  Wort 
eine  Enthüllung  in  sich  schliessen  und  zur  Aufdeckung  eines  Verbrechens 
führen,  da  keine  Schuld  verborgen  bleiben  kann;  so  hat  es  sich  mit  dem 
geheimnisvollen  Wort  abaraschika  zugetragen,  das  im  letzten  Augenblicke 
ausgesprochen  wurde.  Hatte  man  die  Begebenheit  an  sich  einmal  erfunden, 
so  mochte  man  sie,  ganz  gleich  von  wem,  erzählen,  von  dem  Koch,  dem 
Reisegefährten  aus  der  Romagna,  dem  Kammerdiener,  dem  Sohn,  der 
seinen  Vater  ermordet,  dem  Landmann,  dem  Derwisch,  von  Ibykus  oder 
von  wem  sonst  noch. 

Was  Ibykus  anbetrifft,  so  erklärt  sich  die  Sache  leicht.  Sein  Name 
ist  nämlich,  scheinbar  wenigstens,  mit  dem  des  Ibis,  griech.  Ißig,  10g,  bei 
den  Egyptern  hippen,  etymologisch  verwandt.  Das  Volk  ist  nun  —  ein 
Vorgang,  für  den  es  zahllose  Beispiele  giebt,  —  zur  Vermischung  beider 
Namen  verführt  worden  und  hat  schliesslich  dem  Ibykus  trotz  der  örtlichen 
Differenzen  eine  Erzählung  angehängt,  die  sich  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  vor  seiner  Zeit  begab.  Hierzu  hat  das  sagenhafte,  unstäte  Leben 
des  Dichters  beigetragen,  vielleicht  auch  ein  gewaltsamer,  geheimnisvoller 
Tod  desselben  und  die  eigenartige  Entdeckung  der  Mörder,  ja  möglichen- 
falls auch  irgend  eine  Erzählung  von  ihm,  die  man  schliesslich  auf  den 
Verfasser  selbst  bezogen  hat.  Ich  weiss  wohl,  dass  dies  nur  Vermutungen 
sind,  aber  über  sein  Ende  hat  man  keine  bestimmten  Nachrichten  und 
sehr  wenig  nur  geht  aus  seinen  Dichtungen  hervor1).  Sicher  ist  allein, 
dass  in  den  ehrwürdigen  dürftigen  Bruchstücken  derselben  oft  Gleichnisse 
zu  erkennen  sind,  und  so  mag  er  vielleicht  auch  die  Begebenheit,  von  der 
wir  sprechen,  erzählt  oder  auf  sie  angespielt  haben. 

Aber  sollte  dem  auch  so  sein,  es  bleibt  doch  nur  eine  schwankende 
Hypothese,  denn  zweifellos  erheben  sich  im  Anschluss  an  die  etymologischen 
Wechselbeziehungen  und  die  rein  traditionsmässige  Verbreitung  und  Natur 
des  Stoffes  einige  Schwierigkeiten,  welch  letzterer  gleich  vielen  anderen 
höchst  wahrscheinlich  orientalischen  Ursprungs  ist  und  erst  später  in 
Griechenland  Eingang  gefunden  hat  Und  dies  wird  um  so  einleuchtender, 
wenn  man  sich  vorhält,  dass  er  direkt  von  dem  Ibiskult  in  Egypten,  dem 
Heimatlande  dieses  Vogels,  wo  er  noch  jetzt  südlich  von  Chartum  relativ 
häufig  vorkommt,  ausgegangen  sein  wird. 


1)  Schneidewin,  Ibyci  carminum  reliquiae,  Göttingen  1883.  Die  Vorrede  in 
Form  eines  Briefes  von  K.  0.  Müller.  Die  Fragmente  stellen  auch  in  Schneidewins  Buch 
Delectus  Poes.  Eleg  Vgl.  auch  W elcker,  Rhein  Mus.  1837,  Bd.  Hl,  S.  401:  Kleine 
Schriften,  Bd.  I,  S.  100.  Vgl.  ferner  Poetae  lyrici  graeci  von  Bergk,  4.  Auflage, 
Leipzig  1882. 


Reiterer:  Volkssprüche  aus  dem  Ennsthal.  129 

Die  Idee  von  der  Vermischung  aber  liegt  so  nahe,  dass  sich  auch 
Bedier  zu  ihr  bekannt  hat,  der  sich  so  äussert:  Die  berühmte  Sage  von 
den  Kranichen  des  Ibykus  scheint  auf  folgender  Gleichung  zu  beruhen: 
"Ißvxog  -  ißvxeg  =  Kraniche.  Da  aber  die  Erzählung  in  der  Fable  du 
bouteiller  et  du  Juif,  einer  Form,  unter  der  sie  nicht  minder  wichtig 
ist,  ohne  dieses  Wortspiel  auf  das  Mittelalter  gelangt  ist,  so  scheint  dieselbe 
nicht  dem  letzteren  zu  entstammen;  die  Erzählung  war  vorhanden  und 
der  Wortähnlichkeit  zufolge  wurde  Ibykus  in  späterer  Zeit  in  die  Legende 
eingeführt1). 

Die  Sache  mit  den  Kranichen  ist  also,  wie  man  sieht,  ein  sagenhafter 
Zusatz,  der  in  das  Reich  der  Fabeln,  in  das  Gebiet  des  Volksglaubens 
gehört  und  von  der  Lebensgeschichte  des  unglücklichen  Wanderdichters 
zu  trennen  ist. 

Casoria  (Neapel). 


Volkssprache  aus  dem  Ennsthal. 

Von  Karl  Reiterer. 


Aus  der  reichen  Fundgrube  des  Volkslebens  teile  ich  im  folgenden 
frische  Sprüche  in  gereimter  Form  mit,  die  ich  unmittelbar  aus  dem  Munde 
der  Bewohner  des  oberen  Ennsthales  in  Steiermark  gesammelt  habe.  Es 
sind  Zimmer-,  Gassi-,  Glöckl-,  Wetter-  und  Wunschsprüche,  auch  einige 
Hausinschriften.  Verwandtos  lässt  sich  in  unseren  Alpenländern  auch  sonst 
auffinden.  — 

I.  Wenn  um  Schladming  uud  Gröbming  die  Zimmerleute  mit  dem 
Richten  des  Dachstuhls  fertig  sind,  erscheint  die  Diern  vom  Nachbarhof 
mit  dem  Weissat  (Geschenk:  Schmeller,  Bayr.  W^örterb.  II,  1027.  Lexer, 
Kämt.  Wörterb.  254).  Es  enthält  Geschenke  für  die  Zimmerleute:  Hosen- 
stoffe, Halstücher,  Hosenträger,  Tabakspfeifen  u.  s.  w.  Die  Diern  stellt 
den  Korb  zu  Boden  und  beginnt  den  Spruch: 

Juch,  hiaz  bin  ih  ah  amol  do!     Bin  völlig  müad, 

Desweg'n  muass  ih  inih  schon  umschau'n  um  a  guats  Quartier. 

Aber  ah  a  bissei  lusti  soll's  sein. 

D'rum  mach'  ih  mih  glei  unter's  Gebäu  herein. 


1)  .1.  Bedier,  Les  Fabliaux  etc.,  Paris  1893,  S.  121.  Die  zweite  Auflage  dieses 
schönen  Buches  habe  ich  nicht  einsehen  können,  man  vergl.  über  ihre  Bedeutung  die  Aus- 
lassungen in  der  Romania,  Jauuar  1895,  No.  93,  S.  135,  und  zu  den  Theorien  des  Ver- 
fassers Rua,  Gior.  Stör,  della  letteratura  Italiana,  1895,  S.  385. 


130  Reiterer: 

Zum  Meister  gewendet,  lässt  sich  die  Diern  schelmisch  vernehmen: 

Zuerst  miass  ih  wohl  'n  Herrn  Moaster  frog'n, 
Sonst  möcht'  er  mih  glei  davonjog'n. 
Wenn  ih  a  mol  mit  eahm  bin  gleich, 
Dann  ih  inih  ah  zum  Bauern  schleich'. 
Der  Bauer  is  a  guater  Mon, 
Er  nimmt  mich  g'wiss  on. 

Dann  fährt  sie  fort: 

Bin  gar  von  der  Türgei  aufnganga 

Und  kunnt  nirgends  'n  Zimmerer  derlanga. 

Aber  noch  longer  Zeit  hot  sich's  g'schickt, 

Und  ih  moan,  es  hot  mir  glückt. 

Sein  thua  ih  a  arme  Trangin1), 

Weil  ih  muass  so  umanondatangin. 

Bin  so  dick  und  konn  mih  kaum  rühr'n, 

Wenn's  lauter  Fett'n  war',  wurd'  ih's  weit  weniger  gspür'n. 

Aber  so  grippelts  und  grappelts,  es  is  a  Graus, 

Dass's  mir  immer  fürkimmt,  es  is  krat  aus. 

Ih  hon  schon  hin-  und  herstudiert,  wer  dron  is  schuld, 

Da  hat  mir  a  alt's  Weib  g'sagt:  „Hab'  Geduld, 

Es  wird  sih  schon  zum  Guat'n  wind'n, 

Sobald  du  wirst  die  Zimmerer  flnd'n!" 

Und  so  hon  ih  g'suacht  Tog  und  Nocht, 

Endli  hob'  ih  'n  Treffer  g'mocht. 

Nun  wendet  sich  die  Diern  an  die  einzelnen  Zimmerleute.    Zum  einen 
spricht  sie: 

Oanr  is  dabei  a  junger,  a  longer, 

Der  is  mit  mir  im  Vorjohr  Haselnussenbrocken  gongen'-'). 

Sein'  Nom'  hob  ih  nit  könn'  im  Gedächtnus  derholt'n, 

Aber  dös  woass  ih,  huier  hob'n  s'n  zu  der  Militär  g'holfn. 

Dem  werd'  ih  mih  z'erst  präsentier'n, 

Und  werd  ihm  a  bissei  'n  Busch'n  spendir'n. 

Und  zu  anderen: 

Zwoa  junge  Bauern  san  ah  dabei, 

Von  dö  lad'  ih  jed'n  zu  wos  ein. 

Oaner  hat  allerhond  Sochen, 

Der  könnt'  mir  g'wiss  Windel  und  Patschen  mochen. 

Oan  Ding  thuat  mih  aber  am  meisten  z'rütten, 

Dass  ih  gor  oan  muass  zum  Gfottern  bitten. 

Dabei  wendet  sich  die  Diern  an  einen  anderen  und  fährt  fort: 
Den  werd  ih,  moan  ih,  find'n  in  der  Mitten. 
Sein  thuats  a  junger  a  kloaner, 
Und  wohnen  thuat  er  drob'n  am  Roaner  (Rain). 
Wird  der  mir  die  Gfotterschoft  onnehmen? 


1)  ein  armes  Mensch.     [In  Tirol    bedeutet    die  Tranggin   eine  unbescheidene  Weibs- 
person (Scbmeller),    in  Kärnten  eine  ungeschickte,  leiblich  und  geistig  schwache    Lexer  .] 

2)  Damit  meint  sie  den  Geliebten,  den  man  auch  „Juck er"  nennt. 


Volkssprüche  aus  dem  Ennsthal.  131 

Zu  einem  anderen: 

0  ih  werd'  halt  müassen  'n  Urlauber  kemrnen? 

Er  darf  wohl  solche  Sochen  lern', 

Weil  er  eh  bald  wird  a  Bauer  werd'n. 

Und  oan  Ding,  dös  woass  ih  g'wiss, 

Wenn's  fürkimrnt,  es  is  a  Ries', 

Den  könnens  nit  zur  Tauf  trog'n, 

Da  müassens  schon  noh'n  Kutscher  hob'n. 

Zum  Betreffenden  hindeutend: 

Da  passet  a  dicker,  a  kloaner  guat, 

Er  tragt  kurze  Hosen  und  'n  grean  Huat. 

Er  tragt  Augengläser  und  dös  recht  feini, 

D'rum  is  er  zum  fohr'n  recht  schleuni. 

Zletzt  möcht  ih  mih  'n  Kopf  obistöss'n, 

Denn  auf  oan  Ding  hätt'  i  bald  vergöss'n: 

Ih  brauch  ah  recht  nothwendi  a  Wiag'n, 

Wo  ih  eppen  dö  werd'  herkriag'n? 

Aber  ih  woass  es,  es  is  g'wiss  oaner  dabei, 

Der  was  versteht  von  der  Tischlerei. 

Die  Sprecherin  fasst  nun  einen  anderen  Zimmerer  ins  Auge: 

Wenn  der  ah  a  Bauer  is,  so  is  er  doch  so  guat, 
Dass  er  mir  a  Wiag'n  mocha  thuat. 
Um  die  Lad'n  muass  ih  halt  "n  Sogschneider  i'rog'n, 
Der  konn  mir  eppn  doh  g'wiss  oan  onsog'n. 

Zu  den  Übrigen: 

Und  die  onder'n  san  wohl  ah  alle  meine  guat'n  Freund", 

ih  bin  koan  oanzigen  davon  feind. 

Drum  wünsch'  ih  oll'n  a  lautes:  „Glück  auf!", 

Dass  bei  koan  oanzigen  a  Unglück  tritt  auf. 

Oft  kommt  es  vor,  dass  man  das  Mädchen,  damit  es  nicht  fortfahre, 
mit  Wasser  begiesst.  Angedeutet  sei  noch,  dass  nach  dem  Dachstuhlauf- 
setzen das  Firstmahl  kommt,  bei  dem  es  bis  tief  in  die  Nacht  hinein 
fröhlich  zugeht. 

IL  Nicht  minder  merkwürdig  sind  die  mannigfachen  Gasseisprüche, 
welche  der  Bub,  welcher  fensterin  —  im  Ennsthale  sagt  man  gassein  — 
geht,  den  Dorfmädchen  zum  Fenster  hineinraunt.  Sie  sind  wie  die  Zimmer- 
sprüche meistens  derb  und  spöttisch  *). 

Es  ist  eine  laue  Sommernacht.  Ringsum  im  Dörfchen  herrscht  Ruhe, 
nur  hier  und  da  bellt  ein  Kettenhund.  Die  Häuser  sind  alle  geschlossen. 
Der  Mond  scheint  hell  über  den  Dächern.  Keine  Seele  regt  sich.  Nur 
sieh    da,    wer    schleicht    dort  bei   einem  Gehöfte   herum?     Ein  Gasselbub 


1)  [Auch  in  Kärnten  sagt  man  gassein.  Kärntner  Gassireime  hat  Lexer  mitgeteilt  in 
Frommans  Zeitschrift  Die  deutschen  Mundarten  V,  1)9  f.  und  in  seinem  Kärntischen  Wörter- 
buch 109  f. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1896.  9 


132  Reiterer: 

ist's.     Er  zieht  eine  Maultrommel  aus  seinem  Sacke  und  musiziert.     Dann 
wird  zum  Fenster  hineingelispelt: 

Dicksbuschen,  Dacksbuschen,  drei  Kreuzer  is  a  Gruschen. 

Host  mih  nix  g'hört  dahertusch'n  mit  mein'  sagrischen  Pederbusch'n? 

Dirndl,  darfst  nit  hob'n  so'n  Stulz, 

Dein  Bettl  is  a  glei  von  Hulz, 

Ober  mein's  is  von  Sommt  und  Seid'n 

Und  mog  denna  nit  dahoam  bleib'n. 

Und  die  Schöne  antwortet  im  Innern: 

Geh  Bual,  darfst  nit  hob'n  so'n  Stulz, 

Dein  Bettl  is  von  Hulz, 

Ober  mein's  is  mit  Gold-  und  Silbernäg'l  b'sohlog'n, 

Do  muast  der  Bua  öfter  onfrog'n. 

Darauf  der  Bub: 

Dirndler,  Dirna,  steht's  auf  zwirner  (Zwirnmachen), 

's  kimmt  der  Schneider  vom  Oberlond, 

Mocht  euch  'n  schön's  neu's  Sunntigwond: 

Hinten  und  vorn  oans  voll  Folt'n, 

Hanz,  möchts  mih  nit  über  Nocht  dogholt'n? 

Oder:  Ha,  Dirndl  pli,  plo, 

Heut  bin  ih  holt  ah  amol  do! 

Mit  mein'  Säbel  und  Deg'n, 

Dirndl,  hast  mir  koan  Arbeit  z'geb'n? 

Han,  Dirndl,  'n  schön  Gruass, 

Dass  ih  woass,  wia  ih  onfensterln  muass. 

Onfensterln  thua  ih  gern  schön, 

Möchst  mir  nit  aufmocha  geh'n? 

Und  im  Winter,  wenn  es  kalt  ist,  setzt  der  Bub  wohl  auch  bei: 

Aufmachen  geh  nur  bold, 

Der  Wind  geht  gor  kolt 

Her  zu  der  Wond, 

Es  is'  a  Schond. 

Ih  thua  mih  schon  beüeissen, 

Wennst  mih  thuast  einiheissen. 

Ein  anderer  Gasseispruch  beginnt: 

Dirndl,  bist  stulz? 

Dein  Bettl  is  eh  glei  von  Hulz. 

Oan  Nachterl  bin  ih  dahome  blieb'n, 

Hat  es  olles  durcheinonda  trieb'n. 

Hob  Rührmilch  gsponnen,  Backscheiter  ghechelt 

Und  Schnupftobak  klob'n 

Auf'n  Apfelbaum  drob'n. 

Dirndl,  magst  vor  Stulz  nix  sog'n? 

Oder  steckt  dir  a  Kochlöffel  im  Krog'n? 

Greif  eini  unter  d'Hüll 

Und  züach'n  aussn  beim  Stiel. 


Volkssprüche  aus  dem  Ennsthal.  133 

Noch  einer,  der  alte  formelhafte  Scherze  enthält: 
Dirndl,  steh'  auf  g'schwind, 
Der  Brunntrog'  rinnt, 
Der  Heuraffer  hot  g'stiert, 
Roat  es  aus,  wenn  er  wird! 
Bin  kemrn  zu  a  strohernen  Kirchen, 
Mit  die  Schlitten  haben  s'  z'sammg'läutft 
Und  a  rupferner  Pforra  hot  a  haberne  Mess'  g'lesen, 
Bin  eh  sieb'n  Jahr  sein  Ministrierbua  g'wesen, 
Bin  eahm  unter  die  Kutten  g'sessen, 
Hab  eahm  'n  Strick  obg'messen: 
Neun  Zoll  lang  und  eppes  dick, 
Ha,  Dirndl,  dös  war  a  Kreuzerstrick. 

Bemerkt  sei,  class  es  noch  viel  derbere  Gasseisprüche  giebt,  weshalb 
wir  ihrer  nicht  weiter  gedenken  können.  Nur  das  Fragment  eines  120  Vers- 
zeilen langen  Spruches  wollen  wir  noch  bringen: 

Wissen's  wo  'n  Reichen,  da  wird's  zum  Springen, 

Damit's  Heirot'n  thuat  gelingen. 

Sehen  s'  aber  'n  armen  Tuill, 

Da  gebn's  sich  nit  gar  wuill. 

Leider  dass  es  thuat, 

Es  treibt  mir  in  den  Kopf  's  Bluat 

Vor  lauter  Gift  und  Goll, 

He,  he  und  vor  ....  quol. 

Der  Mensch,  der  Mensch,  wenn  er  will, 

Holtet  aus  gor  viel. 

Aber  dass  er  sih  soll  lassen  vom  Dirndl  fexier'n, 

Da  müssts  eahm  wohl  fehle  beim  Hirn. 

Oder  nit,  mei  habe  Katberl? 

Du  bist  a  rechts  Schratter], 

Schritterl,  Tuiferl,  Teufel, 

Das  sag  ih  ohne  Scheu  und  Zweifel. 

Und  wennst  nit  anders  wirst, 

So  du  noch  monehn  Buam  verführst. 

Hihi,  hiha, 

Du  bist  a  Habe  Kräh, 

Du  bist  a  Habe  Galster  (Elster), 

Bist  a  mein'  Zalster.    u.  s.  w. 

III.  Auf  die  Glöckel-  oder  Klöckelsprüche  übergehend,  sei  vor 
allem  bemerkt,  dass  es  in  der  Gegend  um  Aussee  üblich  ist,  am  Drei- 
königabend glöckeln  (bair.  klöpfeln,  anklopfen)  zu  gehen.  Ärmere  Leute 
ziehen  von  Haus  zu  Haus,  klöckeln  (klopfen)  an  und  sprechen  ihre  Sprüche. 
Man  beschenkt  sie  mit  Gaben,  zumeist  mit  den  Klöckelkrapfen. 

Der  Klöckler  redet  beispielsweise  zum  Fenster  hinein: 

Bäu'rin  thua  nur  brav  Kröpfen  bochen,       Und  a  Pfannerl  voll  Koch1), 
Aft  wird  mir  schon  's  Herz  aflochen.         Dös  wünsch'  ih  mir  denna 
A  Multer  voll  Kröpfen  Vor'n  Sterb'n  eh  noh. 

1)  Das  Schmalzmus  nennt  man  auch  Koch. 


134  Reiterer: 

Und  man  entgegnet  zum  Fenster  hinaus: 
ßuama,  was  wöllts  denn  drauss"? 
Oder  san  Klöckler  vor'n  Haus? 
Seid's  Mander  oder  Dirn, 
Oder  braucht's  'n  haber'n  Zwirn? 
Sieb'n  Ell'n  long  und  drei  dick, 
He,  Bua,  dös  war'  a  Kreuzerstrick! 

Ein  anderer  Klöcklspruch  lautet: 

Ja,  mein  liabe  ....  Muatter, 

Hon  a  Hosen  ohne  Unterfuatter, 

Und  soll  so  long  in  da  Kält'n  steh'n? 

Gib  mir  'n  Krapfen,  aft  werd  ih  bald  weitergeh'n. 

Geh  umi  über  die  Tauern, 

Dort  kimrn  ih  zu  'n  Bauern, 

Bei  dem  die  Henn  die  best  Kuah  is, 

Ha,  dös  is  g'wiss. ') 

IV.  Wunschsprüche.  So  manche  Dirne  wünscht  sich  einen  Ehmami. 
Der  heilige  Anton  von  Padua  gilt  vornehmlich  als  Heiratspatron.  Ein 
Wunschsprüchel,  das  sich  auf  ihn  bezieht,  ist: 

Heiliger  Anton  von  Padua, 

Schick  mir  'n  Monn  und  just  koan  Haderer 

Und  ah  'n  Rothkopferten  not, 

Dös  war'  a  Gfrött. 

Am  Andreasabende  (29.  auf  den  30.  November)  kommt  bei  der  Bauern- 
dirne das  Wunschsprüchel  zur  Geltung: 
Andreas,  Andreas, 
Du  heiliger  Monn, 
Blick  nieder  auf  mich, 
Mein  Elend  sieh  on. 

Himmelaus,  himmelein, 
Sei  St.  Andreas  mein. 

St.  Andreas  komm  durch  die  Thür 
Und  trinke  etwas  von  mir. 

Solches  sagt  die  Dorfmaid,  wenn  sie  zwei  Trinkgläser,  das  eine  mit 
Wasser,  das  andere  mit  Wein  gefüllt,  auf  den  Tisch  gestellt  hat,  damit 
S.  Andreas  komme  und  von  einem  Glase  trinke.  Wird  vom  Wein  ge- 
trunken, kommt  ein  reicher  Freier,  in  anderem  Falle  ein  armer. 

Manches  Mädchen  ruft  auch  zum  hl.  Andreas  den  Spruch  empor: 
Heiliger  Andreas, 
Ich  bitt  dich  um  was, 
Lass  mir  erscheinen 
Den  Herzliebsten  meinen. 

Dabei  stellt  sich  die  „Löselnde"  zum  Brunnentrog,  um  im  Wasser 
den  zu  erblicken,  der  ihr  Mann  wird. 


1)  Klöckelsprüche  sind  auch  in  Kärnten  üblich,  vgl.  Lexer,  Kärntisches  Wörterbuch  161. 


Volkssprache  aus  dem  Eunsthal.  135 

Zu  St.  Thomas  nimmt  man  auch  Zuflucht.    In  der  Thomasnacht  kommt 
der  Wuuschspruch  beim  Weichselbaumschütteln  zur  Anwendung: 
"Weichselbaum,  ih  schüttel'  dih, 
Thomas,  ih  bittel  dih, 
Lass  mir  a  Hundert  bell'n, 
Wo  sih  mein  Monn  thuat  meld'n. 

Am  Neujahrsabend  raunt  der  Bauernbub  seinem  Liebchen  zum  Fenster 

hinein : 

Dirndl,  ih  wünsch'  dir  a  glücklich's  Johr, 

A  Christkindl  mit  kraust'm  Hoor, 

Ih  wünsch'  dir  'n  gottsfreudig'n  Leb'nslanf 

Und  dass  d'  amal  kommst  in  den  Himmel  'nauf. 

Ab  und  zu  mag  mancher  Verliebte  die  letzte  Verszeile  wohl  auch 
dergestalt  variieren,  dass  es  heisst: 

Schön's  Dirndl,  mach  's  Fensterl  auf! 
Beiläufig    sei    erwähnt,    dass    im    steirischen    Unterland    zur  Zeit    der 
Jahreswende  die  Neujahrsgeiger  herumziehen.     Es  sind  dies  Dorfmusiker, 
die  Neujahrwünschen    gehen,    um    sich    dabei  eine  kleine  Summe  zu  ver- 
dienen.    Die  Neujahrsgeiger,  wie  man  im  Unterlande  sagt,  singen  z.  B.: 

Wir  bringens  Euch  in  Freuden  dor, 

Wir  wünschen  Euch  a  glücklich's  Johr. 

So  g' freut  Euch  oll  mit  reichem  Scholl 

Zu  diesem  neuen  Johr. 

Oder:    Fried  und  Freud  und  langes  Leben 

Das  woll'  Euch  Gott  vom  Himmel  geb'n. 
So  g'freut  Euch  oll  mit  reichem  Scholl 
Zu  diesem  neuen  Johr. 

In  der  Zeitschrift  „Der  Steirer-Seppl"  war  im  Jahrgang  1801,  S.  18 
zu  finden,  dass  nach  der  Mitteilung  eines  Landgeistlichen  in  der  nordöst- 
lichen Steiermark  bei  Vorau  die  Neujahrsgeiger  die  Wunschsprüche  kennen: 

Was  wünsch'  ma  dem  Hausherrn,  was  wird  ihm  liab  sein? 

Der  Beutel  voll  Dukaten  oder  gar  viel  im  Schrein. 

Viel  Glück  zu  seim  Rind,  zum  Pferd  und  zum  Schwein, 

Im  Herbst  a  schön's  Lesen  (Weinlese),  viel  Troad  und  viel  Wein. 

Was  wünsch  ma  da  Hausfrau,  was  wird  sie  denn  liab'n? 
Viel  Glück  in  ihr'n  Hausstand,  und  a  Kind  in  der  Wiag'n. 
Die  Speiskammer  finster,  die  Küchel  schön  liacht, 
Wenn  sie  was  kochen  will,  dass  dabei  siacht. 

V.  Mancherlei  Volkssprüche  beziehen  sich  auf  einzelne  bemerkens- 
werte Tage  des  Jahres. 

Zur  Zeit  der  Sonnenwende  tanzt  der  Ennsthaler  um  die  „Sonnawend- 
fuierler"  und  singt  den  Spruch: 

Sonnawend',  Sonnawend',   |   Dass  mich  nit  's  Fuier  brennt, 
Dass  ih  bald  z'heiraten  kumm,    |   D'rum  tanz  ih  um. 


■[36  Reiterer: 

Zur  Osterzeit    geht    der  Bub   zur  Seinen:    ums  rote  Ei.     Dabei  raunt 
er  den  Spruch : 

Dirndl,  hiaz  bin  ih  do  um  die  roten  Oa', 

Gibst  mir  oans  oder  koans  oder  gor  zwoa? 

Ha,  Dirndl,  die  vorige  Nocht, 

Da  hab'  ih  glocht,  hab'n  mih  die  Dirndl  ausg'mocht. 

Hab'n  g'sagt:  Ih  kunnt  nit  's  Liab'n, 

Sullt  mih  bald  weiterziag'n 

Vom  Pauli-Bekehrung-Tage  (25.  Januar): 
Pauli  Bekehr, 
Der  halb  Winter  hin,  der  halbe  her. 

Das  Wachsen   des  Tages  nach  der  Wintersonnenwende  geschieht,  wie 
sich  der  Enusthaler  ausdrückt,  iu  der  Weise: 

Zu  Weihnachten  um  'n  Mnckenzoan, 

Zu  Neujahr  um  'n  Hohnschritt. 

Zu  Dreikönig  um  'n  Monntritt, 

Zum  Süassen-Nomen-Jesu  (20.  Januar)  um  'n  Hirschensprung 

Und  zu  Liachtmess  um  a  ganze  Stund'. 
Beim  Almabtrieb    bindet  man  in   der  nordwestlichen  Steiermark  dem 
Stier  ein  Holztäfelchen  auf  die  Stirn,  auf  dem  ein  Sprüchlein  steht.    Beim 
vulgo   Christerbauer    in   Tiemlern    bei  St.  Martin    an    der  Salzach    ist  der 
Almspruch: 

Ich  lasse  die  Alm  in  guter  Ruh 

Und  geh  schönstens  heimzu 

Und  sind  jetzt  da,  ich  und  die  Küah 

Und  bitten  den  Bauer  um's  Winterquartier. 
Im  Thale  angekommen,  sagt  der  „Stiertreiber"  den  Spruch  auf: 

Ich  wünsche  Glück  ins  Haus, 

Und  Unglück  heraus. 

Ich  wünsche  dem  Bauer  beim  Vieh  den  Segen, 

Denn  an  Gottessegen  ist  alles  gelegen. 
Auf  den  Fasching  bezieht  sich: 

Im  Fasching  braucht  der  Teufel  neun  Haut 

Sei's  von  Vieh  oder  Leut'. 
Von  der  Mettennacht  (Lichtmess)  heisst  es: 

Lichte  Metten,  finstere  Heustadel. 
Und  umgekehrt: 

Finstere  Metten,  lichte  Heustadel. 
Am  Sylvestertag  spöttelt  der  Enusthaler: 

Der  Sylvesttag  ärgert  den  Bauern  vor  oll'n, 

Die  Brieftosch'  die  hot   er  und  die  Knecht'  soll'ns  zohl'n. 

Ergötzlich  ist  der  „Wetterspruch."  für  den  Fall,  dass  es  regnet,  während 
zugleich  die  Sonne  scheint.     Da  meint  man: 

Wenn  d'Sunn'  scheint  und  's  thuat  re(g)na, 
So  streicht  der  Tuifl  sein  Lena  (Grossmutter). 


Volkssprüche  aus  dem  Ennsthal.  137 

Auch  die  Witterung  bezieht  sich  weiter: 

Auf  dem  Abend  rot, 

In  der  Früh'  d'Sunn'  ins  G'schrott. 

Und:  In  der  Früh  rot, 

Auf  d'Nocht  paschts  ins  Kot  (regnet  es). 

Zu  den  Ensthalerischen  Wettersprüchen  gehört  auch: 

Donnerstags  schön, 

Mag  'n  Freitag  nit  überstehn. 

Nichts  weniger  als  zart  ist: 

's  Weib  oersterb'n 
Is  'n  Bauer  koan  Verderb'n, 
Aber  's  Ross  verrecken 
Mag  'n  Bauer  schrecken. 

Ergötzlich  klingt  der  Spottspruch  des  Oberlandes: 

Wenn  ih'n  Monn  brauch, 

Geh  ih  af  Untersteier, 

Durt  kriag  ih  um  'n  Gruschen 

'n  Eselsgeier  (einen  sehr  grossen). 

Um  Donnersbach  behaupten  die  Bauernbursche  von  den  Gasselbuben : 

Montags  geh'n  d'  Hoamlichen, 

Dienstags  die  Schönen, 

Mittwochs  die  Kropferten, 

Donnertags  die  Krumpen 

Und  Freitags  die  Lumpen. 

Samstags  geh'n  die  Krapfenbettler 

Und  Sonnstags  da  hats  jeder  gnötler  (eilig). 

Hübsch  finden  wir: 

Wia  d'Schüssel,  so  d'Scherb'n, 
Wia  's  Mehl,  so  die  Nocken, 
Wia  's  Kraut,  so  die  Ruab'n, 
Wia  der  Voda,  so  die  Buam. 

Bekannt  ist,  dass  man  Leibesübel  von  irgend  einem  Sympathie-Doktor 
abbeten  lässt.  Ich  teile  solchen  Zauberspruch  mit.  Während  der  Be- 
schwörer mit  einer  Luchszehe  über  eine  Stelle  des  Körpers  fährt,  murmelt  er: 

Auf  meine  Kraft  muasst  du  vertraun, 
Darfst  auf  eig'ne  Hülf  nit  baun, 
Sunst  könnt  ih  mein  Ziel  verfehln, 
Darfst  nur  mih  zum  Helfer  wähln. 
Blitz,  Gott,  Dunner,  olli  Heiligen, 
Mög'n  sich  bei  mein  Werk  beteiligen. 
Kriz,  Kreiz,  nebenfahl, 
Jetzt  sei  dir  gholfen  und  allewal. 


138  Eeiterer: 

Das  Geklapper  der  Dreschflegel  ahmen  die  Dreschersprüche  nach.    Im 
Winter,  wenn  alles  Leben  erstorben  ist,  stört  nichts  die  Ruhe   des  Dorfes 
als  das  monotone  Gepolter,  wenn  es  zu  Zweien  geht: 
Strumpf,  Schuah,  Strumpf,  Schuah. 
Im  Takte  zu  Vieren  ähnelt  es: 

Hund,  stich  d'Rotz  o;  Hund,  stich  d'Kotz  o! 
In    grösseren  Bauernhöfen   wird    gewöhnlich    zu  Sechsen    gedroschen. 
Es  geht  da: 

Beim  Tichel,  beim  Tachel, 
Beim  Sauschneider  Tachtel, 
Beim  Tichel,  beim  Thor 
Und  beim  Sauschneider  Thor. 

Oder:    Den  zipferten  Kröpfen 

Den  werd'  ma  schon  pocken. 

In  der  Tenne  des  Grossbauern  lassen  sich  ihrer  acht  vernehmen: 

Hiwer,  Hawer,  Hawerhaggl, 
Hiwer,  Hawer,  Hawerhaggl. 

Bei  Hochzeiten  im  Ennsthale  ist  es  gebräuchlich,  dass  der  „Braut- 
führer" (Ceremonienmeister)  bei  der  „Danksagung"  um  die  mitternächtige 
Stunde  vor  dem  Weissen  (Geschenke  geben)  allerlei  scherzhafte  Hochzeits- 
sprüche zum  besten  giebt,  die  sich  auf  einzelne  Hochzeitspersonen  beziehen. 

Es  kann  da  gehört  werden: 

Ich  erblicke  den  Jungherrn  N.  N.,  a  lustiga  Bua, 
Drum  lossen  'n  die  Weiberleut'  gar  koan  Ruah. 
Z'nachst  war  er  gern  bei  a  schün'  Sennerin  blieb'n, 
Da  hat  er  sich  wohl  saggrisch  in  den  Küahmist  verstiegn. 
Musikanten,  dem  zu  Ehr'n, 
Lasst  Eure  Instrumenter  hörn. 

Hiaz  erblick'  ich  den  Forstwart  N.  N.,  es  gebührt  ihm  alle  Ehr', 
Denn  er  is  für  die  Arbeiter  gar  a  guater  Herr. 
Dos  hob  ih  schon  selber  erkennt  und  betracht't, 
Wie  er  für  seine  Holzknecht  'n  Garns  gschossen  hot. 
Musikanten,  dem  zu  Ehr'n  u.  s.  w. 

Ferner  erblick'  ich  den  N.  N.,  ein  guter  Eisschütz, 
Er  trifft  mit'n  Stock  ')  und  ah  mit  der  Buchs. 
Aber  beim  Stöger  Eisschiessen  war  er  vull  Zürn, 
Weil  er  'n  Herrn  Lehrer  sein  Schneidergsöll  is  wurd'n. 
Musikanten  u.  s.  w. 

VI.  Nun  etwas  über  Haussprüche.  Der  sinnige  Brauch,  die  Häuser 
mit  Sprüchen  zu  zieren,  ist  schon  sehr  alten  Ursprunges.  Gegenwärtig 
findet  man  nur  noch  an  alten  Gebäuden  derlei  Sprüche,  bei  neuen  kommen 

1)  Eisstock,  ein  hölzernes  Instrument  zum  „Eisschiessen". 


Volkssprüche  aus  dem  Ennsthal.  139 

sie  selten  mehr  in  Anwendung.1)  Bei  meiner  Wanderung  in  der  Steier- 
mark traf  ich  vornehmlich  Haussprüche  bei  Handwerkern.  Ein  Tischler 
schreibt  ans  Haus: 

Ich  bin  der  Meister  Hobelmarin, 

Der  auch  draxeln  und  schnitzeln  kann. 

Wers  nit  glaubt,  der  komm  herein 

Und  bestell'  einen  Schrank  oder  Schrein. 

Der  Herrgottsschuster  im  Sulmthale  liess  über  seine  Hausthür  malen: 
Der  Herrgottsschuster  bin  ich, 
Lass  Gott  allein  nur  walten, 
Mach'  lieber  stets  die  neuen  Schuh 
Als  flicken  immer  d'alten. 

Ein  Schneidermeister  begrüsst  seine  Kunden  bei  Admont  im  Ennsthale: 

Ich  bin  der  Schneber weber, 

Der  hübsche  Kleider  machen  kann. 
Ich  Sprech  es  frei  stets  von  der  Leber, 
Dass  der  nur  ist  ein  ganzer  Schneidersmann, 
Der  d'Hosen  den  Grossen  und  den  Kleinen 
Kann  richtig  messen  bei  den  Beinen. 

Ein  Fleischhauer  im  Kainachthaie  liess  auf  seinem  Schild  anbringen: 

Der  Ochs,  der  hat  ja  Fleisch  und  Bein, 
Ichs  jeder  Kundschschaft  sage, 
D'rum  müssen  auch  die  Knochen  d'rauf 
Zum  Fleisch  bei  meiner  Wage. 

In  einem  Bauernwirtshause  in  der  Umgebung  von  Irdning  ist  zu  lesen: 

Borgen  macht  Sorgen 

Zur  heutigen  Zeit. 

Willst  borgen,  komm'  morgen, 

Wirst  nit  hinauskeit. 2) 

Nicht  uninteressant  ist  der  Hausspruch  eines  Kaufmannes  in  Aigen: 

Willst  du  schlechte  Ware  kaufen, 
Darst  du  nicht  auf  den  Jahrmarkt  laufen. 
D'rum,  o  Kundschaft,  komm  herein, 
Hier  wirst  du  bedienet  fein. 

Bei  einem  Bauernhause  steht: 

Kurz  ist  das  Leben,  lang  ist  die  Zeit, 
Drum,  o  Mensch,  denk'  an  die  Ewigkeit. 


1)  Vgl.  Ilwof,    Allerlei    Inschriften   aus    den   Alpenländern    (Unsere  Zeitschrift  III, 
278—85)  und  L.  v.  Hörmann,  Haussprüche  aus  den  Alpen,  Leipzig  1892. 

2)  keit  =  geworfen.    Kann   auch   die  Bedeutung   von  „beleidigt"  haben,     z.  B.  Jetzt 
hab'  ich  mei'  Dirndl  umkeit.     Oder:  Die  Herr'n  sind  leicht  umkeit. 


140  Königsbcrger: 

Ans  dem  Reiche  der  altjüdischen  Fabel. 

Von  Rabbiner  Dr.  B.  Königsberger. 

Das  Bestreben  der  Sittenlehrer  der  alten  Völker,  auf  die  Massen 
fördernd  und  belehrend  einzuwirken,  scheint  frühzeitig  darauf  geführt  zu 
haben,  in  Umschreibungen,  aber  nicht  minder  drastischer  Durchführung 
der  Gedanken  moralische  und  geistige  Gebrechen  zu  geisein,  wie  auf  den 
hohen  sittlichen  und  praktischen  Wert  seelischer  Tugendhaftigkeit  hinzu- 
weisen. Um  diejenigen  nicht  zu  verletzen  und  öffentlicher  Beschämung 
preiszugeben,  welche  sich  durch  den  ausgesprochenen  Tadel  getroffen 
fühlen  sollten,  kleidete  man,  wollte  man  der  Wirkung  seiner  Mahnrede 
um  so  sicherer  sein,  diese  in  eine  mildere  Form.  Hierzu  eignete  sich  von 
den  mannigfachen  Dichtungsarten  die  Fabel  am  meisten;  denn  die  Menschen 
Hessen  sich  lieber  von  Tieren  und  Pflanzen  belehren,  als  wenn  ihnen 
Tadler  und  Mahner  in  Menschengestalt  vorgeführt  wurden.  Die  Getroffenen 
konnten  sich  sonst  gereizt  fühlen,  und  ihre  Verstimmung  machte  sie  ver- 
stockt; die  anderen  aber,  welche  als  schadenfrohe  Zuhörer  die  Beschämung 
ihrer  Genossen  wahrnahmen,  ergingen  sich  in  Spott  und  böser  Nachrede, 
ohne  selbst  etwas  zu  lernen. 

Für  denjenigen  nun,  der  jedwelche  Kunstrichtung  in  der  Litteratur 
der  Völker  forschend  durchgeht,  ist  es  wichtig  und  anregend  zugleich, 
ihrem  Ursprung  nachzugehen  und  zu  prüfen,  wo  sie  ihre  Entstehung  ge- 
funden. Und  auf  dem  Gebiete  unserer  Fabellitteratur  wird  gerade  wegen 
des  scheinbar  geringen  altklassischen  Stoffes  jener  Zweig  der  jüdischen 
Volkslitteratur  vernachlässigt,  welcher  des  Interessanten  genug  bietet  und 
schon  wegen  seines  hohen  Alters  Beachtung  verdient;  denn  die  hebräische 
Fabel  ist  die  älteste,   welche  wir  finden  und  datieren  können1). 

Zwei  Denkmäler  der  altjüdischen  Fabellitteratur  begegnen  uns  schon 
in  den  alttestamentlichen  Büchern  der  Richter  (9,  8  —  15)  und  der  Könige 
(II,  14,  9).  Die  erstere  Fabel  ist  in  jenem  Gleichnis  enthalten,  das  Jotham, 
der  Stiefbruder  des  tyrannischen,  grausamen  Abimelekh,  anstimmte,  als  er 
die  Treulosigkeit  der  Bewohner  Sichems  beleuchten  wollte:  „Einst  gingen 
die  Bäume    aus,    sich   einen  König  zu  suchen.     Sie  sprachen  zum  Oliven- 

1)  J.  Landsberger,  Über  die  Fabel  bei  den  Hebräern,  Jabrbucb  „Achawa", 
Leipzig  1866  (0.  Leiner),  S.  116—138;  derselbe,  Die  Fabeln  des  Sopbos  (Einleitung), 
Posen  1859;  S.  Back,  Die  Fabel  in  Talmud  und  Midrasch,  in  „Monatsschrift  f.  Gesch.  u. 
Wissensch.  d.  Judentums",  Jahrg.  1875,  1876,  1880,  1881,  1883  und  1884;  B.  Königs- 
berger im  „Israelit",  Jahrg.  XXXIII  (Mainz  1892),  Wissensch.  Beilage  zu  No.  2,  14,  26, 
42,  94.  Vgl.  auch  E.  Kalischer,  Parabel  und  Fabel  bei  den  alten  Hebräern,  in  „Allgem. 
Zeitung  des  Judentums",  Jahrg.  55  (Berlin  1891),  No.  23-26.  G.  Levi,  Parabeln,  Le- 
genden und  Gedanken  aus  Thalmud  und  Midrasch,  übertragen  von  L.  Seligmann,  Leipzig 
1863,  S.  229.  297.  302.  365.  D.  Ehrmann,  Aus  Palästina  und  Babylon.  2.  Aufl.  Wien 
1892,  S.  66-75  (III.  Fabeln  1-21). 


Aus  dem  Reiche  der  altjüdischeu  Fabel.  141 

bäume:  Sei  Du  unser  König!  —  Der  aber  sprach:  Soll  ich  etwa  aufhören, 
mit  meinem  Öl  Gott  und  die  Menschen  zu  ehren,  um  über  Euch  zu 
herrschen?  Und  sie  gingen  zum  Feigenbaume  und  riefen  ihm  zu:  So 
komme  Du  und  herrsche  über  uns!  —  Soll  ich  etwa,  sprach  dieser,  meiner 
Süssigkeit  und  schönen  Frucht  entsagen,  um  unter  Euch  meine  Wipfel  zu 
schütteln?  Auch  der  Weinstock,  dem  die  Bäume  das  Szepter  ihrer  Würde 
anboten,  entgegnete  ablehnend:  Soll  ich  meinen  Most  preisgeben,  der  Gott 
und  Menschen  erfreut,  um  über  Euch  zu  schweben?  —  So  sprachen  denn 
alle  unfruchtbaren  Holzbäume  —  denn  von  solchen  ist  die  Kede  —  zu 
dem  zu  ihnen  gehörigen  Dornstrauche,  dessen  Bild  auf  Abimelekh  passte: 
Komm!  Werde  unser  König!  Und  der  Dornstrauch  nahm  unter  der  Be- 
dingung und  Voraussetzung  treuer  Anhänglichkeit  und  der  Androhung  der 
Vernichtung  bei  etwaigem  Abfalle  die  Herrschaft  an  und  setzte  sich  eine 
Dornenkrone  aufs  kahle  Haupt.  —  Wir  erkennen  schon  aus  den  Akteuren 
dieser  Fabel,  dass  sie  eine  dem  jüdischen  Volke  eigentümliche  ist.  Denn 
die  in  derselben  zu  Königen  designierten  Fruchtbäume  waren  für  das 
religiöse  Leben  des  jüdischen  ATolkes  von  hervorragendster  Bedeutung. 
So  fand  einerseits  der  Olivenbaum  mit  seinem  feinen  Öle,  andererseits  der 
Weinstock  mit  seinem  herrlichen  'Franke  täglich  beim  Opferdienste  Ver- 
wendung. Und  dieser  Würde  sind  sich  beide  wohl  bewusst,  wenn  sie  sich 
rühmen,  Gott  und  die  Menschen  mit  ihrem  Ertrage  zu  erfreuen.  Der 
Feigenbaum  kam  zwar  im  Tempel  nicht  in  Gebrauch  —  und  deshalb 
nennt  er  sich  auch  nicht  zugleich  Labsal  Gottes  und  der  Menschen  — , 
aber  er  gehörte  wenigstens  zu  denjenigen  Früchten,  durch  welche  das 
heilige  Land  ausgezeichnet  war.  Da  nun  jene  drei  die  Herrschaft  ablehnten, 
ward  die  Krone  dem  diu  reu  Dornstrauche  angeboten,  dessen  Weihe  darin 
bestand,  dass  sich  einst  in  seinem  Feuer  die  göttliche  Majestät  Mose 
offenbart  hatte,  ohne  von  den  Flammen  verzehrt  zu  werden.  Und  jetzt 
droht  er  mit  dem  von  ihm  ausgehenden  Feuer  als  Geisel  für  etwa  beab- 
sichtigten Treubruch. 

Einer  zweiten  ähnlichen  Fabel  begegnen  wir  in  der  Geschichte  des 
Königs  Amazjah  von  Iudah.  Dieser  forderte,  nachdem  es  ihm  gelungen 
war,  Edom  zu  besiegen,  den  König  Joas  von  Israel  zum  Kampfe  heraus. 
Letzterer  aber  antwortete  ihm  mit  folgendem  Gleichnisse:  Einst  sandte  die 
Distel  auf  dem  Libanon  zur  Ceder  des  Libanon:  Gieb  meinem  Sohne  deine 
Tochter  zur  Frau!  Doch  flugs  stürmte  das  Getier  des  Berges  über  die 
Distel  dahin  und  zertrat  sie. 

Meines  Erachtens  wären  diese  beiden  Fabeln  von  den  etwa  zur  Zeit 
Salomos  im  Umlauf  gewesenen,  bezw.  damals  gedichteten  zu  unterscheiden, 
falls  man  annehmen  dürfte,  dass  damals,  von  Salomo  vielleicht  angeregt, 
eine  bedeutende  Anzahl  hebräischer  Fabeln  im  Volksmunde  vorhanden 
gewesen  wäre.  Dies  scheint  jedoch  unwahrscheinlich  zu  sein.  Denn  gerade 
der  Umstand,    dass  man  nur  eine  oder  zwei  derartige  Dichtungen  kannte, 


142  Königsberger: 

welche  nicht  selbständig1  existierten,  sondern  zur  Veranschaulichung- 
zweier historischer  Facta  dienten,  stimmt  zu  der  weiterhin  durchgeführten 
Behauptung,  dass  zuerst  nur  die  Naturfabel  existierte.  Ja,  es  lässt  sich 
diese  Annahme  noch  weit  genauer  erweisen,  zumal  wenn  man  erwägt, 
dass  als  Vertreterin  der  ältesten  Gattung  dieser  Dichtungsart  eigentlich 
nur  die  Fabel  aus  dem  Buche  der  Richter  gelten  kann,  wo  sich  die 
Pflanzenfabel  noch  rein  erhalten  hat,  während  die  zweite,  aus  der  Geschichte 
des  Königs  Amazjah,  schon  die  durch  die  salomonische  Kunst-,  bezw.  Tier- 
fabel eingetretene  Verbindung  beider  Richtungen  aufweist.  Gleichwohl  darf 
auch  sie,  wie  erwähnt,  als  Natur-,  bezw.  Volksfabel  bezeichnet  werden. 

Abgesehen  davon  nun,  dass  beide  erwähnten  Fabeln  jüdischen  Ursprungs 
sind,  sind  sie  auch  die  ältesten,  welche  wir  kennen.  Denn  sowohl  die 
indische  Sammlung  „Pantscha-Tantra"  (d.  h.  Fünfbuch),  wie  die  Fabeln 
des  Hitopadesa  bleiben  um  1000  Jahre  hinter  ihnen  zurück1),  und  selbst 
wenn  man  Äsop  als  eine  historische  Person  ansieht,  so  lassen  sich  doch 
die  nach  ihm  benannten  Fabeln  frühestens  zwei  Jahrhunderte  nach  den 
beiden  palästinensischen  datieren.  Die  hier  etwa  zu  betrachtenden  syrischen, 
bezw.  arabischen  Fabelsammlungen  sind  überhaupt  jungen  Datums2). 

Wir  erkennen  nun  aus  Obigem,  dass  Pflanzenfabeln  früher  im  Umlauf 
waren  als  Tierfabeln,  wenn  man  auch  zugeben  muss,  dass  das  Volk  der 
Hebräer  schon  früh  auch  die  Fähigkeiten  und  den  Instinkt  der  Tiere 
belauschte.  Aber  vollkommen  ausgebildete  Fabeln  sind  in  der  ältesten 
Zeit  nur  der  Pflanzenwelt  entlehnt  und  dienen  vornehmlich  zur  Veran- 
schaulichung historischer  Ereignisse,  an  das  Leben  sich  anschliessend.  — 
Das  Vorhandensein  einer  Kunstfabel  dürfen  wir  seit  König  Salomo 
datieren.  Von  ihm  heisst  es  im  1.  B.  Kön.  5,  13.  14:  „Und  er  sprach  von 
den  Bäumen,  von  der  Ceder  des  Libanon  bis  zum  Ysob s),  der  aus  der 
Wand  hervorwächst,  und  er  sprach  von  den  Tieren  des  Landes,  den  Vögeln, 
den  Kriechtieren  und  den  Fischen."  Es  ist  hierbei  weder  daran  zu  denken, 
dass  Salomo  etwa  die  Sprache  dieser  Wesen  verstand  —  dem  widerspricht 
der  Ausdruck  —  noch  an  blosse  naturwissenschaftliche  Studien,  da  im  vor- 
hergehenden Verse  davon  berichtet  wird,  dass  König  Salomo  3000  Maschal, 
d.  h.  Gleichnisse  oder  Fabeln  verfasst  habe.  —  Natürlich  musste  eine 
solche  Dichtung,  die  sich  hierdurch  zugleich  als  originell  erweist,  allge- 
meines Interesse  erregen,  wie  es  denn  auch  im  Schlusssatze  jener  Stelle 
heisst:  „Und  es  strömten  Menschen  von  allen  Nationen  herbei,  um  Salomos 


1)  Über  die  Entlehnung  indischer  Fabeln  aus  der  hebr.  Litt.  vgl.  Grätz,  Monatsschr.  f. 
Gesch.  u.  Wissensch.  d.  Jud.,  Jhrg.  23  (1874),  S.  383  u.  dazu  Grätz,  Gesch.  d.  Jud.,  I,  348. Note. 

2)  Vgl.  z.  B.  Fahles  de  Logman  le  Sage  publie  par  J.  Derenbourg,  Berlin  1850,  Preface. 
3)  Hitzig    äussert  in  seinem  Kommentar  zu  den  Sprüchen  Salomonis  (Zürich  1858), 

S.  XVI,  die  Vermutung,  es  habe  eine  alte,  Salomo  zugeschriebene  Fabel  Sammlung 
gegeben,  die  den  Titel  „Mischle  Esob  (=  Ysob)"  oder  einen  ähnlichen  Namen  geführt 
habe.  Dieser  Name  einer  Fabelsammlung  sei  vielleicht  in  Griechenland  in  „Sprüche 
des  Asop"  umgewandelt  worden! 


Aus  dem  Reiche  der  altjüdischen  Fabel.  143 

Weisheit  kennen  zu  lernen,  von  allen  Königen  der  Erde,  soweit  sie  von 
seiner  Weisheit  gehört."  Es  scheint  also,  dass  diese  Art  der  Dichtung 
auch  in  Phönizien  vollständig  unbekannt  war,  zu  dessen  damaligem  Könige 
Hiram  Salomo  nahe  Beziehungen  unterhielt,  und  so  spricht  auch  dieser 
Umstand  für  das  hohe  Alter  der  hebräischen  Fabeldichtung. 

Wir  entnehmen  nun  dem  angeführten  Berichte  aus  dem  1.  Buche  der 
Könige  über  Salomos  Fabeldichtungen  noch  ein  ferneres,  interessantes 
Moment.  Hatten  wir  nämlich  früher  eigentlich  nur  von  Baumfabeln  gehört, 
so  erhalten  wir  hier  zum  ersten  Male  Kunde  von  der  Gattung  der  Tier- 
fabeln, und  zwar  als  einer  besonders  behandelten  Dichtungsart.  Denn 
in  unterscheidender  Redewendung  wird  uns  daselbst  berichtet:  „Und 
er  redete  von  den  Bäumen ..  u,  worauf  es  nochmals  einleitend  heisst: 
„Und  er  redete  von  den  Tieren  ..."  Leider  sind  uns  von  dieser  dichte- 
rischen Thätigkeit  des  weisen  Königs  nur  wenige  Spuren  in  den  „Sprüchen 
Salomos"  enthalten.  Dort  heisst  es  z.  B.  Kap.  6,  6—8:  „Geh'  zur  Ameise, 
Fauler,  und  lerne  von  ihrem  Thun!  Sie  hat  keinen  Herrscher,  keinen 
Gebieter  und  bereitet  doch  im  Sommer  ihr  Brot  und  sammelt  in  der  Ernte- 
zeit ihre  Speise!"1)  Und  aus  den  prologartig  einleitenden  Worten:  „Geh' 
zur  Ameise,  Fauler,  und  lerne  von  ihrem  Thun",  auf  welche  dann  die 
belehrende  Schilderung  des  Wesens  der  Ameise  folgt,  ersehen  wir  in  höchst 
interessanter,  deutlicher  Weise,  wie  Fabel  und  Gleichnis  belehrend  wirken 
sollten.  —  Ganz  besonders  aber  ist  für  unseren  Zweck  das  vorletzte, 
30.  Kapitel  der  „Sprüche"  heranzuziehen,  wo  in  parallelen  Zusammen- 
stellungen die  charakteristischen  Eigenschaften  gewisser  Tiere  angeführt 
werden.  Vielleicht  hat  auch  die  spätere  Ausdeutung  der  bezüglichen 
Stellen  des  Spruchbuches  zu  einer  talmudischen  Lesart  vom  Charakter 
desselben  Anlass  gegeben,  aus  der  man.  meines  Erachtens  irrtümlich,  auf 
das  ehemalige  Vorhandensein  eines  inzwischen  verloren  gegangenen  tal- 
mudischen Fabelbuches   hat  schliessen  wollen  (Brüll,  Jahrbb.  II,  152  ff.). 

Zu  erwähnen  sind  hier  noch  zwei  Verse  gegen  Ende  des  alttestament- 
lichen  Buches  Koheleth  (Prediger)  12,  9.  10,  die  ebenso  wie  12,  13—14 
ein  späterer  Zusatz  zu  sein  scheinen.  Zwar  besteht  heut  die  allgemeine 
Annahme,  dass  dieses  Buch  einer  sehr  späten,  vielleicht  der  spätesten 
Epoche  der  hebräischen  Litteratur  zuzuweisen  sei.  Da  aber  darüber  keine 
Meinungsverschiedenheit  herrscht,  dass  die  im  Buche  redend  auftretende 
Person  der  jüdische  König  Salomo  sei,  zumal  sich  Koheleth  selbst  den 
Sohn  Davids  und  König  zu  Jerusalem  nennt  und  seine  Berichte  über  seine 
Weisheit  und  Erkenntnis,  seinen  Reichtum  und  seine  Bauten,  seine  Pracht 
und  seineu  Luxus  vollkommen  dem  legendären  Bilde  Salomos  entsprechen, 
so  erscheint  es  gerechtfertigt,  wenn  wir  oben  genannte  Stelle  aus  Koheleth 

1)  Einige  recht  interessante  Schilderungen  aus  dem  Leben  und  Treiben  der  Ameisen 
finden  sich  im  Midrasch  Deuteronomium  rabbah  (ed.  Wilna)  V,  2  (s.  die  Übersetzung  von 
A.  Wünsche).   Vgl  noch  L  Lewysohn,  Die  Zoologie  des  Talmuds.  1858.  §  454,  S.  328 ff. 


144  Königsberger; 

schon  hier,  vor  der  Betrachtung  der  eigentlichen  prophetischen  Schriften 
näher  ins  Auge  fassen.  Die  genannte  Stelle  ist  wohl  am  besten  folgen  der- 
niassen  wiederzugeben:  „Und  wertvoller,  als  dass  Koheleth  selbst  weise 
war,  ist  der  Umstand,  dass  er  dem  Volke  Erkenntnis  lehrte  und  auf  Grund 
persönlicher  Beobachtungen  und  eingehender  Prüfungen  viele  Gleichnisse 
(Meschalim)  verfasste.  —  Denn  Koheleths  Bestreben  war  darauf  gerichtet, 
angenehme  Worte  (Erzählungen)  zu  finden  und  doch  treffend  die 
Wahrheit  zu  schreiben."  In  den  letzten  Worten  ist  das  Wesen  und 
der  Zweck  der  Fabel  durchaus  gelungen  gekennzeichnet.  Noch  deutlicher 
geht  aber  dieser  Sinn  aus  der  chaldäischen  Paraphrase,  dem  Targum,  des 
Koheleth  hervor.  Das  Targum  umschreibt  die  beiden  angeführten  Sätze 
mit  folgenden  Worten:  „Und  mehr  noch  als  alle  anderen  Menschen  war 
Salomo,  welcher  Koheleth  genannt  wird,  weise,  und  er  lehrte  auch  dem 
Volke  des  Hauses  Israel  Erkenntnis,  hörte  auf  die  Stimme  der  Weisen, 
durchforschte  die  Bücher  der  Weisheit  und  von  prophetischem,  von  Gott 
ausgehendem  Geiste  verfasste  er  Bücher  der  Weisheit  und  Gleichnisse 
geistiger  Betrachtung  (1371^3101  tvYltt)  in  grosser  Menge.  —  Es 
wollte  nämlich  König  Salomo,  welcher  Koheleth  genannt  wird,  Moral 
predigen  über  die  Regungen  des  menschlichen  Herzens,  welche  unbeobachtet 
sind  (""TlD  *6si)  .  .  ."  — 

Wir  hätten  schliesslich  noch  die  Bilder  in  Betracht  zu  ziehen,  unter 
denen  die  Propheten  des  jüdischen,  alttestamentlichen  Schrifttums  ihre 
Mahureden  besonders  gegen  das  jüdische  Volk  weithin  verkünden.  Wenn 
man  sich  namentlich  in  die  Anschauungen,  die  damals  herrschend  und 
verbreitet  gewesen  sein  mögen,  sowie  in  die  Verhältnisse,  unter  denen  das 
jüdische  Volk  damals  lebte  und  in  denen  es  zu  den  Nachbarvölkern  stand, 
hineinversetzt  und  zugleich  die  Aufgabe  der  Fabel  in  Betracht  zieht,  so 
ist  man  versucht,  sie  als  zu  unserer  Abhandlung  gehörig  anzusehen.  Wenn 
man  aber  unseres  Wissens  bisher  die  prophetischen  Gleichnisse 
bei  der  Behandlung  der  jüdischen  Fabellitteratur  überhaupt  nicht  berück- 
sichtigt hat,  so  ist  das  wohl  dem  Umstände  zuzuschreiben,  dass  die  hohe 
Begeisterung  und  der  religiöse  Eifer,  mit  denen  jene  Reden  gehalten 
wurden  und,  gleich  schwungvoll  niedergeschrieben,  den  Lesern  erfüllen 
und  ebenfalls  begeistern  und  so  den  Gedanken  verscheuchen,  man  habe 
es  hier  etwa  mit  richtigen  Fabeln  zu  thun.  In  Wirklichkeit  aber  erwecken 
jene  Reden  den  Schein,  als  wären  sie  fabelartige  Poesien.  Diese  An- 
schauung scheint  durch  Ezechiel  21,  5  vollends  bestätigt  zu  werden.  Von 
früheren  Bildern  abgesehen,  schildert  der  zur  Zeit  der  Zerstörung  des 
ersten  jüdischen  Tempels  durch  Nebucadnezar  (586  v.  Chr.)  lebende  Prophet 
Ezechiel  in  dem  berühmten  „ Adler ge sieht"  (Kap.  17)  den  heran- 
stürmenden  babylonischen  Eroberer.  In  der  Einleitung  der  Prophetie  heisst 
es:  „Und  das  Wort  des  Herrn  ward  mir,  sprechend:  Menschensohn!  bilde 
ein  Rätsel  und  mache  ein  Gleichnis  über  das  Haus  Israel."    Hier  finden 


Aus  dem  Keiche  der  altjüdischen  Fabel.  145 

sich  also  gleichfalls  die  bezeichnenden  Worte:  T£Ö  TttfÜl,  der  terrainus 
für  Fabeldichtungen,  bezw.  ■  Gleichnisreden.  Alsdann  folgt  die  berühmte 
Schilderung  des  „Adlergesichtes".  Dasselbe  lautet:  „Sprich:  Also  spricht 
der  Herr  Gott:  der  grosse  Adler,  mit  grossen  Flügeln,  langen  Schwingen, 
vollem  Gefieder,  bunten  Farben,  kam  zum  Libanon  und  nahm  den  Wipfel 
der  Ceder.  —  Das  höchste  Reis  brach  er  ab  und  brachte  es  in  ein  Krämer- 
land, in  eine  Stadt  der  Händler  versetzte  er  es.  —  Dann  nahm  er  vom 
Gespross  des  Landes  und  brachte  es  in  ein  Saatfeld,  that  es  an  reiches 
Gewässer,  in  einen  Weidenbruch  versetzte  er  es.  —  Da  spross  es  und 
ward  zum  rankenden  Weinstock,  niedrig  an  Wuchs,  dessen  Zweige  zu  ihm 
sich  wandten  und  dessen  Wurzeln  unter  ihm  waren;  so  ward  er  zum  Wein- 
stock, der  Ranken  trieb  und  Laub  gewann.  —  Und  es  war  ein  anderer 
Adler,  gross,  mit  grossen  Flügeln  und  reichem  Gefieder:  und  siehe,  nach 
diesem  wandte  schmachtend  der  Weinstock  seine  Wurzeln  und  streckte, 
dass  er  ihn  tränke,  nach  ihm  seine  Zweige  von  dem  Beete  aus,  darin  er 
gepflanzt  war.  —  Und  doch  war  er  in  ein  gutes  Feld,  an  reiches  Gewässer 
gepflanzt,  um  Zweige  zu  treiben  und  Früchte  zu  tragen,  ein  prächtiger 
Weinstock  zu  werden.  —  Sprich:  also  spricht  der  Herr  Gott:  Wird  er 
gedeihen?  Wird  jener  nicht  seine  Wurzeln  ausreissen  und  seine  Früchte 
abschlagen,  dass  er  verdorre  und  alle  seine  spriessenden  Blätter  verdorren? 
Doch  nicht  mit  grosser  Macht  und  vielem  Volke  braucht  er  ihn  hinweg- 
zureissen  von  seinen  Wurzeln.  —  Denn  siehe,  wenn  auch  gepflanzt,  wird 
er  gedeihen?  Wird  er  nicht,  als  hätt"  ihn  der  Ostwind  getroffen,  verdorren? 
Auf  dem  Beete,  darin  er  gesprossen,  wird  er  verdorren."  —  Wenn  wir  es 
vermögen,  uns  von  dem  poetischen  Schwünge  ein  wenig  zu  befreien,  in 
den  uns  die  gewaltige  Prophetie  versetzt,  so  könnten  wir  in  diesem  Bilde 
das  Wesen  einer  Fabel  entdecken,  worauf  ja  auch  die  oben  angeführten 
einleitenden  Worte  des  Propheten  hinzuweisen  scheinen.  Bemerkt  sei 
noch,  dass  nunmehr  auch  die  Deutung,  bezw.  die  Lehre  des  Bildes  folgt, 
die  wir,  weil  für  unser  Thema  ohne  Belang,  übergehen  wollen.  —  Und 
steht  es  mit  dem  Inhalt  des  19.  Kapitel  des  Buches  Ezechiel  anders?  „Du 
aber  heb'  ein  Klagelied  an  um  Israels  Fürsten,  —  und  sprich:  Was  ist 
deine  Mutter?  Eine  Löwin,  unter  Löwen  lagernd,  erzog  in  junger  Leue 
Mitte  ihre  Jungen.  —  Und  eins  von  ihren  Jungen  zog  sie  auf:  ein  junger 
Leu  wards,  der  Raub  zu  rauben  lernte,  Menschen  frass.  —  Da  dies  die 
Völker  von  ihm  hörten,  ward  er  gefangen  in  ihrer  Grube;  sie  brachten 
ihn  mit  Nasenringen  ins  Land  Ägypten.  —  Und  als  sie  sah,  dass  sie  ver- 
lorener Hoffnung  harre,  nahm  sie  von  ihren  Jungen  eins  und  erzog  es  zu 
einem  jungen  Leu.  —  Der  wandelte  in  der  Löwen  Mitte,  der  Raub  zu 
rauben  lernte,  Menschen  frass,  —  in  die  Paläste  brach  und  ihre  Städte 
verwüstete,  dass  sich  das  Land  und  was  darinnen  vor  seinem  lauten  Brüllen 
entsetzte.  —  Da  stellten  sie  Rotten  gegen  ihn  auf,  rings  von  den  Land- 
schaften   und    breiteten    ihr    Netz    wider    ihn;    in    ihrer  Grube    wurde    er 


146  Königsberger: 

gefangen.  —  Sie  warfen  in  den  Käfig  ihn  mit  Nasenringen Deine 

Mutter  in  deinem  Gleichnis  (?)  war  wie  eine  Weinrebe,  an  Wasser  gepflanzt; 
fruchtreich  und  astreich  war  sie  von  vielem  Gewässer.  —  Da  wurden  ihr 
Zweige,  kräftig  zu  Herrscherstäben,  und  ihre  Höhe  wuchs  an  unter  dem 
Laubwerk,  dass  sie  sichtbar  ward  durch  ihre  Höhe,  durch  die  Fülle  ihrer 
Ranken.  —  Aber  sie  wurde  herausgerissen  in  Grimm,  zu  Boden  geworfen, 
und  der  Ostwind  dörrte  ihre  Frucht,  abgerissen  und  verdorrt  wurden  ihre 
kräftigen  Zweige,  Feuer  verzehrte  sie.  —  Und  nun  ist  sie  in  die  Wüste 
verpflanzt,  in  trockenes  und  durstiges  Land.  —  Denn  Feuer  ging  aus  von 
einem  Ast  ihrer  Zweige,  verzehrte  ihre  Frucht,  dass  nicht  ein  Zweig, 
kräftig  zum  Herrscherstab,  mehr  an  ihr  ist  ..."  Mit  Bezug  auf  solche 
Gleichnisreden,  welche  zumeist  mit  dem  für  die  Fabel  gebräuchlichen, 
allgemein  gefassten  Ausdruck  btt?!2  (inaschal)  bezeichet  werden,  heisst  es 
denn  auch  Kap.  21,  5:  „Ich  aber  sprach:  Ach,  Herr  Gott!  Diese  sprechen 
von  mir:  redet  er  nicht  in  Gleichnisreden?  (K1H  D^WQ  hütete  *6n)u. 
Wenn  also  auch  diese  prophetischen  Bilder  nicht  direkt  als  Fabeln  auf- 
zufassen sind,  so  streifen  sie  den  Charakter  derselben  doch  sehr  scharf, 
oder  man  darf  vielleicht  sogar  sagen,  ihnen  liegen  Fabeln  zu  Grunde. 
Und  das  sei  im  allgemeinen  für  die  prophetischen  Bilder  bemerkt! 

Das  talmudische  Zeitalter  bricht  heran!  Mit  der  Darstellung  der 
sozusagen  „fabelhaften"  Thätigkeit  der  Talmudlehrer  verbinden  wir  wohl 
am  besten  die  Kenntnisnahme  von  dem  einschlägigen  Inhalt  der  alten 
homiletischen  Werke  der  jüdischen  Litteratur,  welche  unter  dem  Gesamt- 
namen des  „Midrasch"  einbegriffen  sind.  —  Wir  übergehen  hierbei  die 
Thätigkeit  des  weisen  Hillel,  da  die  Nachricht  über  seine  Kenntnisse  und 
Dichtung  von  Fabeln  nicht  genügend  verbürgt  ist  (nur  Traktat  Soferim 
XVI,  9).  Dagegen  ist  uns  von  dem  im  ersten  nachchristlichen  Jahrhundert 
lebenden  Rabban  Jochanan  ben  Sakkai  verschiedentlich  bezeugt1), 
dass  er  „keine  Wissenschaft  unbeachtet  gelassen  und  u.  a.  auch  die  Gleich- 
nisse der  Füchse  und  der  Wäscher,  die  Gespräche  der  Dattelbäume 2),  der 


1)  Sukkah  28a,  Baba  bathra  134a.  S.  auch  Back  a.  a.  0.,  Jahrg.  1876,  S.  27  ff.; 
Königsberger  a.  a.  0.,  No.  2,  S.  39,  Anra.  14. 

2)  Im  talmudischen  Lexikon  „Arukh'  des  Nathan  ben  Je chiel  (1100)  wird  folgende 
Erklärung  aus  den  Responsen  (der  Geonim)  angeführt:  An  windstillen  Tagen  breiten 
kundige  Leute  zwischen  den  einzelnen  Dattelbäumen  leinene  Decken  aus,  ohne  dass  diese 
sich  bewegen.  Dann  beobachtet  man,  indem  man  sich  zwischen  zwei  bei  einander  stehende 
Bäume  stellt,  wie  sich  die  Zweige  derselben  gegenseitig  neigen,  und  nach  gewissen  Gesetzen 
erkennen  Kundige  die  Bedeutung  dieser  Bewegungen.  —  Nathan  fügt  hinzu,  dass  der  um 
828  lebende  Gaon  Abrabam  die  „Gespräche  der  Dattelbäume"  noch  verstanden  habe. 
Derselbe  hatte  wohl  daher  seinen  Beinamen  Kabasi.  S.  Kohut,  Aruch  comf,letumVl,21a. 
Vgl.  hierzu  M.  Sachs,  Beiträge  zur  Sprach-  und  Altertumsforschung,  2.  Heft,  S.  169. 
Nach  R.  Gerschom  ben  Jehudah,  „Leuchte  des  Exüs"  (um  1000),  zu  Baba  bathra  a.  a.  0. 
bedeutet  es  die  Fähigkeit,  durch  Zauberformeln  ein  Feld  plötzlich  mit  Dattelbäumen 
anzufüllen  oder  solche  zu  entwurzeln  und  verschwinden  zu  lassen,  ähnlich  wie  das  Be- 
schwören oder  Citieren  übernatürlicher  Geister. 


Aus  dem  Reiche  der  altjüdischen  Fabel.  147 

Geister  und  der  Engel  kennen  gelernt",  und  was  hier  von  dem  Schüler 
mitgeteilt  wird,  hat  mau  eben  leicht  auf  dessen  Lehrer  Hillel  übertragen. 
—  Unter  den  „Gleichnissen  der  Füchse"  {mischle  schualim)  haben  wir  ohne 
Zweifel  die  Tierfabel  zu  verstehen.  Auch  Berechjah  ben  Natronai 
ha-naqdan  (in  der  Mitte  des  13.  Jahrh.;  vgl.  Zuuz,  Zur  Geschichte  und 
Litteratur,  Berlin  1845,  S.  117)  nannte,  wie  er  selbst  am  Ende  seiner 
Fabelsammlung  sagt,  seine  in  gereimte  Verse  gebrachten  Fabeln  deshalb 
speziell  „Fuchsfabeln",  obgleich  doch  auch  gar  viele  andere  Tiere  in 
ihnen  redend  und  handelnd  eingeführt  werden,  ja,  in  vielen  der  Fuchs 
überhaupt  nicht  vorkommt,  weil  sich  der  Fuchs  vermöge  seiner  Schlauheit 
(Berachoth  61b)  die  Herrschaft  über  alle  Thiere  erobert  hat.  (Vgl.  auch 
Lessing  in  seinen  Litteraturbriefen,  30.  Brief,  ed.  Lachmann,  Bd.  6,  S.  53; 
dagegen  Mendelssohn  in  der  Bibliothek  der  schönen  Wissensch.  u.  d. 
freien  Künste,  Leipzig  1762,  Bd.  3,  Stück  1,  S.  74.)  Beachtenswert  ist 
hierfür  noch,  dass,  während  es  im  ethischen  Traktat  Aboth  IV.  15  heisst: 
„Sei  lieber  der  Schweif  der  Löwen  als  der  Kopf  der  Füchse!",  der  jerusa- 
lemische Talmud  (Sanh.  IV.  22b)  ein  inhaltlich  umgekehrtes  Sprichwort 
anführt,  welches  lautet:  „Sei  lieber  der  Kopf  der  Füchse,  als  der  Schweif 
der  Löwen!"  —  Wir  kommen  auf  die  Fucbsfabeln  noch  zurück.  Was 
jedoch  unter  den„Gleiclinissen  der  Wäscher"  (mischle  kobsin)  zuverstehen 
ist,  ist  immerhin  schwer  zu  sagen1).  Denn  es  lässt  sich  nicht  gut  annehmen, 
dass  hierbei  auf  den  Wert  des  Geschwätzes,  wie  wir  es  heut  den  Wasch- 
frauen nachrühmen,  Bezug  genommen  werden  sollte,  wenn  wir  auch  in 
den  talmudisclicn  Quellen  bisweilen  mehr  oder  weniger  gelehrten 
Wäschern  oder  Walkern  begegnen  .Man  wäre  nun  am  ehesten  geneigt, 
den  interessanten  Ausführungen  des  Airmeisters  der  jüdischen  Wissenschaft, 
Zunz,  zu  folgen,  der  in  kobes  ein  gleichlautendes  aramäisches,  bezw. 
arabisches  Wort  (Sabbath  67a,  Makkoth  8a)  wiederfindet,  das  soviel  als 
„Weidenbaum"  bedeutet,  und  man  konnte  demnach  in  den  Gesprächen 
der  Dattelbäume  und  der  Bachweiden,  der  fruchttragenden  und  unfrucht- 
baren Bäume  die  Pflanzenfabeln  wiedererkennen.  Dann  aber  ginge, 
wie  überhaupt  aus  der  ganzen  Mitteilung,  hieraus  vielleicht  hervor,  dass 
es  nicht  in  Palästina  einheimische  geistige  Produkte  waren,  sondern  bereits 
vollendete  auswärtige  Sammlungen.  Rabban  Jochanan  ben  Sakkai  lebte 
zur  Zeit  der  zweiten  Tempelzerstörung  durch  die  Römer,  und  die  vielen 
Beziehungen,  welche  Judäa  mit  auswärtigen  Völkern,  namentlich  Rom 
und  Griechenland,    unterhielt,    könnten    unseren  Meister,    wie  viele  seiner 

1)  Vgl.  J.  Egers,  Der  Walker.  Ein  Charakterbild.  Kobacks  Jeschurun  VI,  185  bis 
190  (deutsche  Abtlg.).  B  Königsberger.  Miscellen  aus  der  jüdischen  Altertumskunde 
Na  VII  (Jüd.  Litteraturbl.  1891,  No.  40).  Es  ist  auch  die  Ansicht  ausgesprochen  worden, 
dass  die  „mischle  kobsin"  nichts  anderes  seien,  als  „die  Fabeln  eines  Kibysos  (Kybisos)", 
von  denen  der  griechische  Fabeldichter  Babrios  in  seinem  Proömium  zu  den  Fabeln  spricht 
(Roth  in  „Heidelberger  Jahrbücher  der  Litteratur"  18(30,  No.  4,  S.  55). 


Zcitsclir.  (1.  Vereins  f.   Volkskunde 


10 


148  Königsberger: 

Zeitgenossen  dazu  geführt  haben ,  sich  auch  mit  der  fremdländischen 
Litteratur  zu  befassen. 

In  etwas  späterer  Zeit,  in  der  Mitte  des  2.  Jahrh.  d.  gew.  Zeitr.,  war 
es  besonders  R.  Meir,  der  grosse  Schüler  des  grossen  R.  Aqiba,  welcher 
sich  nach  dem  Vorbilde  seines  Lehrers  die  Fabeldichtung  in  hervorragendem 
Masse  angelegen  sein  Hess.  Mit  aufmerksamem  Sinne  scheint  R.  Meir 
erkannt  zu  haben,  dass  es  nach  der  Vernichtung  der  Selbständigkeit  des 
jüdischen  Volkes  und  wegen  der  dadurch  bedrohten  Pflege  des  Gesetzes- 
studiums durchaus  notwendig  wäre,  das  Volk  durch  die  leichter  fassliche 
und  anziehende  Agadah  vor  dem  Verluste  des  religiösen  Bewusstseins  und 
Gottvertrauens  zu  bewahren.  So  wird  uns  denn  im  Talmud  (Sanh.  38b) 
berichtet,  dass  jener  berühmte  Lehrer  dreihundert1)  Fuchsfabeln  gekannt 
habe,  die  aber  im  Laufe  der  Zeit  bis  auf  drei  wieder  vergessen  worden 
wären.  An  derselben  Stelle  erfahren  wir  nun  auch,  dass  R.  Meir  das 
Pensum  seiner  öffentlichen  Vorträge  im  Lehrhause  in  drei  Teile  einzuteilen 
pflegte,  indem  er  in  ihnen  Gesetzesvorschriften,  homiletisch-exegetische 
Auseinandersetzungen  und  Gleichnisse,  d.  h.  wohl  auch  Fabeln,  vorbrachte. 
An  diesen  Vorträgen  nahmen  auch  bisweilen  einer  oder  mehrere  der  vor- 
erwähnten Wäscher  teil,  und  sie  waren  hierdurch  bisweilen  in  der  Lage, 
durch  die  Wiedergabe  der  in  ihnen  vernommenen  halachischen  Erörterungen 
in  zweifelhaften  Fällen  Aufschluss  zu  geben.  Es  dürften  demnach  diese 
Wäscher  eine  bestimmte  Kategorie  von  Menschen  und  von  anderem  Schlage 
als  unsere  Waschfrauen  gewesen  sein,  wenn  sich  auch  die  sonstige  Be- 
schränktheit der  Wäscher  in  dem  wohl  sprichwörtlich  gewordenen  Satze 
ausspricht:  „Wenn  der  Esel  auf  die  Leiter  steigen  wird,  wirst  du  Einsicht 
bei  den  Wäschern  finden."  Zugleich  würde  aber  hierdurch  die  angeführte 
Erklärung  Zunzens,  so  geistreich  sie  auch  zu  sein  scheint,  stark  erschüttert. 
—  Es  war  daher  für  mich  von  grossem  Interesse,  bei  meinen  früheren 
kunstgeschichtlichen  Studien  griechischen  Inschriften  zu  begegnen,  in  denen 
gleichfalls  Wäscher  (nicht  Wäscherinnen),  wie  im  Hebräischen  und 
Phönizischen,  ebenso  wie  Ärzte  und  Schauspieler  neben  ihren  Namen  auch 
ihre  geschäftliche  Thätigkeit  namhaft  machen.  Wäscher  aber  waren  für 
Athen,  und  wohl  auch  in  gleichem  Sinne  in  Palästina,  von  grosser  Wichtig- 
keit2). Dabei  bleibe  nicht  verschwiegen,  dass  die  Wäscher  nicht  beständig 
einer  und  derselben  Beschäftigung  oblagen,  wie  aus  einer  Talmudstelle 
hervorgeht  (Baba  bathra  19  a  und  Raschi  daselbst). 

Auch  von  dem  im  nachfolgenden  Geschlechte  lebenden  Bar  Kappara, 
der  überhaupt  als  Dichter  viel  gerühmt  wird,    sind  uns  im  Talmud  einige 


1)  Wohl  eine  runde  Zahl,  vgl.  Landsberger,  d.  F.  d.  S.  XXIV  ff.  A.  IHumenthal, 
R.  Meir,  S.  98,  Anm.  2.  Asarjah  de  Eossi,  Meor  Enajim  {ed.  Wien  1830,  p.  139  b  ff.) 
IV,  20.  B.  Königsberger,  Miscellen  etc.,  No.  XIV  (Jüd.  Litteraturblatt  1891,  No.  44), 
u.  Anm.  6.    Vgl.  noch  Raschi  zu  Sanh.  7b,  Tosephoth  zu  Jebam.  109b  (Stichw.  CTII')- 

2}  Vgl.  meine  oben  (S    147,  Anm.)  erwähnte  Miscelle. 


Aus  dem  Reiche  der  altjüdischen  Fabel.  149 

herrliche  satyrische  Proben  erhalten;  doch  von  seiner  Fabeldichtung  sind 
uns  keine  direkten  Proben  aufbewahrt  geblieben.  Im  Midrasch  Koheleth 
rabbah  zu  1,  3  heisst  es  jedoch:  Einst  veranstaltete  Kabbi  (sc.  Jehudah 
ha-Nassi  I,  der  Redaktor  der  Mischnah)  ein  Gastmahl  zu  Ehren  seines 
Sohnes  (gemeint  ist  die  Hochzeitsfeier,  wie  es  im  Jalkut  Simeoni  z.  St. 
auch  deutlich  heisst:  R.  Simon,  der  Sohn  Rabbis,  heiratete)  und  lud  alle 
Gelehrten  ausser  Bar  Kappara  ein.  Da  ging  dieser  und  schrieb  auf  eine 
Thür  des  Hauses  Rabbis:  „Alle  deine  Freude  führt  zum  Tode;  was  bleibt 
dir  also  von  deiner  Freude?"  Rabbi  aber,  dies  bemerkend,  fragte:  „Wer 
hat  das  gethan?"  Und  die  Gelehrten  erwiderten:  „Bar  Kappara,  den  du 
einzuladen  vergessen!  Es  ist  eine  Schande  für  ihn".  Da  veranstaltete 
Rabbi  ein  zweites  Mahl  und  lud  zu  demselben  ausser  seinen  früheren 
Gästen  auch  Bar  Kappara  ein.  Dieser  aber  erzählte  bei  jeder  Speise,  die 
man  ihm  vorsetzte,  300  Fuchsfabeln,  welche  den  Gästen  so  gut  gefielen, 
dass  sie  die  Speisen  kalt  werden  und  unberührt  liessen.  Als  dies  Rabbi 
bemerkte,  fragte  er  seinen  Tafeldiener:  „Wieso  kommt  es,  dass  die  Speisen 
unberührt  abgeräumt  werden?"  Der  aber  erwiderte:  „Wegen  jenes  Alten, 
der  dort  sitzt  und  bei  jedem  Gericht,  das  aufgetragen  wird,  300  Fuchs- 
fabeln erzählt;  darum  werden  die  Speisen  kalt  und  nicht  gegessen."  Da 
ging  Rabbi  zu  ihm  und  fragte  ihn,  warum  er  nicht  esse.  Bar  Kappara 
aber  antwortete:  „Damit  du  nicht  glaubst,  dass  ich  gestern  jene  Worte 
nur  aus  Verlangen  nach  deinem  Mahle  aufgeschrieben  und  darum  heut 
deiner  Einladung  gefolgt  bin.  Ich  that  es  nur,  weil  du  mich  nicht  mit 
meinen  Genossen  eingeladen".  —  Kurz  sei  darauf  hingewiesen,  dass  auch 
der  in  weit  späterer  Zeit  lebende  R.  Josua  ben  Levi,  einer  der  be- 
deutendsten Agadisten,  einen  wesentlichen  Anteil  an  der  uns  beschäftigenden 
Litteratur  des  jüdischen  Volkes  hat.  Wie  weit  er  jedoch  selbständig  und  nicht 
vielmehr  reproduktiv  thätig  gewesen,  lässt  sich  nach  dem  talmudischen 
Ausspruch;  „Mit  dem  Tode  des  R.  Meir  hörten  die  Fabeldichter  auf" 
(Mischnah  Sota  IX,  15)  nicht  bestimmen.     (Doch  siehe  weiter.)  — 

Greifen  wir  nun  aus  dem  Fabelschatze  der  talmudischen  Litteratur 
Einiges  heraus.  —  Da  wTird  von  R.  Aqiba  erzählt1),  dass  er  trotz  des 
Verbotes  der  römischen  Regierung,  zur  Zeit  der  hadrianischen  Verfolgungen, 
öffentlich  die  Thorah  lehrte.  Pappus  ben  Jehudah,  der  ihn  bei  dieser 
Beschäftigung  antraf,  machte  ihn  auf  das  Gefährliche  seiner  Handlungs- 
weise aufmerksam.  Ich  will  dir  eine  Fabel  erzählen,  entgegnete  R.  Aqiba: 
Einst  bemerkte  ein  Fuchs,  der  am  Ufer  eines  Flusses  spazieren  ging,  wie 
die  Fische  in  grossen  Haufen  von  einer  Stelle  zur  anderen  eilten.  „Warum 
flieht  Ihr?"  rief  er  ihnen  zu.  —  „Wir  fürchten  uns  vor  den  Netzen,  die 
uns  die  Menschen  stellen".  —  „So  kommt  doch  lieber  zu  mir  aufs  Trockene 


1)  Berachoth  61b.     Ein  entsprechendes  Gleichnis  findet  sich  Abodah  zarah  3b.    Vgl 
,  Israelit"  a.  a.  0,  No.   14,  Anm    1. 

10* 


150  Königsberger: 

herauf;  da  können  wir  in  Frieden  bei  einander  wohnen,  wie  einst  auch 
unsere  Väter  friedlich  zusammenlebten".  —  „Bist  Du  wirklich  das  klügste 
unter  den  Tieren,  wie  man  dich  nennt?  Du  bist  nicht  klug,  Du  bist  ein  Thor. 
Wenn  wir  schon  in  unserem  Lebenselement  nicht  sicher  sind,  um  wieviel 
eher  würde  uns  der  Tod  ereilen  an  einem  Orte,  wo  uns  jede  Bedingung 
zum  Leben  fehlt!"  —  Nennen  wir  die  eben  erwähnte  Fabel:  „Der  Fuchs 
und  die  Fische",  die  nächste:  „Der  Fuchs  im  Weinberg":  Ein 
Fuchs  fand  einst  einen  ringsumhegten  Weinberg,  in  dessen  Zaun  er  eine 
Öffnung  bemerkte.  Diese  war  aber  zu  klein,  um  ihn  durchzulassen.  Der 
Schlaukopf  fastet  drei  Tage,  wird  mager  und  schlüpft  hindurch.  Als  er 
sich  aber  an  den  Früchten  des  Weinbergs  gesättigt  hat,  kann  er  nicht 
wieder  heraus,  sodass  ihm,  da  er  sich  vor  der  Gefangennahme  fürchtet, 
nichts  anderes  übrig  bleibt,  als  von  neuem  drei  Tage  zu  fasten  und  wieder 
all  sein  Fett  einzubüssen,  das  er  durch  seinen  diebischen  Frass  gewonnen. 
In  seinem  Galgenhumor  ruft  er  dann  aus:  „Weinberg,  Weinberg!  Wie 
schön  bist  Du  und  wie  herrlich  sind  Deine  Früchte !  Doch  was  bleibt  mir 
davon?"1)  —  Im  folgenden  geiselt  der  erwähnte  R.  Josua  ben  Levi  die 
Unüberlegtheit!  Es  war  einmal  eine  Schlange.  Deren  Schweif  sprach 
zum  Kopfe:  „Bisher  zogst  du  voran;  nun  will  ich  es  thun."  Gesagt,  gethan. 
Doch  bald  führte  der  Schweif  die  Schlange  in  eine  Wassergrube,  bald  ins 
Feuer,  bald  in  ein  stechendes  Dorngestrüpp;  und  dies  waren  die  Folgen 
davon,  dass  der  Kopf  dem  Schweife  folgte2).  —  Ein  Zeitgenosse  des 
genannten  Lehrers,  R.  Judan  bar  Simeon,  bedient  sich  zur  Erläuterung 
seiner  exegetischen  Vorträge  folgenden  Gleichnisses:  Der  Steppenhund 
und  der  Wolf.  Einst  raubte  ein  Wolf  ein  Schaf  aus  einer  Herde.  Ein 
Hund  aus  der  Ferne  sah  dies,  fing  zu  bellen  an  und  wollte  auf  den  Wolf 
einbeissen.  „Warum  streitest  Du  mit  mir"?,  schrie  ihn  der  Wolf  an. 
„Nahm  ich  etwTa  ein  Schaf  von  der  Steppe,  zu  der  Du  gehörst?  Nein! 
nur  von  der  Herde  des  hier  ansässigen  Hirten!  Was  ficht  das  Dich  an?" 
Man  hat  angenommen,  dass  diese  Fabel  einen  Protest  gegen  das  in  jener 
Abhängigkeitsperiode  des  jüdischen  Volkes  um  sich  greifende  Denunzianten- 
wesen bilden  sollte  und  dass,  um  ihm  besseren  Erfolg  zu  verschaffen,  sich 
der  betreffende  Gesetzeslehrer  gerade  dieser  Form  einer  Mahnrede  bediente. 
Aber  es  scheint  bei  strengerer  Einzelprüfung,  dass  die  erwähnte  Fabel  nur 
zur  Erläuterung  der  Bibelexegese  diente.  Lehnt  sie  sich  doch  auch  an 
die  Erzählung  der  hl.  Schrift  von  der  offensiven  Stellung  an,  welcher  der 
Moabiterfürst  Balaq    nach    der  Besiegung  der  ostjordanischen  Könige  ein- 


1)  Koheleth  rabbah  zu  5,  14  (ed.  Wilna  p.  16  c);  mit  einigen  Varianten  Kohel.  suta 
z.  St.  (ed.  Buber  104);  Jalkut  Simeoni  z.  St.  §  972.  Vgl.  Back  a.  a.  0.,  Jahrg.  1880, 
S.  31  ff. 

2)  Deuteronomium  r.  zu  1,  18  (ed.  Wilna  1,  10),  Jalkut  z.  St.  §  802  und  Teil  IT, 
§  961  zu  Sprüche  26,  17.  —  Eine  auf  die  Schlange,  als  Sinnbild  der  Verleumdung,  Bezug 
habende  Parabel  s.  Koheleth  rabb.  zu  10,  11  (Arachin  15b,  Taanith  8a). 


Aus  dem  Reiche  der  altjüdischen  Fahel.  151 

zunehmen  entschlossen  war.  Israel  aber  musste  Balaqs  Beginnen  befremdlich 
erscheinen,  zumal  es  Moabs  Gebiet  —  wie  jener  Wolf  —  gar  nicht  einmal 
zu  betreten  gewillt  war.  —  In  verschiedenen  Variationen  tritt  uns  eine 
Fabel  entgegen,  welche  eine  bescheidene,  ruhige  Thätigkeit  empfiehlt1): 
Einst  sprachen  die  Ströme  zum  Euphrat:  „Warum  fliessest  Du  so  ruhig 
dahin?"  —  „Weil  ichs  nicht  anders  nötig  habe,  denn  an  meinen  Ufern 
gedeihen  die  Saaten  zur  rechten  Zeit  und  in  üppiger  Fülle."  Da  sprachen 
sie  zum  reissenden  Tigris:  „Warum  strömen  Deine  Fluten  so  gewaltig 
aufgeregt  dahin?"  —  „Ach,  möchten  sich  doch  auch  ihre  guten  Wirkungen 
zeigen!",  erwiderte  der  Tigris.  Und  die  Ströme  folgten  dem  Euphrat.  — 
Auch  diese  Erzählung  dürfte  zur  Schriftexegese  für  die  Erklärung  der 
Genesis  2,  14  erwähnten  vier  Ströme  des  Paradieses  oder  zur  Erläuterung 
des  Vorwurfes  der  Voreiligkeit  gedient  haben,  welche  bekanntlich  Jaqob 
vor  seinem  Tode  seinem  ältesten  Sohne  Reuben  machte.  Dass  hierbei 
gerade  Euphrat  und  Tigris  in  den  Kreis  der  Betrachtung  gezogen  werden, 
basiert  darauf,  dass  beide  Ströme  von  jeher  als  die  grossen  bezeichnet 
werden  (Deuter.  1,  7.  Daniel  10,  4).  —  Eine  ähnliche  Lehre  enthält 
folgende  Fabel:  Einst  stritten  Stroh.  Spreu  und  Stoppeln  um  den  Vorrang. 
Ein  jedes  von  ihnen  behauptete,  um  seinetwillen  sei  das  Feld  bepflanzt 
worden.  „Gemach",  rief  ihnen  der  Weizen  zu.  „Warten  wir,  bis  die 
Sense  kommt.  Dann  werden  wirs  erfahren."  Und  der  Schnitter  kam  und 
vollzog  die  Ernte.  Die  Spreu  liess  er  in  den  Wind  fliegen,  das  Struh 
warf  er  zu  Boden  und  die  Stoppeln  verbrannte  er.  Nur  den  Weizen 
sammelte  er  ein  und  verwendete  ihn  zur  Bereitung  des  Mehles2). 

Wir  kehren  von  diesen  beiden  alten  Naturfabeln  zur  Tierfabel  zurück: 
Der  Löwe  und  der  Kranich.  Als  der  kurze  Traum  der  Wiederher- 
stellung des  Heiligtums,  welche  ein  Erlass  des  römischen  Kaisers  (Hadrian) 
genehmigt  hatte,  zu  Ende  war,  und  das  Volk  wegen  der  Zurücknahme 
der  Erlaubnis  sich  offen  zu  empören  drohte,  da  war  es  der  greise  R.  Josua 
ben  Chananjah,  der  Mann  des  Rates  (Tos.  Sota  15,  3,  jerusch.  und  bab.  ib. 
Hnde),  der  die  Aufregung  beschwichtigte  in  einer  Rede,  welcher  er  dir 
genannte  Fabel  zu  Grunde  legte  und  in  der  er  dem  Volke  zu  Herzen 
führte,  dass  sie  froh  sein  dürften,  mit  heiler  Haut  aus  der  Berührung  mit 
dem  römischen  Volke  hervorgegangen  zu  sein  (vgl.  Grätz,  Geschichte  der 
Juden,  IV,  2.  Aufl.,  S.  142.  442):  Einem  Löwen  war  einst  auf  einem  Beute- 
zuge ein  Knochen  in  der  Kehle  stecken  geblieben.  „Wer  mir  denselben 
herauszieht",  rief  er  aus,  „dem  gebe  ich  eine  angemessene  Belohnung." 
Da   kam    der    egyptische  Kranich,    der    einen    langen  Hals   hat,    zog  den 


1)  Genesis  rabhah  IG,  3  (p.  38a),  Koheleth  rabb.  zu  10,  11.    Vgl.  noch  Back  a.  a.  0., 
Jahr-    1870,  S.  V2S  und  130.     Eine  ähnliche  Fabel  daselbst  über  das  Rauschen  der  Bäume. 

2)  Schir   rabb.    zu  7,  3   (p.  36c/d),    Schocher   tob  II,  14   (ed.  Buber  16a,   Note  97), 
Genesis  rabb.  83,  5. 


152  Königsberger: 

Knochen  heraus  und  sprach:  „Gieb  mir  jetzt  meinen  Lohn!"  —  „Freue 
Dich  doch",  vertröstete  ihn  der  aus  der  Gefahr  des  Erstickens  befreite 
Löwe,  „dass  Du  meinem  Rachen  heil  entkommen  bist."1)  — 

Überaus  charakteristisch  für  diese  Gattung  der  Poesie  und  namentlich 
für  die  Erklärung-  dos  Ausdruckes  „Fuchsfabeln"  ist  folgende  Erzählung, 
welche,  wie  aus  den  einleitenden  Worten  zu  schliessen  ist,  ihr  Autor  R.  Levi 
im  Anschluss  an  Gen.  33,  1  in  lebhafter  Bewegung  dem  Volke  vortrug2). 
Er  tritt  sofort  in  die  Erzählung  der  Fabel  ein:  Der  Löwe  zürnte  über  die 
Haus-  und  Waldtiere.  Da  beratschlagten  sie,  wer  ihn  besänftigen  sollte.  So- 
gleich erbot  sich  der  Fuchs  zu  dieser  Sendung;  er  verstünde  300  Gleichnisse, 
durch  deren  Erzählung  er  den  Löwen  besänftigen  wolle.  Kaum  hatte  er 
jedoch  seine  Reise  angetreten,  als  er  stehen  blieb  und  auf  Befragen  seiner 
Begleiter  erklärte,  er  habe  100  Gleichnisse  vergessen.  „Du  wirst  auch 
mit  200  Erfolg  haben",  riefen  sie  ihm  zu.  Kaum  war  er  jedoch  wieder 
aufgebrochen,  als  er  vorgab,  auch  das  zweite  Hundert  vergessen  zu  haben, 
und  als  er  mit  seinen  Genossen  aus  Ziel  kam,  sprach  er,  da  er  Angst 
bekam:  „Ich  habe  alle  Gleichnisse  vergessen.  Ein  jeder  sehe  zu,  wie  er 
den  Löwen  für  seinen  Teil  besänftige."  —  Die  Fabel  dient  zur  Erläuterung 
der  Vorbereitungen,  die  Jaqob  traf,  als  er  auf  der  Rückkehr  von  Laban 
seinem  Bruder  Esau  gegenübertreten  sollte.  Nach  der  Erzählung  der  hl. 
Schrift  mochte  es  auffallen,  dass  Jaqob  zuerst  betete,  alsdann  das  Geschenk 
herrichtete  und  erst  zuletzt  die  eigentliche  Vorbereitung  für  den  eventuellen 
Kampf  traf.  Man  hätte  erwartet,  dass  das  Gebet  alle  Vorkehrungen  für 
das  Zusammentreffen  mit  Esau  beschliessen  würde,  und  deshalb  glaubte 
R.  Levi  die  Reihenfolge  in  der  Handlungsweise  Jaqobs  durch  obiges 
Gleichnis  illustrieren  zu  sollen. 

Als  Sänger  offenbart  sich  uns  der  Fuchs  in  folgender  Fabel:  Einst 
gab,  so  erzählte  R.  Pinchas3),  ein  Löwe  dem  ganzen  Tierreiche  ein  Gast- 
mahl und  liess  zu  diesem  Behufe  die  Decke  seines  Zeltes  mit  den  Fellen 
der  von  ihm  erlegten,  gewaltigsten  Gegner  behängen.  Da  sich  nun  die 
Gäste  freuten,  dass  soviele  ihrer  Todfeinde  erschlagen  waren,  und  sie  sich 
beim  Mahle  an  Speise  und  Trank  gütlich  gethan  hatten,  sprachen  sie: 
„Möchte  uns  doch  jemand  ein  Lied  vortragen!"  und  richteten  ihre  Augen 
auf  den  Fuchs.  Der  aber  sprach:  „Singet  mir  im  Chore  nach,  was  ich 
Euch  vorsinge",  und  indem  er  seine  Augen  nach  der  Decke  richtete,  hub 
er  an:  „Der  uns  die  da  obeu  sehen  liess,  möge  uns  auch  die  der  unteren 
sehen  lassen."  So  hätten  Mordechai  und  seine  Gefährten  gedacht:  Wie 
uns  Gott  das  Hängen  der  Königsverschwörer  Bigthan  und  Theresch  sehen 
liess,    möge  Er  uns  auch  den  Sturz  Hamans  schauen  lassen;    Er,    der  den 


1)  Genes,  rabb.  64  Ende  (Jalkut  I,  §  111),  Tanna  d'be  Elijahu. 

2)  Gen.  rabb.  78,  7  (Jalk.  §  133). 

3)  Estber  rabb.  zu  3,  1  (VII,  3),  Jalkut  z.  St.    (mehr   in  aramäischer  Sprache).    Als 
Autor  der  Fabel  ist  im  Jalkut  irrtümlich  nur  „Rabbi"  genannt. 


Aus  dem  Reiche  der  altjüdischen  Fabel.  153 

ersteren  heimzahlte,  möge  auch  den  letzteren  bestrafen.  —  Jedenfalls  bleibt 
es  beachtenswert,  dass  in  der  vorletzten  Fabel  der  Fachs  selbst  als  Fabel- 
dichter auftritt  und  vorgiebt,  300,  d.  h.  ebensoviele  Fabeln  zu  keimen,  als 
R.  Meir  und  Bar  Kappara  gekannt  haben  sollen.  Entweder  bezeichnete 
man  die  Tierfabeln  als  „Fuchsfabeln",  weil  in  einer  wahrscheinlich  sehr 
geläufigen  Fabel  der  Fuchs  solche  kennt,  oder  man  schrieb  hier  dem 
Fuchs  die  Kenntnis  von  300  Fabeln  —  wohl  einer  runden  Zahl  —  zu, 
weil  man  in  dem  Berichte  von  R.  Meirs  und  Bar  Kapparas  Fabeldichtung 
von  300  Fuchsfabeln  hörte  und  glaubte,  dies  seien  Fabeln,  die  der  Fuchs 
vorgetragen  und  somit  ihm  zuzuschreiben  waren.  Der  ursprüngliche,  um- 
fassende Name  für  derartige  Dichtungen  war  „Maschal". 

Wir  lassen  nunmehr  die  Fabel:  „Der  Esel  als  Zöllner"  und  zwar 
in  der  Lesart  des  handschriftlichen  Midrasch  hagadol  folgen,  welcher,  nach 
einer  Nachricht  aus  Yemen,  von  Abraham,  dem  Sohne  des  Maimonides, 
zusammengestellt  worden  sein  soll1).  Pharao,  so  heisst  es,  wäre  in  seiner 
Verstocktheit  einem  Esel  zu  vergleichen,  welchen  man  als  Aufseher  über 
den  Grenzzoll  gesetzt  hatte,  den  ein  jeder  zu  entrichten  hatte.  Einst  zog 
nun  der  Löwe,  der  König  im  Reiche  der  Tiere,  und  der  Fuchs,  der  klügste 
Bewohner  des  Feldes,  vorüber.  Der  Esel,  seines  Auftrages  eingedenk, 
forderte  auch  von  ihnen  den  Tribut.  „Siehst  du  nicht,  wies  ihn  der  Fuchs 
ab,  dass  du  es  wagst,  an  den  König  selbst  deine  Forderung  zu  richten?" 
—  „Wohl  weiss  ich  es,  erwiderte  der  Esel,  und  dennoch  darf  er  nicht 
weiter  ziehen,  bevor  er  den  Zoll  entrichtet".  —  „Mir  scheint",  mahnte  der 
Fuchs,  „bislang  batest  du  um  den  Zoll,  bald  aber  wirst  du  um  dein  Leben 
bitten.  Lass  also  von  deiner  Forderung  ab,  bevor  der  König  seine  Hand 
nach  dir  ausstreckt".  —  Der  Esel  mochte  nicht  hören.  Da  suchte  ihn  der 
Fuchs  durch  Gestikulationen  und  Stösse  vom  Platze  zu  bringen;  aber  auch 
darauf  wollte  jener  nicht  achten.  Da  sprach  der  Löwe,  zornig  aufblickend: 
„Nicht  will  ich  länger  seine  Thorheit  ertragen!",  warf  den  Esel  zu  Boden 
und  riss  ihn  in  Stücke.  Dem  Fuchs  aber  befahl  er,  ihm  die  Stücke  zum 
Prass  zu  apportieren.  Dieser  aber  hatte  sich  längst  das  Herz  des  Esels 
herausgesucht  und  heimlich  verzehrt,  um  nicht  leer  auszugehen.  Die 
übrigen  Stücke  brachte  er  vor  den  König.  Als  dieser  das  Innere  des  Esels 
untersuchte  und  sein  Herz  nicht  fand,  rief  er  den  Fuchs  zu  sich  heran 
und  fragte  ihn  nach  dem  Verbleibe  des  Herzens.  Der  Fuchs  aber  sprach: 
„Mein  Herr  und  Gebieter!  Ein  Weiser,  wie  Du,  fragt  solches?  Hätte 
jener  ein  Herz  besessen,  wie  hätte  er  es  dahin  kommen  lassen,  dass  er 
wegen  des  Zolles  sein  Leben  verlor?"  Der  überlistete  König  konnte  nur 
die  Worte  des  schlauen  Fuchses  bestätigen a).  —  Die  Pflichttreue  übrigens, 


1)  Vgl.  D.  Ho  ff  mann   in  der  „Jubelschrift  zum  70.  Geburtstage  des  Dr.  J.  Hildes- 
heimer"  (deutsche  Abtlg.  S.  85). 

2)  Vgl.  noch  Jalkut  1,  §  182,  wo  der  Löwe  mit  dem  Fuchs  und  anderen  Tieren  des 
Feldes    eine  Seefahrt  machen  und  den  Hafenzoll  entrichten  sollen.    Back  a.  a.  0.,  Jahr- 


154  Königsberger: 

welche  hier  dem  Esel  nachgerühmt  wird,  äussert  sich  auch  auch  in  der 
talmudischen  Erzählung  (Taan.  23a),  nach  welcher  ein  Langohr  nicht  eher 
in  seinen  Stall  gehen  wollte,  als  bis  ein  Arbeiter  ein  Paar  Schuhe  ab- 
genommen, die  er  auf  dem  Rücken  des  Esels  vergessen  hatte. 

In  einer  gleichfalls  von  den  übrigen  Quellen  abweichenden  Darstellung 
findet  sich  folgende  Fabel  im  Midrasch  hagadol1):  Die  feindlichen 
Brüder.  Einst  war  ein  Hund  mit  einem  Aase  beschäftigt,  als  ein  anderer 
Hund  hinzukam,  um  an  dem  leckeren  Mahle  teilzunehmen.  Doch  jener 
wollte  dies  nicht  zulassen.  Als  aber  ein  Wolf  auf  den  Frass  losstürzte, 
sprach  jener:  „Besser  ich  verzehre  das  Stück  mit  meinem  Genossen,  als 
dass  sich  der  Wolf  alles  nimmt  und  wir  beide  leer  ausgehen".  —  In 
anderer  Fassung2)  lautet  die  Fabel  folgendermassen:  Zwei  Hunde  lebten 
in  gegenseitiger  Feindschaft.  Da  überfiel  ein  Wolf  den  einen  von  ihnen. 
„Besser  ist  es  wohl",  sprach  der  andere,  „ich  komme  meinem  Bruder  zu 
Hilfe;  sonst  tötet  der  Wolf  erst  jenen  und  dann  mich."  —  Wir  gelangen 
nunmehr  zur  Fabel3):  Die  alte  und  die  junge  Eselin  und  das 
Schwein.  Einst  hatte  jemand  eine  alte  und  eine  junge  Eselin  und  ein 
Schwein.  Dieses  bekam  sein  Futter  ohne  Mass,  die  beiden  anderen  aber 
zugemessen.  Da  sprach  die  junge  Eselin  zur  alten:  „Wir,  die  wir  für 
unseren  Herrn  arbeiten  und  ihm  Dienste  leisten,  erhalten  nur  ein  karges 
Mahl,  das  faule  Ferkelchen  aber  ein  reichliches!"  —  „Wenn  die  Zeit 
kommt,  rief  beschwichtigend  die  Alte,  werden  wir  schon  sehen".  Als  der 
nächste  Neumond,  die  Kaienden4)  herankamen,  nahm  man  das  Schwein 
und  stach  es  nieder.  —  Die  Fabel,  welche  den  Sturz  Hamans  illustrieren 
soll,  lässt  die  Berührung  des  jüdischen  Volkes  mit  den  Römern  schon 
durch  den  Ausdruck  erkennen.  Der  Ausdruck  „calendae"  zur  Bezeichnung 
des  Monatsanfangs  gehört  nämlich  dem  römischen  Zeitmesser  an.  Doch 
noch  eins!  Es  ist  eine  Eigentümlichkeit  der  hebräischen  Kunstfabel,  in 
ihren  Vergleichen  zu  allgemein  üblichen  und  bekannten  Bildern  ihre  Zu- 
flucht zu  nehmen.  Wir  werden  diese  Art  der  Dichtung  noch  weiter  kennen 
lernen.  Im  Midrasch  findet  sich  sehr  häufig  das  WTort  „Schwein"  für  Rom. 
Der  geläufige  Name  dieses  Volkes  (Eclom)  führt  uns  auf  seinen  Stamm- 
gang  1880,  S.  75  f.  Es  sei  hier  noch  auf  den  Midrasch  Echah  rahbathi  I,  §  37  (ed.  Wilna 
p.  16  a)  hingewiesen,  wo  es  unter  Hinweis  auf  Ezech.  23,  20  (vgl.  auch  V-  27)  heisst: 
D^H^Ön  iStf  PlTDp  n3D3  D'Hiarta  wo  also  die  Egypter  mit  den  Eseln  verglichen 
werden. 

1)  Ebenso  in  den  beiden  Rezensionen  des  noch  handschriftl.  Midrasch  Hachefez;  vgl. 
meine  Arbeit  im  „Israelit''  a.  a.  0.  No.  42,  Anm.  2.    Vgl.  auch  Sanhedrin  105a. 

2)  Sifre  (cd.  Friedmann  59a)  §157,  Tanchuma  lila  (ed.  Buber  p.  67b),  Numeri  rabb. 
20,  4,  Jalkut  zu  Num.  22,  §  765,  Lekach  tob  z.  St.  (ed.  Wilna)  126a.  Back  a.  a.  0.,  Jahrg. 
1880,  S.  77  f. 

3)  Midr.  Abba  Gorion  (ed.  Buber  p.  10b  f.),  Lekach  tob  zu  Esther  (ed.  Buber  p.  49  a). 
Landsberger,  Fabeln  d.  Sophos,  Einleitung,  XXXV.    Back  a.  a.  0.  102 ff. 

4)  Vgl.  meine  „Miscelle"  No.  XV  (Jüd.  Littbl.  1891,  No.  47)  und  meine  „Litter. 
Notiz"  ebenda  No.  52,  sowie  meinen  Aufsatz:  „Neujahrsfeste  in  jüd.  Quellen"  in  Brüll, 
Popul.-wissensch.  Mtsbl.  1896. 


Aus  dem  Reiche  der  altjüdischeu  Fabel.  155 

vater  Esau  zurück.  Nun  war  aber  (Gen.  36,  12)  auch  Amalek,  von  dem 
Haman  abstammte,  ein  Enkel  Esaus,  und  so  konnte  die  Fabel  für  Haman 
dasselbe  Bild  gebrauchen,  das  sonst  für  Edoni  =  Rom  gebräuchlich  war. 
—  Während  nun  die  vorgenannte  Fabel  vor  einem  vorschnellen  Pessi- 
mismus warnt,  dürfte  sich  der  folgenden,  welche  ich  bisher  nur  im  Alidrasch 
hagadol  fand;,  eine  Mahnung  gegen  einen  voreiligen  Optimismus  entnehmen 
lassen.  —  Anschliessend  an  die  Handlungsweise  des  Juda,  eines  der  Söhne 
Jaqobs,  der  sich  aus  der  Schar  der  selbst  von  Esau  verschmähten  Kana- 
niterinnen  eine  Frau  nahm1)  und  nachher  ausser  anderer  Pein  auch  den 
Verlust  seiner  beiden  ersten  Söhne  zu  verschmerzen  hatte,  bemerkt  der 
Midrasch:  Dies  gleiche  dem  Hunde,  der.  an  einem  Aase  vorübergehend, 
an  diesem  riecht  und  es  nicht  essen  mag,  während  der  Löwe,  d.  i.  Juda 
(Gen.  4!),  9),  von  demselben  ass.  Da  hüben  alle  an  und  riefen:  „Was  der 
Hund  nicht  verzehren  mochte,  frass  der  Löwe!"  —  Der  durstige  Wolf. 
Ein  W^olf  hatte  grossen  Durst.  Im  Begriff  in  eine  nahegelegene  Quelle 
hinabzusteigen,  um  denselben  zu  löschen,  sieht  er.  dass  diese  mit  einem 
Netze  umgeben  ist.  „Steig*  ich  herab",  ruft  er  verzweifelt  aus.  „so  bin  ich 
gefangen;  wenn  nicht,  so  sterV  ich  vor  Durst2)."  —  Indem  diese  Fabel 
gleichfalls  an  die  Geschichte  Hamans  angeschlossen  wird  und  uns  die  Lage 
schildern  soll,  in  der  sich  Mordechai,  der  Vetter  der  Königin  Esther, 
befand,  als  er  vor  die  Alternative  gestellt  war,  sich  entweder  vor  Haman 
zu  bücken  und  seinen  Gott  zu  verleugnen  oder  jenen  zu  verachten  und 
sich  der  Gefangennahme  und  Hinrichtung  auszusetzen,  lehrt  sie  den  Hörer 
durch  die  Zurückhaltung  des  zaudernden  Wolfes,  welcher  davor  zurück- 
schreckt, zur  Quelle  hinabzusteigen,  ilass  der  Glaube  höher  zu  schätzen 
sei  als  der  Genuss  des  Lebens  and  <lass  jener  .diesem  nicht  geopfert  werden 
dürfe.  —  Dass  zur  Charakteristik  Mordechais  der  Wolf  gewählt  wird,  hat 
seine  Erklärung  darin,  dass  er  (Esther  2,  5)  dem  Stamme  Benjamin  an- 
gehörte, der  im  Segen  des  Stammvaters  Jaqob  (Gen.  49,  27)  mit  dein 
Wolfe  verglichen  wird.  —  Die  gleiche  Tendenz  spiegelt  sich  auch  in 
folgender  Fabel  wieder,  welche  wir  „Zwischen  zwei  Feuern"  benennen 
wollen  und  nach  der  herrlichen  Fassung  im  Midrasch  hagadol  (und  Midr. 
hachefez)  zu  Exod.  14,  13  wiedergeben3).  (Auch  das  Targum  zum  Hohen- 
liede  zu  2,  14  führt  sie  ausführlich  an):  Als  Israel,  von  den  Bgyptern  ver- 
folgt, am  Rande  des  roten  Meeres  stand,  da  glich  es  einer  Taube,  die,  vor 
einem  jungen,  kräftigen  Sperber  fliehend,  in  einen  Felsenspalt  gerät,  auf 
dessen  Boden  eine  Schlange  lagert.  Dadriunen  kann  sie  nicht  bleiben  — 
wegen  der  Schlange;  doch  auch  heraus  darf  sie  nicht  —  wegen  des  Sperbers. 


1)  Genes.  38,  1  f .    Vgl.  jedoch  Pesachim  30  a,  Talkut  §  145. 

2)  Midr.  Abba  Gorion  p.  IIb  (vgl.  Ann.  32),  Lekach  tob  (p.  49  a).    Back  105  f. 

3)  Mechilta  Beschallach  §  2  (ed.  FriedmaDn  28  b),  Midi-,  ponim  acher.  (ed.  Buber)  28  a 
(Note  6),  Jalkut  zu  Esther  §  1045,  Targum  zu  Hohesl.  2,  11,  Schir.  rabb.  z.  St.,  Jalkut 
zu  Exod.  §  232. 


156  Königsberger: 

Da  schlägt  sie  in  ihrer  angstvollen  Verzweiflung  laut  mit  ihren  Flügeln, 
um  durch  das  Geräusch  ihren  Herrn  herbeizulocken,  dessen  Käfig  sie  ent- 
flohen, damit  er  herbeikomme  und  sie  rette.  —  Ähnlich  ist  folgende  Fabel, 
welche  unter  Bezugnahme  auf  die  gleiche  Lage  des  israelitischen  Volkes 
von  Ps.  124,  7  angeführt  wird  (Exod.  rabb.  20,  6):  Eine  Taube,  die  in 
ihrem  Neste  sitzt,  sieht  eine  Schlange  zu  sich  emporklimmen.  Um  sich  zu 
retten,  flüchtet  sie  in  einen  anderen  Winkel;  die  Schlange  aber  dringt  in 
das  Nest  ein.  Bald  aber  fängt  das  Nest  Feuer;  die  Taube  entflieht  eilig, 
während  die  Schlange  verbrennt.  Da  die  Taube  in  ihrer  Angst  weiter 
hin-  und  herfliegt,  ruft  man  ihr  zu:  Warum  eilst  du  unaufhörlich  von  Ort 
zu  Ort?  Und  die  Taube  findet  wirklich  ein  schönes,  geräumiges  Nest  und 
lässt  sich  darin  nieder.  — 

Bezeichnend  für  den  dem  Judentume  zu  Grunde  liegenden  Idealismus 
und  seinen  Hang  an  geistigen  Bestrebungen,  im  Gegensatze  zur  materia- 
listischen Anschauungsweise  des  alten  Römerreiches,  ist  die  nachfolgende 
Erzählung1)  vom  „Streit  der  Glieder":  Ein  König  lag  einst  krank 
darnieder,  und  die  Ärzte  verordneten  ihm  als  einziges  Heilmittel  die  Milch 
einer  Löwin.  Bald  erbot  sich  auch  ein  Mann,  dieselbe  zu  beschaffen,  wenn 
man  ihm  zehn  Zicklein  mitgäbe.  Mit  diesen  machte  er  sich  auf  und 
begab  sich  in  die  Höhle,  wo  eine  Löwin  ihre  Jungen  säugte.  Durch  das 
Vorwerfen  der  Ziegen  hatte  er  sich  die  Löwin  bald  zutraulich  gemacht, 
und  so  gelang  es  ihm,  ihr  die  nötige  Milch  zu  entziehen.  Auf  dem  Rück- 
wege verfiel  er  in  einen  tiefen  Schlaf  und  hatte  folgenden  Traum:  Die 
Glieder  seines  Körpers  stritten  um  den  Vorrang.  Zuerst  nahmen  ihn  die 
Füsse  für  sich  in  Anspruch:  denn  wären  sie  nicht  hingegangen,  so  hätte 
ihr  Herr  die  Milch  nicht  bringen  können.  Sodaun  erklärten  sich  die 
Hände  als  die  vorzüglichsten  Teile,  da  sie  die  Milch  abgezogen;  hernach 
die  Augen,  die  ihm  den  Weg  gezeigt,  und  schliesslich  das  Herz,  das  ihm 
den  guten  Gedanken  eingegeben.  Da  rief  ihnen  die  Zunge  zu:  „Ohne 
mich  wäre  es  gar  nicht  so  weit  gekommen!  Ohne  mich  hätte  unser  Herr 
gar  kein  Anerbieten  machen  können!"  —  Alsbald  entgegneten  ihr  ein- 
stimmig alle  Glieder:  „Wie  kannst  Du  es  überhaupt  wagen,  Dich  mit  uns 
zu  vergleichen?  Du,  die  Du  innen,  in  einem  finsteren  Räume  eingeschlossen 
und  nicht  einmal  mit  einem  Knochen  gebaut  bist?"  —  „Noch  heute",  er- 
widerte die  Zunge,  „sollt  Ihr  erfahren,  dass  ich  Eure  Königin  bin!"  — 
Der  Mann  erwachte  durch  den  Streit  der  Glieder,  machte  sich  wieder  auf 
den  Weg  und  trat  schliesslich  vor  den  König  mit  den  Worten:  „Hier  ist 
die  Milch  einer  Hündin!"  (Er  stotterte  und  sagte  anstatt  lebija,  „Löwin", 
kalebija,  „Hündin".)  Der  König,  über  diese  freche  Täuschung  entrüstet, 
befahl,  den  Mann  aufzuhängen.     Als  dieser  zur  Richtstätte  geführt  wurde, 


1)  Schocher  tob  (ed   Buber  p.  128a)  zu  Ps.  39.    Vgl.  Jalkut  II,  §  721.    Back,  Jahr- 
gang 1880,  S.  107  ff. 


Aus  dem  Reiche  der  altjüdischen  Fahel.  157 

weinten  alle  Glieder  bitterlich.  Da  rief  ihnen  die  Zunge  zu:  „Wollet  Ihr 
mich  als  Königin  anerkennen,  wenn  ich  Euch  rette?"  Hoffnungsvoll  willigten 
die  Glieder  ein.  So  liess  sie  sich  von  ihnen  zum  Könige  zurückführen.  — 
„Warum  befahlst  Du,  mich  zu  hängen?"  sprach  sie  zu  diesem.  —  „Brachtest 
Du  mir  doch  Milch  von  einer  Hündin,  um  meinen  Tod  zu  beschleunigen", 
erwiderte  der  König  in  seinem  Zorne.  —  „Nicht  so,  o  König!  Es  ist  die 
richtige  Milch,  die  Dich  heilen  soll;  nur  nannte  ich  irrtümlich  die  Löwin 
Hündin!"  —  Als  man  nun  die  Milch  untersuchte,  bestätigten  sich  des 
Mannes  Worte  und  er  war  gerettet.  —  Sei  es  nun,  dass  in  dieser  Erzählung 
die  Macht  der  Zunge  und  somit  die  Wahrheit  des  salomonischen  Spruches: 
„Tod  und  Leben  sind  in  der  Gewalt  der  Zunge"  (Spr.  18,  21)  dargelegt 
und  das  Organ  der  Sprache  als  die  Krone  des  Lebens  gepriesen  werden 
oder  unter  ironischer  Verhöhnung  desselben  das  am  meisten  hervorgehobene 
Herz,  nach  alter  Anschaung  der  Sitz  des  Verstandes,  zur  Geltung  kommen 
soll,  so  bleibt  es  doch  immerhin  beachtenswert,  dass  die  jüdische  Phantasie 
die  Werkzeuge  des  Geistes  in  den  Vordergrund  stellt,  während  die  bereits 
angedeutete  römische  der  sinnlichen  Ernährung  das  Vorrecht  zuspricht. 
Es  ist  ja  zur  Genüge  jene  Fabel  bekannt,  welche  Menenius  Agrippa  an- 
wendete, um  das  römische  Volk,  das  in  selbstbewusstem  Auflehnen  gegen 
die  übermütigen,  reichen  Patrizier,  diese  im  Stich  lassen  wollte  und  aus 
Rom  auswanderte,  zu  besänftigen  und  zur  Rückkehr  zu  bewegen  (LiviusII,  32). 
Es  war  die  bekannte  Erzählung  vom  Magen  und  den  Gliedern.  Jener 
Römer  verwies  darauf,  dass  ohne  materielle  Nahrung  kein  Fortkommen 
sei,  und  diese  biete  ihnen  Rom;  die  jüdische  Dichtung  aber  giebt 
dem  Geiste,  bezw.  dessen  Organen  den  Vorzug.  — Wir  wollen  noch 
darauf  hinweisen,  dass  in  der  letzterwähnten  Erzählung  das  Wesen  der 
Fabel  mit  einer  Erzählung  aus  dem  alltäglichen  Leben  des  Menschen,  die 
allerdings  märchenhaft  klingt,  verbunden  ist.  Es  zeigt  sich  uns  hierdurch 
deutlich  der  Übergang  von  der  Parabel  zur  Fabel.  Wir  sehen  wirkliche 
Verhältnisse  mit  Fabelhaftem  vereinigt,  und  zwar  in  poetischer  Kunst- 
fertigkeit, indem  der  Dichter  Phantasie  und  Wirklichkeit  im  Reiche  der 
Träume  zusammenführte.  Das  Problem  erwies  sich  jedoch  in  der  Durch- 
führung als  überaus  schwierig;  denn  bei  der  Rettung  des  Mannes  durch 
die  Zunge  hätte  jener  folgerichtig  wieder  in  Schlaf  verfallen  müssen.  — 
Als  Gegenstück  in  vorgenannter  Erzählung  sei  folgende  Fabel  angeführt, 
die  sich  an  vielen  Stellen1)  findet  und  hier  nach  dem  Midrasch  hagadol 
(zur  Genesis)  angeführt  sei:  Der  Mund  und  der  Magen.  Einst  stritten 
Mund  und  Magen  mit  einander.  Da  sprach  der  Mund  zum  Magen:  „Sieh 
her!     Alles,    was  ich  erhalten,    gab  ich  Dir   willig  hin."     Darauf  dieser 


1)  Genes,  rahb.  100,  7.  Kohel.  rahb.  zu  12,  6.  Jer.  Moed  Qatan  82b,  ib.  Jebam.  15  c, 
Jalk.  zu  ffiob  14  (§  907)  und  zu  Maleachi  2  (§  587).  Die  Fabel  ist  angelehnt  an  Koh.  12,  6 
und  Mal.  2,  3. 


158  Königsberger: 

erbost  nach  der  Tage  Dreizahl  dem   Munde  vorwarf,  was  er  ihm  gegeben. 
„Hier  hast  Du,  Thor,  was  Du  mir  schier  gegeben!" 

Wir  haben  hier  noch  eine  vollständige  Fuchsfabel  zu  besprechen, 
welche  bereits  wiederholt  Gegenstand  der  Erörterung  gewesen.  Einer  der 
angesehensten  talmudischen  Gewährsmänner,  R.  Jochanan,  rühmt,  wie  wir 
gesehen,  von  dem  bereits  genannten  R.  Meir  300  „Fuchsfabeln",  von  denen 
aber  nur  drei  auf  die  Nachwelt  gekommen  wären1).  Nach  altem  Brauche 
dienten  auch  sie  zur  Erklärung  biblischer  Erzählungen  und  Sentenzen. 
Ihnen  liegen  folgende  drei  Schriftverse  zu  Grunde:  1.  „Die  Väter  essen 
saure  Trauben  und  den  Söhnen  werden  die  Zähne  stumpf"  (Ez.  18,  2); 
2.  „Richtige  Wage,  richtiges  Gewicht"  (Lev.  19,  36)  und  3.  „Der  Gerechte 
wird  aus  seiner  Gefahr  gerettet,  und  es  tritt  der  Bösewicht  an  seine  Stelle" 
(Spr.  11,  8).  —  Nach  einem  Berichte  des  Gaon  Hai2),  des  letzten  Schul- 
oberhauptes in  Pumbeditha  in  Babylonien  (969— 1038)  hatte  sich  nur  eine 
dieser  drei  Fabeln  bis  auf  seine  Zeit  erhalten.  Sie  hatte  folgenden  Wort- 
laut: Der  Fuchs  sprach  zum  Löweu^  der  ihn  verzehen  wollte:  „Was  hast 
Du  an  mir,  um  Deinen  Hunger  zu  stillen?  Komm,  ich  will  Dir  einen 
fetten  Menschen  zeigen;  den  kannst  Du  zerreissen,  und  Du  wirst  von  ihm 
satt  werden."  Der  Löwe  war  damit  zufrieden,  und  der  Fuchs  führte  ihn 
an  den  Rand  einer  verdeckten  Grube.  Auf  der  gegenüber  liegenden  Seite 
sass  ein  Mensch  und  betete.  Sobald  ihn  der  Löwe  erblickte,  sprach  er 
zum  Fuchse:  „Ich  fürchte  des  Menschen  Gebet;  es  könnte  mir  schaden!" 
—  „Weder  Du,  noch  Dein  Sohn",  beruhigte  ihn  der  wieder  ängstliche 
Fuchs,  „braucht  sich  zu  fürchten,  wenn  Du  Unrecht  thust;  erst  an  Deinem 
Enkel  wird  sich  die  Sünde  rächen.  Stille  nur  jetzt  Deinen  Hunger;  bis 
zu  Deinem  Enkel  ist  es  noch  lange  Zeit!"  Der  Löwe  Hess  sich  bethören, 
wollte  über  die  Grube  springen  und  stürzte  hinein.  Jetzt  trat  der  Fuchs 
zu  ihm  an  den  Rand  der  Grube  und  blickte  zu  dem  Gefangenen  hinunter. 
„Sagtest  Du  mir  nicht",  jammerte  der  Löwe,  „dass  die  Strafe  nicht  den 
Sünder,  sondern  erst  seinen  Enkel  trifft?"  —  „So  ist  es  auch",  erwiderte 
der  Fuchs;  „aber  schon  Dein  Grossvater  hat  wohl  gesündigt,  und  Du  musst 
es  nun  büssen."  —  Da  wehklagte  der  Löwe:  „Die  Väter  essen  saure 
Trauben,  und  den  Söhnen  werden  die  Zähne  stumpf!"  —  „Ja,  daran  hättest 
Du  früher  denken  sollen",  entgegnete  ihm  der  Fuchs.  —  Der  bald  nach 
Gaon  Hai  lebende,  wohlbekannte,  grosse  Bibel-  und  Talmudkommentator 
Raschi  (1040—1106)  weiss  von  dieser  Fabel  nichts,  hält  sich  vielmehr  an 
den  Wortlaut  des  Talmud,  indem  er  unter  Anführung  vorgenannter  drei 
Bibelverse  eine  doppelte  Fabel  anführt3).     Er  berichtet  (Sanh.  39a):  Einst 

1)  Sanh.  38  b  f. 

2)  S.  Gutachten  der  Geonim,  ed.  Harkary,  S.  183,  No.  362:  desgl.  ed.  Lyck  1864, 
No.  30  und  Arukh  s.  v.  maschal2.  E.  Chananel  (zu  Sanh.)  weiss  nur  von  einer,  an 
Ez.  18,  2  sich  anlehnenden  Fabel,  die  er  als  bekannt  voraussetzt. 

'  3)  Auch  der  jüdische  Apostat  und  Täufling  Petrus  Alfonsi  (bis  1106  Moses  Hispanus) 
führt  in  seiner  lateinisch  geschriebenen  Disciplina  clericalis,  in  der  ein  Vater  seinem  Sohne 


Aus  dem  Reiche  der  altjüdischen  Fabel.  159 

überredete  der  Fuchs  den  Wolf,  mit  ihm  am  Rüsttage  des  Sabbaths  einen 
jüdischen  Hof  zu  betreten  und  dort  gemeinsam  mit  den  Bewohnern  des 
Hauses  (für  sich)  Speisen  zu  bereiten,  damit  sie  dieselben  am  Sabbath  in 
aller  Ruhe  verzehren  könnten.  Kaum  war  aber  der  Wolf  in  den  Hof 
eingetreten,  als  Leute  herbeieilten,  ihn  mit  ihren  Stöcken  bearbeiteten 
und  in  die  Flucht  jagten.  Erzürnt  wollte  der  Wolf  den  schlauen  Fuchs 
töten.  Der  aber  sprach,  sich  rechtfertigend:  „Nicht  um  Deinetwillen  schlug 
man  Dich,  sondern  wegen  Deines  Vaters,  der  einmal  den  Leuten  bei  der 
Zubereitung  der  Speisen  Hilfsdienste  leisten  sollte  uud  alle  fetten  Bissen 
verschlang".  —  „Und  zur  Sühne  für  meines  Yaters  Vergehen  soll  ich 
leiden?"  —  „So  ist  es",  erwiderte  der  Fuchs;  „die  Täter  essen  saure 
Trauben,  und  den  Söhnen  werden  die  Zähne  stumpf!  Doch  komm  mit 
mir,  und  ich  werde  Dich  an  einen  Ort  führen,  wo  Du  Speise  und  Trank 
im  Überfiuss  haben  sollst".  —  Und  der  Fuchs  führte  den  Wolf  an  einen 
Brunnen,  an  dessen  Rand  ein  Balken  mit  zwei  Schöpfeimern  lag.  Der 
Fuchs  sprang  in  den  oberen  Eimer  hinein  und  fuhr  in  die  Tiefe,  während 
der  andere  Eimer  in  die  Höhe  schnellte.  „Warum  bist  Du  hinabgestiegen?" 
fragte  neugierig  der  Wolf.  —  ..Ich  habe  hier  Fleisch  und  Käse  in  Menge", 
sagte  der  Fuchs  und  zeigte  ihm  im  Wasser  das  Spiegelbild  des  Mondes, 
das  einem  grossen,  runden  Käse  glich.  Nun  wollte  der  Wolf  hinabsteigen. 
Auf  den  Rat  des  Fuchses  sprang  er  in  den  leeren  Eimer  und  sofort  stieg 
der  untere  mit  dem  Fuchs  wieder  empor.  —  „Wie  komme  ich  jetzt  wieder 
hinauf?"  schrie  ängstlich  nach  einer  Weile  der  enttäuschte  Wolf.  Doch 
höhnisch  antwortete  ihm  der  Fuchs:  „Der  Gerechte  wird  aus  der  Not 
gerettet  und  der  Frevler  tritt  an  seine  Stelle.  Heisst  es  nicht  auch: 
Gerechte  Wage,  gerechtes  Gewicht?"  —  Da  nun.  wie  wir  sehen,  der 
zweite  Teil  der  Fabel  mit  zwei  Bibelversen  schliesst,  deren  letzter  nur 
lose  anzuhängen  scheint,  so  versucht  ein  Erklärer  des  Talmuds,  R.  Samuel 
Edels  aus  Posen  (gest.  1631),  den  Inhalt  der  Fabel  in  geistreicher  Weise 
zu  ergänzen.  Nach  ihm  hätte  der  Fuchs  beim  Hinabsteigen  in  den  Brunnen, 
um  auch  gegen  eine  etwaige  Weigerung  des  Wolfes  geschützt  zu  sein,  in 
den  anderen  Eimer  einen  Stein  gelegt,  der  schwerer  als  er,  der  Fuchs, 
war,  und  in  seinen  eigenen  Eimer  einen  zweiten  Stein,  der  wieder  zusammen 
mit  ihm  schwerer  als  der  erste  Stein  war.  Wäre  nun  der  Wolf  nicht 
hineingesprungen,  so  hätte  der  Fuchs  den  kleineren  Stein  aus  seinem 
Eimer  in  den  Brunnen  geworfen  und  wäre  dann  wieder  in  die  Höhe 
gekommen.  Darauf  bezögen  sich  die  Worte:  Richtige  Wage,  richtiges 
Gewicht1).  — 


Lebensregeln  in  Form  von  Fabeln  giebt,  unter  No.  24  (ed.  Schmidt  p.  68)  eine  Fabel  an, 
welche  mit  Raschids  Worten  fast  wörtlich  übereinstimmt. 

1)  Vgl.  noch  Back  a.  a.  0.,  Jahrg.  1880,  S  10,  Ann),  und  meine  Arbeit  im  „Israelit", 
No.  94,  S    1802b  f. 


160  Königsberger:  Aus  dem  Reiche  der  altjüdischen  Fabel. 

Die  Angabe  in  letzterwähnter  Fabel,  dass  der  Fuchs  dem  Wolfe  das 
im  Wasser  sichtbare  Spiegelbild  des  Mondes  gezeigt,  veranlasst  mich,  den 
Rest  einer  allbekannten  Fabel  anzuführen,  der  mir  nur  im  Midrasch  hagadol 
(zu  Numeri)  begegnete:  Ein  ehebrecherisches  Weib  gleicht  einem  Vogel, 
der,  ein  Stück  Brot  im  Munde  haltend,  zur  Höhe  enporfliegt  und  unter 
sich  den  Schatten  seines  Bissens  sieht,  der  ihm  grösser  zu  sein  scheint, 
als  sein  Besitz.  Begierig,  das  grössere  Stück  zu  erhaschen,  lässt  er  das, 
welches  er  im  Munde  hat,  fallen,  ohne  jedoch  das  andere  zu  erlangen.  — 
Schliesslich  sei  nur  noch  folgende  Fabel  erwähnt1):  Ein  Sisyphusvogel. 
Ein  Vogel  hatte  sich  am  Strande  des  Meeres  sein  Nest  gebaut,  Als  aber 
einmal  das  Meer  über  seine  Ufer  trat,  ward  des  Vogels  Nest  überschwemmt. 
Der  aber  verzweifelte  darob  nicht,  sperrte  vielmehr  sein  Schnäbelchen  auf 
und  warf  jedes  einzelne  aufgeschnappte  Schlückchen  Wasser  auf  das 
Trockene.  Sein  Nachbar,  der  sein  mühevolles  Treiben  beobachtete,  fragte 
ihn  neugierig:  „Womit  mühst  Du  Dich  ab?"  —  „Nicht  will  ich",  erwiderte 
jener,  „von  hier  weichen,  als  bis  ich  das  Meer  in  trocknes  Land  umge- 
wandelt". —  „Da  darfst  Du  lange  warten,  Du  grosser  Thor!" 

Noch  eine  Reihe  anderer,  sogenannter  heiliger  Fabeln,  welche  zur 
Erläuterung  des  Schrifttextes  dienen,  sei  hier  erwähnt.  So  z.  B.  1.  Der 
Mond  vor  Gott,  sich  darüber  beklagend,  dass  er  nur  in  der  Nacht  die 
Herrschaft  am  Firmament  führen  solle.  2.  Die  Sonne  und  der  Mond 
als  Anwälte  Mosis  bei  dessen  Bestrafung;  sie  wollen  ihre  Funktionen 
in  der  Welt  einstellen,  wenn  Gott  ihren  Klienten  (Moses)  nicht  zur  Recht- 
fertigung zulasse.  3.  Noah  und  der  Rabe,  der  seinen  Herrn  darüber 
zur  Rede  stellt,  dass  er  nach  der  Sintflut  gerade  ihn  und  nicht  einen  der 
reinen  Vögel  zur  Kundschaft  ausgesandt,  u.  a.  m.  Interessant  ist  besonders 
das  Alphabet  vor  Gott.  Ein  jeder  der  Buchstaben  sucht  für  sich  den 
Ruhm  aus  dem  Vorrecht  herzuleiten,  als  Mittel  und  Werkzeug  bei  der 
Schöpfung  zu  dienen.  Alle  werden  abgewiesen.  Nur  das  Aleph  hatte 
geschwiegen.  Und  Gott  tröstete  den  einsamen,  sich  ohnmächtig  fühlenden 
Buchstaben,  indem  er  die  Einheit  seiner  Zahlengrösse  mit  seiner  eigenen 
der  göttlichen  Einheit  vergleicht. 

In  aller  Kürze  sei  noch  darauf  hingewiesen,  dass  wir  in  den  altjüdischen 
Litteraturwerken  gar  häufig  einer  Symbolisirung  der  einzelnen  Völker  be- 
gegnen, indem  diese  bald  Tieren,  bald  Pflanzen,  bald  Mineralien  ver- 
glichen werden,  so  Syrien  einer  Ziege,  Persien  einem  Widder,  Israel 
einer  Taube,  Egypten  bald  dem  Fuchs,  dem  Hunde,  bald  Stoppeln  und 
anderen  Dingen.  Das  ist  ein  hervorragender  Beweis  für  den  überaus 
phantasievollen  Geist    der  Orientalen  und  liefert    einen    charakteristischen 


1)  Midr.  Abba  Gorion  p.  12a,  Lekach  tob  zu  Esther  p.  49b,  Midr.  ponim  acher.  23b 
(der  Autor  ist  R.  Levi).  Ähnlich  ist  die  Erzählung  (Abodah  zarah  ;50a),  nach  welcher 
eine  Schlange  Wasser  in  eine  Flasche  schüttet,  damit  der  Wein  in  derselben  in  die  Höhe 
steige  und  sie  ihn  trinken  könne. 


Köhler-Bolte :  Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten  sicilianischen  Märchen.      161 

Anhaltspunkt  für  die  kritische  Beurteilung  der  Entstehung  der  Fabeldichtung. 
Wir  haben  gesehen,  dass  ihr  heut  nur  noch  fragmentarischer  Charakter 
reichhaltig  genug  ist,  um  zu  zeigen,  wie  lebhaft  sich  die  altjüdische  Ge- 
lehrtenwelt für  diesen  Dichtungszweig  erwärmte,  zumal  er  einen  hohen 
pädagogischen  Wert  aufwies,  und  in  diesem  einzigen,  erziehlichen 
Streben  lebten  die  Weisen  der  altjüdischen  Vergangenheit.  Und  wie  hoch 
auch  das  Studium  des  Gesetzes  angeschlagen  wurde,  so  standen  doch  die 
hervorragendsten  Gelehrten  jener  Zeit  nicht  an,  auch  die  Bedeutung  der 
Fabeldichtung  zu  schätzen  und  diese  für  ihre  belehrenden  Vorträge  zu 
verwenden. 

Pasewalk. 


Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten 
sicilianischen  Märchen. 

Nachträge  aus  dem  Nachlasse  Reinhold  Köhlers,    herausgegeben   von  ,T.  ßolte. 

(Schluss  von  Zeitschrift  VI,  58—78.) 


50.    Vom  klugen  Bauer. 

[Übersetzt  bei  Crane  No.  107.  Pitre  4,  270,  No.  297.  Romania  3,  185. 
Nicolas  de  Troyes,  Parangon  de  nouvelles  No.  22.  Comparetti,  Virgil  im 
Mittelalter,  S.  274.  Germania  24,  133.  H.  Sachs,  Schwanke  No.  32t). 
Oesterley  zu  Gesta  Romanorum  No.  57.  Novelle  antiche  ed.  Papanti  1871 
No.  6.  C.  Casalicchio,  L'utile  col  dolce,  Napoli  1G87,  1,  5,  2  =  Utile  cum 
dulci,  d.  i.  Anmutige  hundert  Historien  übersetzt,  Augsburg  1706,  1,  No.  42.] 
Les  recreations  fraucaises  2,  157  (1658)  =  2,  107  (1662)  =  2,  111  (1681) 
,D'un  paysan  qui  confondoit  la  doctrine  des  plus  scavans'  [=  M.  de  Roque- 
laure,  Roger  Bontems  en  belle  humeur  1,  175  ed.  1757  =  Amusemens 
francois  ou  contes  ä  rire.  Venise  1752,  2,  244].  Revue  des  langues  romanes 
31,  565  —  568:  „Cinq  sous  que  je  mange  chaque  jour"  (paye,  prete,  ne  sais 
ou  diable  ils  passent,  d.  h.  für  Eltern,  Kinder,  Steuern).  —  W.  C.  Smyth, 
The  Persian  Moonshee  1840,  Story  21  (Sechs  Brote:  eins  behalten  =  essen, 
eins  wegwerfen  =  der  Schwiegermutter  geben,  zwei  zurückgeben  =  den 
Eltern,  zwei  ausleihen  =  den  Söhnen  geben).  —  Steere,  Swahili  tales  p.  296 
(Ali  hat  sein  Vermögen  in  vier  Teile  geteilt:  einen  ins  Meer  geworfen 
=  an  Frauen  verschwendet,  einen  ins  Feuer  gethan  =  für  Nahrung  und 
Kleidung  verwendet,  einen  ausgeliehen,  ohne  wieder  zu  bekommen  =  seiner 
Frau    eine  Ausstattung    gegeben,    mit  einem  eine  Schuld  teilweise  bezahlt 


162  Köhler-Bolte: 

=  seiner  Mutter  gegeben).  —  Hebel,  Werke  1^  204  ed.  1869:  Kindesdank 
und  Undank  (Fürst  und  Landmann.  15  Kreuzer  täglich:  1/3  für  sich,  J/3 
alte  Schulden  =  an  die  Eltern,  1/a  auf  Kapital  angelegt  =  an  die  Kinder). 
-  Dorfzeitung  (Hildburghausen)  1889,  No.  32  (Friedrich  der  Grosse  und 
Bauer.  8  Groschen  täglich:  2  für  sich  und  seine  Frau,  2  für  alte  Schulden, 
2  ausgeliehen  ■■=  an  die  Kinder,  2  um  Gotteswillen  verschenkt  =  an  zwei 
kranke  Schwestern).  —   Feilberg,  Fälleskab,  S.  281. 

[Zum  Rätsel  von  den  Erbsen  und  Tauben:  Schwartz,  Sagen  und  alte 
Geschichten  der  Mark  Brandenburg  1871,  S.  55.] 

51.    Vom  singenden  Dudelsack. 

[Pitre  No.  79.  Crane  p.  40.  336.  Ive  JSTo.  3.  Andrews  No.  31. 
Pineau  p.  81.]  Cosquin  No.  26.  [Köhler,  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  2,  350  f.] 
Carnoy  236.  Sebillot,  Contes  des  provinces  de  France  No.  22.  Archivio 
3,  371,  No.  9.  Giamb.  Basile  4,  25.  Braga  No.  54.  Biblioteca  de  las 
trad.  pop.  esp.  1,  196.  Leite  de  Vasconcellos  125  f.  Joos,  Vertelsels  van 
het  vlaamsche  volk  1889-90,  2,  No.  3.  De  Gubernatis  No.  20.  [R.  Köhler, 
Aufsätze  1894,  S.  90  f.     A.  v.  Weilen,  Zs.  f.  vergl.  Littgesch.  N.  F.  1,  105.] 

52.    Zaubergerte,  Goldesel,  Knüppelchen  schlagt  zu. 

Pitre  No.  29.  30  [=  Kaden,  S.  46.  118];  Nov.  pop.  tose.  No.  29.  [De 
Gubernatis  No.  21.  Comparetti  No.  7.  12.  Finamore  No.  37.  Ortoli  p.  171. 
178.  Bernoni  No.  9.  Cosquin  No.  4.  39.  56.  Leskien  -  Brugman  No.  30. 
Gradi,  Saggio  p.  181—89  (Tavolina,  cavallino,  mattero).  Pellizzari  1,  19 
(Esel,  Serviette,  mazza).  De  Nino  No.  6  (Serviette,  Esel,  mazza).  Trueba, 
Cuentos  de  vivos  y  muertos:  Los  hijos  de  Mateo  (Llenata  cesta,  Tasche, 
Stock).  Romero  No.  41  (toalha,  cabra,  cacete).  Sebillot  3,  No.  25  (pommier, 
motte  de  terre,  boite-flüte)  und  26  (grain  de  cheneois  filets,  äne,  bäton). 
Talbert,  Dialecte  blaisois  1874,  p.  323.  Hahn  No.  43  (Esel,  Krug,  Stäbchen). 
Schmidt  No.  19  (Tischtuch,  Hahn).  Grönborg,  Optegnelser  pä  Vendelbomäl 
1884,  S.  89  (Hone,  Dug,  Garnkölle).  Berntsen  2,  No.  8  (Hone,  Dug,  Pung). 
Wigström,  Svenska  Landsm.  5,  1,  63.  Leger,  Contes  populaires  slaves  1882, 
No.  17  (Le  bäton  enchante);  vgl.  Waldau  41.    Grässe,  Märchenwelt,  S.  161. 

Das  angeführte  isländische  Märchen  Arnason  2,  491  =  Andersen  451 ; 
das  polnische  Glinski  4,  106  =  Godin  50.  —  Ferner  Hibernian  Tales  87. 
Nerucci  No.  34  [=  Crane  No.  32,  p.  347].  Radioff  4,  363.  Jecklin  1,  115. 
[Archiv  f.  Littgesch.  10,  110.  Archivio  10,  326.  Imbriani,  Nov.  fior.  No.  26, 
p.  235.     Matthias,  Magdeburg.  Zeitung  1890,  Beiblatt  22-23.] 

53.    Von  der  schönen  Angiola. 
[Übersetzt    bei    Crane    No    5,    dazu    p.  334.     Gargiolli  No.  2.]     Pitre 
No.  20  [=  Kaden  S.  20]  (Anfang).    Corazzini  p.  426,  No.  10.    Nerucci  No.  18 
(vergessene  Braut).     Finamore  No.  12,  2.  Teil  (Archivio  3,  368).     Bernoni 


Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten  sicilianischen  Märchen.  163 

No.  12.  Busk  p.  3  „Filagranata".  Imbriani,  Nov.  fior.  No.  16;  Nov.  mil. 
No.  7;  Conti  pom.  No.  4,  4  1)is.  De  Nino  No.  11.  Consigiieri-Pedroso  No.  2. 
Rondallayre  3,  No.  10. 

An  den  Haaren  der  Jungfrau  emporsteigen:  Pitre  No.  13.  18, 
p.  167.  Imbriani,  Conti  pom.  126  f.;  Nov.  fior.2  p  415.  Finamore  No.  4. 
40.  De  Nino  36S.  Archivio  1,  526.  Nerucci.  Corazzini.  Braga  No.  1. 
Deulin,  „La  dame  des  clairs"  [?]. 

Die  Hexe  lässt  die  Mutter  durch  ihr  Kind  an  ihr  Versprechen 
erinnern:  Pentamerone.     Pitre.     Imbriani.    Finamore.     De  Nino. 

55.  Von  Feledico  und  Epomata. 
Drei  Liebhaber  bestellt  und  geäfft:  Cosquin  2,  27  f.  zu  No.  32. 
Carnoy  No.  2.  Sebillot  No.  16.  E.  Laboulaye,  Contes  bleus3  1869,  No.  1: 
„Yvon  et  Finette".  Archivio  1,  525,  No.  10.  2,  73.  Consigiieri-Pedroso 
No.  4.  Braga  No.  6.  Biblioteca  de  las  trad.  pop.  esp.  1,  194.  Webster  128. 
Grundtvig,  D.  F.  2,  No.  7.  Bondeson  No.  78;  dazu  Nyrop,  Svenska  Lands- 
mann 2,  CVIII.  Berutsen  1,  No.  25.  Arnason  2,  379  =  Poestion  No.  26; 
vgl.  auch  No.  10.  Firmenich,  Germaniens  Yölkerstimmen  1,  331.  [Andrews 
No.   14.  21.     Curtze,  Yolksüberlief.  aus  Waldeck  1860,  S.  47.  No.  8.] 

56.    Vom  Grafen  und  seiner  Schwester. 

Pitre,  Fiabe  No.  7  [=  Kaden  S.  99];  Nuovo  saggio  No.  3.  Gargiolli, 
Novelline  delle  Marche  No.  1.  Finamore  No.  35.  Comparetti  No.  52.  De 
Nino  No.  58.     Giamb.  Basile  1884,  p.  93.     Coelho  No.  55. 

57.    Von  dem,  der  sich  vor  nichts  fürchtete. 

Pitre,  Nov.  pop.  tose.  Nu.  39.  40.  Comparetti  No.  12,  II.  De  Gubernatis 
No.  22.  Rondallayre  3,  20.  Schleicher,  Litauische  M.,  S.  79.  Finamore 
No.  20  „Giuvanni  senza  pahura"  (nur  Titel).  —  Zu  Schneller  No.  52  vgl, 
Wolf,  D.  M,  No.  10.  Papanti,  Novelle  No.  12.  Straparola  IV,  5.  Nerucci 
No.  44.  Pitre,  Nov.  pop.  tose.  No.  39.  —  Zu  Grimm  No.  4  „Fürchten 
lernen"  vgl.  Menzel,  Gesch.  der  d.  Dichtung  1,  133.  Ey  74.  Schönwerth 
3,  147.  Strackerjan  2,  635.  Hansen,  Zs.  d.  Ges.  f.  schlesw.-holst.  Gesch. 
7,  227,  No.  6.  Zs.  f.  d.  Phil.  8,  83.  Schulenburg,  Wend.  Volkstum  1882, 
S.  25.  Leskien  -  Brugman  No.  36.  Schneller  No.  35.  36.  37.  Bondeson 
No.  12;  Sv.  F.  No.  15.  Bergh,  Sogur  26.  Wigström,  Svenska  Landsmälen 
5,  1,  59  (Sven  Orädd.  Schraubstock).  Berutsen  1,  No.  16.  Cosquin  No.  67. 
Coelho  No.  37.     Leite  de  Vasconcellos,  Trad.  2^. 

58.    Von  den  vier  Königstöchtern. 
Köhler  bei  Schiefner,  Awar.  Texte  No.  2  und  Archiv  f.  slav.  Phil.  5,  27, 
No.  42.     Cosquin  No.  1  und  52.     Melusine  1,  110.     Deulin,  Contes  du  roi 
Canibrinus   p.  1.     Sebillot,  Litt,  orale  81;  Contes  pop.  1,  No.  6.  2,  No.  26. 

Zeitachr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1896.  \\ 


164  Köhler-Bolte: 

Pitre  No.  80  [=  Crane  No.  7],  83;  Otto  fiabe  No.  1.  De  Gubernatis  No.  19; 
Zool.  Myth.  2,  187.  Imbriani  No.  5.  Visentini  No.  18.  32.  49.  Tuscan 
fahy  tales  No.  3.  Corazzini  No.  19.  Coraparetti  No.  19.  35.  40.  Zingerle 
(N.  A.)  No.  10.  44.  Zeyneck  339.  Jecklin  1,  101.  Veckenstedt  244. 
Leskien-Brugmau  No.  16.  Mijatovics.  Miklosicli  No.  2.  4.  Legrand  191. 
Janson  No.  11.  Madsen  S.  11.  Ralston  S.  73.  144—146.  [Komania  5,  87. 
8,  583.  Jahn,  Vin.  aus  Pommern  1,  — .  Prym-Socin  No.  39.  46.  Clouston, 
Eastern  Romances  1889,  p.  493.  Chalatianz,  Armenische  Märchen  1887, 
No.  2.  3.] 

60.    Vom  verschwenderischen  Giovanninu. 

Pitre  No.  84  und  Var.  Nerucci  No.  59.  De  Nino  No.  56.  Comparetti 
No.  24.  27.  Sebillot  2,  No.  28.  Deulin,  „Le  petit  soldat".  Webster  106. 
Coelho  No.  18.  Madsen  36.  Wuk  S.  27.  Krauss  1,  No.  81.  88.  90. 
Radioff  4,  502.  Jecklin  1,  127.  Archivio  3,  540  (Finamore).  [Archivio 
10,  316.]  —  Schlafnadel  bei  Schott  No.  21. 

61.  Von  einem  mutigen  Königssohne,  der  viele  Abenteuer  erlebte. 

Der  Prinz  schneidet  sich  die  Beine  ab  und  giebt  sie  dem 
Adler  zu  fressen:  Pitre  2,  209.  235.  248.  Comparetti  No.  24.  Tuscan 
fairy  tales  No.  3.  Cosquin  zu  No.  52.  Sebillot,  Litt,  orale  84;  Contes  2, 
No.  26.  Deulin  a.  a.  O.  Webster  111.  Cerquand  4,  69.  Dozon  No.  5 
und  15.     Mijatovics  S.  123  „Sir  Peppercorn."     Köhler,  Archiv  f.  slav.  Phil. 

2,  637,  No.  33.  Schiefner,  Awar.  Texte  No.  2.  Folklore-Journal  1,  320. 
Kamp,  Danske  Folkeäventyr  1,  226.  Godin  S.  8  (Heldin  schneidet  sich  die 
Brüste    ab).      [Radioff  3,  317.     Jahn,    Vm.  aus  Pommern  1,  127,  No.  19.] 

Der  Prinz  tritt  beim  Hofschneider  in  Dienst:  Leskien-Brugman  No.  16. 
Tuscan  F.  T.  No.  3.     Pitre  No.  70. 

Die  Prinzessin  muss  mit  ihm  in  ein  kleines  Häuschen  ziehen:  Ger- 
mania 15,  180. 

Die  Brüder  müssen  sich  einen  Fleck  auf  die  Schulter  machen 
lassen:  Webster  117.  Comparetti  No.  62  (Siegel  auf  den  Schenkel  mit 
glühendem  Eisen).  Prym-Socin  No.  26  (Grindkopf.  Löwenmilch.  Siegel 
auf  dem  Hintern).     Roumanian  Fairy  Tales  p.  39  (Brankmarke).     Sebillot 

3,  107  (Maultierfuss).  Stier-Gaal  No.  8.  Glinski  1,  62  =  Godin  199.  Pitre 
2,  137.  Goldschmidt  38.  40  (Zehen  und  Ohren  abschneiden).  Grundtvig 
No.  15,  S.  188.     Madsen  78  (Ohrläppchen).     Spitta-Bey  No.  12. 

64.    Die  Geschichte  von  der  Fata  Morgana. 

Drei  Brüder  bewachen  nach  einander  nachts  einen  Baum:   Vogl, 

Slavon.  M.  No.  1.    Asbjörnsen  No.  83.    Kennedy  p.  47*).    Germania  15,  184 

(lappisch).     Steere,  Swahili  Tales  No.  6.    Pitre,  Otto  fiabe  No.  1.    [Imbriani 

No.  5,  p.  33.    Krauss  1,  352.  388.   Georgeakis-Pineau,  Lesbos  1894,  p.  35.  4L] 


Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten  siciliamschen  Märchen.  165 

Der  Prinz  bindet  einen  Stein  an  den  Strick,  an  dem  ihn  seine 
treulosen  Brüder  emporziehen  wollen:  Leskien-Brugman  No.  16. 

Drei  Königssöhne  sollen  ihrem  Vater  ein  Yerjüngungsmittel 
bringen:  Schiefner,  Awar.  Texte  No.  10.  Radioff  3,  518  Campbell  No.  9. 
Yernaleken  No.  52  u.  53.     Simrock  No.  47.    Zingerle  2,  226.    Ortoli  p.  44. 

Drei  Granatäpfel  wirft  -der  verfolgte  Königssohn  auf  den  Rat 
seines  Pferdes  hinter  sich,  die  sich  in  einen  Strom,  in  Dornen  und  Feuer 
verwandeln  (2,  55):  Imbriani,  Conti  pomigl.  p.  50;  Novellaja  fior.2  No.  2, 
p.  413.  416.  418.  Finamore  No.  4.  12.  40.  41.  Archivio  2,  79  (Kamm, 
Flasche,  Stein).  De  Nino  No.  11.  Corazzini  No.  10.  [Cosquin  No.  12; 
1,  141.  2,  27.]  Sebillot,  Contes  3,  133  (brosse,  etrille,  bouchon  =  foret, 
montagne,  montagne);  3,  87  (bouchon,  bross,  etrille  =  etang,  foret,  montagne). 
Maspons  1,  No.  9.  19.  Bibliot  de  las  trad.  pop.  esp.  1,  193.  Consiglieri- 
Pedroso  No.  2.  13,  p.  57.  Coelho,  Contos  nac.  No.  15.  Braga  No.  6  (Asche, 
Salz,  Kohlen  -  Nebel,  Meer,  Nacht),  No.  1 1  (Zweig,  Stein,  Sand  =  Wald, 
Gebirge,  Meer).  Romero  p.  20.  Cerquand  4,  85  (Büchse  im  rechten  Pferde- 
ohr =  See,  Stein  im  linken  Ohr  =  Mauer).  Pogatschnigg  No.  8  und  9  [in 
Carinthia  1865,  404.  438].  Volkskunde  3,  112  (Spiegel,  Rosskamm,  Degen). 
Nicolaissen,  Sagn  og  Eventyr  S.  63  (Flasche,  Baumzweig,  Stein).    Berntsen 

1,  37  (Holz,  Eisen,  Flasche  =  Wald,  Gitter,  Wasser).  Wigström  in  Sv. 
Landsmälen  1884,  5,  1,  31  (drei  Knäuel),  S.  70  (drei  Goldäpfel),  S.  75  f. 
Poestion,  Island.  M.  S.  151.  Poestion,  Lappl.  M.  No.  21.  22.  Schreck, 
Finn.  M.  No.  14.  15.  Veckenstedt  S.  216  (Bürste,  Fläschchen,  Schere). 
Leskien-Brugman  S.  380.  527  f.  539  f.  Goldschmidt  S.  161.  164.  Krauss  1, 
No.  89.  2,  No.  57.  Baissac,  Folklore  de  File  Maurice  No.  15  (Ei,  Besen, 
Sagaie  =  Meer,    Wald,    1000  Sagaies).     Folklore-Journal  1,  234.   286.  323. 

2,  131.  Lewin,  Progressive  colloquial  exercises  in  the  Lushai  Dialect  of 
the  Dyo  or  the  Küki  language  p.  85. 

65.  Vom  Conte  Piro. 
Pitre  No.  88  [=  Crane  No.  33,  p.  347].  Köhler,  Archiv  f.  slav.  Phil. 
1,  286,  No.  12.  Schiefner,  Awar.  Texte,  No  6.  Schiefner,  Ind.  Erz.,  S.  747. 
[Bull,  de  l'Acad.  de  St.  Petersbourg  21,  484.]  Radioff  4.  358.  Imbriani 
No.  8.  Finamore  No.  4(5.  Revue  des  langues  rom.  3,  396  (1872).  Xeoe/.bjr. 
'Aval.  1,  14,  No.  3:  'O  axpevrrjg  6  Totooocoyäg  [=  Misotakis  S.  37,  No.  5]. 
Ein  Soge-Bundel  57.  Goldschmidt  S.  108.  Steere,  Swahili  Tales  S.  13. 
[American  Folklore-Journal  1,  227.     Jacobs  No.  5.] 

G6.    Von  dem  Hahne,  der  Papst  werden  wollte. 

[Übersetzt  bei  Crane  No.  88,    dazu  p.  377.     Crane  No.  87  =  Bernoni, 

Trad.  pop.  venez.  3,  69.]     Cosquin  No.  45.     Sebillot,  Contes  1,  No.  57.     2, 

No.  63;  Litt,  orale  p.  239.  Rolland,  Almanach  3,  105.  La  Tradition  4,  23.  Revue 

des  langues  rom.  3.  391).     Pitre,    Nov.  pop.  tose.  No.  52.     Braga  No.  125. 

11* 


166  Köhler-Bolte: 

Caballero  123.  Leite  de  Vasconcellos,  Tradic.  151.  Kennedy,  Leg.  fictions 
of  the  irish  Celts  1866,  p.  5  (auch  bei  Marmier,  L'arbre  de  noel).  Bondeson 
No.  11;  Sv.  F.  No.  5.  Svensen  in  Svenska  Landsmälen  2,  7,  S  10,  No.  3 
(1882).  Kristensen  2,  No.  46—49.  Madsen  67.  Skattegraveren  1,  92. 
Soge-Bundel  4.  Asbjörnsen  No.  61.  Schulenburg,  Wend.  Yt.  23.  Krauss  1, 
No.  23.     Schreck,  Finn.  M.  S.  224.     Joos  No.  86. 

[Bolte  zn  H.  Sachs'  Meisterliede  „Das  Käcklein  under  12  Wölfen" 
v.  ,T.  1551,  Zs.  f.  vgl.  Littgesch.  7,  454.  Jacobs  No.  5.  20.  Kühler,  Zs.  f. 
roman.  Phil.  3,  617.     Kamp,  Danske  Folkeaeventyr  2,  No.  2.] 

67.    Von  Paperarello. 
Pitre  No.  71,  Var.  Biamunti. 

68.    Yom  goldnen  Löwen. 

Pitre,  Nov.  pop.  tose.  No.  5.  Comparetti  No.  20  [=  Kaden  S.  134]. 
Biblioteca  de  las  trad.  pop.  esp.  1,  178.     Haltrich  No.  40. 

Der  Held  steckt  sich  in  einen  goldnen  Löwen  und  lässt  sich 
verkaufen:  Imbriani,  Nov.  fior.  p.  286  (Bärenfell)  und  302  (S.  Antonius). 
De  Nino  No.  67  (organo).  Pitre  No.  95.  96.  21.  Comparetti  No.  20  [=  Crane 
No.  13,  p.  343.  Räuber  bei  Leskien  -  Brugman  No.  78.  Lemke  2,  101. 
Gorra,  Studj  di  critica  letteraria  1892,  S.  33.  104.  316.  391.  Toldo,  La 
novella  francese  clel  XV.  e  XVI.  secolo  1895,  S.  114  zu  Comptes  du  monde 
adventureux  No.  2]. 

69.  Löwe,  Pferd  und  Fuchs. 
Köhler,  Archiv  f.  slav.  Phil.  1,  279,  No.  6  [: Pitre  No.  273.  Comparetti 
No.  67  =  Crane  1889,  No.  38,  dazu  p.  354.  Morosi,  Studj  sui  dialetti  greci 
1870,  S.  75,  No.  4  =  Crane  p.  354.  Joannidis,  'IoroQia  xai  omnonxy  Tgane- 
Covvrog  1870,  p.  266.  Neugriechisches  Volksbuch  IIaQajuvi%  T^g  alovjiovg, 
Athen  1872.  Deulin,  Cambrinus  1874,  p.  141.  Asbjörnsen,  Norske  folke- 
aeventyr, ny  saml.  No.  95.  Schiefner,  Küninische  Studien  1873,  No.  3  in 
Memoires  de  l'acad.  de  St.  Petersbourg,  7.  Ser.,  vol.  20,  No.  2,  p.  91. 
Bastian,  Geograph,  u.  ethnolog.  Bilder  1873,  S.  239.  278].  Wollner  bei 
Leskien-Brugman  No.  2.  Oesterley  zu  Kirchhof,  Wendunmut  5,  121.  Hoff- 
meister S.  49  (Bauer  u.  Schlange,  Bär  u.  Fuchs).  [Curtze,  Volksüberl.  von 
Waldeck  S.  24.]  Firmenich,  Germaniens  Völkerstimmen  3,  838  =  Svenska 
Landsm.  1,  664.  Haltrich,  Märchen2  No.  87  -  Zur  d.  Tiersage  S  35,  No.  29 
[=-  Zur  Volkskunde  S.  64.  516].  Soge-Bundel  S.  1.  A.  E.  Vang,  Gamla 
Regio  aaRispo  ifraa  Valdris  1850,  S.  57,  No.  17  (Schlange,  Mann;  Stute,  Kuh, 
Fuchs).  Blade  3,  153.  Revue  des  trad.  pop.  1,  137.  140.  Romero  p.  190. 
El  Folk-Lore  andaluz  1882-83,  S.  319.  Coelho,  Revista  138.  Arabische 
Fabel  aus  der  Sammlung  ,Le  compagnon  qui  raconte  des  aneedotes,  ou 
delassement  des  esprits  et  des  ämes'  mitgeteilt  von  A.  Cherbonneau,  Poly- 


Zu  den  von  Laura  Gonzenbacli  gesammelten  sicilianischen  Märchen.  167 

biblion  1879,  fevrier  p.  168  f.  (Mensch  und  Schlange;  Palmbaum,  Quelle, 
Fuchs).  Sudanesische  Fabel  bei  E.  Marno,  Heise  in  die  egyptische  Äquatorial- 
Provinz2  1876,  S.  267—269  (Mensch  und  Krokodil.  Fuchs).  Remisch,  Die 
Nuba-Sprache  1,  191  u.  206  (Beduine  und  Krokodil,  Fuchs).  Bleek,  Reineke 
Fuchs  in  Afrika  S.  8  (Weisser  u.  Schlange,  Schakal).  10  (Holländer  und 
Schlange,  Hase,  Hyäne,  Schakal).  10  f.  (Pavian  und  Schlange,  Schakal). 
94  (Ochse  und  Hyäne,  Elephant).  Steel  and  Temple,  Wide-awake  Stories 
1884,  No.  12  (Brahmane  und  Tiger,  Pipalbaum,  Büffel,  Weg,  Schakal). 
Grünbaum,  Jüdisch-deutsche  Chrestomathie  S.  411.     [Baissac  No.  23.] 

70.    Von  dem  listigen  Schuster. 
71.    Von  Sciauranciovi. 

Pitre  No.  157  [=  Crane  No.  105,  dazu  p.  381.  22].  Cosquin  No.  10 
u.  20.  Köhler,  Gott.  Gel.  Anz.  1871,  1407  und  Zs.  f.  roman.  Phil.  2,  350. 
Revue  des  langues  rom.  3,  386.  Cerquand  2,  12.  Kehrein  2,  98.  Bleek, 
Ikotofetsy  and  Mahaka  Cap.  8.  Thorburn  p.  184.  194.  Germania  17,  322. 
18,  153.  Asbjörnsen  No.  101.  Arnason-Powell  2,  581.  Bondeson,  Sv.  F. 
No.  9.  11.  80.  Wigström  bei  Hazelius,  Ur  de  nordiska  folkens  lif  2,  82, 
No.  1  (1882).  Bartsch  1,  488.  2,  480.  Leskien-Brugman  No.  38.  Schulen- 
burg, Wend.  Volkstum,  S.  40.  Veckenstedt,  Sztukoviz  1885,  S.  20.  26. 
Krauss  1,  No.  53.  Knoop  S.  110  (nur  Schluss  des  Unibos).  Hibernian 
Tales  61.  M.  Buch,  Die  Wotjäken  1882,  8.  120,  No.  10.  Sebillot,  Litt, 
orale  112  (Meisterdieb).  Fleury  p.  ISO.  Archivio  1,  200.  Visentini  No.  13. 
Nerucci  No.  21  (=  Imbriani).  De  Gubernatis,  Florilegio  p.  139  (2.  Teil). 
Zenattis  Ausgabe  der  Storia  di  Campriano  angez.  von  Novati,  Giornale  stör, 
della  lett.  ital.  5,  258.  Giamb.  Basile  1883,  No.  8,  p.  59.  Folk-lore  Record 
3,  54.  NeoeMrjv.  'Avdhxra  2.  93  (vgl.  Hahn  No.  42).  Pio  S.  113.  La 
Enciclopedia  1880,  No.  6  („Los  dos  compadres").  Bibliot.  de  las  tradic. 
pop.  esp.  4,  55.  Vinson  p.  103.  Riviere  p.  61  (I/orphelin).  [Bolte  zu 
V.  Schumanns  Nachtbüchlein  1893,  Xo.  5—6.  Moulieras,  Si  Djeha  1892, 
No.  36.  46.  48.  49.  Mango,  Novelline  pop.  sarde  1890,  No.  18.  Lehemrbe, 
Volksvertelsels  1893,  No.  14.  Giorn.  stör,  della  lett.  ital.  16, 220.  Baissac  No.  5.] 

72.    Don  Giovanni  di  la  Fortuna. 
Knoop,  Volkssageu  aus  Hinterpommern  1885,  No.  1.    Gress,  Holzland- 
sagen 1870,    S.  24  („Bastian  der  Bärenhäuter")-     Veckenstedt,  Wendische 
Sagen  1880,  S.  65.    Ralston  p.  364.    Kristensen  1,  No.  28.  29.  30.    Bondeson, 
Sv.  F.  No.  57.     [Jahn,  Volksmärchen  1,  No.  44.  46,  S.  373.] 

73.    Von  dem  Könige,   der  eine  schöne  Frau  wollte. 
[Übersetzt    bei    Crane    No.  25.]      Bernoni    No.  16.     De  Nino  No.  64. 
Coelho  No.  65.     Godin  S.  41. 


Igg  Köhler-Bolte: 

74.    Von  einem,    der    mit  Hilfe   des  hl.  Joseph  die  Königstochter 

gewann. 

Pitre  No.  104.  Coronedi-Berti  No.  4.  Pellizzari,  Piabe  e  canzoni  pop. 
del  contado  di  Maglie  1,  89  (1884).  Pio  S.  212.  Maspons  1,  No.  15. 
Sebillot,  Contes  No.  13.  2,  No.  7.  Litt,  orale  247.  Bondeson  No.  2. 
Kamp  S.  1.  Asbjörnsen  No.  79.  Germania  15,  184  (lappisch).  Poestion 
No.  24.  Leskien  -  Brugman  S.  565.  Goldschmidt  S.  69.  Radioff  4,  460. 
[Archiv  f.  Littgesch.  12,  137,  No.  13.  Archiv  f.  slav.  Phil.  2,  631  No.  29. 
640,  No.  34.     5,  44  No.  48.     Jahn,  Vm.  aus  Pommern  1,  No.  18—19.] 

Das  Einschlafen  des  Läufers  und  das  Erwecken  durch  den  Schützen: 
Jahrb.  f.  rom.  Phil.  12,  412  (Novella  del  Fortunato).  Zs.  f.  d.  Phil.  22,  100. 
113.  Carinthia  1866,  470.  [Lemke  2,  49.  Sercambi,  Novelle  inedite  1889, 
No.  11;  dazu  Rua,  Ztschr.  f.  Volkskunde  2,  252  f.] 

Das  zu  Land  und  zu  Wasser  fahrende  Schiff:  Veckenstedt  58. 

Teilung  der  Frau:  [Hippe,  Sir  Amadas.  Herrigs  Archiv  81,  141  ff. 
175.]  Paspati,  Etudes  sur  les  Tchinghianes  1870,  No.  2.  Kletke,  Märchen- 
saal 2,  62.  Krauss  2,  310,  No.  133.  [Jahn  1,  No.  34.  35.  Kamp  2,  No.  15.] 
—  S.  250,  Z.  13  lies  „Treue"  statt  „Frau". 

75.    Von  Ferrazanu. 

[Pitre  No.  156  =  Crane  No.  98  =  Kaden  S.  237. 

Ferrazanu  erzählt  der  Königin,  seine  Frau  sei  taub,  und 
seiner  Frau,  die  Königin  sei  taub:  Bandello,  Novelle  4  (1573)  No.  26:  „II 
Gonella  fa  una  burla  ä  la  marchesa  di  Ferrara  e  insiememente  ä  la  propria 
moglie;  e  volendo  essa  marchesa  di  lui  vendicarsi,  egli  con  subito  argomento 
si  libera."  Buffonerie  del  Gonnella  1588,  Str.  16—19  bei  F.  Gabotto,  La 
epopea  del  buffone  (1893);  vgl.  p.  76.  Ebenso:  t'Leuen  en  Bedryf  van 
Clement  Marot,  Amsterdam  o.  J.  (um  1730)  S.  105:  „Aerdige  trek  van 
Marot  tegens  de  koninginne."  Des  Periers,  Les  nouvelles  recreations  1558, 
No.  10:  „De  Fouquet,  qui  fit  accroire  au  procureur  en  Chastellet,  son 
maistre,  que  le  bon  homme  estoit  sourd,  et  au  bon  liomme  que  le 
procureur  l'estoit"  =  Tresor  de  recreations,  Rouen  1611,  p.  139;  danach 
Loockmans,  71  lustige  historien,  Thantwerpen  1589,  No.  31  =  Tijdschr. 
voor  nederl.  taal-  en  letterk.  13,  11.  Neithart  Fuchs  V.  2212  (Bobertag, 
Narrenbuch  1884,  S.  230).  H.  Sachs,  75.  Fastnachtsspiel  (1560)  V.  357. 
Barthol.  Krüger,  Hans  Ciawerts  werckliche  Historien  1587,  No.  1:  „Wie 
Hans  Ciawert  zum  Handtwerck  gebracht  wardt  vnnd  seinen  Meister  mit 
einem  Pauren  zusamen  brachte."  Zinkgräf,  Teutsche  Apophthegmata  1644, 
3,  302  (Frau  und  Wäscherin).  J.  P.  de  Memel,  Lustige  Gesellschaft  1656, 
No.  309.  J.  L.  Talitz  von  Liechtensee,  Kurtzweiliger  Reyssgespahn  1645, 
No.  64.  Taubmanniana  1703,  S.  192.  Der  kurtzweilige  Hanss-Wurst  von 
Frölichshausen  1718,  S.  56.     Halecius  Eyer-Platz  (=  J.  P.  Waltmann),  Der 


Zu  den  von  Laura  Gonzenback  gesammelten  ssiciliauisclien  Märchen.  169 

in    allen  Wissenschaften    erfahrne    Pickelhering   1720,    No.  133  =  2.  Aufl. 
1733,  No.  147. 

Ferrazanu  lässt  den  Brief,  der  dem  Überbringer  Prügel  eintragen 
soll,  durch  einen  andern  besorgen.     Krüger,  Hans  Ciawert  No.  9.] 

76.    Die  Geschichte  von  Giuseppinu. 

Pitre  No.  116.  Arlotto  p.  81;  ed.  Ristelhuber  No.  28.  Magalotti  in 
den  Novelle  di  alcuni  autori  fiorentini  362.  Landau,  Beiträge  zur  Gesch. 
d.  ital.  Novelle  1875,  S.  148.  Busk  p.  422.  Melusine  1,  158  f.  Max  Müller, 
Lectures  2,  552.  Child,  Ballads  8,  165.  Germania  9,  278.  Poestion  No.  11. 
Ralston  43;  Notes  10.  [Bolte  zu  V.  Schumann  1893,  No.  la.  Roxburghe 
Ballads  ed.  by  Ebsworth  7,  578.  Volkskunde  1,  71.  2,  235.  Baumgarten, 
Linzer  Musealbericht  1864,  S.  97.  Bechstein,  Sagenschatz  des  Thüringer- 
landes  4,  127.  1838.  Nie.  de  Troyes,  Grand  paraugon  1869,  No.  10.  Zeit- 
schrift f.  Volkskunde  1,  183.  429.     Ward,   Catalogue  of  romances  1,  868.] 

79.    Die  Geschichte  von  den  zwölf  Räubern. 

Pitre  No.  108.  Nerucci  No.  54.  Visentini  No.  7.  Ortoli  p.  137 
[Romania  13,  173].  Carnoy  p.  273.  Maspons  y  Labros  2,  No.  14.  Meier 
No.  53.  Am  Urdsbrunnen  ."».  151.  Thiele,  Danmarks  Folkesagn  1,  242. 
307.     Jahrb.  f.  rom.  Litt.  11,  385. 

Ein  Mass  zum  Geldmessen  entliehen:  Pitre  2,  56,  No.  59.  Crane 
p.  152.  Cosauin  No.  20.  22.  Carnoy  No.  7.  Sebillot,  Litt,  orale  12s.  133. 
Miklosich  No.   12. 

80.    Die  Geschichte  vom  Cacciaturino. 
Archivio    1.  523.     Stokes    No.  11   und  24.     Spitta-Bey  No.  2.     [Cos- 
(|iiin  1,  XXX.]  —  Zum  Schlüsse  vgl.  Melusine  1,  63. 

81.  Die  Geschichte  von  den  drei  guten  Ratschlägen. 
[Das  Märcheu  gehört  zu  einem  bunten  Kreise  von  mittelalterlichen 
und  vielfach  noch  jetzt  im  Volksmunde  fortlebenden  Erzählungen,  deren 
Held  eine  Reihe  von  Weisheitslehren,  meist  drei,  empfängt  und  ihre 
Richtigkeit  in  mehreren  Abenteuern  erprobt.  Noch  Gustav  Freytag  hat  in 
seinen  „Ahnen"  das  alte  Motiv  geschickt  verwertet,  wenn  er  dem  jungen 
Immo  aus  dem  Munde  des  Mönches  Bertram  vier  solche  Lehren  zu  teil 
werden  lässt.  Unter  jenen  Ratschlägen  erweist  sich  jedesmal  einer,  in  der 
Regel  der  letzte,  als  der  wichtigste  und  hauptsächlichste;  und  nach  der 
Verschiedenheit  dieser  Pointe  können  wir  jene  Erzählungen  in  mehrere 
Gruppen  scheiden.  Zwei  dieser  Gruppen,  in  denen  die  Hauptlehre  lautet: 
„Handle  im  Zorne  nicht  voreilig"  und  „Vertraue  deiuer  Frau 
kein  Geheimnis  an",  behandelte  Köhler  in  einem  1869  im  Weimarer 
Mittwochsvereine    gehaltenen  Vortrage,    der    noch   handschriftlich  vorliegt, 


170  Köhler-Bolte: 

aber,  weil  sein  wesentlicher  Inhalt  später  in  andrer  Form  Veröffentlichung 
fand,  nicht  unter  die  1804  aus  seinem  Nachlasse  gedruckten  Aufsätze  auf- 
genommen wurde. 

Die  erste  Hälfte  jenes  Vortrages  rekapitulierte  Köhler  1870  kurz  in 
seiner  Anmerkung  zu  dem  sicilianischen  Märchen,  in  dem  die  Vorschriften 
folgendermassen  lauten:  1.  Sei  nicht  neugierig,  2.  Geh  denselben  Weg 
zurück,  den  du  gekommen  bist,  und  3.  Lass  deinen  Zorn  ruhen  bis 
zum  nächsten  Morgen.  Zu  seinen  Nachweisen  fügte  er  1882  in  Seilers 
Ausgabe  des  Kuodlieb  S.  51  noch  hinzu:  Pitre,  Fiabe  No.  197  [■--  Crane 
No.  41,  dazu  p.  357,  23].  Nerucci  No.  53.  Gradi,  La  vigilia  di  pasqua  1860, 
p.  83.  Maspons,  Rondallayre  p.  50.  La  Enciclopedia  1879,  5.  mai.  Pio 
p.  222.  Jecklin,  Volkstümliches  aus  Graubünden  1,  116  =  Roman.  Studien 
2,  110.  T.  Costo,  II  fuggilozio  1601,  p.  557  (übersetzt  von  Ens,  Pausilypus 
1631,  p.  121).  —  Gesta  Romanorum  103  (Kaiser  Domitian  kauft  drei 
Lehren:  1.  Quidquid  agis,  prudenter  agas  et  respice  finem,  2.  Nunquam 
viam  publicam  dimittas  propter  semitam  aliquam,  3.  Nunquam  de  nocte 
hospitium  cape,  ubi  est  dominus  valde  senex  et  uxor  iuvencula).  Trebutieu, 
Le  dit  des  trois  pommes  1837.  Hucher,  Le  Saint  Graal  1874.  Killinger, 
Erin  6,  47.  Hibernian  Tales  p.  55.  C.  Bede,  The  white  wife  1868,  p.  141. 
W.  Bottwell,  Traditions  of  West  Cornwall,  2.  ser.  1873,  p.  77. 

Später  hat  Köhler  noch  notiert:  Laistner  im  Anzeiger  f.  d.  Alt.  9,  79 
bis  91  (Ruodlieb).  Notes  and  Queries,  6.  Ser.  1,  510.  2,  33.  118.  168. 
298.  11,  104.  209.  315  (1880  und  1885).  In  Bd.  11,  S.  209  ein  römisches 
Märchen  „Gl'  avvertimenti  di  Salomone"  von  R.  H.  Busk  (1.  Lass  den 
Zorn  vom  Abend  bis  zum  Morgen,  2.  Verlass  den  alten  Weg  nicht  für 
einen  neuen;  3.  Sei  nicht  neugierig).  Palumbo,  Les  trois  conseils  du  roi 
Salomon,  conte  populaire  greco-salentin  (Museon  3,  552.  1884.  Verlass 
den  alten  Weg  nicht  für  den  neuen.  Was  du  heut  thun  kannst,  verschiebe 
nicht.  Bedenke,  was  du  thust,  vorher).  Ortoli  p.  118.  Archivio  1884, 
97.  Braga  No.  100.  Cerquand  No.  110.  Armana  de  Lengado  1878,  p.  51 
(Lou  counsel.  1.  Geraden  Weg;  2.  Sich  nicht  einmischen).  Luzel,  Legendes 
chretiennes  de  la  Bretagne  2,  193.  Peters,  Germania  33,  224  (lothringisch). 
Schleicher,  Lit.  Märchen  S.  39  =  Germania  29,  336  (1.  Geraden  Weg; 
2.  In  kein  Wirtshaus,  wo  ein  alter  Wirt  und  eine  junge  Wirtin;  3.  Die 
Hälfte  deines  Zornes  lass  auf  morgen).  Kristensen  2,  No.  25.  26.  Kamp 
No.  893.  Krauss  1,  No.  68.  Duval,  Les  dialectes  neo  -  arameens  1883, 
p.  65  (Patience  est  salutaire.  Resiste  au  courroux.  Ce  qui  plait  ä  Thomme 
dans  le  monde,  c'est  beau  pour  lui).  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  1879, 
S.  214.  Misotakis  S.  16.  Mango,  Novelline  pop.  sarde  No.  11.  Clouston 
1892  in  der  Zs.  Folklore  3,  183.  556.     Jahrb.  f.  roman.  Litt.  12,  297. 

In  einer  anderen  Gruppe  von  Erzählungen  liegt  die  Pointe  in  der 
Lehre:  Vertraue  deinem  Weibe  kein  Geheimnis  an.  Nachdem 
Mussafia    1870    in    den    Sitzungsberichten    der  Wiener    Akademie  64,  612 


Zu  den  von  Laura  Gonzeiibach  gesammelten  siciliauischen  Märchen.  171 

mehrere  solche  Novellen1)  zusammengestellt  hatte,  wies  Köhler  in  den 
Göttinger  Gelehrten  Anzeigen  1871,  124  auf  Grund  des  erwähnten  Vortrages 
noch  vier  weitere  nach:  Curtze,  Volksüberlieferungen  aus  Waldeck  1860, 
S.  161;  Mich.  Somma,  Cento  racconti  1859,  No.  74;  Radioff  in  Ermans 
Archiv  f.  Kunde  v.  Russland  22,  35  (kalmükisch);  T endlau,  Fellmeiers 
Abende  1856,  No.  34.  —  Vgl.  ferner  ein  mingrelisches  Märchen  im  Magazin 
für  die  Litt,  des  In-  u.  Auslandes  1883,  540.  Harsdörffer,  Schauplatz  lust- 
und  lehrreicher  Geschichte  1651,  2,  105,  No.  129.    Melusine  3,  473.  513.  529. 

4,  166  „Les  trois  conseils  de  Salomon".  Jahn,  Volksmärchen  aus  Pommern 
1,  222,  No.  40  (Weiche  nie  ab  von  der  Strasse;  Bleib  nie  zu  Nacht,  wo 
der  Wirt  alt  und  die  Frau  jung;  Sei  nie  neugierig). 

In  andern  Novellen  lautet  das  eine  der  Verbote  des  sterbenden  Vaters: 
Heirate  keine  Frau,  deren  Familie  du  nicht  genau  kennst  (non  duces 
filiam  adulterae);  der  Sohn  übertritt  aber  alle  drei  Verbote  und  hängt,  als 
er  dadurch  zu  Schaden  gekommen,  zur  Warnung  drei  Erinnerungszeichen 
in  seinem  Saale  auf;  eins  davon  sind  die  Hosen  des  Liebhabers  seiner 
Braut.  Vgl.  Gualterus  Mapes,  Nugae  curialium  2,  31  ed.  Wright  L850 
(Liebrecht,  Zur  Volkskunde  S.  36).  Sacchetti,  Novelle  16.  Cent  nouvelles 
nouvelles  52.  Malespini,  Nov.  1-1.  Grundtvig,  Gamle  danske  minder  3,  39. 
Kennedy,  Legendary  fictions  of  the  irish  Celts  1866,  S.  73.  Langbein, 
Gedichte  1788,  S.  68  „Lobesans  Schicksale".  Bergström  och  Nordlander, 
Sagor  1885,  S.  3  in  Svenska  Landsmälen  5,  2.  Auch  Kryptadia  1,  253, 
No.  70  (1883)  beruht  wohl  auf  dieser  Erzählung. 

Über  andere  Erzählungen  mit  der  Lehre  „Reite  an  keiner  Kirche 
vorbei"  oder  „Bedenke  das  Ende"  vgl.  Seiler  a.  a.  O.  Mussafia  a.  a.  O. 
Pitre,  Giornale  napoletano  della  domenica  1882,  20.  Aug.     Archivio  3,  97.] 

82.    Uie  Geschichte  vom  klugen  Poppe. 

Cosquin  No.  81.  Busk  p.  338  (verkleideter  Doktor).  Asbjörnsen  Nu  <S0. 
[Romania  13,   175,  2.] 

83.    Die  Geschichte  von  Caruseddu. 

I.    Caruseddu    und    der    Menschenfresser.     Köhler  zu  Schiefner, 

Awar.  Texte  No.  3.     Archiv  f.  slav.  Phil.   1,  282,  No.  9.     |5,  75,  No.  58.] 

Pitre  No.  33.  35.    [Crane  No.  18,  p.  345.]    Coelho  No.  21.    Webster  16.  77. 

Asbjörnsen  No.  1.     Hylten  -  Cavallius  No.  3.     Grundtvig  1.  205.     Poestion 

5.  179.     Carinthia  1866,  S.  505.     Ralston  p.  148.     Miklosich  No.  9. 


1)  Straparola,  Notti  I,  5,  danach  Bäckström,  Svenska  folkböcker,  öfversigt  S.  89. 
Trattato  dell'  ingratitudine  (15.  Jahrh.  Propugnatore  2,  401).  Livre  du  Chevalier  de  la 
Tour  Landry  ed.  Montaiglon  1864,  letztes  Cap.  Hans  Sachs,  Comedia  vom  Marschalk  mit 
seinem  Sohn  1556  (Folio  3,  2,  163  =  13,  52  ed.  Keller).  —  Rua,  Giornale  storico  della  lctte- 
ratura  italiana  16,  218.  Ainalfi,  Un  fönte  dei  Cento  racconti  di  M.  Somma  1892,  p.  27. 
Levi,  Revue  des  etudes  juivcs  11,  227. 


172  Köhler-Bolte: 

Caruseddu  vertauscht  die  Kopfbedeckungen  der  Töchter  des 
Menschenfressers  mit  denen  seiner  Brüder:  Pitre  No.  35.  Imbriani,  Nov. 
fior.  p.  340.  Coronedi-Berti  No.  17.  Kivista  di  lett.  pop.  1,  82.  Oberlin, 
Essai  161.     Powell  2,  474.     Poestion  p.  298.     Kennedy  p.  3. 

II.  Caruseddu  und  die  Tochter  der  Königin  mit  den  sieben 
Schleiern:  Pitre  No.  34.  Comparetti  No.  J4.  16.  Pinamore  No.  11.  De 
Nino  No.  39.  Tuscan  F.  T.  No.  8.  Rondallayre  3,  No.  1.  Caballero  55. 
Cerquand  No.  102.     Cosquin  No.  3.  73.     Sebillot  3,   No.  13.  13bis-     Luzel, 

4.  rapport  p.  181  u.  191;  5.  rapport  p.  2  [in  Archives  des  missions  scienti- 
fiques  et  litteraires  2.  serie,  tome  7  (1872)  und  3.  ser.,  1  (1873)].  Veillees 
bretonnes  148.  Troude  et  Milin  65.  Revue  linguistique  5,  248  (rumänisch). 
Bartsch  1,  483,  No.  7.  Kristensen  No.  21.  22.  Miklosich  No.  9.  Leskien- 
Brugman  No.  5.    Köhler,    Archiv  f.  slav.  Phil.  [1,  271  No.  1;    280  No.  7] 

5,  77  zu  No.  58.  Schiefner,  Awar.  Texte  No.  1,  S.  VIT.  Spitta-Bey  No.  4. 
Radioff  4,  373.     [Krauss  1,  341.     Georgeakis-Pineau,  Lesbos  p.  68.] 

84.    Die  Geschichte  vom  Lignu  di  scupa. 

Cosquin  No.  27.  [Köhler,  Zs.  f.  rom.  Phil.  2,  351.]  Prato,  Romania 
13,158.  Visentini  No.  22.  Webster  56  (Marie  Kirikitoun).  Cerquand  1,  41. 
2,  8.  L.  Aranyi,  Eredeti  nepmesek  1862,  S.  277  (Panczimanczi).  Archiv 
f.  Littgesch.  14,  446.  L.  de  Baecker,  De  la  religion  du  nord  de  la  France 
1854,  S.  179  (Kwispiltatje).  Wigström  in  Sv.  Landsmälen  5,  1,  S.  77. 
Powell  2,  27.  [Clodd,  Folk-lore  Journal  7,  135—163.  Romania  13,  158. 
J.  G.  Müller,  Straussfedern  2,  1.     1790.] 

Namen  eines  Zwerges  oder  bösen  Geistes  erraten  (oder  nicht 
vergessen  dürfen):  vgl.  ferner  Grimm,  D.  Mythol.  515.  976.  Müllenhoff, 
Sagen  No.  410  (Kirchenbau.  Vater  Zi).    411  (desgl.  Vater  Fiun).    Strackerjan 

1,  274.  Möller,  Folkesagn  p.  3  (Fader  Siig).  Fischer  374.  Castren, 
Kleinere  Schriften  S.  248.  Müllenhoff,  Sagen  No.  416  (Teufel  hilft  einem 
Manne  zu  Geld.  Knirrficker).  418  (Männchen  führt  den  König  auf  den 
rechten  Weg.  Tepeatieren).  419  (Zwerg  lässt  ein  Mädchen  nur  frei,  wenn 
sie  seinen  Namen  weiss.  Ecke  Neckepenn).  Hansen,  Fries.  Sagen  1858, 
S.  158  =  2.  Aufl.  1875,  XIII  (Ekke  Neckepenn).  Harrys  1,  No.  5  =  Cols- 
horn  No.  29  (Zwerg  u.  Mädchen.  Holzrührlein,  Bonneführlein).  Temme, 
Pommersche  Volkssagen  No.  216  (Zwerg  und  Mädchen.  Doppeltürk). 
Zingerle  2,  278  (Zwerg  u.  Mädchen.  Kugerl).  Vernaleken  No.  2  (Winter- 
kölbl).  Pröhle,  KM.  No.  23  (Teufel  hilft  einer  Braut  zu  Geld.  Hipche 
Hipche).  Pröhle,  Harzsagen  S.  193  (Fidlefitchen).  Zingerle  1,  No.  36 
(Zwerg    trifft  einen  Grafen  auf  seinem  Gebiet.     Purzinigele).     Schönwerth 

2,  354  (Zwerg  durch  das  Erraten  seines  Namens  erlöst.  Spitzbartl).  Ver- 
naleken S.  344.  Baumgarten,  Aus  der  Heimat  [Linzer  Musealber.  1862] 
1,  142  (Teufel  und  Bauernbursche.  Spitzbartl).  Zingerle,  Sagen  344  = 
Alpenburg  307  (Hanenkikerle).     Müllenhoff,  Sagen  No.  594  (Mädchen  hat 


Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten  sicilianiscben  Märchen.  173 

einen  Bräutigam,  der  seinen  Namen  nicht  sagt.  Hans  Donnerstag).  Zingerle, 
Sagen  S.  273  (Kälberfuss).  60  (Waldkügele).  Meier,  Sagen  No.  65.  — 
Eiben  wollen  nicht,  dass  man  ihren  Namen  weiss:  Zingerle  S.  28.  29.  34.  37. 
—  Namen  merken  (nicht  vergessen):  Zingerle  1,  No.  2  (Cistl  im  Körbl). 
Yernaleken  No.  3  (Kruzimugeli).  Kuhn,  Westfäl.  Sagen  1,  298.  —  Carnoy 
No.  1.     Sebillot  No.  48;  Trad.  1,  131.     [Lemke  2,  130:  Ettle-Pettle.] 

85.    Vom  Crivöliu. 
[Übersetzt  bei  Crane  No.  60.]     Pitre  No.  117.     [Grässe,  Märchenwelt 
S.  169.  208.     Sakellarios  No.  3,  im  Jahrb.  f.  rom.  Litt.  11,  386.] 

86.    Von  dem  frommen  Kinde. 
Pitre  No.   112;  Nov.  pop.  tose.  No.  25.     [Crane  p.  211.  366.] 

87.    Vom  Saut1  Oniriä. 
[Köhler,  Archivio  2,  117.     Crane  p.  208.] 

88.    Die  Geschichte  von  Spadönia. 

Pitre  No.  111  =  Crane  No.  62,  p.  212.  366.  —  Köhler  zu  Blade,  Contes 
pop.  de  1' Agenais  1874,  p.  156.  Comparetti  No.  14  (Wasser-,  Blut-  und 
Milchfluss).  Consiglieri-Pedroso  No.  5  (desgl.):  No.  13,  p.  54.  Wuk  Xo.  17. 
Sebillot  No.  44;  Trad.  2,  39.  Revue  celtique  2,293.  30:».  317.  Notesand 
Queries  6.  Ser.  10,  103  (Kriza,  Szekler  Märchen  NO.  14).  Ausland  1880, 
S.  257  (Zigeunermärchen  aus  Rumänien).  Asbjörnsen  Xo.  62.  Wigström  I, 
No.  8,  S.  284.  [Schneller  S.  215.  Veckenstedts  Zeitschrift  für  Volkskunde 
1,  355:  Schafe  und  Apfelbäume.     Kuhn,  Byzantin.  Ztschr.  4,  249.] 

90.    Die  Geschichte  von  San  Japicu  alla  Lizia. 

[Übersetzt  bei  Crane  No.  61.]  Webster  202.  [A  d'Ancona,  Sacre 
rappresentazioni  1872,  3,  435.] 

Die  Äpfelprobe:  Webster  202.  Finamore  No.  36.  Aurbacher,  Volks- 
büchlein 2,  167  (Die  Standeswahl.  Drei  Brüder  müssen  nach  einander  je 
einen  Apfel  unter  sich  teilen).    [Köhler,  Archiv  f.  slav.  Phil.  5,  41,  No  48.] 

92.  Die  Geschichte  vom  Einsiedler. 
[Gering,  Islendzk  Aeventyri  2,  247  (1883).  Österley  zu  Gesta  Rom. 
Cap.  80.  Levi,  Revue  des  etudes  juives  8,  64.  202  (1884).  Crane  zu 
Jaques  de  Vitry,  Exempla  1890,  No.  109  und  Italian  populär  tales  1889, 
p.  210.  365.  Nie.  Bozon,  Contes  moralises  ed.  Meyer  et  Smith  1889,  No.  31. 
Grünbaum,  Jüdisch-deutsche  Chrestomathie  S.  215.  393.  Amalfi,  Zs.  d.  V. 
f.  Volksk.  5,  76.  Holland,  Moritz  von  Schwind  1873,  S.  201.  Kaufringers 
Gedichte  hsg.  von  Euling  No.  1.  Krauss  2,  207.  Jarnik,  Veckenstedts  Zs. 
f.  Volkskunde  2,  345.1 


174  Köhler-Bolte :  Zu  den  von  Laura  Gonzenbach  gesammelten  sicilianischen  Mlrchen. 

Anhang:  Pervonto. 

Oben  S.  69  ist  erwähnt  worden,  dass  ein  Zug  aus  No.  25  (Der  König 
soll  einen  goldenen  Apfel  gestohlen  haben)  in  einer  Reihe  anderer  Märchen 
vorkommt,  die  zum  Pervonto-Kreise  gehören.  Über  diese  mit  der  Gonzen- 
bachschen  Erzählung  „von  dem  Kinde  der  Mutter  Gottes"  nur  in  losester 
Verbindung  stehende  Märchengruppe  mögen  hier  einige  Nachweise  folgen. 

Pervonto  heisst  bei  Basile  (Pentamerone  1,  3)  ein  fauler  Tölpel,  der 
für  eine  den  Feen  erwiesene  Gutthat  die  Gabe  erhält,  dass  seine  Wünsche, 
sobald  sie  ausgesprochen  sind,  sich  erfüllen.  Er  wünscht  der  ihn  ver- 
spottenden Prinzessin  Vastolla  ein  Kind.  Sie  gebiert  wirklich  Zwillinge, 
die  Pervonto  als  ihren  Yater  begrüssen.  Der  ergrimmte  König  lässt  darauf 
seine  Tochter  samt  den  Kindern  und  Pervonto  in  einem  Fasse  den  Wellen 
preisgeben;  aber  der  Tölpel  braucht  seine  Wundergabe,  um  seiner  Familie 
einen  herrlichen  Palast  herbeizuzaubern  und  seinen  zornigen  Schwiegervater 
zu  versöhnen. 

In  anderen  Versionen,  namentlich  in  der  ältesten  Straparolas  (Piacevole 
notti  1550,  III,  1.  Rua,  Giornale  storico  della  lett.  italiaua  16,  229)  ver- 
leiht statt  der  Feen  ein  Thunfisch  dem  Helden  die  Wundermacht.  Italienisch 
noch  bei  Pitre,  Otto  fiabe  No.  3  „Lu  cuntu  di  Martinu"  und  Fiabe  popolari 
siciliane  3,  344,  No.  188  „Lu  loccu  di  li  passuli  e  ficu".  Pitre,  Novelle 
popolari  toscane  1885,  No.  30  „La  favola  del  Falchetto".  Busk,  Folklore 
of  Kome  1874,  p.  119  „Scioccolone".  Visentini,  Fiabe  mantovane  1879, 
No.  47  „II  matto  della  Tegna".  Nerucci,  Novelle  pololari  montalesi  1880, 
No.  38.  [Andrews,  Contes  ligures  1892,  No.  56.  Imbriani,  Novellaja  fio- 
rentina  1877,  p.  390.]  —  Hahn,  Griechische  Märchen  1864,  No.  8  „Der 
halbe  Mensch"  (ähnlich  Straparola).  Coelho,  Contos  populäres  portuguezes 
1879,  No.  30.  Braga,  Contos  tradicionaes  do  povo  portuguez  1883,  No.  26. 
Consiglieri-Pedroso,  Portugiese  Folk-tales  1882,  No.  17  „The  baker's  idle 
son".  Armana  provencau  1880,  100.  Sebillot,  Litterature  orale  de  la  Haute- 
Bretagne  1881,  No.  20.  Troude  et  Milin,  Le  conteur  breton  1870,  p.  303. 
Luzel,  Legendes  chretiennes  de  la  Basse-Bretagne  1,  60  (1881).  —  Ztschr. 
f.  d.  Mythol.  1,  38.  Kuhn,  Mark.  Sagen  und  Märchen  1843,  S.  270  „Der 
dumme  Michel".  Müllenhoff,  Sagen  der  Herzogtümer  Schleswig -Holstein 
1845,  S.  431  „Der  faule  Hans".  Strackerjan,  Aberglauben  und  Sagen  aus 
Oldenburg  2,  346  (1867),  No.  633  „Die  Zauberflöte".  Grundtvig,  Gamle 
danske  minder  2,  308  (1857)  „Den  dovne  dreng"  und  Folke-aeventyr  1876, 
No.  9  [=  Dänische  Volksmärchen,  deutsch  von  Leo  1878,  S.  8  „Fiddiwau"]. 
Kamp,  Danske  Folke-aeventyr  1879,  No.  15  „DovenLars  der  fik  Prinsessen". 
Berntsen,  Folke-aeventyr  1,  No.  7  (1873).  Bondeson,  Halländska  sagor  1880, 
No.  7  „Dan  lade  pägen"  und  Svenska  folksagor  1882,  No.  75  „Smör-Lasse" 
und  No.  76  „Pojken  och  fisken".  Friis,  Lappiske  Eventyr  1871,  No.  20 
=  Poestion,    Lappländische  Märchen  1886,    No.  23  „Der  Riese,    die  Katze 


Kunze:  Volkskundliches  vom  Thüringer  Walde.  175 

und  der  Junge".  Schreck,  Finnische  Märchen  1887,  No.  8.  Chodzko, 
Contes  des  paysans  slaves  1864,  p.  331  =  Godin,  Polnische  Volksmärchen 
S.  20  „Vom  Dümmerling  Ofenhocker  und  von  der  Prinzessin  Dammlieh". 
Dietrich,  Russische  Volksmärchen  1831,  No.  13  „Von  Emeljan  dem  Narren". 
Ralston,  Russian  folk-tales  1873,  p.  263.  Radioff,  Volkslitteratur  der  türk. 
Stämme  Südsibiriens  4,  7.  405  (1872).  [Landes,  Contes  et  legendes  anna- 
mites  1885,  No.  59;  Contes  tjames  1887,  No.  3  „Tabong  le  paresseux". 
F.  H.  v.  d.  Hagen,  Erzählungen  und  Märchen  1,  209.    2,  334  (1825).] 


Volkskiiiidliches  vom  Thüringer  Walde. 

Aus  der  Wied.ersbach.er  Chronik  des  Pfarrer  Möbius 

herausgegeben  von  F.  Kunze. 

(Schluss.) 

Gebräuche,  die  auf  kirchliche  Handlungen  Bezug  haben 
„Wir  blicken  zunächst  auf  das  Vorläuten  oder  Einläuten.  An  jedem 
Sonnabend,  desgleichen  an  den  sogenannten  „heiligen  Abenden"  vor  den 
Festen,  die  in  die  Woche  fallen,  wird  um  2  Uhr  tags  vorher  erst  ein  Puls 
mit  der  grossen  Glocke,  sodann  mit  allen  Glocken  zusammen  geschlagen 
und  an  dem  ersten  Festtage  der  drei  hohen  Feste,  gleich  nach  beendigtem 
Nachmittagsgottesdienste,  durch  Läuten  mit  allen  Glocken  der  andere  Festtag 
angezeigt.  Auch  an  dem  ersten  Festtage  wird  —  statt  sonst  mit  der  grossen 
Glocke  —  mit  allen  Glocken  „das  Erste"  geläutet,  was  besonders  feierlich 
klingt  und  festlich  stimmt.  Am  Totenfeste  ist  es  zwar  Anordnung  (am 
Karfreitage  wird  während  des  Hauptgottesdienstes  mit  allen  Glocken  ge- 
läutet) bei  einbrechender  Nacht  zu  läuten,  allein  da  zu  dieser  Zeit  die 
Leute  auf  dem  Lande,  im  Stalle  oder  in  der  Küche  beschäftigt  sind,  so 
habe  ich  angeordnet,  es  solle  erst  gegen  6  Uhr  zusammengeschlagen  werden, 
damit  der  Eindruck,  den  ich  selbst  von  dieser  Stunde  jedesmal  habe,  ein 
Genuss  für  jedermann  sei.  Was  nützt  auf  dem  Lande  das  Läuten  zu  einer 
Zeit,  wo  niemand  darauf  hört?  Der  Buchstabe  tötet,  aber  der  Geist  macht 
lebendig.  — 

Sonst  war  es  Sitte,  das  neugeborene  Kind  gleich  am  anderen  Tage 
durch  die  heilige  Taufe  dem  Herrn  zu  weihen.  Jetzt  wird  meist,  auch 
in  Gerhardsgereuth,  ein  passender  Sonntag  ausgewählt,  an  welchem  dann 
dem  Pfarrer  observanzmässig  ein  Viertel  Kuchen  und  ein  Viertel  Bier 
(stets  preussisch  Mass)  in  die  Pfarrstube  zu  Gerhardsgereuth  gebracht  wird. 
damit  er  sich  von  den  Mühen  des  Weges  erhole.  Arme  oder  die,  welche 
kein  Taufmahl    geben,    reichen    ein  Äquivalent  an  Geld.     Sobald  die  Ge- 


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vattern  die  Kirchgasse  heraufkommen,  wird  mit  der  kleinen  Glocke1) 
„geklingelt"  und  die  Kinder,  auch  wohl  einige  erwachsene  Mädchen,  eilen 
der  „Klingelkirche"  zu,  sammeln  sich  auf  den  beiden  Emporkirchen  und 
beobachten  den  Taufaktus,  nachdem  sie,  wie  es  eingeführt  ist,  aus  dem 
neuen  Gesangbuche  No.  354  (1—2)  vor  der  Handlung  oder  bei  Zwillingen 
No.  344  („Für  diese  Kinder  beten  wir")  gesungen  haben.  Der  Name  des 
Kindes  und  der  Putz  der  Gevattern  ist  ihnen  die  Hauptsache.  Sonst  reichte 
der  Pfarrer  nach  verrichteter  Taufe  den  Gevattern  die  Hand  und  sprach: 
„Wollet  ihr  das  thun2),  so  sagt  mir's  an  Eides  Statt  hier  vor  der  christ- 
lichen Kirche."  Jetzt  wünscht  er  ihnen  zu  ihrem  Vorhaben  des  Herrn 
besten  Segen.  Anno  1662  war  bei  der  Kirchenvisitation  anbefohlen,  die 
Geistlichen  möchten  acht  haben,  dass  man  den  Täuflingen  bei  der  Taufe 
keine  Korallen3)  noch  sonst  etwas  Anderes  anhänge,  sondern  dass  der- 
gleichen Aberglaube,  sowie  der  Missbrauch  des  Taufwassers  vermieden 
werde.  Doch  reibt,  wie  ich  höre,  die  Hebamme  zu  Wiedersbach  dem 
Kinde  mit  dem  Wasser  das  Zahnfleisch,  „damit  es  die  Zähne  leichter  be- 
komme". Bemerkenswert  ist  der  Zug  in  welchem  die  Gevatterschaft  (hier 
in  Wiedersbach  meist  bloss  ein  Pate,  Zeuge)  zur  Kirche  kommt:  1.  der 
Kindesvater,  2.  der  Gevatter,  3.  die  Frau  des  Gevatters,  4.  die  Hebamme, 
die  in  der  Kirche  das  Kind  trägt,  um  welches  die  Wöchnerin  ein  Tuch 
gebreitet,  das  oft  bis  zur  Erde  reicht.  Aus  der  Kirche  heraus  in  demselben 
Zuge  trägt  die  Gevatter  das  Kind  und  breitet  noch  ein  ähnliches  Tuch 
über  das  Kindtuch  her.  Dieses  Tuch  ist  ein  grosser  Zierrat  in  den  Augen 
der  Eingeborenen,  obgleich  es  meist  grell  gegen  die  dunkle  Kleidung  der 
Gevattern  absticht.  Früher  hatte  man  ganz  eigens  dazu  gearbeitete  weisse 
Tücher  mit  breiten  Fransen,  über  welche  die  bunten  so  abgesteckt  wurden, 
dass  bloss  die  Fransen  sichtbar  waren.  Sobald  die  Gevatter  der  Wöchnerin 
das  Kind  wieder  verabreicht,  spricht  sie:  „Einen  Heiden  haben  wir  fort- 
getragen, einen  Christen  bringen  wir  Dir  wieder"  —  und  wünscht  zur 
Erziehuug  des  Kindes  Glück.  Sodann  wird  ein  einfaches  Mahl,  wozu 
ausser  den  Gevattern  der  Pfarrer  und  der  Lehrer  geladen  zu  werden  pflegt, 
eingenommen  und  gegen  10  Uhr,  selten  viel  später,  geht  die  Gesellschaft 
auseinander.  Früher  mag  in  dieser  Beziehung  viel  Missbrauch  eingeschlichen 
sein,  deshalb  erging  am  13.  Juni  1768  der  obrigkeitliche  Befehl,  „dass  in 
Zukunft  1.  alle  und  jede  bei  dem  Gevatter-Bitten  seither  im  Schwange 
o-eo-ano-ene  Schmaussereien,  wozu  öfters  die  Nachbarn  und  Bekannten  ge- 
zoo-en,  oder  selbigen  doch  Semmeln,  Blutwürste  und  Wein  ins  Haus  geschickt 


1)  Diese  heisst  im  Henneberg,  allgemein  „das  Kennelesglockle"  (Kinderglöckchen), 
in  Suhl  „das  Taufglöckchen". 

2)  d.  h.  den  Inhalt  des  Taufgelübdes  berücksichtigen. 

3)  ltote  Korallenketten  am  Halse  sollen  das  ungehinderte  Zahnen  der  Säuglinge  be- 
fördern, (ci'r.  Wuttke,  Volksaberglaube  der  Gegenwart',  S.  369;  Schmidt,  Sitten  und 
Gebräuche  bei  Hochzeiten  etc.  in  Thüringen,  1863,  S.  70.) 


Volkskundliches  vom  Thüringer  Walde.  177 

worden,  gänzlich  eingestellt,  —  ferner  2.  die  üble  Observanz,  dass  das  zu 
taufende  Kind  von  dessen  Taufzeugen  mit  kostbaren  Hauben,  welche  auf 
2 — 5  Keichsthaler  angeschafft  werden  müssen,  beschenkt  werden,  abgeschafft, 
vielmehr  3.  ausser  dem  Patengeschenke,  so  nach  der  Fürstl.  Verordnung 
1678  bei  Bauersleuten  nicht  über  12  Gulden,  bei  Bürgern  und  Handwerks- 
leuten nicht  über  einen  Reichsthaler,  bei  anderen  Honoratioribus  aber  nicht 
mehr  als  2  Reichsthaler  betragen  soll,  ingleichen  auch  ausser  der  Gabe 
aufs  Bett,  welche,  wo  sie  Herkommens,  obigermassen  einzurichten,  der 
Wöchnerin  oder  dem  Paten  bei  einem  oder  dem  anderen  Besuche  etwas 
an  Geld,  Silber,  Zitz  =  Cattoun,  Leinwand  oder  sonstigen  Geschenken,  wie 
sie  nur  Namen  haben  mögen,  nicht  mitgebracht  oder  gegeben,  nicht  minder 
4.  der  Pate  im  vierten  oder  fünften  Jahre  oder  wenn  es  das  erste  Mal 
zum  heiligen  Abendmahle  geht  oder  zu  Weihnachten  und  Neujahrszeiten 
oder  sonst,  nicht  gekleidet,  noch  weniger,  wenn  5.  selbiger  in  der  Jugend 
verstirbt  auf  Kosten  derer,  die  ihn  aus  der  Taufe  gehoben,  eingelegt  und 
begraben,  noch  6.  wenn  er  im  Gegenteil  erwächst  und  sich  verheiratet, 
besonders  als  Pate  ausgestattet  werden  solle.  Wie  nun  hierdurch  sich  auch 
die  aus  vorangeführten  Missbräuchen  entstandene  schädliche  Gewohnheit, 
dass  gewisse  Personen  und  junge  Anfänger,  welche  bei  vorgekommener 
Gelegenheit  bereits  viel  aufgewendet  oder  die  Präsumtion  des  Aufwandes 
vor  sich  haben,  zu  ihrem  unverantwortlichen  Ruin  binnen  ein  oder  zwei 
Jahren  mehrmalen  zu  Gevatter  stehen  müssen,  ferner  auch,  dass  die  Kinds- 
väter, in  Hoffnung  des  Gewinnstes  an  Stand  ungleiche  und  öfters  L;;my. 
unbekannte  Personen  zu  Taufzeugen  wählen,  meistenteils  von  selbst  auf- 
hören werden"  und  wird  auf  die  Übertretung  3 — 10  fl.  Strafe  gesetzt. 

Jedoch  bestehen  die  „Schmaussereien",  abgerechnet  die  übrigen  Ge- 
bräuche, wie  in  Henneberg  überhaupt,  so  hier  insbesondere,  so  dass  es 
jedem  Leid  sein  muss,  wenn  er  ein  Kind  aus  der  Taufe  heben  soll  (Super- 
intendentur-Akten  Bd.  VIII,  5).  Schon  im  Jahre  1542  wurde  verboten, 
bei  den  Tänzen  mit  Frauen  und  Jungfrauen  sich  des  unzüchtigen,  un- 
verschämten Umtreibens,  Aufstampfens,  Herumschwenkens,  unziemlichen 
Laufens  und  Abstossens  u.  s.  w.  zu  enthalten,  sondern  „ehrbarlieh  mit 
zugedeckter  Scham"  seinen  Tanz  zu  vollbringen. 

Noch  zu  Michaelis  1806  war  es  hier  Gebrauch,  die  Kinder  zweimal 
im  Jahre  einzusegnen.  Die  Prüfung  der  Konfirmanden  ist,  weil  sie  die 
Handlung  übermässig  ausdehnt,  den  Geistlichen  unterbricht,  die  Rührung 
und  Bewegung  der  Kinderherzen  aufhebt,  die  Kinder  überhaupt  befangen 
macht  und  bei  dem  rauhen  Klima  hier  der  Andacht  mehr  hinderlich  als 
förderlich  ist,  1838  von  der  Handlung  selbst  abgetrennt  worden  und  wird 
Freitags  vorher,  nach  der  Predigt,  vor  versammelter  Gemeinde  gehalten. 
Dom.  Palmarum  versammelten  sich  die  Kinder  in  der  Schule  und  gingen 
dann,  nachdem  sie  vorher  sich  selbst  überlassen  und  von  Neugierigen  um- 
geben waren,  allein  in  die  Kirche  auf  die  für  sie  bestimmten  Plätze.    Das 


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war  meinen  Gefühlen  zuwider,  und  ich  habe  sie  darum  in  die  obere  Stube 
meines  Hauses  versammelt,  damit  sie,  vom  Geräusche  der  Umgebung  ge- 
trennt, sich  sammeln  können.  Draussen  läutet  es  zur  Kirche.  Die  Gemeinde 
ist  schon  eine  halbe  Stunde  früher  versammelt,  um  Platz  zu  erhalten,  da 
der  Andrang  an  diesem  Tage  grösser  als  sonst  ist.  Aus  dem  Hause  vor- 
angehend, folgen  mir  Paar  und  Paar,  erst  Knaben,  dann  Mädchen,  zur 
Kirche.  Bei  unserem  Eintritt  ins  Gotteshaus  schweigen  die  Glocken,  und 
die  Orgel  ertönt.  An  den  Stufen  des  Altars  setzen  sich  die  Kinder  auf 
eigens  zu  diesem  Tage  bestimmte  Sitze,  stehen  aber  auf,  sobald  die  Rede 
gehalten  wird.  Einer  aus  ihrer  Mitte  spricht  das  Glaubensbekenntnis;  sie 
beantworten  die  Bundesfragen  und  geben  knieend  einer  dem  andern  den 
Handschlag.  Sobald  der  erste  zum  Handschlag  hinzutritt,  wird  mit  allen 
Glocken  geläutet,  bis  der  letzte  den  Segen  empfangen.  Nach  beendetem 
Gottesdienste  kommen  sämtliche  Kinder  mit  ihren  Eltern  noch  einmal  in 
die  Pfarre,  bedanken  sich  für  den  empfangenen  Unterricht  und  der  Pfarrer 
nimmt  Veranlassung,  hier  nochmals  zu  den  Herzen  beider  zu  reden.  Am 
Karfreitage  gehen  die  Konfirmierten  mit  ihren  Eltern  allein  zum  heiligen 
Abendmahl,  während  sie  früher,  nach  meinem  Ermessen  höchst  unzweck- 
mässig, mit  der  dritten  Klasse  beichteten.  Die  Privatbeichte  war  sonst 
hier  allein  üblich,  jetzt  ist  zwar  die  allgemeine  Beichte  eingeführt,  ohne 
dass  erstere  jedoch  aufgehoben  wäre.  Während  der  Beichte  stehen  die 
Männer  auf  der  Emporkirche. 

Die  Kommunikanten  hiesigen  Kirchspiels  in  matre  et  filia  (in  der 
Mutter-  und  der  Tochterkirche)  sind  nach  Klassen  verteilt,  deren  Reihe 
abwechselnd  9  Wochen  fortläuft  und  9  WTochen  still  steht.  Diese  Klassen 
sind  geordnet:  1.  in  W.  a)  Alte  und  Witwer,  b)  alte  Männer  und  Frauen, 
c)  alle,  die  bei  der  einen  oder  anderen  Klasse  nicht  gehen  konnten.  - 
2.  in  G.  4  Klassen  (diese  Klasseneinteilung  ist  höchst  zweckmässig,  findet 
sich  schon  im  17.  Jahrhundert  vor  und  ist  dem  Geistlichen,  der  sie  ein- 
gerichtet hat,  nicht  genug  zu  danken).  Während  des  heiligen  Mahles 
stellen  sich  die  Kirchenvorstandsmitglieder  hinter  den  Altar,  und  die  Sage 
berichtet  über  diesen  Brauch:  man  habe  vor  Zeiten  die  geweihten  Hostien 
aus  dem  Munde  genommen  und  an  die  Jäger  verkauft,  von  denen  sie  dann 
an  einen  Baum  genagelt  und  geschossen  worden  wären.  Aus  der  ge- 
schossenen Hostie  sei  Blut  geflossen,  und  der  Jäger,  der  sie  durchlöchert, 
habe  dann  sicher  jedes  Wild  schiessen  können1).  Das  Presbyterium  sollte 
nun  über  diesen  Brauch  wachen  und  die  Entheiligung  des  Abendmahls- 
brotes  hindern.  —  Diese  Sage  scheint  Grund  zu  haben,  da  noch  heute  mit 
geweihten  Hostien  allerlei  Aberglaube  verbunden  wird.    Doch  ist  jedenfalls 


1)  Bekanntlich  ist  dieser  Aberglaube  in  fast  allen  Gegenden  Deutschlands  vertreten, 
wie  aus  unserer  volkskundlichen  Litteratur  ersichtlich  ist.  Vergl.  z.  B.  Kuhn,  Westfäl. 
Sagen  I,  S.  339;  Mühlhause,  Urreligion  S.  38;  Kuhn  und  Schwartz,  Norddeutsch.-  Sagen 
S.  429  u.  s.  w.     Zingerle,  Sagen  aus  Tirol.     2.  A.     No.  7G7  m.  Aura. 


Volkskundliches  vom  Thüringer  Walde.  179 

eine  andere  Absicht  dieser  Einrichtung  massgebend  gewesen,  nämlich  dass 
während  der  Kommunion  jede  Unordnung  verhindert  werde. 

Bei  der  Kommunion  gehen  alle  Teilnehmer  Massenweise  nach  dem 
Altar  —  mit  Ausnahme  der  Weiber,  die  nach  der  Keihenfolge  ihrer  Stände 
heraustreten  —  bloss  der  Schulze  geht  in  seiner  Klasse  voran,  wie  er  auch 
in  Wiedersbach  einen  besonderen  Kirchensitz  hat. 


Die  Verlobung,  die  hier  „Hingäbes"1)  heisst,  kann  hier  eigentlich 
so  gut  als  gar  nicht  gehalten  werden,  da  die  meisten  sich  nicht  früher 
versprechen,  als  bis  sich  das  Mädchen  in  gesegneten  Umständen  befindet. 
Auf  Neigung,  Gesundheit,  Charakter,  Sitten  etc.  wird  hier  keine  Rücksicht 
genommen,  sondern  allein  nach  Geld  oder  Gütern  gefragt,  daher  das  Sprich- 
wort: „Reicher  Leute  Kinder  werden  bald  gross  und  armer  Leute  Säue 
bald  fett."  Ist  jedoch  einmal  eine  Verlobung,  so  wird  in  Gegenwart  der 
Paten  der  Handschlag  gegeben;  die  Braut  erhält  einen  Fingerring,  einen 
Verlöbnis-Thaler  und  einen  Dukaten  an  die  Halskette.  Der  Bräutigam 
dagegen  wird  mit  einem  leinenen  Hemd  und  mit  einem  Halstuch  bedacht. 
Sonst  wurde  die  Braut  ganz  gekleidet,  jetzt  ist  es  sehr  willkürlich,  meist: 
Schürze,  Spenzer,  Brautschuhe,  auch  hin  und  wieder  ein  Mantel.  Während 
des  Aufgebotes  besucht  das  Brautpaar  im  Brautstaate  die  Kirche  seines 
Geburtsortes;  sie  warten  dabei,  bis  alle  Leute  in  der  Kirche  sind,  damit 
sie  hier  wie  auf  dem  Wrege  ja  von  allen  Leuten  recht  betrachtet  werden 
können.  Voran  geht  bei  diesem  Zuge  der  Bräutigam,  dann  folgt  die  Braut- 
jungfer, und  die  Braut  macht  den  Schluss.  Nach  dem  zweiten  Aufgebot 
wird  dem  Paten  die  Trauung  nochmals  angezeigt  und  erhalten  die  weib- 
lichen Paten  von  der  Braut  entweder  eine  Schürze  oder  einen  Wams,  ein 
Paar  Schuhe  und  ein  tüchtiges  Halstuch,  der  männliche  Pate  ein  Hemd 
und  ein  Halstuch.  (Sonst  wurden  wie  in  anderen  Parochieen  „die  stillen 
Trauungen"  vor  dem  dritten  Aufgebote  verrichtet;  ich  that  es  nie.) 

Die  Hochzeiten  wurden  sonst  mit  grossem  Pomp  und  zwar  vom  $ 
bis  "$  gefeiert.  Der  Aufwand  war  unbeschreiblich,  wie  für  die  Gäste  so 
für  den  Wirt,  denn  die  ersteren  mussten  ebenfalls  Kuchen  backen,  dieselben 
im  Hochzeitshause  auflegen,  so  dass  der  Kuchen  oft  bis  zur  Decke  in  dem 
Hochzeitshause  aufgeschichtet  lag.  Die  sogenannten  „Kirmesbündel" 2) 
wurden    natürlich    damals  sehr  gross.     Der  Zug-  wurde  mit  Musik  bis  zur 


1)  In  manchen  Gegenden  Thüringens  wird  die  "Verlobung  ebenfalls  „Hingebet"  be- 
nannt (cfr.  Schmidt  a.  a.  0.  S.  13).  Vgl.  über  die  altdeutsche  Vermählung  K.  Weinhold, 
Die  deutschen  Frauen  im  Mittelalter  1,  2lJ6— 413,  2.  Ausg. 

2)  Die  Kuchen-  und  Bratenproben,  welche  die  Kirmesgäste  von  der  Kirchweih  mit 
nach  Hause  bringen,  um  auch  den  Angehörigen,  die  wohl  oder  übel  das  ..grösste  Pest" 
vorbeigehen  lassen  mussten,  auch  eine  Freude  zu  machen,  bilden  in  ihrer  Gesamtheit  das 
sprichwörtlich  gewordene  „Kirmesbündel",  am  Unterharze  auch  „Ihrbingel"  (d.  h.  Ähren- 
bündel,  weil  zusammengelesen;  genannt. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.     1896.  12 


180  Kunze: 

Kirchthür  begleitet,  wo  die  Musikanten  stehen  blieben,  bis  sämtliche  Gäste 
in  der  Kirche  waren,  was  freilich  gegen  die  kirchliche  Feier  gewaltig  ab- 
gestochen haben  mag.  Die  Ordnung  des  Zuges  war  sonst  folgende:  Musik, 
Bräutigam  (mit  diesem  ging  von  der  Pfarrwohnung  aus  der  Geistliche), 
der  Pate,  männliche  Hochzeitsgäste,  Brautjungfer  („Brautmagd"),  Braut- 
führer mit  der  Braut  und  Weiber.  Jetzt,  wo  selten  ein  öffentliches  Hoch- 
zeitsfest ist,  geht  auch  —  freilich  abgeschmackt  genug!  —  der  Bräutigam 
voran  und  nach  drei  oder  vier  Schritten  folgt  die  Braut.  So  oft  sie  auch 
schon  darauf  aufmerksam  gemacht  worden  sind,  aber  keiner  will  den 
Anfang  machen,  es  zu  ändern. 

Sonst  führte  der  Brautführer  die  Braut  bis  an  ihren  Kirchenstand,  öffnete 
die  Thür  an  demselben  und  beide  verbeugten  sich  gegen  einander.  Sie 
trat  in  ihren  Stand,  verbeugte  sich  wieder  und  machte  die  Thür  zu  (er 
trat  in  den  gegenüber  befindlichen  Stand),  während  der  Bräutigam  mit  den 
männlichen  Gästen  in  dem  Stande  hinter  dem  Altare  Platz  genommen  hatte. 
Sobald  der  Pastor  an  den  Altar  trat,  kam  der  Bräutigam  allein  zum  Altare, 
der  Brautführer  holte  unter  denselben  Ceremonien  die  Braut  und  führte 
sie  auch  vor  den  Altar.  Beide  Brautleute  neigten  sich  zuerst  vor  dem 
Pfarrer,  sodann  gegen  einander,  nun  die  Braut  vor  dem  Brautführer,  der 
dann  wieder  nach  beendigter  Trauung  in  seinen  Stand  zurückging.  Die 
Ceremonien  nach  der  Trauung  waren  dieselben  wie  vorher,  ebenso  auch 
der  Zug  nach  Hause  gleich  dem  Hergange. 

Am  ersten  Tage  der  Hochzeit  musste  der  Bräutigam  die  Gäste  be- 
dienen; der  Brautführer  hatte  die  Braut  an  seiner  Seite,  musste  aber  auch 
für  dieselbe  bezahlen,  so  oft  der  Teller  herumging.  Wenn  der  Brautführer 
von  seinem  Platze  neben  der  Braut  aufstand,  so  konnte  er  auf  seinen  Sitz 
ein  Messer  stecken,  oder,  wenn  sich  ein  anderer  auf  diesen  Platz  setzte, 
die  Braut  auslösen.  Am  zweiten  Tage,  wo  die  Braut  bediente,  änderten 
sich  die  Hochzeitsgebräuche  in  sehr  eigentümlicher  Weise.  In  dem  Hofe 
wurden  mehrere  Tische  aneinandergestellt  und  Braut  und  Bräutigam  im 
festlichen  Schmucke,  an  der  Seite  ihrer  Eltern,  stehen  vor  dem  Tische, 
dass  zwischen  ihnen  und  dem  Tische  einer  bequem  hindurchgehen  kann. 
Die  Musik  schweigt  und  zuerst  treten  die  Paten  hinzu,  schenken  das  hier 
übliche  Kissen  oder  einen  kupfernen  Kessel  („Kasseroll"),  wünschen,  um 
den  Tisch  gehend,  Eltern  und  Brautleuten  Gottes  Segen  zu  ihrem  Vor- 
haben. Ihnen  folgen  sämtliche  Gäste  in  gleicher  Weise  nach.  Die  Ge- 
schenke hier  bestehen  meistens  in  zinnernen  Hausgeräten. 

Dieser  Augenblick  ist  rührend  und  feierlich,  und  ich  habe,  die  Be- 
deutung dieses  Brauches  erwägend,  dies  nie  ohne  Thränen  ansehen  können. 
Freilich  verbittern  unzeitige  Spässe  oftmals  diesen  feierlichen  Augenblick. 
Zu  bemerken  ist  hierbei,  dass  der  sogenannte  „Rocken",  das  Hochzeits- 
geschenk, den  Brautleuten  gehört,  aber  das  eingelegte  bare  Geld  erhält 
der  Hochzeitsvater,  er  musste  es  denn  den  Brautleuten  freiwillig  überlassen. 


Volkskundliches  vom  Thüringer  Walde.  181 

Auch  war  es  sonst  gebräuchlich,  dem  Brautpaare  aus  der  Gemeinde  ein 
Geschenk  an  Brennholz  zu  machen,  doch  ist  das  jetzt  aufgehoben.  Die 
Schüler  erhielten  bei  einer  solchen  öffentlichen  Hochzeit  eine  Mahlzeit  und 
Bier,  bei  einer  jetzigen  8  Batzen,  d.  h.  48  Kreuzer  Rheinisch.  Am  dritten 
Tage  wird  der  Hahn  geschlagen;  die  Mädchen  laufen  nach  einem  Kuchen, 
die  Burschen  nach  einem  Tuche. 


Bei  einem  Sterbefalle  singt  der  Wächter  auf  seinen  acht  Ruforten 
einige  Yerse  aus  dem  Liede  No.  728  (Einst  gehe  ich  etc.)  und  zeigt  damit 
sehr  oft  der  Gemeinde  den  Todesfall  erst  an.  Bei  grossen  (d.  h.  öffent- 
lichen) Leichen  wird  einige  Stunden  nach  dem  Tode  „Zeichen"  geläutet, 
d.  h.  mit  allen  Glocken.  Yorgeläutet  wird  bei  Kindern  mit  der  kleinen, 
beim  jungen  Volke  mit  der  mittleren  und  bei  Verheirateten  oder  Alten 
mit  der  grossen  Glocke.  Der  Wächter  meldet  dann  Haus  für  Haus,  auch 
in  den  Nachbardörfern,  den  Todesfall  und  ladet  zur  „Leiche"  ein,  wofür 
er  in  jedem  Hause  ein  Stück  Brot  erhält.  Gewöhnlich  werden  die  Nach- 
barn, welche  zugleich  auch  das  Grab  machen,  zu  Trägern  ausersehen.  Die 
Särge  sind  alle  bunt,  mit  vielem  geschmacklosen  Geschnörkel  versehen, 
oft  auch  mit  goldenen  Leisten  und  anderen  Verzierungen  ausgestattet.  Die 
schönsten  Särge  nach  hiesigem  Geschmack  sind  die  mit  gewölbten  Deckeln. 
Den  Leichen  werden  die  Brautkleider  zum  letzten  Gange  angezogen;  die 
sogenannten  „Sterbekittel",  in  Form  eines  Hemdes,  jedoch  oben  offen, 
sind  erst  gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  aufgekommen.  Oft  werden 
den  Weibern  und  Kindern  neue  seidene  Kleider  angeschafft,  damit  sie, 
was  hier  in  der  ganzen  Gegend  gebräuchlich  ist,  rechtes  Aufsehen  erregen; 
ja  —  horribile  dictu  —  man  schnürt  denjenigen  Toten,  die  man  gern  aus- 
stellen möchte,  die  aber  schon  zu  verwesen  anfangen,  mit  einem  Bande 
oder  einer  Schnur  den  Hals  zu,  damit  sie  nicht  übergehen.  Ehe  das 
Leichentuch  ausgebreitet  wird,  öffnet  man  den  Sarg  noch  einmal.  Die 
Schule  zieht  mit  dem  zweiten  Läuten  vor  das  Haus,  singt  eine  Arie  und 
ein  Lied,  währenddessen  einer  der  Träger  für  die  Schuljugend,  sowie  für 
alle  Kinder,  die  überhaupt  zugegen  sind,  selbst  die  im  Mantel  nicht  aus- 
genommen (d.  i.  die  kleinen,  die  noch  auf  dem  Arm  von  dem  Mantel  der 
Wärterinnen  umhüllt  getragen  werden),  einen  Korb  voll  Semmeln  heraus- 
bringt und  unter  sie  verteilt,  während  ein  anderer  der  anwesenden  Leichen- 
begleitung Bier  oder  Schnaps  darreicht.  Den  Chor-Adstanten  wird  aufs 
Buch  ein  Geldstück  gelegt  (3  oder  6  Kreuzer).  Mit  dem  Anfange  des 
zweiten  Liedes,  welches  auf  dem  Wege  gesungen  wird,  treten  die  Träger 
mit  entblösstem  Haupte  nahe  an  die  Bahre,  zwei  zum  Haupt,  zwei  in  die 
Mitte  und  zwei  zu  den  Füssen,  und  beim  nächsten  Verse  bewegt  sich  der 
Zug  in  folgender  Ordnung  aus  dem  Leichenhause  zu  dem  Friedhofe:  der 
Kreuzträger  (merkwürdig,    dass  in  Wiedersbach  am  grossen  Kruzifix  zwei 

12* 


182  Kunze: 

Körper  hingen,  von  denen  ich  aber  1840  einen  abtrennen  Hess),  Schule, 
Pfarrer  und  Lehrer,  männliche  Leichenbegleitung,  das  Leichenkreuz  mit 
Name,  Stand  und  Alter  des  Toten  (das  Kreuz  ist  bei  den  Kindern  rot  mit 
weisser  oder  schwarzer  Schrift,  bei  erwachsenen  Unverehlichten  blau  mit 
weisser  oder  schwarzer  Schrift),  die  Leiche,  Totenfrau,  Leidtragende  und 
endlich  weibliche  Begleitung.  Bei  öffentlichen  Leichen  geht  es  vom 
Gottesacker  zur  Kirche.  „Leichenpredigten  sind  Lügenpredigten".  Das 
Leichenkreuz  kommt  auf  das  Grab  und  ist  bei  Kindern  und  jungen  Leuten 
mit  einem  Kränzchen  geziert.  Das  Leichentuch  für  Kinder  hat  eine 
himmelblaue  Farbe.  Sind  auf  dem  Sarge  viele  Kränze,  so  wird  hernach 
über  das  Kreuz  ein  Schränkchen  gemacht,  in  welchem  Krone  und  Kränze 
aufbewahrt  werden. 

Ein  Teil  der  Leichenbegleitung  geht  ins  Leichenhaus  und  spricht  dort: 
„Ich  wünsche  dir  Glück  zum  Leid,  dass  viel  Freude  darauf  folgt"  —  und 
nimmt  mit  einer  Mahlzeit  von  Käse  und  Brot  oder  auch  mit  Kuchen  und 
Kaffee  vorlieb  und  trinkt  Bier  und  Schnaps.  Gegen  7 — 8  Uhr  kommen 
auch  die  Träger  und  erhalten  dasselbe.  Früher  waren  diese  Leichenmahle 
förmliche  Schmausereien  und  noch  in  neuester  Zeit  hiess  es  in  Schleusingen: 
„Die  Leichen  werden  versoffen"1).  —  Die  Trauer  dauert  hier  sehr  lange; 
das  geschieht  für  viele  Familien  mit  grossem  Aufwände. 

Was  die  Predigten  anbetrifft,  so  wird  am  10.  post  Trinit.  die  Zer- 
störung Jerusalems  gelesen,  am  23.  p.  Trin.  die  Eidespredigt  gehalten. 
Merkwürdig,  dass  sich  die  Männer  am  Busstage  herumdrehten  und  auf  die 
Bank  knieten,  wo  sie  sassen."  — 

Soweit  die  Notizen  jeuer  handschriftlichen  Chronik,  wie  sie  sich  auf 
Sitten  und  Gebräuche  beziehen.  Beigefügt  sei  in  nachstehenden  Zeilen 
noch  eine  Anzahl  sprichwörtlicher  Redensarten,  Bauernregeln  etc.,  welche 
ebenfalls  dort  verzeichnet  stehen,  wenn  auch  nicht  in  Verbindung  mit 
obigen  Ausführungen.    Diese  volkskundlichen  Sächelchen  lauten  wie  folgt: 

„Wenn  auf  Michaelis  der  Mond  im  Zunehmen  ist,  bleibt  Heu  übrig 
fürs  Spätfrühjahr,  und  umgekehrt. 

Wenn  Michaelis  die  Luft  von  Morgen  oder  Norden  kommt,  giebts 
einen  harten  Winter. 

Wenn  die  Vogelbeeren  geraten,  so  gerät  auch  das  Winterkorn. 

Wenn  die  Pfarrwiese  gemäht  wird,  dann  regnets. 

Wer  soll  das  thun?     Wer  hats  gethan?     Stets  der  Pfarrer. 

Alte  Regel  und  junge  Flegel  gelten  nichts. 

Grosse  Kälte  vor  Weihnachten,  giebt  grossen  Schnee  zu  betrachten. 


1)  Es  heisst  eigentlich:  „Das  Fell  wird  versoffen",  eine  Eedensart,  die  man  in  fast 
allen  Gegenden  Deutschlands  antrifft.  (VergL  z.  B.  Am  Urquell  I,  S.  113—115;  139  und 
II,  S.  81,  147,    wo  sich  besonders  Reinhold  Köhler  in  lichtvoller  Weise  darüber  auslässt.) 


Volkskundliches  vom  Thüringer  Walde.  183 

Holz  und  Unglück  wächst  alle  Tage. 

Wenn  der  Fuchs  Lichtmessen  seinen  Schatten  sieht,  so  kehrt  er  nach 
vier  Wochen  zurück  (in  sein  Loch),  und  es  wird  dann  ein  langer  Winter 
kommen. 

Christmette  hell,  dunkel  in  den  Stadeln  (Scheuern),  d.  h.  es  wird  eine 
gute  Ernte  folgen. 

Wenn  es  in  den  zwölf  Nächten  duftet,  dann  gerät  das  Obst.  (Duft 
=  Reif.) 

Sind  die  Lichtmessen  hell  und  klar,  folgt  ein  fruchtbares  neues  Jahr. 

Sind  die  Lichtmessen  dunkel,  dürfen  die  Schäfer  zum  Weine  gehen. J) 

Wenn  der  Schnee  von  der  Sonne  weggeleckt  wird,  bekommen  wir 
kalte  und  schwere  Gewitter. 

Wer  handelt,  dass  er  verdirbt,  den  muss  man  schlagen,  dass  er  stirbt. 

Wenns  zur  Trauung  regnet,  wird  das  Brautpaar  reich.2) 

Wenn  man  auf  den  Krebs  Leinen  säet,  wird  er  nicht  lang.3) 

Auf  den  Fisch4)  darf  mau  keine  Kartoffeln  stecken,  sonst  werden  sie 
wässerig. 

Wenn  man  ein  hartes  Zeichen  hat  (Steinbock  oder  Krebs),  darf  mau 
keine  Hülsenfrüchte  säen,  sonst  kochen  sie  nicht. 

Auf  Gallus  (16.  Okt.)  darf  man  kein  Kraut  einmachen,  sonst  wird  es 
bitter. 

Ein  trockener  April  ist  nicht  der  Bauern  Will. 

Wer  sein  Gut  bringt  an  den  rechten  Erben,  der  kann  sanft  und  selig 
sterben. 

Hat  der  Vincenz  (22.  Januar)  Sonnenschein  —  kriegen  wir  vielen  und 
guten  Wein." 


1)  Im  Henncbergischeu  sieht  mau  überhaupt  am  Lichtmesstage  (2.  Febr.)  nicht  gern 
den  Sonnenschein,  -weil  er  ein  ungünstiges  Jahr  verkündet,  aber  „wenn  es  am  Lichtmess- 
tage recht  dunkel  ist,  folgt  ein  fruchtbares  Jahr"  (cfr.  Düringsfeld,  Das  Wetter  im  Sprich- 
wort, S.  86),  was  auch  dem  Hirt  zugute  kommt. 

2)  Vgl.  auch  Meier,  Sitten  und  Gebräuche  aus  Schwaben,  S.  488,  sowie  Witzschel, 
Sitten  und  Gebräuche  aus  Thüringen  II,  S.  233.  In  Hessen,  Schlesien,  Ostpreussen, 
Niedersachsen  etc.  ist  man  derselben  Ansicht,  während  andererseits,  z.  B.  am  Oberharz, 
das  Brautpaar  nicht  eher  nach  der  Hochzeitskirche  geht,  als  bis  der  etwa  sich  eingestellte 
Regen  aufhört,  denn  fällt  er  in  den  Brautkranz,  so  bedeutet  das  Unglück. 

3)  Weil  der  Krebs  rückwärts  geht, 

4)  d.  h.  im  Tierkreiszeichen  „Fische".  Die  Fische  erinnern  an  das  „feuchte  Element". 
Derselbe  Aberglaube  ist  auch  im  Erzgebirge  heimisch  (Wuttke  a.  a.  0.  S.  398). 


184  Unger: 

Aus  dem  deutschen  Volks-  und  ßechtsleben 
in  Alt-Steiermark. 

Von  Theodor  Unger,  1.  Adjunkt  am  steir.  Landes  Archiv. 


I.  Johannis  Minne  und  Johannis  Segen. 
In  Bayern,  Tirol,  Vorarlberg,  in  einigen  Gegenden  Österreichs  und 
Böhmens,  in  Schwaben,  im  Bistum  Hildesheim  lebt  noch  heut  der  früher 
über  Deutschland  verbreitete  Brauch,  dass  am  Gedächtnistage  des  heiligen 
Johannes  Evangelista,  d.  i.  am  27.  Dezember,  Wein  von  dem  Priester  ge- 
weiht und  den  Gläubigen  am  Speisegitter  in  der  Kirche  mit  den  Worten 
gereicht  wird:  Bibe  amorem  sancti  Joannis  in  nomine  patris  et  filii  et 
spiritus  sancti.  Dieser  Wein  hiess  deutsch  die  Johannis-Minne.  Die  Segens- 
formel ist  aus  einer  S.  Florianer  Handschrift  des  14.  Jahrhunderts  in  der 
Germania  (Zeitschr.  f.  deutsche  Altertumskunde  XXVIII,  120)  abgedruckt.1) 
In  Steiermark  und  dem  benachbarten  Kärnten  haben  sich  drei  Urkunden 
über  diesen  alten  volkstümlichen  Gebrauch  erhalten.  Es  sind  fromme 
Stiftungen  des  Mittelalters,  damit  an  dem  Festtage  des  Heiligen  den 
Gläubigen  der  Minnetrunk  gereicht  werden  könne.  So  giebt  im  Jahre  1321 
der  Chorherr  Chunrat  dem  Chor  zu  Werde2)  ein  Gut  zu  Seelgeräte,  mit 
der  Bestimmung,  dass  jährlich  eine  Pinte  Kaynfal  (Prosecco-Wein)  oder 
March-Wein  dem  Volke  an  diesem  Tage  gegeben  werde. 

Die  zweite  Urkunde,  welche  vom  Jahre  1352  datiert,  versetzt  uns  in 
das  Mürzthal.  Der  Pfarrer  von  St.  Lorenzen  daselbst  erkauft  zu  seiner 
Kirche  zwei  Weingärten  zu  Hettmannsdorf  in  Nieder- Österreich.  Der 
Ertrag  derselben  ist  für  Johannes  Minne  gewidmet.  Auch  zu  Ostern  soll 
den  Kommunikanten  Wein  gereicht  werden. 

Die  dritte  Urkunde  von  1384  spielt  zu  Leoben.  Ein  Schneidermeister 
Namens  Wernczlein  daselbst  stiftet  sich  und  seiner  Gattin  in  der  dortigen 
Klosterkirche  der  Dominikaner  einen  ewigen  Gedächtnistag,  welcher  all- 
jährlich am  St.  Johannestag  zu  Weihnachten  abzuhalten  ist.  Aus  dem 
Stiftungsfonde  sind  4-6  Pfennig  für  Wein  zu  verwenden,  damit  das  Volk 
mit  der  Johannis  Minne  erquickt  werde. 

Heute  wird  die  Johannis  Minne  in  Steiermark  Johannis-Segen  oder 
kurzweg  Wein-Hansel  genannt.  Hören  wir  einige  Stimmen  aus  dem  Lande 
darüber. 

1)  Vgl.  auch  Gelasius  di  Cilia  canonicus  ord.  s.  Augustini:  Locupletissimus  The- 
saurus continens  Benedictiones,  Conjurationes,  Exorcismos  etc.  Ausg.  v.  1756,  S.  19.  — 
Über  Johannissegen  und  Gertrudenminne,  von  Ign.  Zingerle,  in  den  Sitzungsberichten 
der  Wiener  Akad.  der  Wissensch.  Ph.  H.  Kl.    Bd.  XL,  177-229  (1862). 

2)  Maria  Wörth  am  Wörther  See. 


Aus  dem  deutschen  Volks-  und  Rechtsleben  in  Alt-Steiermark.  185 

Rosegger1)  sagt:  Am  Johannestag  lässt  der  Landmann  eine  Flasche 
Wein  in  der  Kirche  weihen.  Bei  Tische,  wenn  die  Knödel  kommen,  er- 
hebt der  Bauer  sein  Weinglas  und  sagt:  „Gsegn  Gott  Johannessegn"  und 
trinkt.  Das  Glas  macht  die  Runde  am  Tisch,  jeder  trinkt  und  sagt  seinem 
Nachbar:  „Gsegn  Gott  Johannessegn".  Das  ist  das  einzige  Mal,  dass  um 
den  Bauerntisch  das  Weinglas  kreist."  —  Und  weiter  in  seinem  Volks- 
leben II,  226:  „Der  Johannes-Segen  stärkt  die  Glieder,  schützt  vor  dem 
Taubwerden,  bei  Mann  und  Frau  heilt  er  die  Gicht,  der  Greis,  der  ihn 
trinkt  bedarf  des  Stabes  nicht."  —  Dass  man  im  Hause  einen  Trunk 
Johannis  Segen  auf  den  Tisch  setzte,  beweist  das  Kellerregister  des  Stiftes 
Seckau  von  1657  mit  der  Eintragung:  In  festo  sancti  Joannis  Evangeliste 
gibt  man  in  dem  Thumbstifft  Joannen  Wein  auf  ieden  Tisch  ein  Trunk, 
den  Spitallern  auch,  sunst  Niemant.  — 

Die  alte  Legende,  zufolge  welcher  Aristodemus  dem  heil.  Johannes 
einen  Becher  vergifteten  Wreines  mit  dem  Beifügen  anbot,  Christ  zu  werden, 
wenn  er  den  Trunk  ohne  Nachteil  geniessen  könne,  soll  Anlass  zur  Weihe 
des  Johannisweines  gegeben  haben.  Der  christkatholische  Unterricht,  ein 
zu  Graz  1747  von  der  Marien-Bruderschaft  herausgegebenes  Büchlein,  be- 
lehrt seine  Sodalen  auf  fol.  !»: 

„Aristodemus  setzte  dem  Evangelisten  Johannes  einen  mit  Gift  ver- 
mischten Wein  vor.  Der  Heilige  segnete  denselben  mit  dem  Zeichen  des 
Kreutzes  und  trank  ihn  ohne  Schaden." 

Sein  Festtag  ist  daher  in  einem  um  die  Wende  des  XV.  .Jahrhunderts 
erschienenen  Kalender,  sowie  in  den  noch  fortlebenden  Bauerkalendern 
mit  einem  Kelche,  aus  dem  sich  eine  Schlange  emporwindet,  gekenn- 
zeichnet. 2) 

Auch  bei  Trauungen  wird  Wein  von  dem  Priester  gesegnet,  dem 
Brautpaare,  deren  Trauzeugen  und  den  Hochzeitsgästen  in  der  Kirche  un- 
mittelbar nach  der  Kopulation  gereicht.  Auch  der  Priester  trinkt  davon. 
Dieser  Wein  heisst  Johannes  Segen.  K.  Weinhold,  Die  deutschen  Frauen 
in  dem  Mittelalter,  2.  Aufl.     Wien  1882.     Bd.  1,  383. 

B.  F.  Hermann  erzählt  uns  in  seinem  Reisehandbuche  für  Österreich, 
Steyermark,  Kärnten  u.  s.  w.  (Wien  1784)  III,  06,  von  dieser  Gepflogen- 
heit. Die  Kaltenbaeckische  Austria  für  das  Jahr  1847  (VI,  226),  Dr.  Schlossar 
in  seinen  Kultur-  und  Sittenbildern  aus  Steiermark  S.  163  und  das  Kron- 
prinzenbuch Österreich-Ungarn  in  Wort  und  Bild  bestätigen  uns  mehrfach 
diesen  Gebrauch. 

Eine  Stimme  aus  dem  Volke  sagt: 

„Wounn  di  Praidlaid  zsoummgebm  senn,  waichd  da  Gaisdlichi  a  poa 
Moss  Wain,    gip    davann    zeascht    zwoa  Glasin  an  Praidlaidtn,    de  davaun 


1)  Sittenbilder  aus  dem  steir.  Oberl.  170. 

2)  Steiermark.  Geschbl.  III,  227. 


186  Unger: 

koustn  und  an  Johannassegn  iadn  Paistantn  pringah;  de  gebm  an  Warn 
waida  und  de  Praidfiara  schaun  drauf,  dass  a  niadä  Hozadmensch  von 
Johannassegn  wos  z'koustn  kriagg."1) 

Die  Sitte  vor  dem  Abschiede  einen  Trunk  Johaunis-Segen  zu  sich  zu 
nehmen  ist  schon  im  Mittelalter  belegbar.  Damit  sollte  der  Keisende  Glück 
und  Schutz  auf  der  Reise  gewinnen.  In  Ottokars  österreichischer  Reim- 
chronik, welche  zwischen  1300—1320  gedichtet  ist,  finden  wir  97  882  die 
Stelle:  „ez  het  der  furste  höchgeborn  sin  reisekleider  an,  dar  truoc  man  im 
sän  sant  Johannes  Minne."  —  Ursprünglich  wird  es  meist  von  Priesterhand 
gesegneter  Wein  gewesen  sein;  später,  als  man  den  letzten  Trunk  im 
Wirtshause,  den  der  Wirt  den  Abfahrenden  kredenzte,  auch  Johannes- 
Segen  nannte,  fehlte  die  kirchliche  Weihe.  So  finden  wir  in  dem  Kapfen- 
berger  Ratsprotokolle  von  1684—1709  (258)  die  Stelle:  „Zuleczt  aber 
habe  er  (in  der  Herberg)  von  den  Herrn  Tattern  1  Viertel  Johannswein 
begehrt,  1  Halbe  sollte  der  Herr  Vatter  zallen  und  1  Halbe  er  Gehepauer  — 
sey  auch  ervolgt  worden."  Ein  Mürzthaler  Weihnachtslied  aus  dem  Aus- 
gange des  vorigen  Jahrhunderts  bringt  uns  eine  einschlägige  Stelle:  „Da 
habs  a  Flaschl  Wein  mit  an  Stuck  Brod  —  Trinkts  an  Johannissegn  — 
Dass  Glück  hab's  intawegn."  — 

Woher  die  Sitte  der  Johannisminne  oder  des  Johannis-Segens  stamme, 
diese  Frage  hat  J.  von  Zingerle  in  lichtvoller  Weise  behandelt.3)  Ich 
folge  seinen  Ausführungen  im  folgenden.  J.  Grimm  wies  schon  nach,  dass 
derartige  Minnetränke  aus  dem  Heidentume  stammen  und  sie  ursprünglich 
die  Bedeutung  von  den  Götttern  gebrachten  Trankopfern  hatten.  Im 
YIII.  Jahrhundert  waren  die  Baiern,  wie  uns  Bischof  Aribo  von  Freising, 
(f  784)  in  seiner  Tita  Corbiniani  und  Emmerami  erzählt,  noch  solche  Neu- 
linge im  Christentume,  dass  die  Väter  aus  demselben  Kelche  ihren  Söhnen 
die  Minne  Christi  und  der  Heidengötter  zutranken.  In  Deutschland  war 
es  dann  Brauch  geworden,  den  Minnetrank  Heiligen  anstatt  Göttern  zu 
bringen.  Karl  der  Grosse  schritt  gegen  die  Minne  des  heiligen  Stefan  ein. 
Die  Vermutung,  dass  auch  der  Johannis  Minne  ein  alter  heidnischer  Opfer- 
trunk  zu  Grunde  liege,  und  dass  dabei  der  Apostel  Johannes  an  Stelle 
eines  alten  Germanen-Gottes  getreten  sei,  ist  daher  wohl  berechtigt.  Viel 
Berührungspunkte  bestehen  zwischen  dem  Lieblingsjünger  Christi  Johannes 
und  dem  Gotte  Freyr  (Frö)  der  altnordischen  Götterwelt  (?  d.  H.). 

1. 

1321,  24.  April,  Wörth. 

Von  dem  gute  (fol  man)  den  herren  hie  ze  Werde  vnd  oucli  anderen  priestern,  die 
ouf  dem  cliore  vnd  datz  der  pfarre  meffe  fprechent,  l'ouil  opfer  weines  geben  ze  allen 
meffen,  vnd  fi  fein  ze  rechte  dar  zu  bedürfen,  vnd  gutes  weines  Raynuol  oder  marchwein. 


1)  Firmenich,  Germ.  Völkerst.  IT,  758. 

2)  Ausg.  v.  J.  Seemüller,  Hannover  1893.     (Deutsche  Chroniken  V.  2,  1268). 

3)  Sitzungsbcr.  d   phüos  -hist   Klasse  d    k.  k.  Akad.  d.  Wissensch.  Bd.  40,    S.  177 


Aus  dem  deutschen  Volks-  und  Bechtsleben  in  Alt-Steiermark.  187 

Man  fol  ouch  desfelben  weines  alle  wege  an  des  guten  fände  Johanns  tage  Ewangeliften 
ze  Weynachten  eine  mazze  kegen  ainr  Villacher  pinte  ze  fände  Johanns  minne  geben,  da 
mit  man  daz  volch  des  tages  verrichten  fol  als  verre,  als  div  mazze  weines  gewert,  Vud 
fwaz  des  obrigen  ift  ouf  dem  gute  vber  den  opferwein,  daz  fol  man  ouf  fand  Michels  liecht 
ze  vordrift  legen  vnd  ovf  andriv  liecht  in  den  munfter,  fwa  fein  dürft  ift,  vnd  fol  der  opfer- 
wein immer  vnd  immer  gewern.  (Urk.  No.  1887  des  steierm    Landesarchivs.) 


1352,  27.  März,  Neunkirchen. 

Ich  Waltber  der  Päuschinkch  vnd  ich  Ann  fein  hausvraw  vnd  ich  Dietmar  fein  prüder 
vnd  ich  Margret  fein  hausvraw  vnd  all  vnser  erben  veriehen  offenbar  mit  difem  brief  allen 
den,  di  in  fehent  oder  hörnt  lefen,  daz  wir  redlich  vnd  recht  mit  gunft  vnd  willen  aller  vnfer 
erben,  vrawn  vnd  man,  vnuerfprochenlich  verchaufft  haben  ze  der  zeit,  do  wir  ez  wol  getun 
mochten,  zwen  Weingarten,  di  weilen  gewefen  find  vnsers  prüder  Wülfings  des  Paüfchings 
fäligen,  die  gelegen  find  ze  Hettenftorf,  der  haizzt  ainer  der  Hettenftorfer  vnd  dient  fümf 
virtail  wein  flechter  mazz  gen  Admünd  vnd  drey  meczen  habern  in  Räbleins  hofftat  ze 
Hettenftorf  vnd  ain  pfenninch  hintz  fand  Lorentzen  pey  Newnchirchen.  Der  ander  wein- 
gart haizzt  der  Semmelzipf  vnd  dient  fümf  virtail  wein  flechter  mazz  gen  Göss  vnd  zwen 
metzeu  habern  in  des  Darfmaifters  hof  ze  Hettenftorf  vnd  zwaintzich  pfenning  vnd  nicht 
mer.  dem  erfamen  hcrren  hern  Helmweigen  pfarrer  ze  fand  Laurenczen  in  dem  Mürtztal 
vud  feinem  gotshaus  vnd  allen  feinen  nachchomen  mit  allen  den  rechten  vnd  nützen,  als 
feu  vnfer  prüder  vnd  wir  in  purchrechts  recht  inn  haben  gehabt  vmb  vierzehen  pfunt 
Wiener  pfeuing,  der  wir  gar  vnd  gantz  gericht  fein,  alfo  daz  wir  noch  vnfer  erben  fürbaz 
dhain  anfprach  hintz  den  vorgenanten  Weingarten  nimmermer  haben  füllen,  vnd  habn  im 
die  aufgeben  mit  des  perchmaifters  hant,  der  genant  ift  der  Darfmaifter,  vnd  auch  inge- 
antwurt  in  fein  aygens  gewer.  Auch  füllen  wir  dem  vorgenanten  herren  hern  Helmweigen 
vnd  feinen  gotshaus  vnd  feinen  nachchomen  di  vorgenanten  Weingarten  getrewlich  fchennen 
vor  aller  anfprach,  als  purchrechts  recht  ift  nach  des  landes  gewonheit  ze  Steypr.  Tat 
wir  des  nicht,  fwelhen  fchaden  des  der  egenant  herr  Eelmbeig,  fein  gotshaus  oder  [ein 
nachchomen  namen,  den  fi  pey  irn  trewn  gefagen  mochten  vngefworn.  den  füll  wir  in 
abtun  vnd  füllen  daz  haben  auf  vnsern  trewn  vnd  auf  alle  dew,  vnd  wir  haben.  Ez  ift 
auch  zewizzcn,  daz  der  vorgenant  her  Helmweich  di  vorgenanten  Weingarten  daruinb  aller 
maift  gechaufft  hat,  daz  man  in  der  heiligen  zeit  ze  Oftern  gautzen  wein  do  von  geh  ge- 
mainchlich  allen  den,  di  lieh  mit  gots  leichnam  berichtent.  vnd  auch  ze  fand  Johanns  tag 
ze  weichnachten  iärlich  wein  da  von  geb  ze  fand  Johans  minn  allen  den,  di  ze  fand  Johans 
minn  gen  wellen  zu  dem  altr,  vnd  auch  feinem  jartag  ze  hilf,  daz  der  defter  paz  begangen 
werd  mit  acht  prieftern,  als  er  in  emaln  geftift  hat.  Daz  daz  allez  ftäl  vnd  vuzebrochen 
beleih,  darüber  gebn  wir  disen  brief  ze  einem  vrchünd  der  warhait  verfigelten  mit  vnfer 
paider  anhangenden  jnfigeln  vnd  mit  des  erbern  manns  jnsigel  Nyclas  des  Petzleins, 
purger  ze  Newnchirchen,  den  wir  darumb  gepeten  haben,  daz  er  ez  an  dielen  brief  ge- 
hangen hat  ze  einer  pezzern  gezeugnüfs  dil'er  fache  im  an  fchaden.  Der  brief  ift  gebn  ze 
Newnchirchen  do  von  Chriftes  gepurd  ergangen  warn  dreuzehen  hundert  jar  darnach  in 
dem  zway  vnd  fünftzkiften  jar  des  naften  Ertags  vor  dem  Palmtag. 

Urig.-Pgmt.  im  steir.  Landesarchiv.     (Abgedr.  Schoettgen  Diplomat.  I,  60.) 

3. 

1384,  1.  Sept.,  Leoben. 

Ich  prueder  Hainrich  di  zeit  prior  des  chlofters  zu  Lewben  prediger  orden  vnd  der 
gancz  conuent  der  prueder  deffelben  chlofters,  die  nu  darum  find  oder  noch  fürbazz 
ewichleich  dar  in  choment,  wier  vergehen  mit  dem  offen  brief  vnd  tuen  chund  allen  den, 
di  den  brief  fehent  oder  hörnt  lefen,  daz  wir  vns  mit  gueter  vörbetrachtung  vnd  mit  ver- 
aintem  rat  willichleich  vnd  gern  verlübt  vnd  verpunden  haben  dem  erbern  mann  Werncz- 
lein  dem  sneyder  purger  zu  Lewben  geng  feiner  hausfrawn  vnd  gen  allen  irn  erben  vmb 
einen  ewigen  jartag,  den  wir  iu  ewichleich  alle  iar  begen  vnd  haben  fchullen  an  fand 
Johanns  tag    in    den   weynachten,    des  nachts  mit  einer  gefuugen  vigily  vnd  des  morgens 


188  Kossinna: 

mit  einem  gelungen  felampt  vnd  mit  dreyn  gefprochen  meffen,  dem  almechtigen  got 
vnd  vnser  vrawn  zc  lob  vnd  ze  dienft  vnd  Wernczleins  des  sneyder  feiner  wirtinn  feinen 
chindern  vnd  allen  feinen  vordem  vnd  nachkomen  fein  ze  hilf  vnd  ze  troft  zu  dem  ewigen 
leben.  Auch  fchüll  wir  ir  gedechtnüfs  offenlich  an  dem  lekker1)  alle  iar  haben  an  dem 
obgenanten  fand  Johannstag,  vnd  daz  der  jartag  alfo  genczleich  vnd  ewichleich  von  vns 
vnd  von  vnferm  conuent  vnd  nachkomen  volpracht  vnd  aufgericht  werd,  dar  vmb  fo  hat 
vns  vnd  vnferm  conuent  der  obgenant  Wernczel  der  sneyder,  fein  hausfraw  vnd  all  ir  erben 
gewidempt,  geben  vnd  gemacht  ein  ewigs  halbphunt  gelts  gueter  Wienner  phening  auf 
dem  haws  vnd  hof  gelegen  zu  Lewben  in  der  ftatt  an  dem  markcht  zwifchen  des  Rayndler 
vnd  Öttleins  des  Smyerer  hewser,  da  sew  di  zeitt  felb  inn  gefezzen  sind,  daffelb  halb 
phunt  gelts  fchüllen  few  vns  oder  wer  daz  haws  vnd  hof  inn  hat,  ewichleich  alle  iar  dyenen 
vnd  raichen  an  fand  Johanns  tag  in  den  weynachten  an  als  vercziehen  vnd  daz  fol  dann 
der  prior  vnder  vns  obgenant  prueder  des  chlofters  gleich  tayln,  daz  ainem  als  vil  geuall 
als  dem  andern;  denn  alain  aufgeczogen  vier  phening  oder  fechs  von  dem  halben  phunt 
fchull  wir  voraus  fenten  vmb  weyn  an  fand  Johannstag  zu  weynacht  vnd  da  von  fand 
Johanns  mynn  geseng'2)  vnd  dem  volch  gemainchleich  in  der  chirchen  davon  ze  trinkchen 
geben,  als  verr  daz  gelangen  mag.  Waer  awer  daz  wir  vorgenante  prueder  vnfers  chlofters 
mit  vigily  vnd  mit  felmezzen  zu  rechten  tegen  nicht  genczlich  volprechten  als  oben  ge- 
fchriben  ftet  vor  ehafter  not  (an)  geuerd,  daz  fchüll  wir  zehant  in  den  acht  tagen  darnach 
genczlich  mit  ein  gewizzen  eruollen.  Gefchech  des  nicht  wan  few  dann  vnfer  maifterfchaft 
dem  prouincial  oder  vnferm  vicari  den  prief  zaigent  oder  an  rüffent,  der  fol  vns  dar  vmb 
pezzeru  vnd  fol  vns  dar  zu  halten  vnd  noeten,  daz  wir  alles  daz  ftet  laiften  vnd  volfürn, 
des  wir  vns  mit  dem  prief  verpunden  haben.  Vnd  des  zu  vrkund  der  fach  fo  geb  wir  jn 
den  offen  brief  befigelt  mit  meins  obgenanten  prüder  Hainreichs  aigen  anhangunden  jnfigel 
vnd  auch  dar  zu  mit  des  ganczen  conuent  anhangundem  jnfigel.  Der  prief  ift  geben,  do 
man  zalt  von  Christi  gepurd  drewczehen  hundert  jar  darnach  in  dem  vier  vnd  achczigiftem 
jar  an  fand  Gylgen  tag. 

Orig.-Pergament  mit  2  Siegel-Resten,  No.  3498  a  im  steir.  Landesarchiv. 


Folklore. 

Von  Gustaf  Kossinna. 


Die  Schätze  des  Berliner  „Museums  für  Volkstrachten  und  Erzeugnisse 
des  Hausgewerbes"  führen  trotz  ihrer  Reichhaltigkeit  leider  immer  noch 
ein  gar  zu  beschauliches  Dasein  in  der  stillen  Verborgenheit  der  Kloster- 
strasse. Es  gebührt  daher  dem  rührigen  Vorstande  des  Museumsvereines 
besonderer  Dank  dafür,  dass  infolge  seiner  Wirksamkeit  während  dieses 
Sommers  ein  Teil  der  Museumsschätze  inmitten  der  Berliner  Gewerbe- 
Ausstellung  weitesten  Kreisen  des  Publikums  nahe  treten  wird.  Bereits 
in  den  ersten  Monaten  des  Jahres  lenkten  die  Berliner  Zeitungen,  um 
dafür  Stimmung  zu  machen,  in  längeren  Artikeln  oder  kürzeren  Notizen 
die  Aufmerksamkeit  auf  das  Museum  und  seine  Bedeutung  innerhalb  des 
grossen  Kreises    verwandter  Anstalten.     Einer  der  anziehendsten  Aufsätze 


1)  lectorium. 

2)  d.  i.  gesegenen. 


Folklore.  189 

befand  sich  in  der  Sonntagsbeilage  der  Vossischen  Zeitung  vom  16.  Febr. 
d.  J.  Nicht  ganz  glücklich  ist  jedoch  der  Verfasser  in  der  Einleitung, 
worin  das  Volkstrachtenmuseum  als  Keim  eines  Museums  für  deutsches 
Leben,  als  der  erste  Ansatz  für  eine  neue  Wissenschaft  betrachtet  wird, 
die  nicht  das  Originelle,  sondern  das  Alltägliche  zum  Gegenstand  ihrer 
Untersuchung  macht.  Das  Studium  des  wirklichen  und  wahrhaftigen  All- 
tagslebens bezeichnet  der  Verfasser  als  „die  neue  Wissenschaft,  die 
man  mit  ihrer  dänischen  Benennung,  nordischen  Bahnbrechern 
zu  Ehren,  Folklore  nennt". 

Bei  diesen  Worten  stocken  wir  unwillkürlich  und  legen  das  Blatt, 
staunend  über  diese  Erklärung  von  „folklore",  aus  der  Hand.  Gerade 
der  Verein  für  Volkskunde  beschäftigt  sich  ja  berufsmässig  mit  dem  so- 
genannten Folklore.  So  wird  ein  kurzes  WTort  über  dies  Wort  hier  am 
Platze  sein. 

Folklore  ist  erstens  nicht  die  Wissenschaft  vom  Alltagsleben,  zweitens 
keine  dänische  Benennung,  drittens  nicht  nordischen  Bahnbrechern  zu 
Ehren  so  benannt,  viertens  keine  neue  Wissenschaft,  fünftens  überhaupt 
nicht  Wissenschaft. 

1.  Nehmen  wir  vorläufig  mit  dem  Verfasser  Folklore  als  gleich- 
bedeutend mit  Volkskunde,  was  offenbar  seine  Meinung  ist  —  wie  es  die- 
jenige weitester,  auch  gelehrter  Kreise  in  Deutschland  ist  — ,  so  richtet 
diese  Wissenschaft  ihren  Blick  durchaus  nicht  besonders  auf  das  Alltags- 
leben des  (deutschen)  Volkes,  nein  ebenso  sehr  und  in  erhöhtem  Masse 
auf  das  Feiertagsleben,  worüber  es  wohl  keiner  weiteren  Ausführung  bedarf. 
Wesentlich  ist  nur,  dass  es  sich  bei  Folklore  um  die  von  der  städtischen 
Kultur  noch  unberührten  Kreise  des  Volkes  handelt,  die  aber  nicht,  weil 
sie  ländliche  oder  kleinstädtische  sind,  uns  besonders  interessieren,  sondern 
weil  sie  gewissermassen  eine  geschichtlich  fernliegende,  in  städtischen 
Kreisen  längst  verschwundene  Epoche  des  (deutschen)  Kulturlebens  mit 
einer    uns  fremden  Weltanschauung  in  lebendiger  Wirklichkeit  darstellen. 

2.  Dass  Folklore  kein  dänisches  Wort  ist,  darauf  brauche  ich  ebenso- 
wenig näher  einzugehen,  als 

3.  darauf,  dass  diese  Benennung  nicht  nordischen  Bahnbrechern  zu 
Ehren  gegeben  worden  ist.  Welche  Bahnbrecher  sollen  das  denn  sein? 
Das  Wort  ist  überhaupt  niemand  zu  Ehren  aufgebracht  worden.  Wenn 
aber  irgend  eines  Bahnbrechers  hierbei  zu  denken  ist,  so  ist  es 
Jakob  Grimm,  der  wenigstens  in  gewisser  Weise  bei  der  Taufe  Pate  ge- 
standen hat. 

4.  5.  Die  Wissenschaft  vom  Folklore  ist  nicht  neu,  denn  sie  war  lange 
vorhanden,  ehe  das  Wort  erfunden  wurde.  Und  das  Wort  selbst  feiert  in 
diesem  Jahre  bereits  seinen  50.  Geburtstag. 

In  der  bekannten  englischen  Wochenschrift  „The  Athenaeum",  die  nun 
seit  bald  sechzig  Jahren  einen  Sprechsaal  der  englischen  Gelehrtenwelt  für 


190  Kossinna: 

alle  möglichen  Einzelfragen  der  verschiedenen  Wissenschaften  bildet,  er- 
schien am  -22.  August  1846  (S.  862)  ein  „Folklore"  überschriebener  Artikel 
von  Ambrose  Merton.  Der  Verfasser  preist  darin  Jakob  Grimms 
„Deutsche  Mythologie",  die  in  ihrer  zweiten  Auflage  (1844)  trotz  der  von 
ihrem  Schöpfer  behaupteten  Unvollkommenheiten  ein  so  bedeutungsvolles 
Werk  sei,  wie  es  das  Jahrhundert  bis  dahin  kaum  noch  hervorgebracht 
habe.  Kein  Volk  habe  etwas  annähernd  Ähnliches  dem  an  die  Seite  zu 
stellen,  am  wenigsten  die  Engländer.  Es  sei  nicht  abzusehen,  wann  für 
die  britischen  Inseln  ein  „James  Grimm"  erstehen  werde.  Und  doch  sei 
Grimms  Werk  im  Grunde  nur  eine  Sammlung  zahlloser  Einzelheiten,  die 
freilich  in  meisterhafter  Weise  zu  einem  System  verwoben  seien.  Darum 
müssten  sich  alle,  die  etwas  von  „populär  mythology"  wüssten,  aus  allen 
Gegenden  Grossbritanniens  zusammenthun,  um  Material  zu  sammeln.  Das 
Athenaeum  wäre  die  richtige  Sammelstelle  für  einzusendende  Mitteilungen, 
da  es  schon  oft  seine  Spalten  dem  geöffnet  habe,  what  we  in  England 
designate  as  Populär  Antiquities,  or  Populär  Literature  (though  by- 
the  bye  it  is  more  a  Lore  than  a  Literature,  an  would  be  most  aptly 
designed  by  a  good  Saxon  Compound,  Folk-Lore  —  the  Lore  of  the 
People  [,not  of  the  books'  ergänze  ich  den  Gedanken  des  Verfassers]). 
Auch  Deutschland  würde  für  solche  Thätigkeit  dankbar  sein  bei  dem 
nahen  Zusammenhang  zwischen  dem  Folklore  beider  Länder.  Dazu  die 
interessante  Parenthese:  „Remember  I  claim  the  honour  of  introducing 
the  epithet  Folk-Lore,  as  Disraeli  does  of  introducing  Father-Land,  into 
the  Literature  of  this  country".  Der  Verfasser  selbst  habe  ein  grösseres 
Werk  über  den  Gegenstand  vor  (Folk-Lore  bei  Shakspeare).  Inhaltlich 
umfasse  Folklore:  manners  and  customs,  observances,  superstitions,  ballads 
and  proverbs  etc.,  d.  h.  also  Sitten  und  Herkommen,  abergläubische  Ge- 
bräuche und  Meinungen,  Lieder,  Reime,  Sprichwörter,  Rätsel,  Sagen  und 
Märchen. 

Man  sieht  also,  dass  Folklore  keine  Wissenschaft  ist,  sondern  höchstens 
Gegenstand  einer  Wissenschaft  sein  kann,  da  es  Wissen  oder  Weisheit  des 
Volkes,  in  der  Hauptsache  also  die  mündlich  fortgepflanzte  Volksüber- 
lieferung bedeutet  (more  a  Lore,  than  a  Literature).  Das  „Alltagsleben" 
als  solches  fällt  somit  auch  nicht  unter  den  Begriff  Folklore,  denn  ,Manners 
and  customs'  werden  doch  nur  soweit  berücksichtigt,  als  sich  in  ihnen  eine 
eigenartige,  uns  fremde  Weltanschauung  zeigt,  und  die  Volkstrachten  auch 
nur,    soweit    bei  ihnen  ein  altertümliches  Herkommen  in  Betracht  kommt. 

Auf  die  Anregung  des  Athenaeums  hin  liefen  zahlreiche  Beiträge  über 
Folklore  von  Grossbritannien  und  anderen  Ländern  ein  und  man  unterliess 
dabei  nicht,  das  neugeprägte  Wort  in  Umlauf  zu  setzen.  Schon  im  nächsten 
Jahre  konnte  Ambrose  Merton  den  in  der  Mitarbeit  so  eifrigen  Lesern  des 
Athenaeums  einen  Dankartikel  widmen  (Athenaeum  1847,  No.  1036,  S.  937, 
vom  7.  Sept.),  worin  er  zugleich  sein  Pseudonym  enthüllte.    Der  Schöpfer 


Folklore.  19  L 

des  Wortes  Folk-Lore  war  William  John  Tlioms,  ein  um  die  ältere 
englische  Litteratur  und  die  englische  Volkskunde  hochverdienter  Gelehrter 
(f  1885).  Die  Redaktion  des  Athenaeums  fügte  dem  Artikel  eine  An- 
merkung hinzu,  worin  es  hiess:  „we  may  be  permitted  to  express  some 
satisfaction  at  the  universal  adoption  of  this  name  [Folk-Lore]  —  invented 
by  our  correspondent  Ambrose  Merton.  Tu  less  than  twelve  months  it  has 
almost  attained  to  the  dignity  of  a  household  word." 

Erst  dreissig  Jahre  später,  1877,  wurde  dann  in  London  die  ,  Forke- 
lore-Society' begründet;  aber  erst  als  diese  Gesellschaft  ihren  ,Record-  in 
ein  ,Folklore- Journal1  (seit  1882,  neuerdings  bloss  ,Folklore'  genannt)  ver- 
wandelte und  daneben  eine  grosse  Reihe  wichtiger  Einzelwerke  zu  ver- 
öffentlichen begann,  scheint  das  Wort  Folklore  eine  internationale  Ver- 
breitung gewonnen  zu  haben.  So  finden  wir  1883  in  Spanien  eine  Gesell- 
schaft ,Folklore',  die  auch  ihrer  ,Biblioteca  de  las  tradiciones  populäres 
espanoles'  das  Wort  ,Folklore'  vorgesetzt  hat,  1885  in  Sevilla  ein  ,Boletino 
folklörico  espanol'  daneben  ist  das  Wort  in  Finnland  aufgenommen,  auch 
wohl  bei  Italienern  und  Franzosen,  doch  haben  letztere  ihre  ,Tradizioni 
popolari'  (Archivio  seit  1882)  und  .Traditions  populaires1  (Societe  und 
Revue  seit  1886)  ruhig  beibehalten.  Dass  sich  die  deutschen  Gelehrten 
ein  so  herrliches  Fremdwort  nicht  entgehen  Hessen,  obwohl  nicht  das  ge- 
ringste Bedürfnis  für  eine  solche  Entlehnung  vorlag,  da  wir  den  völlig 
genügenden  Ausdruck  „Volksüberlieferungen"  besitzen,  ist  leider  nur  zu 
begreiflich.  Während  aber  die  anderen  Nationen  sich  jedes  Fremdwort, 
das  sie  entlehnen  wollen,  erst  sehr  genau  ansehen,  sowohl  auf  seine  Be- 
deutung als  auf  seine  Unentb'ehrlichkeit  hin.  glauben  wir  Deutsche  das 
nicht  nötig  zu  haben.  Wir  besitzen  ja  fast  für  jedes  einheimische  Wort 
schon  einige  Fremdwörter  als  guten  Ersatz;  so  kommt  es  uns  oft  genug 
gar  nicht  darauf  an,  die  Fremdwörter  in  der  Bedeutung  zu  gebrauchen, 
die  ihnen  nach  ihrem  Ursprünge  allein  zukommt,  sondern  wir  legen  ihnen 
eine  beliebige  mehr  oder  weniger  verwandte  bei,  ein  Umstand,  der  freilich 
für  diejenigen  recht  ärgerlich  ist,  die  in  einer  uferlosen  Fremdwörterflut 
das  beste  Mittel  zur  Vorbereitung  der  heissersehnten  Weltsprache  erblicken. 
So  haben  wir  es  auch  mit  dem  Worte  Folklore  gemacht,  das  wir  entgegen 
der  Absicht  nicht  nur  des  Schöpfers  des  Wortes,  sondern  auch  entgegen 
dem  Gebrauch  aller  anderen  Nationen  stets  in  der  Bedeutung  unseres 
Wortes  „Volkskunde",  d.  h.  Wissenschaft  vom  Folklore,  verwenden.  Unsere 
gelehrten  Fremdwörterimporteure  haben  eben  vergessen,  im  geeigneten 
Augenblick  das  Taschenwörterbuch  nachzuschlagen,  haben  engl,  lore  ein- 
fach mit  „Lehre"  übersetzt  und  „Lehre"  wieder  in  der  Bedeutung  „Wissen- 
schaft" (wie  z.  B.  in  „Seelenlehre")  gefasst,  .  So  erhielten  sie  dann  die 
Gleichung  „Folklore  =  Volkskunde".  Dass  Folklore  als  Ersatz  für  unsere 
,Volkskunde'  noch  viel  unerträglicher  ist,  als  für  ,Volksüberlieferung(en)', 
kam  dabei  wohl  nicht  in  Betracht.     Wir  sehen  hier  eben  wieder  an  einem 


192  Pedersen: 

anschaulichen  Beispiel,  wie  der  Gebrauch  von  Fremdworten  einerseits  zu 
Unklarheiten  führt,  andererseits  durchaus  nicht,  wie  die  Fremdwortschwärmer 
immer  behaupten,  sich  an  die  Einfuhr  fremder  Kulturschöpfungen  zu  knüpfen 
braucht,  sondern  weit  überwiegend  einem  reinen  Modebedürfnis  entspringt. 
Denn  wenn  eine  Wissenschaft  eine  deutsche  Schöpfung  genannt  werden 
muss,  so  ist  das  bei  der  Volkskunde  der  Fall. 

Wer  aber  einmal  von  ,Folklore'  nicht  lassen  kann,  brauche  das  Wort 
hinfort  wenigstens  richtig  in  der  Bedeutung  Yolksüberlieferung,  nicht  in 
der  Bedeutuns;  Volkskunde,  Wissenschaft  vom  Folklore. 


Zu  den  neuirischen  Zaubersprüchen. 

Von  Holger  Pedersen. 


Dass  die  Schreibung,  Transskription  und  Übersetzung  der  vier  von 
F.  N.  Finck  veröffentlichten  Zaubersprüche  (oben  S.  88—92)  im  wesentlichen 
richtig  ist,  kann  ich  nur  bestätigen.  Trotzdem  sind  einige  sprachliche  und 
sachliche  Irrtümer  mit  untergelaufen,  welche  ich  hierdurch  berichtigen  möchte. 
Ich  fasse  mich  dabei  möglichst  kurz,  da  ich  einige  hierher  gehörigen 
Fragen  bei  anderer  Gelegenheit  ausführlich  zu  erörtern  haben  werde.1) 

a)  Phonetik  und  Sprachform.  Die  auffälligste  Eigentümlichkeit  der 
neuirischen  Aussprache  ist  die  Mouillierung,  die  bei  allen  Konsonanten 
mit  Ausnahme  von  s,  s  (und  h)  möglich  ist.  Dieser  Eigentümlichkeit  ent- 
spricht in  Fincks  Schreibung  eine  vierfache  Bezeichnung:  1.  Nach  dem 
Muster  der  polnischen  Orthographie  und  in  Übereinstimmung  mit  dem  in 
der  Indogermanistik  herrschenden  Usus,  wird  die  Mouillierung  durch  einen 
kleinen  Strich  bezeichnet  (/.:  n  u.  s.  w.).  Diese  Bezeichnung  hätte  bei  allen 
Konsonanten  verwendet  werden  sollen;  wenn  dadurch  typographische 
Schwierigkeiten    entstanden    wären,    hätte    ein  Apostroph   als  Surrogat  für 


1)  Ich  werde  in  einem  Buche  „Die  Aspiration  im  Irischen"  hei  der  Darstellung  der 
Geschichte  des  irischen  Konsonantismus  auch  die  neuirischen  Lautgesetze  detailliert  mit 
reichlichem  Material  illustrieren;  andererseits  werde  ich  in  einem  zweiten  Buche  eine 
Auswahl  von  neuirischen  Märchen,  Liedern,  Ptätseln  und  Sprichwörtern  in  phonetischer 
Schreibung  mit  Übersetzung  und  Glossar  herausgeben;  ich  besitze  nämlich  eine  derartige 
Sammlung  von  400  Quartseiten,  die  ich  1895—96  auf  der  Insel  Arran  aufgezeichnet  habe. 
Dabei  war  mein  Haupt-Gewährsmann  ein  71jähriger  Bauer  Martin  Connely  aus  dem  Dorfe 
Ballinacregga ;  derselbe  konnte  nicht  lesen  und  schreiben  und  sprach  nicht  englisch,  war 
aber  eine  fast  unerschöpfliche  Quelle  für  irische  volkstümliche  Traditionen;  ich  habe  auch 
mit  ihm  in  täglichen  Gesprächen  die  verschiedenen  Seiten  des  Lebens  der  Arranbewohner 
besprochen  und  dadurch  ein  Glossar  von  3000  Wörtern  gesammelt,  das  noch  durch  Excerpieren 
meiner  Texte  vermehrt  werden  kann. 


Zu  den  neuirischen  Zaubersprüchen.  193 

den  Strich  dienen  können.  Statt  dessen  finden  wir  bei  Finck  2.  ein  be- 
sonderes Zeichen  für  das  mouillierte  d  und  t,  und  zwar  Zeichen,  die  weder 
nach  dem  sprachwissenschaftlichen  Usus  noch  in  irgend  einer  historischen 
Orthographie  eine  solche  Bedeutung  haben  (/,  c);  und  3.  fungiert  das 
Vokalzeichen  i  als  Bezeichnung  der  Mouillierung  in  vwga  u.  s.  w.  Ein 
Übergangslaut  i  wird  zwischen  dem  v  und  dem  0  nicht  gesprochen,  sondern 
beide  Artikulationen  sind  gleichzeitig.1)  4.  In  vielen  Fällen  wird  die 
Mouillierung  überhaupt  nicht  bezeichnet,  z.  B.  in  bam  ,Frau'  (nach  meiner 
Schreibung  b'mi).  Vielleicht  nimmt  Finck  auf  (TDonovan  gestützt  an,  dass 
die  Labiale  nicht  mouilliert  werden  können;  diese  Behauptung  trifft  aber 
für  Arran  gar  nicht  zu;  man  spricht  z.  B.  Nominativ  Lüb,  aber  Dativ  er  d 
lüU  (geschrieben  lüb,  air  an  lüib);  das  geschriebene  sibh  wird  Mb' 
gesprochen,  wobei  die  Mouillierung  ganz  besonders  deutlich  zu  hören  ist, 
wenn  ein  „breiter"  Vokal  folgt,  z.  B.  pe  by  kügd  d  wil"  Hb'  ün  ,jede  Provinz, 
wo  Ihr  seid'.  Was  das  Wort  Van  betrifft,  so  ist  die  Mouillierung  so 
deutlich,  dass  das  ausländische  Ohr  manchmal  einen  Übergangslaut  zwischen 
dem  b  und  dem  a  zu  hören  glaubt;  dass  man  wiederum  manchmal  die 
Mouillierung  kaum  bemerkt,  ist  nur  das  gewöhnliche  Schwanken  des 
akustischen  Eindruckes  einem  fremden  Laute  gegenüber,  was  beseitigt  wird, 
sobald  man  den  Laut  nachsprechen  lernt  (und  dies  ist  nicht  schwer). 
Während  Finck  die  Mouillierung  von  n  und  /,  mit  n  l  giebt  (statt  mit  n 
//),  lässt  er  regelmässig  die  Mouillierung  von  dem  gewöhnlichen  n  l  un- 
bezeichnet.  Die  Mouillierung  dieser  Laute  ist  mit  dem  dänischen  mouillierten 
n  und  l  (in  Jütland)  vergleichbar  und  tritt  z.  B.  in  einem  WTorte  wie  ainm, 
,Name',  (Finck  cenm;  ich  schreibe  ahm)  so  deutlich  hervor,  dass  man  sich 
überhaupt  nicht  täuschen  kann,  wenn  man  darauf  achtet.  Aber  auch  nach 
%  (z.  B.  in  rn/in,  ,Mehll,  til\  , Wille')  habe  ich  die  Mouillierung  ganz  deutlich 
gehört.  Von  diesen  Fällen  abgesehen,  fehlt  die  Bezeichnung  der  Mouillierung 
bei  Finck  noch  in  mehreren  einzelnen  Wörtern.  Deutlich  mouilliert  ist 
der  gutturale  Nasal  in  aingeal,  ,Eiigel'  (nach  dem  Nasal  wird  kein  g 
gesprochen,  wie  Finck  in  seiner  phonetischen  Schreibung  angiebt),  das  k 
in  mhic,  das  g  in  aig  (eg,  nicht  eg,  wie  Finck  schreibt),  das  r  in  aris 
,wieder'  und  in  Criost  u.  s.  w.  Umgekehrt  wird  der  Vokativ  aird  mit 
nicht  mouilliertem  r  gesprochen  (nach  meiner  Schreibung  ard'\  Finck  un- 
richtig ürj;  mouilliert  ist  dagegen  das  r  in  päirc,  gesprochen  park  u.  s.  w.). 
Nach  diesen  Erörterungen  muss  ich  behaupten,  dass  Fincks  Schreibung  in 
Bezug  auf  die  Mouillierung  nicht  zuverlässig  ist.  Aber  dies  ist  fast  das 
einzige,  was  ich  in  Bezug  auf  die  Phonetik  auszusetzen  habe.  Hinzu 
kommt  noch,  dass  er  vielfach  n  schreibt,  wo  n  gesprochen  wird;  es  soll 
heissen  9N  ahm  9N  är  ,im  Namen  des  Vaters'  9N  ard  (Spruch  3).     So  wird 


1)  Ebenso    sind   in  Muire,  ,Maria',  die  beiden  von  Finck  mit  m  und  u  bezeichneten 
Artikulationen  pddchzeitijr. 


194  Pedersen: 

auf  Arran  immer  gesprochen,  und  dieselbe  Aussprache  ist  für  Connacht 
bezeugt.  Ferner  M  sy  ,die  neun',  sicher  auch  hönän  (Spruch  4),  da  immer 
l  nach  r  gesprochen  wird,  wenn  die  beiden  Laute  zu  demselben  Worte 
gehören  (dagegen  wird  z.  B.  im  Satzzusammenhang  nach  der  Präposition 
air  [gespr.  ef\  ein  anlautendes  l  oder  i  zu  l  und  /').  In  Bezug  auf  die 
Vokale  bemerke  ich,  dass  fear  und  bean  denselben  Vokal  enthalten;  nach 
der  Arran-Aussprache  kommt  man  für  die  kurzen  «-Laute  (von  den  Diph- 
thongen abgesehen)  mit  einem  Zeichen  aus,  da  die  Verschiedenheiten  von 
der  Moullierung  oder  Nicht-Mouillierung  der  umgebenden  Laute  abhängen; 
dazu  zwei  Längen  ^7  und  ä.  Die  Präposition  ,ohne'  heisst  nicht  gan, 
sondern  gn.  Für  ,Fieber'  habe  ich  nur  fldwrds  gehört.  Auf  den  Satz- 
sandhi  (der  im  Irischen  eine  ungeheure  Rolle  spielt)  hat  Finck  nicht 
immer  geachtet,  tild  gd  ist  nicht  durch  den  Rhythmus  hervorgerufen, 
sondern  auch  in  der  alltäglichen  Sprache  tritt  ein  solches  d  zwischen  einem 
mouillierten  und  einem  nicht  mouillierten  Konsonanten  häufig  ein  z.  B. 
kud'd  gd,  geschrieben  cuid  do  ,ein  Teil  von"  u.  s.  w.  Es  heisst  zwar  Hindu 
fc/N  (Spruch  1),  aber  in  der  folgenden  Zeile  t'ix'ds  kyn.  Es  soll  in  der 
Eingangsformel  nicht  sprit  Nyv  heissen,  denn  das  d  des  geschriebenen 
spiorad,  Gen.  spioraid  (das  proklitisch  gesprochen  wird)  schwindet  vor 
dem  xv.  Eine  nicht  wirklich  gesprochene  Form  ist  „w-9  ZavV  (für  n  ist  at 
zu  schreiben);  das  Wort  ist  nämlich  immer  einsilbig;  es  ist  überhaupt  ein 
Lautgesetz,  dass  ein  d  nach  einem  Diphthongen  ganz  ebenso  wie  nach 
einem  Vokal  schwindet.  Dadurch  sind  auch  z.  B.  aghaidh  Besicht1  und 
gab  ha  , Schmied'  einsilbig  geworden.  Wenn  Finck  wirklich  ein  d  gehört 
hat,  muss  dieser  Laut  zum  folgenden  Worte  gezogen  werden.  In  athair, 
Gen.  athar  habe  ich  auf  Arran  in  der  wirklichen  Volkssprache  niemals 
ein  h  gehört;  und  auch  in  allen  analogen  Fällen  ist  das  h  ganz  geschwunden, 
und  die  ursprünglich  getrennten  Vokale  kontrahiert. 

b)  Transskription,  Übersetzung  und  sachliche  Behandlung.  Das  oben 
erwähnte  „n-?  laia"  darf  nicht  i  n-a  leaghadh  transskribiert  werden; 
denn  das  l  ist  ganz  deutlich  „breit"  (nicht  mouilliert);  ausserdem  könnte 
nach  den  Lautgesetzen  ein  traditionelles  i  n-a  leaghadh  nicht  die  vor- 
handene Aussprache  repräsentieren.  Noch  weniger  steht  dies  leaghadh 
für  leagadh,  erstens  weil  g  nicht  zu  gh  werden  kann,  und  zweitens  weil 
,Werfen,  Legen'  (was  übrigens  auf  Arran  i!agn  heisst)  nicht  die  erforder- 
liche Bedeutung  ist.  Es  ist  weiter  nichts  als  das  gewöhnliche  i  n-a  luighe 
,liegend\  gn  celik  darf  nicht  go  'n  t-elc  transskribiert  werden,  erstens 
weil  vor  dem  Possessivpronomen  kein  Artikel  stehen  darf,  zweitens  weil 
das  Wort  elc  (neuirische  Schreibung  wäre  jedenfalls  ealc,  höchstens  eile) 
meines  Wissens  im  Neuirischen  nicht  vorkommt,  und  drittens  weil  dies 
Wort  unter  allen  Umständen  nicht  elik  lauten  könnte;  denn  der  Svarabhakti- 
vokal  tritt  zwar  zwischen  l  und  g,  nicht  aber  zwischen  l  und  c  ein,  vgl. 
ole,    gesprochen  olk    (mit  geschlossenem  o).     Die    sehr   feinen  und  inter- 


Zu  den  neuirischen  Zaubersprüchen.  195 

essanten  Gesetze  der  irischen  Svarabhakti  werde  ich  anderswo  darlegen. 
gn  celik  ist  don  t-seilg.  Das  Wort  sealg  (altirisch  selg)  habe  ich  in 
der  Bedeutung  ,Milz'  nicht  gehört;  dagegen  wurde  es  mir  als  Name  einer 
Krankheit  mitgeteilt;  darüber  werde  ich  Ausführlicheres  in  meinem  Glossar 
mitteilen  (gesprochen  wurde  das  Wort  sehe),  was  dem  geschriebenen  seiig 
entspricht).  Gegen  diese  Krankheit  findet  sich  ein  Spruch  in  dem  unten 
zu  erwähnenden  Buche  von  O'Faherty.  da  toelik  darf  nicht  als  Kompositum 
von  do-  und  bolg  betrachtet  werden,  denn,  um  von  anderen  Einwänden 
ganz  abzusehen,  müsste  ein  solches  Wort  auf  der  ersten  Silbe  betont  sein, 
was  nicht  der  Fall  ist.  Es  handelt  sich  um  ein  Substantiv  de,  Plur.  deaxy 
, Schmerz',  das  auch  in  einem  von  mir  aufgezeichneten  Spruche  gegen 
Zahnschmerz  vorkommt;  in  dem  englisch-irischen  Wörterbuch  von  Mac 
Cuirtin  (Paris  1732)  findet  man  unter  pain:  „doigh  theinnis;  a  pain  in 
the  head:  doigh  chinn",  und  ferner  unter  side:  „to  have  a  pain  in  one's 
side:  doigh  do  bheith  attaobh  aoin".  In  einer  entstellten  Form  kommt 
das  Wort  in  den  Zaubersprüchen  bei  O'Faherty  S.  134  als  diaidh  vor. 
Dasselbe  Wort  steckt  auch  in  dem  de  iakl  des  vierten  Spruches.  —  In 
der  letzten  Zeile  des  vierten  Spruches  darf  x  yn  nicht  gach  aon  trans- 
skribiert  werden;  denn  gach  aon  lautet  auf  Arran  xen  und  kann  nicht 
, zusammen'  bedeuten.  Das  Wort  muss  aryn  geschrieben  werden  und 
choidhehe  transskribiert  werden;  es  bedeutet  ,je',  eng.  ,ever'.  Das  aus- 
lautende n  stammt  von  der  häufig  darauf  folgenden  Negation,  z.  B.  xy(n) 
Ni  akd  tu  n  sumrd  so  ,Du  wirst  niemals  dies  Zimmer  verlassen'.  —  Ich 
habe  auch  selbst  ein  paar  Zaubersprüche  nach  der  Mitteilung  des  alten 
Martin  aufgezeichnet;  der  eine  ist  mit  No.  3  bei  Finck  fast  identisch. 
Finck  hat  in  der  Litteratur  nichts  Vergleichbares  gefunden;  ich  erlaube 
mir  deshalb  auf  ein  treffliches  Büchlein  hinzuweisen:  Siamsa  an  Gheimhre, 
a  collection  of  stories  and  poems,  by  D.  O'Faherty,  a  Schoolmaster  in 
West  Connaught,  Dublin  1892,  8°,  144  S.  Das  Buch  enthält  auf  S.  133 
bis  137  nicht  weniger  als  15  Zaubersprüche,  welche  für  die  Untersuchung 
über  die  neuirischen  Zaubersprüche  durchaus  mit  in  Betracht  gezogen 
werden  müssen.     No.  8  ist  mit  Finck  No.  4  identisch : 

Ortha  an  diaidh  fhiacail. 

Chuaidh  Peadar  go  sruth-for-län ; 

Thäinic  Criost  ös  a  chionn. 

„Cia'rd  sin  ort  a  Pheadair?" 

„O,  m'fhiacail  ata  tinn." 

Eirigh  a  Pheadair  's  bi  slän; 

Ni  thusa  acht  feara  Fhäil." 

Aon  duine  a  gheillfeas  nö  a  dearfadh  an  ortha, 

Ni  bheidheadh  i  n-diaigh  na  h-ortha  diaidh  in  aon  deud  amhäin. 

In  ainm  an  Athar  agus  an  Mhic  agus  an  Spioraid  Naoimh.     Amen. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.   1896.  13 


196  Boerschel: 

Hier  ist  in  der  ersten  Zeile  von  dem  Flusse  Jordan  keine  Rede;  und 
es  wäre  daher  wünschenswert,  wenn  Finck  mitteilen  würde,  ob  er  seine 
Übersetzung-  von  seinem  Gewährsinann  hat,  oder  ob  sie  auf  seiner  eigenen 
Interpretation  beruht.  Im  letzteren  Falle  wird  seine  Übersetzung  falsch 
sein.  Übrigens  ist  wohl  auch  die  Schreibung  bei  O'Faherty  falsch.  Es 
giebt  auf  Arran  ein  Wort  srür  fem.  „das  Wasser  zwischen  zwei  ins  Meer 
hinauslaufenden,  bei  der  Ebbe  trockengelegten  Felsenstrecken".  Das  ist 
wohl  altir.  sruthar  s.  Windisch,  Irische  Texte  mit  Wörterbuch;  das  Wort 
steht  z.  B.  Leabhar  na  hUidhre  57  a  32.  Es  giebt  ferner  auf  Arran  ein 
Wort  sriirLän  ,eine  Rinne,  worin  das  Wasser  von  einer  Quelle  wegläuft'. 
Dies  Wort  steckt  offenbar  in  unserem  Zauberspruch.  Der  Gewährsmann 
Fincks  hat  offenbar  gewusst,  dass  in  diesem  Worte  früher  ein  h  gesprochen 
wurde,  was  nicht  wunderbar  ist,  da  der  Schwund  des  intervokalischen  h 
auf  Arran  offenbar  ein  junger  Vorgang  ist. 

Herr  Dr.  F.  K  Finck  hat  einen  gerechten  Anspruch  auf  den  Dank 
der  Sprachforscher  und  Folkloristen,  weil  er  das  schwierige  Studium  des 
ungemein  wichtigen  Neuirisch  an  Ort  und  Stelle  unternommen  hat.  Möge 
er  die  vorhergehenden  Zeilen,  worin  naturgemäss  nur  diejenigen  Punkte 
erörtert  wurden,  in  denen  ich  mit  ihm  nicht  übereinstimme,  als  ein  Zeichen 
des  Dankes  für  seinen  Aufsatz  betrachten. 

Greifswald. 


Abzählreime  ans  dem  Posenschen. 

Gesammelt  von  Ernst  Boerschel. 


1.  Kurz  und  lang 
Hobelbank. 

2.  Rummeldebux 
Ikajensen  de  schnux. 

Während  einer  den  Reim  spricht,  drehen  sich  die  anderen  schnell  im 
Kreise  herum;  wer  dann  nach  der  letzten  Silbe  zuerst  stehen  bleibt,  tritt  ab. 

3.  Eins,  zwei,  drei 
Du  bist  frei! 

4.    a)  Ich  und  du  b)  Ich  und  du 
Müllers  Kuh,  Bäckers  Kuh 

Müllers  Esel,  Müllers  Esel 

Das  bist  du!  Das  bist  du! 

b.    a)  Ennchen,  dennchen,  dittchcn,  dattchen, 
Zeberde,  beberde,  bittchen,  battchen, 
Zeberde,  beberde,  bittchen,  buh 
Raus  bist  du! 


Abzählreime  aus  dem  Posenschen. 


197 


b)   Enje  den  je  datje 

Zeberde  beberde  batje 
Zeberde  biberde  bu 
Ich  oder  du! 

G.    Ene  mene^rning  mang 
Kling  klang 
Ohse,  pose  packe  dich 
Eia  weia  weg! 

7.  Eins,  zwei,  drei,  vier,  fünf,  sechs,  sieben, 
Meine  Mutter  die  kocht  Rüben, 

Mein  Vater  schneid't  Speck, 
Du  bist  weg! 

8.  Eins,  zwei,  drei,  vier,  fünf,  sechs,  sieben, 
Meine  Mutter  die  kocht  Rüben, 

Mein  Vater  flickt  den  Rock 
Du  bist  ein  Ziegenbock! 


9.     a)   Eins,  zwei,  drei,  vier 
Eine  Flasche  Bier 
Eine  Flasche  Rum 
Du  bist  dumm. 

10.  Eins,  zwei,  drei,  vier 
Auf  dem  Klavier 
Sass  eine  Maus 

Die  muss  heraus. 

11.  Eins,  zwei,  dnei,  vier,  fünf,  sechs, 

[sieben 
Komm,  wir  wollen  Kegel  schieben 
Kegel  um  Kegel  um 
Böttcher,  Böttcher,  bum  bum  bum. 
Böttchers  Frau,  die  alte  Grete 
Sass  auf  dem  Balkon  und  nähte 
Fiel  herab,  fiel  herab 
Und  das  linke  Bein  war  ab. 
Kam  der  Doktor  Pumpelmann 
Näht  das  Bein  mit  Spucke  an 
Tippe  tappe  teck 
Du  bist  weg. 


b)   Eins,  zwei,  drei,  vier 
Eine  Flasche  Bier 
Eine  Flasche  Wein 
Du  musst's  sein! 

12.  Eins,  zwei,  Polizei 
Drei,  vier,  Offizier 
Fünf,  sechs,  alte  Hex 
Sieben,  acht,  gute  Nacht 
.Neun,  zehn,  schlafen  gehn 
Elf,  zwölf,   heulen  die   Wolf 
Dreizehn,  vierzehn,  blaue  Schürzen 
Fünfzehn,  sechzehn,  Raben  krächzen 
Siebzehn,  achtzehn,  gute  Nachtzen 
Neunzehn,  zwanzig, 

Die  Franzosen  zogen  nach  Danzig; 
Danzig,  das  fing  an  zu  brennen, 
Die  Franzosen  mussten  rennen, 
Ohne  Strumpf  und  ohne  Schuh, 
Ritten  sie  nach  Frankreich  zu! 

13.  1,  2,  3,  4,  5,  6,  7,  8,  9,   10,   11,   12 
Wie  tief  ist  das  Gewölf? 

Wie  tief  ist  das  Grab? 
Ich  oder  du  bist  ab! 


14. 


1,  2,  3 

Rische,  rasche,  rei 

Rische,  rasche 

Plaudertasche 

Du  bist  frei! 


15.    1,  2,  3,  4 

Kommt  her  zu  mir 
Mädchen,  das  sind  goldne  Engel, 
Jungens,  das  sind  Gassenbengel 
Mädchen  tragen  Lorbeerkränze 
Jungens  tragen  Rattenschwänze. 
13* 


198 


Joerschel:  Abzählreime  aus  dein  Posenschen. 


16.  1,  2,  3,  4,  5,  6,  7,  8,  9 
Wie  hoch  ist  die  Scheun? 
Wie  hoch  ist  das  Haus? 
Du  bist  raus! 

17.  Ene  mene  meine  muh 
Nege  bitze  deine  Ruh 
Iffi  halles  ledangu 
Ene  mene  meine  muh! 

18.  A,  B,  C 

Die  Katze  lief  in'n  Schnee 
Als  sie  wieder  raus  kam 
Hat  sie  weisse  Hosen  an. 

19.  Auf  einem  Baum  ein  Kuckuck  sass, 
Es  regnete,  er  wurde  nass, 

Da  kam  ein  heller  Sonnenschein 
Es  müssen  hundertdreissig  sein: 
10,  20,  30,  40,  50,  60,  70, 
80,  90,  100,  110,   120,  130. 

20.  Vater,  Vater,  was  ist  das? 
Unterm  Bette  raschelt  was, 

Kind  das  kann  ich  dir  nicht  sagen, 
Da  musst  du  die  Mutter  fragen: 
Mutter,  Mutter,  was  ist  das 
Unterm  Bette  raschelt  was? 
Kind  das  kann  ich  dir  nicht  sagen, 
Da  musst  du  die  Köchin  fragen: 
Köchin,  Köchin  was  ist  das 
Unterm  Bette  raschelt  was? 
Kind  das  kann  ich  dir  wohl  sagen 
Das  ist  eine  Maus 
Die  rnuss  heraus. 


21.  Eine  kleine  Kaffeebohne 
Wollte  gern  nach  England  gehn 
Engelland  war  zugeschlossen 

Und  der  Schlüssel  war  zerbrochen 

Wieviel  Stunden  musst'  sie  stehn? 

Die  bestimmte  Zahl  der  Stunden  wird 

nun    hergezählt   und    wen    die  letzte 

trifft,  der  tritt  ab. 

22.  Ri  ra  rutsch 

Wir  fahren  in  der  Kutsch 
Wir  fahren  in  der  Kaiserkutsch 
Ri  ra  rutsch. 

23.  Eine  kleine  Mies  Maus 
Lief  ums  Rathaus 
Schöne  wipp,  schöne  wapp 
Du  bist  ab! 


24.  Endenntinus 
Zurakatinus 
Zurakaticatus 
Feuer  pam  piis. 

25.  Muschebär 
Schickt  mich  her 

Ob  der  Kaffee  fertig  war. 

Nein  mein  Kind  du  musst  noch  warten 

Geh  solange  in  den  Garten, 

Uhre  acht,  Uhre  neun 

Wird  der  Kaffee  fertig  sein 

26.  In  der  bimbambolschen  Kirche 
Geht  es  bimbambolisrh  zu 
Tanzt  der  bimbambolsche  Ochse 
Mit  der  bimbambolschen  Kuh. 

27.  Mutter  gieb  mir  einen  Dreier, 
Dreier  will  ich  dem  Bäcker  geben, 
Bäcker  wird  mir  Semmel  geben, 
Semmel  will  ich  der  Katze  geben, 
Katze  wird  mir  Leder  geben, 
Leder  will  ich  dem  Schuster  geben, 
Schuster  wird  mir  Schuhe  geben, 
Schuhe  will  ich  der  Braut  geben, 
Braut  wird  mir  Ringe  geben, 
Ringe  will  ich  dem  Pastor  geben, 
Pastor  wird  uns  trauen. 

Dann  gehen  wir  nach  Haus 
Und  machen  einen  Schmaus, 
Trinken  Bier  und  Wein 
Du  musst's  sein! 

28.  Bohle,  bohle  Tintenfass 

Geh  in  die  Schule  und  lerne  was, 
Lernst  du  was,  so  kannst  du  was, 


Lernst  du  nichts,  so  kriegst  du  was! 

29.  Eppe  deppe  riesnpa 
Dodo  dididi 

Ulle  bulle  praedica 

Dodo  dididi. 

Clarinette,  nie  polette 

Indenapriko,  iednoidentro. 
Trotz  dieses  Wirrwarrs  von  Wörtern  wird 
der  Reim  doch  häufig  ausgezählt. 

30.  Wide  wide  witt,  mein  Mann  ist 

[Schneider, 
Wide  wide  witt,  macht  schöne  Kleider, 
Wide  wide  witt,  und  Knöpfe  dran, 
Wide  wide  witt,  washab'  ich  für'n  Mann ! 


Kosch:  Die  adelichen  Bauern  von  Turopol.  199 

31.    Ecie  pecie  gdzie  jadziecie? 
Ele  wele  na  wesele 
Endry,  wendry  na  olendry. 
Stammt    aus  dem  Polnischen  und  wird  sowohl  von  polnischen  wie  deutschen 
Kindern  ausgezählt. 

Wenngleich  sämtliche  aufgeführten  Reime  in  Posen  abgezählt  werden, 
so  lässt  sich  doch  von  keinem  einzigen  behaupten,  dass  er  dort  ent- 
standen ist,  denn  viele  Reime  findet  man  auch  in  anderen  Gegenden 
wieder.  Vgl.  Arnim-Brentano,  Des  Knaben  Wunderhorn;  Frischbier,  Volks- 
reime; Simrock,  Das  deutsche  Kinderbuch;  Birlingers  Alemannia,  die  ver- 
schiedenen Bände  der  Zeitschrift  d.  Vereins  f.  Volkskunde  u.  s.  w. 

Posen. 


Die  adeliclien  Bauern  von  Turopol. 

Von  Marie  Kosch. 

Vor  zwei  Jahren  machte  ich  mit  meiner  Tochter  eine  Reise  nach 
Kroatien  zu  meinen  Verwandten,  welche  vor  25  Jahren  aus  dem  nordwest- 
lichen Mähren  auswanderten  und  sich,  eine  Fahrstunde  von  Agram  ent- 
fernt, ein  grosses  Landgut  kauften.  Dasselbe  schliesst  sich  an  ein  Dorf 
an,  welches  Velika  Mlaka  heisst  und  80  Hausnummern  zählt.  Ich  suchte 
mich  nun  mit  Hilfe  meiner  Verwandten  mit  den  Verhältnissen  der  Dorf- 
leute bekannt  zu  machen. 

Die  dortige  Gegend,  eine  sehr  grosse,  fruchtbare  Ebene,  wird  auf 
kroatisch  Turopol,  das  ist:  Türkenfeld,  genannt.  Zum  Lohne  für  ihre 
Tapferkeit  in  den  Kriegen  gegen  die  Mongolen  (Türken)  hat  der  ungarische 
König  Bela  IV.  (12:35 — 1270)  das  Land,  sowie  einen  grossen  Eichenwald 
den  dortigen  Bauern  mit  verschiedenen  Gerechtsamen  geschenkt.  Zudem 
hat  dieser  König  allen  Bauern  den  Adel  verliehen,  den  sie  bis  auf 
den  heutigen  Tag  noch  führen  und  auf  den  sie  nicht  wenig  stolz  sind. 
Auf  diesem  grossen  Türkenfelde  befinden  sich  24  Dörfer  und  der  erwähnte 
Eichenwald,  der  ein  Ausmass  von  14  000  Joch  hat.  Dieser  Wald  ist  ge- 
meinschaftlicher Besitz  und  hat  eine  eigene  Verwaltung.  Der  Vorstand 
der  Bauern  heisst  Comes  und  wird  alle  drei  Jahre  neu  gewählt,  muss  aber 
ein  Turopoljer,  das  ist  Mitbesitzer  der  Landschaft  sein.  Seit  vielen  Jahren 
besitzt  dieses  Vorrecht  die  Familie  Josipovic,  Gutsbesitzer  in  der  Nähe 
von  Gross  Mlaka.  Die  Beteiligten  haben  das  Recht,  sich  aus  dem  Walde 
Brennholz  nach  Bedarf  zu  führen,  jedoch  nur  mit  eigenem  Zugvieh,  ferner 
Bauholz  so  viel  sie  brauchen.  Zudem  haben  sie  das  Recht,  ihre  Schweine 
in    die  Eichelmast,  zu  treiben.     Im  Herbste,    wenn  die  Eicheln  fallen,    ist 


200  Kosch: 

der  Wald  von  Tausenden  von  Sehweinen  bevölkert;  ebenso  wimmelt  es  dort 
von  Hirten.  Zur  Aufrechthaltung  der  Ordnung  wählen  sie  unter  sich  ein 
Oberhaupt,  einen  Hirten,  zu  dem  sie  das  meiste  Vertrauen  haben.  Dieser 
bekleidet  das  Amt  eines  Richters,  wenn  Streitigkeiten  ausbrechen  und  hat 
absolute  Gewalt.  Er  diktiert  Strafen,  Stockprügel,  oder  mildere  Strafen,  denen 
sie  sich  gutwillig  unterwerfen.  Die  Turopoljer  sind  ein  friedliches  Volk,  das 
Beleidigungen  leicht  verzeiht.  Wirtshansraufereien  kommen  bei  ihnen 
selten  vor,  obwohl  sie  gern  Wein  trinken,  ihr  einziges  Vergnügen,  ja  ihre 
einzige  Leidenschaft.  Für  einen  Liter  Wein  kann  man  den  Bauer  zn  allem 
haben,  sein  Gewissen  wird  dann  sehr  weit.  Eine  besondere  Eigenheit  der 
Bauern  ist  ihre  Vorliebe  für  den  Handel,  denn  sie  arbeiten  nur  so  viel, 
als  sie  müssen,  um  für  ihren  Bedarf  die  nötigen  Lebensmittel  zu  erbauen. 
Pferde-  und  Geflügelhandel  wird  stark  betrieben. 

Bis  vor  ungefähr  20  Jahren  haben  die  Bauern  noch  echt  patriarchalisch 
in  der  Kommune  gelebt,  oft  Urgross-,  Grosseltern,  Kinder  und  Enkel  alle 
zusammen  in  einem  Hause.  Dem  hat  aber  die  ungarische  Regierung  ein 
Ende  gemacht,  indem  sie  in  den  siebziger  Jahren  ein  Gesetz  erliess,  wo- 
nach die  Güter  geteilt  werden  können.  Von  diesem  Gesetz  haben  viele 
Familien  Gebrauch  gemacht,  was  zu  ihrem  Untergang  führte;  denn  sie 
verarmten,  während  sie  früher  in  einem  gewissen  Wohlstand  lebten.  Die 
alten  und  kranken  Glieder  wurden  erhalten  von  den  arbeitsfähigen;  der 
älteste  war  das  Oberhaupt,  dem  sich  alle  anderen  unterordnen  mussten. 

Sehen  wir  uns  nun  an,  wie  es  in  so  einem  altadelichen  Bauernhaus, 
das  noch  in  der  Kommune  lebt,  aussieht:  Von  aussen  und  auch  von 
innen  sind  alle  Häuser  gleich  gross  und  gleich  gebaut.  Sie  sind  von  dicken 
Eichenbalken  gezimmert,  und  gleichen  ungefähr  den  amerikanischen  Block- 
häusern, nur  sind  die  Balken  glatt  behauen.  Die  Fenster  sind  sehr  klein, 
und  am  Dache  ist  kein  Rauchfang  zu  sehen.  Der  Hof,  in  den  man 
eintritt,  ist  sehr  gross,  und  mitten  darin  ein  schmaler,  sehr  hoher  Verschlag 
von  Holz,  der  sogenannte  Kukuruzkorb,  in  dem  der  geerntete  Mais  auf- 
bewahrt wird.  Zu  beiden  Seiten  des  Hofes  steht  ein  Wohngebäude  Man 
tritt  ins  Vorhaus,  wo  es  von  einer  Unzahl  Kinder,  in  allen  Grösseu, 
wimmelt,  und  von  da  in  die  Küche.  Ich  habe  schon  erwähnt,  dass  sich 
am  Dache  keine  Esse  befindet,  und  wenn  ich  noch  sage,  dass  in  der 
Küche  auch  kein  Herd  ist,  sondern  dass  auf  dem  Boden  in  einer  läng- 
lichen seichten  Grube  bei  ganzen  Holzscheiten  das  Mahl  für  alle 
Familienglieder,  deren  es  oft  bis  dreissig  oder  noch  mehr  giebt,  gekocht 
wird,  und  dass  der  Rauch  beim  Dache  und  Sommers  auch  beim  Fenster 
hinaus  ziehen  muss,  so  wird  man  sich  einen  Begriff  von  solchen  Küchen 
machen  können.  Gekocht  werden  nur  Speisen,  die  selbst  gebaut  wurden, 
kleine  bräunliche  Bohnen,  welche  zwischen  dem  Kukuruz  wachsen,  dann 
Kraut,  Kartoffeln  und  Kukuruzsterz.  Andere  Speisen  giebt  es,  ausgenommen 
zur  Winterszeit  Schweinefleisch    und    bei    besonderen  Festen  Mehlspeisen. 


Die  adelichen  Bauern  von  Turopol.  201 

Brot  wird  von  Kukuruzmehl  gebacken,  worunter  zuweilen  Weizenschrot 
gemischt  wird.  Beim  Mahl  sitzen  die  Männer  auf  Bänken  um  einen  Tisch, 
der  in  einer  Ecke  steht,  und  essen  alle  aus  einer  Schüssel;  die  Weiber 
müssen  zwischen  ihnen  stehen,  und  zwischen  ihren  Schultern,  oder  über 
ihren  Köpfen  in  die  Schüssel  langen.  Die  Kinder  bekommen  ihr  Essen 
in  kleinen  Schüsselchen,  wobei  sie  sich  auf  die  Erde  oder  sonst  wohin 
setzen.  Das  Kraut  wird  nicht  gehobelt,  sondern  in  ganzen  Häupteln  ein- 
geschwert  und  gesäuert;  ich  habe  mir  sagen  lassen,  dass  es  so  viel  besser 
und  schmackhafter  werden  soll,  als  wenn  es,  wie  bei  uns,  zuvor  gehobelt 
wird.  Das  Turopoler  Kraut  ist  weit  berühmt;  überhaupt  ist  die  dortige 
Gegend  ein  Gemüseboden  ersten  Ranges.  Und  diesem  wunderbaren  Boden 
wissen  die  Bauern  nichts  anderes  abzugewinnen  als  Kukuruz,  und  wenn 
dieser  missrät,  sind  sie  geschlagen;  denn  trotz  ihrer  geringen  Bedürfnisse 
brauchen  sie  Geld,  um  die  hohen  Steuern  zahlen  zu  können.  Einst  zahlten 
sie  gar  keine,  dann  später  nur  geringe,  und  gegenwärtig,  wo  die  ungarische 
Regierung  Geld,  viel  Geld  braucht,  wird  die  Steuerschraube  immer  mehr 
angezogen. 

Nach  dieser  Abschweifung  führen  wir  den  geneigten  Leser  in  das 
Wohnzimmer.  Dasselbe  ist  ziemlich  gross,  geht  über  die  ganze  Längsseite 
des  Hauses  und  macht  durch  die  vielen  Betten,  welche  darin  reihenweise 
aufgestellt  sind,  den  Eindruck  eines  Spitals.  Ja,  es  bleibt  fast  gar  kein 
Raum  zum  Gehen,  indem  zwei  oder  drei  Reihen  Betten  neben  einander 
stehen.  Diese  haben  so  hohe  Füsse,  dass  man  nur  mittels  eines  Schemels 
hinauf  gelangen  kann,  und  die  Polster  sind  so  gelegt,  dass  derjenige,  der 
sich  darin  befindet,  mehr  sitzt  als  liegt,  Nachts  werden  die  Wiegen  unter 
die  Betten  geschoben.  Sie  haben  keine  Füsse  und  bestehen  nur  aus 
einem  länglichen  Kasten,  an  dem  zu  beiden  Seiten  eiu  halbrundes  Holz 
angebracht  ist,  das  eine  schaukelnde  Bewegung  hervorbringt.  Dies  ist  das 
Wohnzimmer;  ein  zweites,  hinteres  nennen  sie  die  Komora  (Kammer),  in 
welchem  sie  ihren  ganzen  Reichtum,  nämlich  Wäsche  und  Kleider,  in 
grossen  Truhen  aufbewahren.     Der  Fussboden  ist  durchgehends  Tenne. 

Im  Wohnzimmer  befindet  sich  ein  grosser  weiss  getünchter  Ofen,  in 
dem  zur  Winterszeit  Tag  und  Nacht  geheizt  wird,  wobei  der  Rauch  bei 
den  Dachluken  hinauszieht.  Da  sie  ihre  Speisevorräte  auf  dem  Boden 
haben  und  zwar  Mehl,  Käse  und  dergl ,  so  riecht  alles  nach  Rauch.  Im 
Wohnzimmer  findet  man  auch  die  bekannten  kroatischen  Stickereien,  an 
denen,  wenn  Zeit  ist,  die  Frauen  arbeiten.  Diese  gestickten  Tücher  werden 
gewöhnlich  zu  Schürzen  oder  Wiegendecken  verwendet,  aber  nur,  wenn 
das  Kind  in  der  Wiege  zur  Taufe  getragen  wird. 

Die  Kleidung  der  Männer  und  Frauen  besteht  durchgehends  aus 
selbstgefertigten  Hanfleinen.  Der  Hanf  wird  zwischen  dem  Kukuruz 
gebaut,  nach  der  Ernte  bearbeitet  und  im  Winter  zu  Garn  versponneu  und 
verwebt.     Sonntags,    wenn    alle  frischgewaschene  Kleider  anhaben,    macht 


202  Kosch: 

das  weisse  Gewand  einen  angenehmen  Eindruck.  Die  Männer  haben  bloss 
eine  Hose  an  und  ein  langes  Hemd  von  sehr  grober  Leinwand.  Erstere 
ist  weit  und  unten  offen,  ungefähr  so,  wie  die  der  mährischen  Slowaken 
bei  Lundenburg,  und  das  Hemd  wird  um  die  Taille  etwas  herausgezogen, 
so  dass  es  ein  Rad  bildet  und  fast  einer  Jacke  gleicht.  Zur  Winterszeit 
wird  ein  Pelz  darüber  gezogen.  Die  Frauen  haben  weite  Röcke  von  der- 
selben Leinwand,  die  um  die  Taille  in  Stehfalten  gereiht  sind;  ferner  haben 
sie  ein  Hemd,  bis  zum  Hals  geschlossen,  mit  weiten  halblangen  Ärmeln, 
dazu  ein  anliegendes  Leibchen,  alles  weiss,  mit  einem  sehr  schmalen  und 
tief  ausgeschnittenen  Rückenteil,  auf  dem  der  Name  und  die  Haus- 
nummer der  Trägerin  mit  rot  und  blauem  Garn  gestickt  ist. 

Sagen  wir  etwas  von  den  Hochzeitsgebräuchen.  Das  Brautwerben 
geschieht  immer  nach  Drei  Königen,  in  der  Faschingszeit.  Zuerst  erkundigt 
sich  der  Freier  um  die  Verhältnisse  und  gefallen  ihm  diese,  so  nimmt  er 
sich  einen  Freiwerber,  welcher  für  ihn  das  Wort  führt.  Mit  Wein  ver- 
sehen, erscheinen  sie  im  Hause  der  Erkorenen.  Gewöhnlich  empfängt  sie 
bloss  die  Mutter,  die  Tochter  versteckt  sich  hinter  den  Ofen  und  beobachtet 
ungesehen  mit  Neugierde  den  Freier.  Die  Mutter  giebt  auf  die  Anfragen 
des  Brautwerbers  ausweichende  Antworten  und  ladet  den  Burschen  ein, 
am  nächsten  Tage  wieder  zu  kommen.  Nach  einem  Familienrat  den 
nächsten  Tag,  wenn  der  Bursche  kommt  und  sein  Werben  angenommen 
wird,  so  überreicht  ihm  das  Mädchen  ein  rotes  Tüchel  mit  verschämtem 
Antlitz,  und  mit  dieser  Gabe,  welche  das  Jawort  bedeutet,  ist  die  Verlobung 
geschlossen;  sie  sind  Braut  und  Bräutigam.  Gewöhnlich  folgt  bald  dar- 
nach die  Hochzeit.  Am  Vorabend  derselben  erscheint  der  Bräutigam  mit 
Wagen  und  Musikanten  im  Hause  der  Braut,  um  ihre  Ausstattung  in 
Empfang  zu  nehmen,  die  zumeist  in  Wäsche  und  Kleidungsstücken  besteht, 
und  gewöhnlich  ihr  ganzes  Vermögen  ausmacht.  Der  Wagen  mit  derselben 
wird  unter  Sang  und  Klang  in  das  Haus  des  Bräutigams  überführt,  wobei 
sehr  viel  getrunken  wird.  Die  Tracht  des  Bräutigams  am  Hochzeitstage 
ist  sehr  hübsch.  Dunkelblauer  Rock,  schwarz  verschnürt  und  verbrämt, 
enges  Beinkleid  von  derselben  Farbe,  ebenfalls  verschnürt,  dann  zum 
Zeichen  seines  Adels  der  Säbel  an  der  Seite.  Die  Kleidung  ist 
selten  Eigentum  des  Burschen  und  wird  gewöhnlich  ausgeliehen.  Es  sind 
nur  wenige  Familien  in  jedem  Dorfe,  die  diese  Kleidung  besitzen,  indem 
sie  sonst  niemals  getragen  und  nur  zu  Hochzeitszwecken  verwendet  wird. 

Die  Braut  ist  ganz  in  weisse  dünne  Stoffe  gekleidet,  und  um  den 
Hals  werden  ihr  ringsherum  rote  Bänder  festgesteckt,  eins  neben  dem 
anderen,  welche  ungefähr  1  m  lang  sind  und  lose  herunter  hängen,  so  dass 
sie  eine  Art  Mantel  bilden.  Der  Anzug  ist  hübsch,  nur  entstellt  ihn  die 
Haube,  welche  aus  Silberflittern,  bunten  kleinen  Federn  und  Blumen  be- 
steht. Zur  Kirche  gehen  die  Leute  immer  zu  Fuss,  auch  wenn  sie  weit 
dahin    haben,    voran   drei  Musikanten  (zwei  Violinen  und  eine  Bassgeige), 


Die  adelichen  Bauern  von  Turopol.  203 

dann  kommen  drei  Brautführer,  der  erste  mit  einer  Fahne,  und  alle  drei 
haben  die  Pflicht  zu  springen  und  zu  tanzen.  Dann  kommt  der  Bräutigam 
und  hinter  ihm  erst  die  Braut;  die  Brautmutter  beschliesst  den  Zug. 
Nach  erfolgter  Trauung  kehren  sie  in  das  Haus  der  Braut  zurück.  Der 
Brautvater  erwartet,  unter  der  Thür  stehend,  den  Hochzeitzug  —  dem 
sich  die  ganze  Dorfjugend,  singend  und  johlend  anschliesst  —  mit  einer 
Flasche  Wein  in  der  Hand,  welche  die  Runde  bei  den  Ankommenden 
macht,  und  dann  ladet  er  sie  erst  ein  ins  Haus  zu  treten.  Das  Brautpaar 
wird  in  das  hintere  Zimmer  geführt,  wo  ihm  eine  Schüssel  Milch  vorgesetzt 
wird,  und  nachdem  sie  noch  etwas  Fleisch  gegessen  haben,  begeben  sie 
sich  in  das  vordere  Zimmer,  wo  sich  die  Gäste  befinden.  Das  Paar  bekommt, 
wie  überall,  den  Ehrenplatz,  darf  aber  nicht  viel  sprechen,  die  Braut  gar 
nichts,  auch  dürfen  sie  sich  nicht  am  Tanz  oder  sonstigen  Lustbarkeiten 
beteiligen,  nichts  trinken  und  müssen  sich  still  und  ernsthaft  verhalten. 
Nach  dem  dritten  Gang  kommt  der  Dar,  das  sind  Geschenke.  Jeder  der 
Gäste  muss  etwas  schenken,  entweder  Hanf,  Leinwand  oder  Geld,  welches 
die  Brautmutter  in  Empfang  nimmt.  Die  Braut  steht  während  dem  abseits, 
mit  dem  Rücken  gegen  die  Gesellschaft  gekehrt,  und  kommt  erst  wieder 
zu  Tisch,  bis  niemand  mehr  etwas  giebt.  In  wohlhabenderen  Häusern 
bleibt  die  Hochzeitsgesellschaft  zwei  bis  drei  Tage  beisammen,  sogar  vier 
Tage  bis  alle  Vorräte  verzehrt  sind.  Dann  ist  die  Hochzeit  zu  Ende,  und 
man  begiebt  sich  in  das  Haus  des  Bräutigams,  wo  sich  das  Ganze  wieder- 
holt, hier  aber  nur  einen  Tag  dauert.  Beim  Eintritt  in  das  Haus  wird 
der  Braut  von  ihrer  Mutter,  die  Haube  abgenommen,  und  dieselbe  dem 
Bräutigam  übergeben,  der  sie  auf  die  Spitze  seines  Säbels  steckt  und 
damit  einigemale  um  sich  selbst  herum  tanzt,  worauf  er  sie  der  Mutter 
zurückgiebt.  Mit  dieser  Zeremonie  ist  das  Fest  beendet,  und  das  Mädchen 
heisst  nun  snah,  das  ist  Frau.  Heiraten  aus  Liebe  sind  bei  diesem  Volke 
eine  sehr  grosse  Seltenheit,  und  eben  so  selten  ist  auch  die  eheliche  Treue 
bei  ihnen.  Das  Mädchen  ist  unzugänglich,  aber  desto  zugänglicher  die 
Frau.  Auf  ihren  Adel  sind  sie  sehr  stolz;  Heiraten  zwischen  einem 
Adelichen  und  einem  Nichtadelichen  werden  als  Mesalliance  betrachtet  und 
kommen  selten  vor. 

Bei  allen  ihren  Festen  spielt  der  Wein  eine  grosse  Rolle,  und  ehe 
ein  neuer  Weltbürger  das  Licht  des  Tages  erblickt,  wird  schon  für  Wein 
gesorgt,  um  ihn  würdig  empfangen  zu  können.  Der  Mann  muss  ein  Fass 
Wein  anschaffen.  Wenn  das  Weib  ihre  schwere  Stunde  herannahen  fühlt, 
wird  ihr  Wein  zu  trinken  gegeben  und  zwar  viel  Wein,  so  dass  sie 
gewöhnlich  etwas  benebelt  wird;  auch  im  Verlauf  des  Wochenbettes 
muss  sie  immer  eine  Flasche  Wein  zur  Hand  haben.  Auch  der  Mann, 
sowie  die  Taufpaten  und  Besucher  thun  das  Ihrige,  um  das  Fass  bald 
leer  zu  trinken,  welches  je  nach  den  Verhältnissen  oft  bis  vier  Eimer 
enthält. 


204  Bolte; 

Die  neugeborenen  Kinder  haben  keinerlei  Wäsche  und  bleiben  ganz 
nackt.  Sie  werden  die  erste  Zeit  bloss  in  ein  Stück  Zeug  eingewickelt  und 
eingeschnürt  und  in  der  Wiege  zur  Taufe  getragen.  Den  Namen  be- 
stimmt immer  der  Priester. 

Bei  Sterbefällen  wird  der  Tote  Tag  und  Nacht  bewacht,  damit  die 
bösen  Geister  ihm  nichts  anhaben  können.  Die  weiblichen  Verwandten 
singen  monotone  Klagelieder,  in  denen  sie  die  guten  Eigenschaften  des 
Toten  aufzählen  und  ihren  Schmerz  in  Worten  Ausdruck  geben.  Auch 
werden  bezahlte  Klageweiber  angenommen.  Das  letzte  Geleite  geben  den 
Toten  immer  nur  Weiber,  Männer  beteiligen  sich  niemals  daran,  selbst 
nicht,  wenn  ihnen  der  nächste  Angehörige  stirbt.  Ein  alter  Mensch  ist 
überhaupt  keiner  Thränen  mehr  wert,  man  trauert  nicht  um  ihn,  weil  er 
nichts  mehr  nützt  in  der  Welt.  Nach  dem  Leichenbegängnis  versammeln 
sich  alle  Leidtragenden  im  Sterbehause  zum  Totenmahl.  War  der  Ver- 
storbene ein  Mann,  so  werden  die  Gäste  mit  13  Speisen  bewirtet,  das  sind 
immer  nur  Mehlspeisen  und  Hülsenfrüchte,  sowie  Reis  und  alles  darf  nur 
in  Wasser  gekocht  sein.  Bei  einem  Weibe  erscheinen  zwei  Speisen 
weniger  und  beim  Kinde,  ob  männlich  oder  weiblich,  kommen  nur  sechs 
Speisen  auf  den  Tisch. 

Die  Zustände  dieses  Volkes  reichen  bis  ins  hohe  Altertum  zurück. 
Wie  lange  wird  es  aber  dauern  uud  alles  ist  verschwunden  und  vergessen ! 
Durch  das  Gesetz  der  Ackerteilung  geht  es  einem  raschen  Verfall  entgegen. 

Ebreichsdorf  in  N.-Österreich. 


Setz  deinen  Fuss  auf  meinen! 

Von  Johannes  Bolte. 

(Nach  Rc inhold  Köhlers  Kollektaneen.) 

Es  ist  ein  weit  verbreiteter  Volksglaube,  dass  jemand  die  Gabe  erhält, 
in  die  Ferne  zu  schauen,  selbst  in  die  Geheimnisse  der  Hölle,  wenn  er 
seinen  Fuss  auf  den  eines  mit  höherer  Wissenschaft  Begabten,  eines  Geist- 
lichen oder  Hexenmeisters,  stellt.  Das  älteste  Zeugnis  hierfür  liefert  uns 
ein  mittelhochdeutsches  Gedicht  des  Strickers1).  Ein  reicher  Sünder,  so 
berichtet  der  Verfasser,  ging  aus  Rom  zu  einem  Einsiedler  und  wurde  auf 
dessen  Rat  sein  Genosse.  Als  er  jedoch  nach  Verlauf  eines  Jahres  in 
seinen    bussfertigen  Vorsätzen    wankend    wurde,    sprach   der  Einsiedler  zu 

1)  J.  v.  Lassberg,  Liedersaal  1,  503.  —  Über  die  aus  der  Arseniuslegende  entlehnten 
Visionen  vgl.  Bolte,  Ztschr.  f.  deutsche  Phil.  22,  334. 


Setz  deinen  Fuss  auf  meinen.  205 

ihm:  „Tritt  auf  meinen  rechten  Fuss!"  Der  Sünder  that  dies;  da  hiess 
ihn  jener  aufschauen  und  fragte  ihn,  was  er  sähe.  Der  Sünder  erblickte 
einen  Mann,  der  eine  Last  Holz  nicht  zu  tragen  vermochte  und  trotzdem 
noch  mehr  dazu  lud,  dann  einen  anderen,  der  mit  einem  bodenlosen  Eimer 
Wasser  schöpfen  wollte,  endlich  zwei,  die  eine  lange  Stange  quer  tragend 
in  eine  enge  Thür  hineinstrebten.  Diese  Gesichte  deutete  der  Einsiedler 
auf  die  Thorheit  des  Sünders,  der  sich  durch  des  Teufels  Rat  von  der 
begonnenen  Busse  abbringen  lasse. 

Genau  wird  die  Stellung  in  einer  Schweizer  Sage  aus  dem  Kanton 
Wallis1)  beschrieben,  in  der  ein  Pater  einen  seiner  Schüler  die  armen 
Seelen  im  Aletsch-Gletscher  sehen  lässt,  indem  er  zu  ihm  sagt:  „Komm 
hinter  meinen  Rücken,  stelle  deinen  rechten  Fuss  auf  meinen  linken 
und  schaue  über  meine  Achsel  auf  den  Gletscher  hinüber!"  —  Ebenso 
zeigte  nach  einer  Aargauer  Sage2)  ein  Gast  im  Wirthaus  zu  Unter-Entfelden 
dem  ungläubigen  Dorfinüller  von  Aarau  den  Spuk  des  verstorbenen  Tauben- 
stütze, indem  er  ihn  hinaus  zu  einem  gewissen  Platze  führte  und  ihm 
gebot,  mit  dem  linken  Fusse  auf  seinen  rechten  zu  treten  und  ihm  über 
die  linke  Schulter  zu  blicken.  Was  er  nun  sah,  brachte  ihn  in  solche 
Furcht,  dass  er  nicht  heimzugehen  wagte,  sondern  im  Wirtshause  über- 
nachtete. —  Aus  Graubünden  teilt  E.  Meier8)  den  Volksglauben  mit,  dass 
man  Geister  erblicken  könne,  wenn  man  jemanden  auf  den  rechten  Fuss 
trete  und  ihm  über  die  linke  Schulter  sehe;  auch  darf  es  der  linke  Fuss 
und  die  rechte  Schulter  sein. 

Anderwärts  soll  schon  das  Blicken  über  die  Schulter  allein  dieselbe 
Wirkung  haben,  ohne  dass  es  erforderlich  ist,  den  andern  auf  den  Fuss 
zu  treten4).  So  erzählt  man  sich  in  Thüringen5),  dass  am  Helmeufer 
zwischen  Wallhausen  und  Martinsrieth  allnächtlich  die  Geister  zweier 
Männer,  deren  einer  den  anderen  einst  erschlagen  und  in  den  Fluss  ge- 
worfen hat,  mit  einander  kämpfen.  Doch  nicht  jedem  ist  die  Gabe  ver- 
liehen, die  gespenstischen  Wesen  zu  sehen;  mancher  hat  sie  genau  gesehen, 
mancher  nicht.  Wer  aber  über  die  linke  Schulter  eines  andern  hinsieht, 
kann  die  beiden  Streitenden  ganz  deutlich  erblicken.  —  In  einer  west- 
fälischen Sage6)  führt  ein  verzaubertes  Fräulein  einen  Schäfer  in  den 
hohlen  Berg  und  gebietet  ihm,  über  ihre  linke  Schulter  zu  sehen,  worauf 
er  reiche  Schätze  gewahr  wird.    In  einer  anderen  7)  erblickt  der  Fährmann, 

1)  M.  Tscheineu  und  P.  J.  Ruppen,  Walliser  Sagen  187 1,  S.  13. 

2)  Rochholz,  Schweizerische  Sagen  aus  dem  Aargau  2,  1G0,  vgl.  1(52  (1856). 

3)  Deutsche  Sagen,  Sitten  und  Gebräuche  aus  Schwaben  2,  543,  No.  439  (185:2). 

4)  Simrock,  Deutsche  Märchen  1864,  No.  5  (Zauberspiegel).  Auch  das  Schauen  durch 
den  eingestemmten  Arm  macht  geistersichtig.     Grimm,  Mythologie3,  S.  891. 

5)  H.  Grössler,  Sagen  der  Grafschaft  Mausfeld  1880,  S.  170,  No    193. 

6)  Kuhn-Schwartz,  Norddeutsche  Sagen  1848,  S.  241,  No.  268. 

7)  Ebenda  S.  242,  No.  270,  1.  Eine  übereinstimmende  hessische  Sage  bei  Grimm, 
Mythologie3,  S.  428. 


206  Bolte: 

der  bei  Nacht  viele  Unterirdische  über  die  Weser  gesetzt  hat,  diese  erst, 
als  er  dem  kleinen  Manne,  der  ihn  gedungen,  über  die  rechte  Schulter 
schaut.  —  In  einer  hildesheimischen  Erzählung1)  zeigt  ein  Sonntagskind 
auf  dieselbe  Weise  einem  Bekannten  einen  geisterhaften  Leichenzug.  Nach 
einer  in  Westfalen  verbreiteten  Meinung2)  kann  aber  der  Geisterseher  seine 
verhängnisvolle  Gabe  gerade  durch  dies  Mittel  auf  den  Menschen  oder 
Hund,  den  er  über  seine  linke  Schulter  blicken  lässt,  nicht  bloss  für  den 
Augenblick,  sondern  für  immer  übertragen  und  selber  ihrer  ledig  werden. 
Sogar  der  Blick  über  die  eigene  linke  Schulter,  den  ein  Mädchen  in  der 
Matthiasnacht  nach  dem  künftigen  Freier  thut,  soll  zauberische  Wirkung 
haben3).  —  Rätselhaft  dagegen  bleibt  die  Kraft  dieser  Gebärde  in  einem 
dunklen  Märchenbruchstücke  vom  Teufel  und  Fortuna,  das  J.  Grimm  in 
den  Altdeutschen  Blättern  1,  297  veröffentlicht  hat.  Ein  Knabe,  den  seine 
Eltern  schon  vor  seiner  Geburt  dem  Teufel  versprochen  haben,  bricht  die 
Macht  des  Bösen,  indem  er  ihm  sagt:  , Tritt  mir  auf  den  linken  Fuss  und 
schau  mir  über  die  rechte  Schulter!'  Denn  das  vermag  jener,  ohne  ein 
Kreuz  zu  machen,  nicht  und  entweicht.  Vielleicht  liegt  ein  Zusammenhang 
mit  dem  alten  Brauche  vor,  dass  bei  der  Vindikation  des  entfremdeten 
Viehes  der  schwörende  Eigentümer  es  mit  Hand  und  Fuss  berühren 
musste*). 

Ausserhalb  Deutschlands  stossen  wir  auf  ähnliche  Überlieferungen.  In 
Dänemark  glaubt  man,  dass  ein  Hexenmeister  durch  diese  Gebärde  einem 
verborgene  Dinge  zeigen  kann5).  Die  Südslaven  meinen,  dass  ein  „AVolfs- 
hirt"  den  Anblick  der  nur  ihm  sichtbaren  Wölfe  auch  einem  andern  ver- 
schaffen kann,  wenn  dieser  ihm  auf  den  rechten  Fuss  tritt6).  Ebenso  ver- 
mag nach  griechischem  Volksglauben  ein  Zauberer  auf  diese  Weise  jemand 
das  erkennen  zu  lassen,  was  er  sieht7).  —  In  einer  korsischen  Erzählung8) 
sagt  ein  Priester  zu  einem  Bauern,  dem  er  seinen  verstorbenen  Vater  zum 
Himmel  fahrend  zeigen  will:  „Setz  deinen  Fuss  auf  meinen  und  gieb  acht!" 
—  Eine  bretonische  Sage9)  erzählt,  wie  ein  Mann  seine  meineidige  Frau, 
die  plötzlich  von  einem  Sturme  entführt  worden  war,  in  der  Hölle,  nach- 
dem ein  ihm  begegnender  Herr  ihn  angeredet  hatte:  „Si  tu  veux  voir  ton 


1)  Seifart,  Sagen,  Märchen,  Schwanke  und  Gebräuche  aus  Hildesheim  1854,  S.  39, 
No.  29.  Ebenso  bei  Wolf,  Beiträge  zur  deutschen  Mythologie  1,  238,  No.  446  (1852)  aus 
der  Wetterau. 

2)  Kuhn,  Sagen,  Gebräuche  und  Märchen  aus  Westfalen  1859,  1,  187,  No.  206.  2,  55, 
No.  160.     Grimm,  Mythologie  3,  472,  No.  996  und  476,  No.  1111. 

3)  Kuhn,  Sagen  aus  Westfalen  2,  124. 

4)  Grimm,  Rechtsaltertümer  S.  589  f. 

5)  Kamp,  Danske  Folkeminder  1877,  No.  1398. 

6)  Krauss,  Sagen  und  Märchen  der  Südslaven  2,  263  (1884). 

7)  Fenger,  Om  det  nygraeske  Folk  og  Sprog  1838,  S.  22. 

8)  Ortoli,  Contes  populaires  de  l'ile  de  Corse  1883,  S.  275. 

9)  Sebillot,  Traditions  et  superstitions  de  la  Haute  Bretagne  1,  197  (1882). 


Setz  deinen  Fuss  auf  meinen.  207 

epousee,  mets  ton  pied  sur  le  mien!"  —  In  einer  anderen  Erzählung 
desselben  Landes1)  wird  ein  ehrlicher  Pächter,  dessen  Herr  verstorben  war, 
ohne  ihm  über  die  bezahlte  Pachtsumme  eine  Quittung  auszustellen,  von 
einem  Unbekannten  aufgefordert:  „Mettez  votre  pied  sur  le  mien,  et  vous 
allez  voir  votre  maitre."  Er  sieht  sich  alsbald  in  die  Hölle  versetzt  und 
kann  sich  von  seinem  dort  Pein  leidenden  Gutsherren  die  gewünschte 
Quittung  geben  lassen. 

Nicht  nur  die  Augen,  sondern  auch  die  Ohren  werden  so  in  einer 
Sage  aus  Wales2)  den  Gefährten  Llewellyns  für  überirdische  Dinge  ge- 
öffnet. Indem  Llewellyn  seinen  Fuss  auf  den  Rand  eines  „Elfenringes" 
stellt  und  seine  Genossen,  einen  nach  dem  andern,  auf  seinen  Fuss  treten 
lässt,  hören  diese  das  Harfenspiel  der  Elfen  und  erblicken  sie.  —  Und 
von  der  Quelle  des  heiligen  Martin  weiss  das  französische  Landvolk  zu 
berichten3),  dass  der  Heilige  als  Schulknabe  plötzlich  den  fernen  Ruf 
seines  Brotherrn,  dessen  Kühe  er  hütete,  vernahm  und  dem  Lehrer,  der 
dies  nicht  glauben  wollte,  erwiderte:  „Setzt  Euren  Fuss  auf  meinen,  und 
Ihr  werdet  ihn  ebenso  wie  ich  hören." 

Auch  in  Märchen  und  Volksliedern  ist  derselbe  Volksglaube  anzutreffen. 
In  einem  Märchen  von  der  Insel  Femern4)  sagt  Goldmariken,  die  das 
Wünschen  gelernt  hat,  auf  ihrer  Flucht  mit  Prinz  Goldfeder  aus  dem 
Hause  der  Hexe,  zu  dem  Prinzen:  „Tritt  mir  auf  den  linken  Fuss  und 
sieh  mir  über  meine  rechte  Schulter,  ob  jemand  kommt!"  —  Ganz 
ähnlich  ist  die  Situation  in  dem  Märchen  der  Gräfin  D'Aulnoy  „Gracieuse 
et  Percinet"5).  Hier  führt  der  Prinz,  der  die  Gabe  der  Zauberei  besitzt, 
die  Prinzessin  Gracieuse,  die  gern  wissen  möchte,  was  am  Hofe  ihres 
Vaters  vorgeht,  auf  einen  Turm  und  fordert  sie  auf,  „de  mettre  son  pied 
sur  le  sien,  et  son  petit  doigt  dans  sa  bouche.  puis  de  regarder  du  cöte 
de  la  ville",  worauf  sie  sieht,  was  zu  Hause  vorgeht. 

In  einem  bretonischen  Volksliede6)  dient  das  Zaubermittel  dazu,  ähnlich 
wie  in  der  französischen  Martinslegende,  ein  fernes  Glockenläuten  hörbar 
zu  machen: 

Garan  Le  Briz  disait  Puisque  tu  en  es  ä  cinq  cents  lieu  s?' 

Un  jour,  au  milieu  de  l'armee:  ,Mettez  votre  pied  sur  le  mien, 

,Arretez,  raon  capitaine,  arretez  un  peu,  Et  vous  les  entendrez  corame  rv.  : 

J'ai  entendu  les  cloches  de  Cavan!'  II  a  mis  son  pied  sur  le  sien, 

,Et  comment  pourrais-tu  les  entendre,  Et  a  entendu  les  cloches  de  Cavan. 


1)  Ebenda  1,  199. 

2)  Th.  Keightley,  The  Fairy  Mythology  1850,  S.  415. 

3)  Brunet,  Eevue  des  traditions  populaires  1,  147  (1886). 

4)  Müllenhoff,  Sagen,  Märchen  und  Lieder  von  Schleswig-Holstein  1845,  S.  399. 

5)  Cabinet  des  Fees  2,  28. 

6)  Luzel,  Chants  populaires  de  la  Basse-Bretagne  1,  101. 


208  Lehmann : 

Eine  von  Legrand1)  in  der  Normandie  aufgezeichnete  Ballade  berichtet, 
wie  eine  Dame  in  Abwesenheit  ihres  Gemahls  von  ihrer  Schwiegermutter 
gezwungen  wird,  die  Schweine  zu  hüten  und  nach  sieben  Jahren  des  Elends 
endlich  ein  elfenbeinernes  Hörn  ergreift  und  bhäst.  Der  Ritter  vernimmt 
den  Ton  und  kehrt  heim: 

11  dit  ä  son  page:  ,Entends-tu  rien  corner? 

Co  sont  helas!  je  crois,  les  cornes  de  rna  femme.' 

,Vous  vous  trompez,  mon  maitre,  c'est  qu'il  vous  Fest  avis.' 

,Mets  ton  pied  sur  le  mien,  tu  l'entendras  aussi.' 

Mit  son  pied  sur  le  sien,  il  l'entendit  aussi. 


Kleine  Mitteilungen. 


Zum  Bahrgericht. 

Durch  das  Buch  A.  Schönbachs  über  Hartmann  von  Aue  1894,  S.  29fi  werde 
ich  auf  einen  Bericht  aufmerksam,  der  schon  wegen  seines  Alters,  sodann  aber 
auch  wegen  der  Behandlung  des  Gegenstandes  von  Wert  ist.  Petrus  Monoculus, 
in  den  Jahren  1179  bis  1186  Abt  von  Clairvaux,  berichtet  von  einer  Visitations- 
reise über  einen  Mord  an  einem  Abt  und  die  Entdeckung  des  Mörders  folgender- 
massen: 

Accidit  cnim  ante  paucos  hos  dies,  ut  in  domo  Tri  um  Fontram,  quae  prima 
est  in  ftliabus  nostris,  visitationis  ageremus  officium;  et  ecce  abbas  ejusdem  loci 
sacrarium  ecclesiae,  ubi  altare  B.  Bernardi  nuper  erexerat,  peculiarem  orationem 
solito  celebraturus  ingreditur,  quatenus  post  haec  missarum  solemnitatibus  celebratis 
devotior  nobis  et  negotiis  instantibus  redderetur.  Cumque^  ibi  moram  faceret,  et 
cum  angelis  Dei  assisteret  coram  Domino,  adfuit  etiam  inter  eos  Satan,  permissus 
in  cum  extendere  manum  suam:  ut  ille  innocentissimus  Pater  ibi  reciperet  mortem, 
ubi  vitae  requirebat  auctorem.  Ingressus  est  namque  post  eum  vir  Belial  nomine 
Simon,  qui  clauso  ostio  ut  occideret  in  abscondito,  Patrem  suvim  praedictum  abbatem 
vibrata  in  caput  ejus  acie  securis  aggreditur,  nee  prius  a  vultus  et  verticis  con- 
cisione  destitit,  quam  ille  non  jam  miser,  sed  adhuc  miserabilis  Pater  laureatus 
suo  sanguine  spiritum  in  ejus  quem  orabat  manibus  expiraret.  Post  haec  una 
ora  transaeta  abiit  crudelissimus  parrieida,  et  missam  celebrare  non  timuit,  ut 
velamentum  sceleris  devotione  sibi  ascisceret  sacerdotii.  Diu  enim  prae  tumultu 
lugentium  et  coneurrentium  monachorum  ignoratus  parrieida  delituit,  quamvis 
vox  sanguinis  sine  intermissione  fluentis  virum  sanguinum,  quoties 
feretro  cominus  accessisset,  stillicidiali  quodam  testimonio  demon- 
straret.  Unde  postmodum  pro  his  et  aliis  quibusdam  conjeeturalibus 
signis  ad  rationem  positus  reuin  se  patrati  facinoris  confitetur. 


1)  Eomania  10,  370. 


Kleine  Mitteilungen.  209 

Die  Stelle  findet  sich  bei  Migne,  Bd.  201,  S.  1396.  Sie  ist  eine  schätzens- 
werte Stütze  für  die  Auffassung1),  nach  der  das  Bahrgericht  ursprünglich  ein  In- 
quisitionsmittel war.  Denn  der  Berichterstatter  hebt  ausdrücklich  hervor,  dass 
noch  andere  „conjecturalia  signa"  da  waren,  die  berechtigten  zur  Rechenschaft  zu 
ziehen  und  das  Geständnis  zu  erlangen.  Das  Bahrgericht  erscheint  also  weder  als 
Gottesurteil  noch  als  leibliche  Beweisung.  Der  Bericht  zeigt  andererseits,  dass 
der  Glaube  damals  bereits  festeingewurzelt  war.  Über  den  Ursprung  des  Glaubens 
giebt  er  freilich  keinen  Aufschluss,  aber  die  Thatsache,  dass  er  gerade  in  kirch- 
lichen Kreisen  herrschte,  scheint  doch  mehr  auf  kirchlichen,  als  auf  heidnisch- 
volkstümlichen Ursprung  hinzuweisen. 

Rostock.  Karl  Lehmann. 


Zum  Verwuntlerungsliede. 

Unter  den  Kinderreimen,  welche  Schell  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  für 
Volkskunde  V,  66  ff.  und  451  ff.  veröffentlicht  hat,  finden  sich  zwei  Sprengstücke 
eines  weitverbreiteten  deutschen  Kinder-  oder  Volksliedes,  die  in  diesem  Zusammen- 
hang betrachtet  von  nicht  geringem  Interesse  erscheinen.  Im  Korrespondenzblatt 
des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung,  Jahrg.  1878,  Heft  1,  S.  7  ff.  hat 
W.  H.  Mielck  die  Reste  und  Varianten  jenes  Liedes  verfolgt  und  zusammengestellt, 
die  er  ajs  das  „Verwunderungslied"  bezeichnet,  und  dessen  Hauptinhalt  die  drastische 
Schilderung  einer  höchst  verwunderlichen  Wirtschaft  derTiere  in  einem  menschen- 
verlassenen Land,  in  einem  Hause  oder  einer  Mühle  bildet.  Mielck  hat  das  Lied 
besonders  im  niederdeutschen  Rüstengebiet  verbreitet  gefunden,  aus  Mittel-  und 
Oberdeutschland  kennt  er  nur  wenige  und  dürftige  Bruchstücke  desselben,  darunter 
auch  das  von  Schell  a.  a.  0.  451  unter  Xo.  7  aus  Heidelberg  angeführte  „Katz 
kehrt  Stuwwe  aus.  Maus  dräschd  de  Dreck  deraus,  Hockt  e  Vechele  aufm  Dach, 
Hot  sich  halber  schebb  gelacht",  das  hier  an  einen  ganz  andersartigen  Abzählreim 
angesetzt  ist.  Um  so  beachtenswerter  ist  dieses  Bruchstück  und  zwar  wegen  der 
letzten  beiden  Reihen.  Dem  Schreiber  dieser  Zeilen  ist  nämlich  aus  seiner  Kinder- 
zeit eine  Fassung  des  „Verwunderungsliedes"  bekannt  die  wahrscheinlich  aus  „Des 
Knaben  Wunderhorn"2)  stammt,  und  diese  Passung  endete  mit  den  Versen: 
„Sitzt  ein  Männlein  unter' m  Dach,  Hat  sich  fast  zu  Tod  gelacht".  Entsprechende 
Schlussverse  fehlen  in  den  Varianten,  die  Mielck  a.  a.  0.  aufgeführt  hat,  und  nur 
in  drei  dort  mitgeteilten  Fassungen  aus  Ostfriesland  findet  sich  eine  Schlusswendung, 
die  auf  etwas  derartiges  hindeutet:  „Baben  wahnt  de  rike  Mann,  De  lett  woll  allens 
got  wassen,  got  Haver  un  got  Gassen  u.  s.  w.,  1s  dat  nich  wol  got  Husgerat?" 
Mannhardt  hat,  wie  Mielck  a.  a.  0.  S.  9,  Zeile  2  ff.  bemerkt,  in  diesen  Schluss- 
versen heidnisches  Altertum  und  somit  wurzelechten  Bestandteil  der  Tradition  erblickt, 
meines  Erachtens  mit  Recht:  die  von  mir  mitgeteilte  Fassung  aus  dem  Wunderhorn 
bestätigt  und  präcisiert  es.  Das  Männlein  unterm  Dach  ist  der  Hauskobold,  der 
bald  segenspendend,  bald  neckisch  boshaft  über  dem  Hause  waltet,  und  sich  über 
die  drollig  verkehrte  Wirtschaft,  die  er  angestellt  oder  zugelassen  hat,  halb  tot 
lachen  will.  Aber  diese  Wendung  des  Liedes,  die  einst  vielleicht  die  Pointe  war, 
wurde  mit  dem  Verblassen  des  alten  Glaubens  unverständlich  und  wurde  entweder 


1)  Vgl.  meine  Abhandlungen  über  das  Bahrgericht  in  den  Germanist.  Abhandlungen 
für  K.  Maurer,  einige  weitere  Belege  in  Zeitschr.  für  deutsches  Altertum  XXXIX,  S.  6. 
Für  Dänemark  einige  Hinweise  auf  das  dort  spät  auftretende  Bahrgericht  bei  Matzen, 
Foreläsninger  over  den  danske  Retshistorie  II,  S.  63. 

2)  Ausgabe  von  1876,  Bd.  II,  S.  777. 


210  Bernheim: 

weggelassen  oder  durch  verständlichere  Vorstellungen  ersetzt.  In  der  angeführten 
Fassung  aus  Ostfriesland  ist  der  Koboldcharakter  des  Männleins  so  weit  verwischt, 
dass  man  unter  „dem  Manne,  der  haben  wahnt",  den  Heben  Gott  verstehen  kann, 
obwohl  der  letzte  Vers  „Is  dat  nich  wol  got  husgerat  (in  anderer  Version  husrat)" 
deutlich  das  alte  Gepräge  erkennen  lässt.  In  dem  erwähnten  Bruchstück  im 
Heidelberger  Abzählreime  ist  aus  dem  Männlein  unterm  Dach  ein  Vögelchen  auf 
dem  Dache  geworden,  und  mit  Hinblick  hierauf  wird  man  auch  den  Anfang  einer 
solchen  Reimerei  aus  dem  Bergischen  als  Bruchstück  unseres  Liedes  ansehen, 
welche  Schell  in  dieser  Zeitschrift  V,  67  unter  No.  7  mitgeteilt  hat:  „Et  sot  en 
Düffchen  op  dem  Dach,  Dat  hat  sich  baul  kapott  gelacht". 

Mielck  hat  a.  a.  0.  S.  9  f.  gemeint,  das  „Vervvunderungslied"  sei  spezifisch 
niederdeutsch  und  die  wenigen  Spuren  desselben  im  übrigen  Deutschland,  darunter 
die  ihm  bekannte  im  Heidelberger  Reim,  seien  aus  niederdeutscher  Vorlage  ent- 
nommen. Davon  kann  schwerlich  die  Rede  sein,  wenn  man  in  den  beiden  Schluss- 
versen des  Heidelberger  Bruchstückes,  wie  erwähnt,  einen  wurzelechten  Bestand- 
teil des  Liedes  erkennt,  der  sich  gerade  in  den  niederdeutschen  Fassungen  meist 
nicht  erhalten  hat.  Übrigens  habe  ich  noch  aus  dem  Munde  einer  Bäuerin  aus 
Neudorf  bei  Strassburg  im  Elsass  vor  Jahren  ein  Kinderlied  gehört  und  mir  auf- 
gezeichnet, das  ebenfalls  ein  Stück  des  „Verwunderungsliedes",  und  in  eigentüm- 
licher Version  enthält: 

Es  stet  ein  engele  (oder:  kindele)  an  der  wand, 

Het  ein  gekkele  in  der  band, 

Möcht's  gern  side, 

Het  ken  glide, 

Möcht's  gern  esse, 

Het  ken  messer. 

Da  fallt'n  messer  vum  himmel  (oder:  von  oben)  herab, 

Schnid  dem  engele  's  täpele  ab. 

Engele  lauft  zum  doktor  (oder:  barbirer), 

Doktor  is  nit  daham. 

Engele  lauft  zum  perrückes, 

Perrückes  is  nit  daham. 

Müs  fegt  de  stub'  üs, 

Katz  trägt'n  dreck  'nüs, 

Springt  über'n  brunnen, 

Findt'n  kind. 

Wie  soll's  heissen? 

König  oder  kaiser,  so  soll's  heissen. 

Auch  hier  wird  sich  schwerlich  an  Entlehnung  aus  dem  Niederdeutschen 
denken  lassen.  Vielmehr  scheint  das  „Verwunderungslied"  eine  recht  alte  gemein- 
germanische Schöpfung  zu  sein.  Es  lohnt  sich,  wenn  diese  Ausführung  richtig 
ist,  ohne  Zweifel  um  so  mehr,  die  Untersuchung  Mielcks  fortzusetzen  und  weiter 
auszudehnen.  Namentlich  wäre  die  Aufmerksamkeit  auf  die  verschiedenen  Ein- 
leitungen des  Liedes  zu  richten,  unter  anderem  in  der  Hinsicht,  ob  die  Verbindung, 
worin  die  Bruchstücke  aus  der  verkehrten  Wirtschaft  in  den  Elsässer  und  Heidel- 
berger Reimen  auftreten,  auch  vielleicht  ursprünglichen  Zusammenhang  habe. 

Greifswald.  Ernst  Bernheim. 


Kleine  Mitteilungen.  211 

Der  Tod  der  ist  ein  grober  Mann. 

Tn  der  Gaststube  eines  Wirtshauses  im  Ötzthal  in  Tirol  findet  sich  gross  an 
die  Wand  gemalt: 

Der  Tod  der  ist  ein  grober  Mann, 
Er  kommt  herein  und  klopft  nicht  an. 

Zu  diesem  deutschen  Memento  mori  vergleichen  sich  aus  Youngs  Nacht- 
gedanken die  Verse 

—  and  death 
Already  at  the  door?    He  knows,  we  hear  him, 
And  yet  we  will  not  hear. 

Man  erinnert  sich  ferner  des  kleinen  Gedichts  von  Goethe,  das  er  am  14.  Febr. 
1814  an  Zelter  schickte: 

Das  Alter. 
Das  Alter  ist  ein  höflich  Mann, 
Ein  Mal  übers  andere  klopft  er  an, 
Aber  nun  sagt  Niemand:  herein! 
Und  vor  der  Thür  will  er  nicht  sein. 
Da  klinkt  er  auf,  tritt  ein  so  schnell, 
Und  nun  heisst's,  er  sei  ein  grober  Gesell. 

Zuerst  1815  gedruckt.  In  der  Weimarschen  Ausgabe  II,  288;  in  G.  v.  Loepers 
Ausgabe  von  Goethes  Gedichten  (Berlin  1883)  II,  214,  dazu  v.  Loepers  Anmerkung 
S.  489.  K.  W. 


Meidericher  Rechtssprichwörter. 

1.    Twe  sind  frei. 

Dieses  Sprichwort  hörte  ich  unlängst  von  einem  alten  Meidericher.  Ich  fragte 
ihn,  welchen  Sinn  er  mit  demselben  verbinde.  Er  erklärte:  „Von  den  am  Weg 
stehenden  Obstbäumen  durfte  der  Vorübergehende  sich  zwei  Äpfel  oder  Birnen  u.  s.  w. 
aneignen,  ohne  dass  er  sich  dadurch  eines  Diebstahls  schuldig  machte;  er  hatte 
aber  die  Pflicht,  das  Genommene  offen  in  der  Hand  zu  halten  und  sofort  zu  ver- 
zehren." Ich  fragte  nun:  ,,Was  glauben  Sie,  ist  der  Grund  gewesen,  dass  man 
dies  erlaubte?"  Er  meinte:  „Man  licss  sich  wohl  von  der  Ansicht  leiten,  dass  der 
Betreffende  einer  Erquickung  bedurfte."  Ich  erinnerte  nun  an  das  Matth.  12,  1 — 8 
und  Luc.  6,  1 — 5  Mitgeteilte.  Er  erwiderte:  „Aber  die  Pharisäer  haben  doch 
-Christo  einen  Vorwurf  daraus  gemacht,  dass  seine  Jünger  Ähren  ausrauften?" 
„Die  Geschichte",  schaltete  ich  ein,  „ist  Ihnen  dem  Anscheine  nach  im  Augenblick 
nicht  recht  gegenwärtig;  die  Pharisäer  behaupten  nicht,  dass  die  Jünger  eine  an 
sich  strafbare  Handlung  begehen,  sondern  sie  tadeln  nur,  dass  dieselben  die 
Sabbatvorschrift  übertreten.  Das  geht  aus  der  Geschichte  unzweideutig  hervor. 
Wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  wie  wohlthätig  gerade  die  Israeliten  sich  gegen 
Arme  erwiesen,  so  liegt  die  Annahme,  dass  auch  bei  ihnen  die  von  Ihnen  erwähnte 
Sitte  geherrscht  habe,  sehr  nahe." 

Ich  forschte  nun  nach,  ob  sich  für  obige  Erläuterung  vielleicht  eine  Grundlage 
gewinnen  lasse  und  ermittelte,  dass  in  verschiedenen  Teilen  Deutschlands  that- 
sächlich  der  Brauch  bestanden  hat,  den  Vorübergehenden  den  sogenannten  Mund- 
raub zu  gestatten  und  dass  ähnliche  Gründe,    wie  der  angegebene,  für  diese  Ver- 

Zeitschr.  d.  Vereius  f.  Volkskunde.     1896.  14 


212  Dirksen: 

günstigung  massgebend  gewesen  sind.  Als  höchste  zulässige  Zahl  wird  „drei" 
bezeichnet;  darum  in  anderen  Gegenden:  „Drei  sind  frei."  —  Nach  dem  Bochumer 
Landrecht  (Grimm,  Rechtsaltert.,  S.  209)  §  74  durfte  sogar  der  an  einem  Kornfelde 
vorbeikommende  Fuhrmann  für  seine  Pferde  drei  Garben  von  den  zum  Trocknen 
aufgestellten  Haufen  nehmen,  welche  an  Ort  und  Stelle  zu  verfüttern  waren.  Damit 
nicht  Unschuldige  in  den  Verdacht  der  Thäterschaft  kämen,  sollte  er  „die  orte 
(d.  h.  die  Überreste)  auf  dem  weg  liegen  lassen."  Dass  in  einigen  Gegenden 
wieder  der  Mundraub  sehr  streng,  sogar  mit  dem  Tode  bestraft  wurde,  mag 
nebenbei  erwähnt  werden.  Die  Const.  Crim.  Carolina  will  in  Art.  167  den  Mund- 
raub bloss  bürgerlich,  nach  Ortsgewohnheit  bestraft  wissen: 

„Wo  jemandt  bei  tag  essendt  frücht  nem,  vnd  damit  durch  wegtragen,  der- 
selben nit  grossen  geuerlichen  schaden  thett,  der  ist  nach  gelegenheyt  der  personen 
vnd  der  sach,  bürgerlich  zu  straffen,  wie  an  dem  selben  ende  da  der  schad  ge- 
schieht, durch  gewonheyt  oder  gesetz  herkommen." 

2.  Ras  my  drei  finger  afhaue! 

Hässlich  klingt  es,  wenn  man  hierorts  von  Erwachsenen  oder  Kindern  hört: 
„Wenn  das  nicht  wahr  ist,  so  kannst  Du  mir  drei  Pinger  abhauen."  —  Gemeint 
sind  die  drei  Finger  der  beim  Schwur  erhobenen  Rechten,  welche  dem  Mein- 
eidigen bekanntlich  abgeschlagen  wurden.  Aus  Art.  102  der  peinlichen  Hals- 
gerichtsordnung Kaiser  Karls  V.  erfahren  wir,  dass  diese  Strafe  allgemein  zur 
Anwendung  gelangte;  auch  obige  Gerichtsordnung  will  „dieselbigen  gemeyne  ge- 
wonlichen  leibstraff  nit  endern." 

Diese  Strafart  war  längst  abgekommen,  als  die  Erinnerung  daran  im  Volke 
noch  fortlebte,  wie  auch  eine  Stelle  in  Pestalozzis  „Lienhard  und  Gertrud" 
(Reclamsche  Ausgabe  S.  202)  zeigt,  in  welcher  der  Gutsherr  über  den  des  Meineids 
überführten  Vogt  folgendes  Urteil  fällt: 

„Der  Scharfrichter  soll  Dich  morgen  unter  den  Galgen  von  Bonnal  führen, 
Dir  daselbst  Deine  rechte  Hand  an  einen  Pfahl  in  die  Höhe  binden  und  Deine 
drei  ersten  Finger  mit  unauslöschlicher  schwarzer  Farbe  anstreichen." 

3.  De  kerk  mut  midden  in  därp  bliwe. 

Neben  der  Kirche,  welche  in  früherer  Zeit  unstreitig  fleissiger  besucht  wurde 
als  heute,  lag  stets  auch  der  Begräbnisplatz  (Kirchhof).  Als  man  anfing  Schulen 
zu  errichten,  wurden  auch  diese  in  der  Nähe  der  Kirche  erbaut.  Sämtliche  Be- 
wohner des  Ortes  hatten  mithin  ein  Interesse  daran,  dass  die  Kirche  an  einem 
geeigneten  Platze  liege.  Man  bestimmte  nun  wohl,  dass  sie  mitten  im  Dorfe  zu 
errichten  sei.     Die  Lage  fast  sämtlicher  Kirchen  bestätigt  unsere  Annahme. 

Vorstehende,  besonders  auf  den  geschäftlichen  Verkehr  übertragene  Redensart 
wird  jetzt  gewöhnlich  solchen  Personen  gegenüber  angewendet,  welche  sich  eine 
Überforderung  zu  schulden  kommen  lassen. 

4.  Wen  et  aste  in  de  möl  kömp,  den  malt  6k  et  aste. 
Vorstehende  Parömie  kommt  nicht  nur  in  Meiderich,  sondern  auch  anderwärts 

vor.  Sie  ist  zweifelsohne  älter  als  die  gleichlautende  gesetzliche  Bestimmung  des 
Sachsenspiegels  (II,  §  59)  und  des  Schwabenspiegels  (312,  10). 

„Malen"  hat  man  mit  „sprechen  vor  Gericht"  erklärt,  indem  man  es  mit  alts. 
mahljan  identificierte ;  die  Parömie  würde  demnach  ausdrücken,  dass  derjenige, 
der  zuerst  kommt,  zuerst  vom  Richter  gehört  werden  müsse. 

Dass  das  indes  nicht  der  ursprüngliche  Sinn  derselben  sein  kann,  zeigt  §  59 
des  Sachsenspiegels  zur  Genüge.  Die  obigem  Rechtssprichwort  unmittelbar  vor- 
hergehenden Worte    in  §  59    lauten:    „Der  leere  Wagen  soll  ausweichen  dem  ge- 


Kleine  Mitteilungen.  213 

ladenen";  „welcher  Wagen  zuerst  auf  die  Brücke  kommt,  der  soll  zuerst  überfahren, 
er  sei  leer  oder  beladen"  u.  s.  w.  Der  Sachsenspiegel  giebt  hier  bestimmte  Bei- 
spiele und  überlässt  es  dem  Richter,  darnach  analoge  Fälle  zu  beurteilen.  Ich 
nehme  die  Vorschrift  wörtlich;  erst  später  hat  sich  der  Sinn  derselben  verall- 
gemeinert, was  bereits  zu  Anfang  des  16.  Jahrh.  der  Fall  ist,  wie  Tunnicius  393 
zeigt:  „De  ersten  kumt,  de  nimt  de  beste  stede." 

Meiderich  (Bez.  Düsseldorf).  C.  Dirksen. 


Beschwörung  des  Alps. 

Herr  Professor  Dr.  Heyck  in  Heidelberg  schickte  mir  vor  einiger  Zeit  folgenden 
Segen,  den  er  von  einem  sehr  alten  Manne  in  Schriessheim  an  der  Bergstrasse 
gehört  hatte: 

1.  Albe  du  sollst  dich  niederleigen, 
Sollst  auf  alle  Bäume  l)  steigen, 
Und  alle  Bäume  blatten 
Und  alle  Wasser  baden 
Und  alle  Winkel  durchstreichen, 
Dann  sollst  du  (dich)  niederleigen. 

Aus  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien  gebe  ich  dazu  ATarianten.  In  Bodenbach 
an  der  Elbe  lautet  der  Spruch  so: 

"_'.     \lp.  Alp,  du  bist  geboren  wie  ein  Kalb. 
Alle  Wasser  musst  du  waten. 
Alle  Bäume  musst  du  blaten, 
Alle  Kirchen  musst  du  meiden-), 
Und  eb3)  du  das  wirst  thun, 
Derweile  werde  ich  gut  ruhn. 
(Grohmann,  Aberglaube  und  Gebräuche  aus  Böhmen,  S.  23.) 

Im  nördlichen  Böhmen,  in  Welhotta,  segnet  man  sich  so  gegen  den  Alp: 

3.  Olp,  01p,  01p,  ich  sage  dir, 
Kumm  mr  heute  ne  zu  mir, 
Olle  Wosser  wota, 

Olle  Beine  blota, 
Olle  Berche  steicha, 
Olle  Gottshäuser  meida. 

Sollst  a  heute  vo  mr  scheida.     (Frz.  Knothe,  Wörterbuch  der 
schles.  Mundart  in  Nordböhmen.    Hohenelbe  1888.    S.  59.) 
Im  Kuhländchen  in  Mähren  spricht  man: 

4.  Ich  lae  mich  heint  wie  nachte, 

Gott  behitt  mich  vir  Nockwers  Knächte, 
Gott  behitt  mich  vir  dam  laidige  Olp, 
Ar  hot  a  Kepple  wi  a  Kolb, 
Olle  Wosser  wote, 
Olle  Baemer  blote, 
Olle  Bärge  staige, 

Olle  Ki'chespeitze  maide!     (Meinert,  Alte  deutsche  Volkslieder 
in  der  Mundart  des  Kuhländchens,  Wien  1817.     S.  44.) 


1)  Berge  ist  das  richtige,  vgl.  No.  3.  4.  5.  6.  8.    2)  Vgl.  auch  No.  3.    3)  eb, 

14* 


214  Weinhold: 

In  Gurschdorf  in  Österreichisch  Schlesien  segnet  man  sich  vor  dem  Schlafen- 
gehen also: 

5.  Olp  ond  01p, 

Ich  weich  dir  heute  aus, 
Doass  du  nech  kemmst  ei  mei  Haus. 
Olle  Lönda  (Linden)  musst  du  bloata, 
Olle  Wasser  musst  du  woata, 
Olle  Bärge  musst  du  steiga! 
Bis  der  himmlische  Hohn  kräht. 
Koan  mer  der  Olp  ond  Olp 
Nischte  me  oahoan1). 
(Vernaleken,  Mythen  u.  Bräuche  des  Volkes  in  Österreich.    Wien  1859.    S.  273.) 

Unvollständig  ist  die  Überlieferung  aus  dem  Meininger  Unterlande: 

6.  Das  Wallala 

Alle  Berge  durchtra  (durchtrabt) 
Alle  Wasser  durchbat 
Alle  Blütlich  äblat  (abblattet) 

Onnerdesse  wörds  Täk.     (Aus  Emmerichs  Meininger  Taschen- 
buch für  1800  wiederholt  von  Stertzing  in  Haupts  Ztschr.  f.  d.  Altert.  3,  360.) 

Aus  dem  flämischen  Belgien  hat  J.  W.  Wolf  einen  Segen  gegen  die  Mar  in 
seinen  Niederländischen  Sagen  (Leipzig  1843)  S.  689  mitgeteilt,  der  mit  dem 
Pfälzischen  und  dem  Ostdeutschen  noch  verwandt  ist: 

7.  0  Maer,  gy  lelyk  dier, 

Komt  toch  dezen  nacht  niet  weer! 

Alle  Waters  zult  gy  waeyen, 

Alle  Boomen  zult  gy  blaeyen, 

Alle  Spieren  Gerst  zult  gy  teilen, 

Komt  my  toch  dezen  Nacht  niet  k wellen. 
(0  Mar,    ihr   hässliches  Tier,    kommt    doch   diese  Nacht   nicht  wieder!     Alle 
Wasser    sollt   ihr  durchwaten,    Alle  Bäume  abblatten,    Alle  Gerstenähren  sollt  ihr 
zählen.     Könnt  mich  doch  diese  Nacht  nicht  quälen!) 

Der  oberharzische,  von  H.  Pröhle  in  Lerbach  aufgezeichnete  Spruch  gegen 
die  Marte  ist  nahe  verwandt: 

8.  Marte,  ehr  de  mik  wull  berien, 

Sasse  erst  alle  Bärge  und  Däler  overstrien, 

Alle  Grassspiere  einknicken, 

Alle  Lofbläre  afflicken, 

Alle  Stern  am  Himmel  teilen, 

Jindess  werd  wol  Dag  sin.     (Wolf,  Z.  f.  d.  Mythol.  1,  198.) 

Stark  verderbt,  schon  durch  die  Übertragung  aus  dem  Plattdeutschen,  woraus 
nur  „teilet"  sich  erhielt,  ist  der  paderbornische  Marsegen: 

9.  Hier  leg  ich  mich  schlafen, 
Keine  Nachtmar  soll  mich  plagen, 
Bis  sie  schwemmen  alle  Wasser, 
Die  auf  Erden  fliessen, 

Und  teilet  alle  Sterne, 

Die  am  Firmament  erscheinen.  (Kuhn,  Westf.  Sagen  II,  191.) 

1)  Nichts  mehr  anhaben. 


Kleine  Mitteilungen.  215 

In  diesen  mit  einander  verwandten,  auf  eine  Grundform  zurückgehenden  Be- 
schwörungen des  Alps  oder  der  Mare,  die  ein  zum  Schlafe  gerüsteter  spricht,  um 
nicht  von  dem  Quälgeist  heimgesucht  zu  werden,  wird  dem  Alp  aufgegeben,  auf 
alle  Berge  zu  steigen,  alle  Wasser  zu  durchwaten,  die  Bäume  abzublatten,  die 
Ähren  zu  zählen  (oder  zu  knicken  und  die  Sterne  zählen).  Bis  er  dies  vollbracht, 
wird  der  Hahn  krähen  und  der  Tag  erscheinen.  Dann  hat  das  Nachtgespenst 
keine  Macht  mehr. 

Anklänge  finden  sich  in  einem  anderen  Alpsegen:  „Drudenkopf,  ich  verbiete 
dir  mein  Haus  und  Hof",  der  (wahrscheinlich  durch  den  Druck1)  auch  ziemlich 
verbreitet  ist:  Schreibers  Taschenbuch  für  Süddeutschland  1839,  S.  321.  Kuhn 
und  Schwartz,  Nordd.  Sagen  S.  461,  No.  458.  Rochholz  in  Wolf-Mannhardts  Ztschr. 
f.  deutsche  Myth.  4,  113  (aus  der  Schweiz),  v.  Leoprechting,  Aus  dem  Lechrain, 
S.  26.  A.  Peter,  Volkstüml.  aus  Österreich-Schlesien  2,  230.  Die  darin  enthaltene 
Formel  —  „bis  du  alle  Berge  steigest  und  alle  Zaunstecken  zählst,  und  über  alle 
Wasser  steigest  (reitest)  so  kommt  der  liebe  Tag  wieder  in  mein  Haus"  stimmt 
zu  unserm  Segen.  Besonders  sei  auf  die  lechrainische  Formel  hingewiesen:  „bis 
du  alle  Bichel  (Bühel)  grattelst,  alle  Wasser  watteist,  bis  du  alle  Zaunstecken 
melkst  und  alle  Läublein  an  Bäumen  zählst,  bis  kommt  der  liebe  Tag"  — 
(Leoprechting  26). 

Adalbert  Kuhn  hat  in  seiner  Zeitschrift  13,  118  ff.  einen  Spruch  aus  dem 
Atharva  Veda  besprochen,  der  die  Apsaras  und  Gandharven  bannen  und  an  der 
verliebten  Verfolgung  und  Bedrängung  menschlicher  Männer  und  Frauen  hindern 
soll.  Er  hat  dabei  auch  auf  einige  der  oben  citierten  deutschen  Segen  Bezug 
genommen  (No.  7.  6.  8.  9),  denn  die  Apsaras  werden  zum  Fluss  und  zur  Wasser- 
furt und  zu  den  gipfelhohen  Bäumen  verwiesen  (a.  a.  0.  119),  wie  unsere  Mare. 
Die  Gandharven  werden  mit  Indras  Pfeilen  bedroht,  wie  in  unseren  Sprüchen  der 
Nachtgeist  mit  dem  Erscheinen  des  Tages.  Also  verwandte  Schösslinge  aus  ver- 
wandten Keimen! 

Geringerer  Anklang  ist  in  einem  schottischen  Segen  gegen  Schmerzen  von  den 
Orkneys  zu  entdecken,  den  A.  Kuhn  aus  den  Choice  notes  63:  a.  a.  0.  124  mitteilte. 
In  diese  ganze  Beschwörungsreihe  gehört  auch  eine  Bannformel  gegen  allerlei 
elbisches  Volk  in  einer  Münchener  Handschrift  des  15.  Jahrh.  (Cod.  lat.  Monac.  615), 
die  Fr.  Keinz  in  den  Münchener  Sitzungsberichten  Ph.  hist.  Kl.  vom  1.  Juni  1867 
mitgeteilt  hat,  aus  der  ich  diese  Stelle  aushebe: 

alp  und  elbelin,  ir  sult  niht  lenger  bliben  hin! 
albes  swestir  and  vatir  ir  sult  varn  obir  den  gatir! 
albes  mütir,  trute  und  mar  ir  sult  üz  zu  dem  virsten  var, 
noch  (salj  mich  di  mare  drucke,  noch  mich  di  trute  zucke, 
noch  mich  di  mar  rite,  noch  mich  di  mare  beschrite. 

K.  Weinhold. 


Zur  Volkskunde  aus  Anhalt. 

Von  Oskar  Härtung. 

Krankheitsbeschwörungen. 
Bei  Entzündungen    nehme    man    von    den  Genitalien    eines  Ziegenbockes  drei 
Haare,  bestreiche  damit  das  kranke  Glied  und  werfe  sie  dann  in  ein  fliessendes 
Wasser  mit  den  Worten: 


1)  Darauf  weist   die'  genaue   Übereinstimmuog    der   Formel    in    den    verschiedenen 
Quellen.     Sie  steht  im  sogenannten  Romanusbiichlein. 


216  Härtung: 

Bocksbiidelwulle  (Bocksbeutelwolle)  un  Hirsebrand, 
Fahret  bede  näh  Engelland! 

Im  Namen  Gottes  u.  s.  w.  Frose  (Kr.  Ballenstedt.l 

Um  ein  krankes  Pferd  zu  heilen  spreche  man  folgenden  Spruch: 
N.  N.'s  schwarzer  Wallach, 
Der  hat  Würmer, 
Graue,  blaue,  rote. 

Unser  Herr  Jesus  ging  über  'ne  breite  Brücke, 
Da  begegnet  ihm  nichts  als  Blut  und  Wasser. 
Im  Namen  Gottes  u.  s.  w. 

Sollen  tot  sein!  Wulfen. 

Um  die  Zahnschmerzen  zu  vertreiben,  gehe  man  bei  abnehmendem  Monde 
abends  in  den  Garten  zu  einem  Birnbäume,  falle  dort  nieder  und  spreche: 
Bernbom,  ek  klähe  (ich  klage)  dek, 
De  rode  Worm,  de  stickt  mek.  Frose. 

Ähnlich  sagt  man  eben  dort  gegen  die  Gicht: 

Bernbom,  ek  klähe  dek, 

De  hilige  (heilige)  Gicht,  de  plähet  (plaget)  mek. 
Gegen  die  Rose  und  andere  Übel  teilte  mir  der  alte  Gemeindehirt  von  Frose 
folgenden  Segen  mit: 

Alle  Glocken  angeklungen, 

Alle  Messen  sein  gesungen! 

Böses  Kraut, 

Du  musst  vergehen  und  verwesen! 
Gegen  die  Gicht  heisst  es  in  Zehmitz: 

In  Gottes  Namen  greif  ich  an  den  wilden  Ast, 

Der  von  mir  nimmt  die  schwere  Last. 

Fussgicht,  Sckwindel  und  Reissen 

Sollen  aus  meinem  Leibe  entweichen 

Und  in  den  wilden  Ast  'reinschleichen, 
und  ebendort  „für  den  kalten  Brand"1): 

Ich  und  mein  Heiland,  wir  gingen  beide  über  Land. 

Da  begegnete  uns  ein  Stock,  der  war  schwarz  gebrannt. 

Darauf  legte  er  seine  weisse  Hand. 

Da  verging  der  Rotlauf  und  der  kalte  Brand. 

Um  die  Rose  zu  büssen,  spricht  man  ebendort: 
Maria  und  ihr  liebes  Kind, 
Die  spielten  beide  um  einen  Ring. 
Maria  verband  ihr  liebes  Kind.2) 
und  gegen  Zahnschmerz: 

Hiob  sprach  zu  Josaphat: 
Warum  stehst  du  hier  so  müssig? 
„Soll  ich  denn  nicht  müssig  stehn? 
Mir  thun  ja  meine  Zähne  weh.u 
Hiob  sprach:  Wasch  dich  rein! 
Deine  Schmerzen  sollen  weg  sein! 

1)  Vgl.  Bartsch,  Mecklenb.  Sagen  II,  S.  383,  No.  1802.  1803.  1806  a.  1811.  1825  u.  a. 

2)  Vgl.  Bartsch  a.  a.  0.  S.  426,  No.  1980. 


Kleine  Mitteilungen.  217 

Um    „die    Schwulst  zu  versprechen",    wird  in  Zehmitz  folgender  Segen  an- 
gewandt: 

Lauf,  Schwulst,  lauf,  die  Glocken  klingen! 
Die  Schwulst,  die  soll  verschwingen ! 

und  ein  anderer,  um  „die  Schmerzen  zu  benehmen": 
Unseren  Heiland  seine  Wunden, 
Die  heilten  und  waren  nicht  verbunden. 
Sie  schworen  nicht, 
Sie  körten  (?)  nicht. 

Beim  Erscheinen  eines  Raubvogels  sprechen  die  Rinder,  welche  die  jungen 
Gänse  hüten,  in  Thurau  (Kreis  Cöthen): 

Hulewih,  du  Trickel,  Trummel, 
Deine  Gänschen  sind  verschwund'n, 
Sind  mit  rotem  Blute  begossen. 
Hulewih,  dein  Haus  brennt! 

und  in  Gross-Badegast: 

Hulewih,  du  dicke  Trunirnel, 
Deine  Gänschen  sind  verschwungen, 
Sind  in'n  grossen  Rasten  geschlossen, 
Sind  mit  rotem  Blute  begossen. 

In  Ziebigk  lautet  der  Segen  so: 

Hulewih,  du  dicke  Tonne, 
Deine  Jungen  sind  verschwund'n, 
Liegen  schon  längst  als  Leichen 
In  unseren  grossen  Teichen, 
Sind  mit  rotem  Blute  begossen. 
Hulewih,  jetzt  wirst  de  erschossen. 

und  in  Fr  ose  fand  ich  folgende  Fassung1): 
Weihe,  Weihe,  witte  Tunge, 
Mine  Jungen  sin  verschlungen, 
Säten  op  der  Hecken, 
Wollten  sek  verstecken. 
Alte  Weihe,  16p  (lauf), 
Mine  Jungen  sin  tot. 

In  Zuchau  endlich  begegnete  ich  dem  Spruche  in  dieser  Gestalt: 
Ulewih,  du  dicke  du  (?) 
Deine  Gänschen  sind  verschlossen, 
Sind  mit  rotem  Blute  begossen, 
Ulewih  flieg! 
Ulewih  flieg! 
Deine  Mutter  ist  im  Rrieg! 


1)  Eine  Variante  dazu  aus  Gr.  Alsleben  bei  Fiedler,  Volksreime  und  Volkslieder  aus 
Anhalt-Dessau  (Dessau  1847),  S.  95. 


218  Jiriczek: 


Bücheranzeigen. 


Handbuch   der   germanischen   Mythologie   von   W.   Golther.     Leipzig, 

S.  Hirzel,  1895.    XL     665  Ss.     8°. 

Golther    will  mit  möglichster  Klarheit  erzählen,    was  wir  aus  verlässigen  Be- 
richten wissen    und  sucht  innerhalb  der  Überlieferung  die  Entwicklungsgeschichte 
festzustellen;  das  Hauptgewicht  liegt  auf  der  Darstellung,  da  das  Buch  nicht  aus- 
schliesslich   für  Fachleute    geschrieben  ist;    „so  weit  nur  irgend  möglich  schliesst 
sich    dieses  Handbuch    an  Uhland    an,    besonders    auch   bei  Erzählung  nordischer 
Sagen"  (S.  16).     Litteratur-  und  Quellennachweise  sollen  das  Handbuch  auch  zum 
Nachschlagen    und    schnellen  Überblick    dienlich    machen.     Der  Stoff   ist    in  eine 
Einleitung  über  die  Geschichte  der  Wissenschaft  und  die  Quellen  zur  germanischen 
Mythologie  und  in  vier  Hauptstücke  gegliedert,  welche  die  niedere  Mythologie,  den 
Götterglauben,   Weltschöpfung   und  Weltende    und    endlich    die   gottesdienstlichen 
Formen  behandeln.     Die  „Gestalten  des  Volksaberglaubens  "   (niedere  Mythologie) 
werden   nach    dem  Plane    des  Buches,    schon   in    der  Anordnung   des  Stoffes  die 
Entwicklung   zu  veranschaulichen  (S.  III),  in  der  Anordnung:    Seelen  und  Maren, 
Übermenschliche  Wesen,  die  aus  Maren  und  Seelen  hervorgingen,  Elbe  und  Wichte, 
Riesen    vorgeführt;    zweckentsprechend   wäre  es  gewesen,    auch  hier  wie  bei  den 
Göttersagen  Wesen  und  Art  einerseits,  Erzählungen  (Sagen)  andererseits  gesondert 
zu  behandeln.    Die  Ronstatierung  der  Erzählungstypen  in  schematischer  Weise,  die 
das  gesamte  germanische  Material  der  volkskundlichen  Verwertung  zurechtlegt,  ist 
eine    dringend   notwendige  Arbeit,  deren  Lösung  selbstverständlich  nur  auf  mono- 
graphischem Wege  möglich  ist;  doch  hätte  bereits  die  vorhin  angedeutete  Sonderung 
einen   nutzbringenden  Schritt   in    dieser  Richtung   bedeutet    und    andererseits    die 
mythisch-genetische  Erklärung  präciser  zu  formulieren  gestattet.    Sie  war  weniger 
unter    dem  Gesichtspunkte:    „Der  Volksglaube  scheint  unwillkürlich  aus  der  Ver- 
anlagung des  menschlichen  Gemütes   zu  entstehen"  (S.  72),  als  vielmehr  aus  dem 
primitiven  Schlussvermögen  und  Bedürfnis  des  menschlichen  Verstandes  nach  Her- 
stellung eines  kausalen  Zusammenhanges  abzuleiten.    Über  die  getroffene  Einreihung 
der  verschiedenen  Gestalten  unter  die  gewählten  Gesichtspunkte  kann  man  mitunter 
verschiedener  Meinung  sein,    aber  zu  Sicherheit  im  einzelnen  wird  die  Forschung 
auf  diesem  Gebiete  kaum  je  gelangen,  zum  mindesten  nicht  auf  einzel-ethnischem 
Boden,  da  die  Grundfragen  allgemein  ethnologischer  Natur  sind.    Jedenfalls  ist  es 
dankenswert,    dass  G.    der  niederen  Mythologie  einen  verhältnismässig  so  breiten 
Raum   gegönnt  hat  und  sie  in  sehr  übersichtlicher  Weise  mit  guter  Belegauswahl 
und  besonnenem  Urteil  vorführt.    Mehr  Berücksichtigung  hätte  der  Belegstoff  ver- 
dient, der  sich  in  mittelhochdeutschen  Gedichten  findet,  die  heimische  Sagenmotive, 
in  fremdartigen  Aufputz  gekleidet,  zum  Aufbau  ihrer  phantastischen  Kompilationen 
verwenden,  wie  z.  B.  der  Pleier,   an  dessen  Werken  E.  H.  Meyer  in  Haupts  Zeit- 
schrift XU,  470  ff.  sehr  schön  gezeigt  hat,  wie  reich  dieser  noch  kaum  angebrochene 
Schacht  ist,  oder  Strickers  Daniel  vom  blühenden  Thal,  wo  Rosenhagen  Ähnliches 
aufgewiesen  hat,  vgl.  z.  B.  seine  Anmerkungen  zu  V.  1225,  1284,  3164,  4038,  4128; 
speciell   letztere  Anmerkung   würde    verdient  haben,    im  Kapitel  von  den  Wasser- 
geistern verwertet  zu  werden.    Auch  Laistner  im  Rätsel  der  Sphinx  berührt  vieles. 
Einer    ausgedehnteren  Benutzung  für  mythologische  Zwecke  steht  allerdings  heute 


Bücheranzeigen.  219 

—  und  wohl  noch  für  lange  —  der  Mangel  an  monographischen  Stoffuntersuchungen 
im  Wege.  Für  den  Zusammenhang  von  Wassergeistern  mit  Seelen  Ertrunkener 
bietet  die  fseröische  Sage  Köpakonan  (Fser.  Anth.  I,  345)  einen  reineren  Beleg  als 
die  angezogene  isländ.  Volkssage  von  Faraos  liffar  (S.  149).  Im  Abschnitte  über 
Götterglauben  wird  Tius  an  die  Spitze  gestellt;  Freyr  und  Donar-pörr  gehen  der 
Behandlung  Wodan-Odins  voraus,  den  Beschluss  bildet  die  Reihe  der  dii  minorum 
gentium,  woran  sich  ein  Abschnitt  über  die  Göttinnen  anschliesst,  in  welchem  in 
dankenswerter  Weise  den  germanischen  Göttinnen  auf  römischen  Inschriften  und  bei 
antiken  Autoren  ein  eigener  Paragraph  gewidmet  ist;  wie  weit  hier  die  eklektische 
Vorführung  der  verschiedenen  aufgestellten  etymologischen  Erklärungen  das  Richtige 
betont,  fällt  der  Entscheidung  linguistischer  Spezialisten  anheim,  da  die  Probleme 
hier  hauptsächlich  sprachlich-etymologischer  Natur  sind.  In  den  zwei  Abschnitten 
über  Götterglauben  und  Kosmogonie  sowie  Eschatologie  hängt  das  Urteil  über  das 
Gebotene  in  vielen  Stücken  wesentlich  von  der  Stellungnahme  zu  Bugges  Ansichten 
ab;  bei  dem  schon  in  den  Vorfragen  und  der  ganzen  Vergleichs-  und  Schluss- 
methode durchaus  gegensätzlichen  Standpunkt  des  Verf.  und  des  Ref.  wäre  es 
zwecklos,  gegen  Einzelheiten  zu  polemisieren,  wo  eine  gemeinsame  Basis  der  Ver- 
ständigung fehlt;  neues  „Material"  für  die  von  Bugge  übernommenen  Ansichten  ist 
nicht  beigebracht,  und  die  Frage,  die  schon  von  den  verschiedensten  Seiten 
diskutiert  worden  ist,  steht  somit  nach  wie  vor  auf  demselben  Fleck.  Aber  auch 
wenn  man  in  objektiver  Enthaltsamkeit  auf  das  Geltendmachen  aller  Vorfragen, 
die  nicht  an  Golthers  Popularisierung,  sondern  an  vorausliegende  Erscheinungen 
anknüpfen,  verzichtet,  so  kann  doch  nicht  unbemerkt  bleiben,  dass  —  unbeschadet 
des  Standpunktes,  den  der  Verf.  gewählt  hat  —  mehrfach  vorsichtigere  Formulierung 
sich  empfohlen  hätte.  Für  den  Mistelzweig  der  Baidersage  wird  wiederum  der 
Kohlstengel  vorgeführt;  aber  nach  Singers  Mitteilungen  (Ztschr.  d.  Ver.  f.  Volks- 
kunde II,  293)  ist  schon  der  chronologische  Einwand  kaum  zu  beseitigen.  Einen 
richtigeren  Gesichtspunkt  bot  übrigens  die  Einreihung  dieses  Zuges  unter  das 
weitverbreitete  Motiv  von  der  Unverletzlichkeit  eines  Gottes,  Helden  oder  Dämons 
ausser  an  einer  Körperstelle,  durch  eine  Waffe  oder  durch  ein  Ding;  in  nächster 
Analogie,  die  dennoch  kein  Zusammenhang  ist,  steht  z.  B.  die  indianische  Variante, 
dass  von  zwei  Göttern  der  eine  nur  durch  den  Schlag  einer  Farrenkrautwurzel,  der 
andere  nur  durch  den  einer  blühenden  Binse  tötbar  ist  (in  verschiedenen  Varianten 
vgl.  z.  B.  Leland,  The  Algonquin  Legends,  passim;  Rand,  Legends  of  the  Micmacs, 
No.  LX;  Journal  of  American  Folklore,  Vol.  VIII,  196).  Die  Zusammenstellung 
der  Unterweltsfahrt  Thorkills  mit  dem  antiken  und  christlichen  Motiv  der  Höllen- 
fahrt, S.  289,  ist  richtig,  aber  eine  Ableitung  daraus  zum  mindesten  sehr  zweifel- 
haft, wenn  man,  wie  billig,  die  Motivvergleichung  weiter  erstreckt  und  die  weite 
Verbreitung  des  Motivs  bei  zahlreichen  Völkern  der  Erde  berücksichtigt,  über  die 
Tylor,  Prim.  Cult.  Kap.  XIII  orientieren  konnte.  Wenn  S.366  die  Trias  von  Erklärungen 
Heimdals  als  St.  Michael  (Bugge),  Christus  (E.  H.  Meyer),  Jupiter  Ammon  (Falk) 
in  der  Anmerkung  bibliographisch  vorgebracht  wird,  so  durfte  nach  Heinzeis  Aus- 
führungen im  Anz.  f.  d.  A.  XVI,  344,  die  Vergleichung  der  Geburt  Christi  mit  der 
Heimdals  doch  kaum  beachtenswert  („verdient  Beachtung")  genannt  werden;  viel- 
mehr verdiente  die  Richtigstellung  der  lexikalischen  und  interpretatorischen 
Missverständnisse,  auf  die  sich  der  Vergleich  zum  grössten  Teile  aufbaut,  Be- 
achtung. Für  die  Wette  Lokis  mit  den  Zwergen,  für  die  Golther  an  Marsyas  und 
Apollo  erinnert  (S.  420),  hat  E.  H.  Meyer  schon  im  Anz.  f.  d.  A.  13,  23  ff.  ganz 
andersartige  Parallelen  beigebracht,  die  meines  Erachtens  durchaus  das  richtige 
treffen  und  auf  die  zum  mindesten  hinzuweisen  war.     S.  478  wird  in  der  Anmerk. 


220  Jiriczek: 

die  Buggesche  Ableitung  des  Netzes  Räns  aus  Aranea  casses  in  alto  suspendit 
wiederholt;  wozu  aber  zweifellose  Irrtümer  wiederholen,  wenn  der  Gegenbeweis 
schon  in  dem,  was  die  Note  sonst  mitteilt,  liegt?  Heranzuziehen  waren  auch  noch 
Vogts  Bemerkungen  zu  Rosenhagens  Daniel -Ausgabe  am  oben  angeführten  Ort. 
Garmr  wird  im  Text  zu  Kerberos  gestellt,  obwohl  Mogk  in  Indogerm.  Forsch., 
Anz.  III,  30  die  richtige  Etymologie  (norweg.  garma,  brüllen)  angegeben  hat,  die  in 
der  Note  dann  natürlich  auch  fehlt.  In  dem  Baiderabschnitt  ist  des  zweifellosen 
Zeugnisses  für  die  Existenz  derselben  Sage  in  früher  Zeit,  die  in  der  Episode  von 
Herebeald  und  HaeÖcyn  in  Beowulf  liegt  (Sarrazin,  Beow.-Stud.  44;  u.  a.)  nicht 
gedacht.  In  der  Litteratur  zum  Svipdagsmythus  fehlt  Hjalmar  Falks  umfänglicher 
Aufsatz  in  Ark.  f.  nord.  Fil.  IX  und  X,  umso  merkwürdiger,  als  er  einen  neuen 
Beleg  für  Bugges  Theorie  zu  konstatieren  sucht.  Bei  der  Behandlung  des  Odins- 
glaubens verdienten  Kauffmanns  Gesichtspunkte  Idg.  Forsch.  II,  Anz.  80  Erwähnung; 
doch  sie  führen  allerdings  ab  von  der  Ansicht,  die  G.  vertritt,  und  ihre  Verwertung 
hängt  davon  ab,  wie  man  sich  mit  den  Vorfragen  abfindet,  wie  man  sich  z.  B. 
vorstellt,  dass  der  deutsche  Odinsglaube  nach  dem  Norden  wanderte,  wenn  nicht  auch 
Mythen,  die  Odin  in  Deutschland  eben  als  den  höchsten  der  Götter  erscheinen 
Hessen,  mitwanderten,  und  noch  so  manches  andere,  was  aus  diesem  Grunde  nicht 
berührt  werden  soll.  Die  Reichhaltigkeit  dieser  Abschnitte  des  Buches  und  die 
geschickte  Durchführung  des  richtigen  Prinzipes,  Mythen  und  Sagen,  deutsche  und 
nordische  Quellenzeugnisse  auch  in  der  Darstellung  zu  sondern,  sollen  damit  nicht 
in  Schatten  gestellt  werden;  die  gleichen  Eigenschaften  kann  man  dem  vierten 
Hauptstück  nachrühmen;  die  darin  berührten  Probleme  sind  zum  grossen  Teile 
weniger  mythologisch  als  vielmehr  rechtshistorisch;  zur  Beurteilung '  der  davon 
gegebenen  Darstellung  bin  ich  daher  inkompetent. 

Inkongruenzen,  die  aus  der  schwer  in  einem  Buche  vereinbaren  Absicht,  ein 
wissenschaftliches  Handbuch  und  zugleich  eine  nicht  für  Fachleute  ausschliesslich 
bestimmte  populärwissenschaftliche  Darstellung  zu  geben,  hervorgehen,  will  ich 
nicht  breittreten,  umsoweniger  als  Golther  im  allgemeinen  mit  Geschick  beiden 
Zwecken  gerecht  geworden  ist.  Mitunter  aber  lassen  sich  Bedenken  gegen  den 
eingeschlagenen  Mittelweg  zwischen  wissenschaftlicher  Förderung  und  populari- 
sierender Darstellung  nicht  abweisen,  auch  wenn  man,  wie  recht  und  billig,  berück- 
sichtigt, dass  die  eigentliche  Aufgabe  eines  Handbuches  nicht  in  neuen  Unter- 
suchungen einzelner  Probleme,  sondern  nur  in  der  Zusammenfassung  der  Special- 
litteratur  liegt,  wodurch  die  Einzelheiten  in  das  rechte  Licht  gerückt  werden  und 
die  Wissenschaft  als  Ganzes  übersichtlich  wird.  Solche  Bedenken  treffen  vor  allem 
die  Einleitung.  Weitausholend  beginnt  sie  mit  dem  wüsten  Notizenkram  der  poly- 
historischen Richtung  des  17.  und  18.  Jahrh.  und  giebt  sogar  S.  13  ein  Verzeichnis 
der  wichtigsten  popularisierenden  oder  dilettantischen  Bücher,  die  auf  dem  vor- 
grimmischen Standpunkt  stehen.  Da  die  Popularlitteratur  nicht  in  ein  wissenschaft- 
liches Handbuch  gehört,  die  Titel  an  sich  zur  Charakterisierung  der  im  Rontexte 
hinreichend  gekennzeichneten  Richtung  nichts  beitragen,  ein  Verzeichnis  der 
Popularlitteratur  aber,  um  bibliographischen  Wert  zu  besitzen,  dann  doch  auch  die 
spätere  Zeit  berücksichtigen  müsste,  ist  der  Zweck  dieser  Liste  unverständlich. 
Dagegen  vermisst  man  tieferes  Eingehen  auf  wirklich  bedeutungsvolle  Fragen  in 
den  zwei  Abschnitten:  „Volkssage  und  Heldensage  in  ihrem  Verhältnis  zur  My- 
thologie" (4)  und  „Die  Wanderung  der  Mythen"  (7).  Beide  enthalten  bloss  Rai- 
sonnements,  der  erste  über  J.  W.  Wolf  nebst  seiner  Schule  und  über  Müllenhoff,  der 
zweite  über  Gruppes  bekanntes  Werk  und  Vodskovs  Einleitung  zu  seinem  be- 
gonnenen Buche  Sjseledyrkelse  og  Naturdyrkelse,  dessen  Besprechung  übrigens  nur 


Bücheranzeigen.  221 

in  losem  innerem  Zusammenhange  mit  den  Gruppeschen  Theorien  steht;  von  der 
Sache  selbst  ist  nicht  die  Rede.  Und  doch  wäre  das  in  beiden  Abschnitten  sowohl 
verdienstlich  als  notwendig'  gewesen.  Es  wäre  verdienstlich  gewesen,  wenn  der 
Verfasser  der  Frage  nach  dem  Verhältnis  von  Märchen  —  die  Sage  erhält  in  einem 
anderen  Abschnitte  eine  bessere  Beleuchtung  —  zur  Mythologie  wirklich  näher 
getreten  wäre;  aber  weder  sind  Bemerkungen  über  Wolfs  falsche  Methode  —  das 
Schliessen  auf  Zusammenhang  aus  losen  Anklängen  und  zufälligen  Überein- 
stimmungen wuchert  übrigens  in  Golthers  Buch  ebenso  üppig  in  alter  Weise 
fort,  nur  dass  das  Ziel  ein  anderes  ist  —  eine  Behandlung  der  Sache,  noch 
kennzeichnet  ein  Hinweis  auf  Benfeys  Pantschatantra  den  Stand  der  Forschung. 
Von  verschiedenen  Seiten  —  namentlich  der  uns  leider  so  jäh  entrissene  Laistner 
hat  in  seinem  Rätsel  der  Sphinx  schon  vieles  berührt  und  noch  mehr  in  Aussicht 
gestellt,  was  nun  mit  dem  hochbegabten  Manne  zu  Grabe  getragen  ist  —  bricht 
sich  die  Auffassung  immer  mehr  Bahn,  dass  die  Märchen  einen  grossen  Teil  der 
Motive  zum  Aufbau  erzählender  Götter-  und  Heroensagen  beigesteuert  haben,  und 
auf  dem  Gebiete  epischer  Phantasie  dieselbe  Präexistenz  und  analogen  Einfluss 
haben,  wie  auf  dem  mythischen  die  Vorstellungskreise  der  niederen  Mythologie. 
Davon  unabhängig  ist  die  Frage  nach  dem  Aufkommen  der  Märchen  und  ihrer 
Motive,  auf  die  natürlich  nicht  eingegangen  werden  konnte  noch  sollte;  aber  ungern 
vermisse  ich  einen  Hinweis  auf  Andrew  Lang,  dessen  Name  mir  im  ganzen  Buche 
nicht  begegnet  ist,  während  Werke  wie  Custom  and  Myth  und  Myth,  Ritual  and 
Religion  u.  a.  nicht  bloss  für  diese  abseits  liegende  Frage,  sondern  für  eine  Reihe 
von  Problemen,  die  in  der  Einleitung  berührt  werden,  von  hervorragender  Wichtig- 
keit sind,  unbeschadet  des  Standpunktes  der  subjektiven  Auseinandersetzungen  mit 
ihnen.  Ebensowenig  kommt  die  für  die  germanische  Mythologie  noch  wichtigere 
Frage  nach  dem  Verhältnis  von  Heldensage  und  Mythologie  zu  ihrem  Rechte. 
Fünfundzwanzig  Zeilen  über  Müllenhoff  mit  einer  Aufzählung  seiner  hierher 
fallenden  Aufsätze  (der  Hinweis  auf  den  Orendelpassus  der  DAK.  durfte  nicht 
fehlen)  und  einigen  allgemeinen  Betrachtungen  über  die  Schwierigkeit  des  Problems, 
die  in  dem  Schlusssatze  gipfeln  „Die  Mythologie  kann  mit  derlei  Hypothesen  nicht 
rechnen,  ohne  vollends  ins  Grundlose  zu  geraten'',  können  selbst  der  wohl- 
wollendsten Kritik  nicht  genügen;  weder  die  Sache,  noch  Müllenhoffs  Forschung 
ist  damit  berührt.  Zweifellos  ist  und  bleibt  vieles  an  den  Ergebnissen  Müllenhoffs 
hypothetisch,  aber  ebenso  bleibt  vieles  aus  induktiven  Schlüssen  gewonnene,  dessen 
Nichtberücksichtigung  ein  tadelnswerter  Verzicht  auf  wertvolles  mythologisches 
Material  ist.  Müllenhoff  ist  überhaupt  in  der  Beurteilung  zu  kurz  gekommen;  die 
Bedeutung  von  Müllenhoffs  tiefgehender  Prinzipienkritik  in  DAK ,  V.  1  ist  damit 
nicht  berührt,  wenn  es  an  der  Stelle,  wo  von  der  Aufnahme  der  Buggeschen 
Studien  die  Rede  ist,  nur  heisst:  „In  Deutschland  that  sich  Müllenhoff  mit  groben 
polternden  Ausfällen  gegen  die  historische  Erklärung  hervor."  Die  Benennung 
„historische  Erklärung"  ist  übrigens  Schulsache  und  schliesst  einen  Vorwurf  gegen 
Grimm,  Unland,  Müllenhoff  ein,  dem  entgegenzutreten  überflüssig  ist.  Auch  der 
Abschnitt  „Wanderung  der  Mythen"  berührt  die  Sache  mit  seinem  kurzen  Referat 
über  Gruppe  und  Vodskov  nicht.  Die  weitaus  wichtigste  Seite  des  Gegenstandes 
—  da  der  Kult  zum  mindesten  für  die  Buggeschen  Theorien,  auf  die  es  gerade 
hier  ankommt,  kaum  eine  Rolle  spielt  —  ist  die  Wanderung  der  Erzählungsstoffe 
und  Motive,  die  in  der  Göttersage  ihre  Verwendung  gefunden  haben.  Dieses  Thema 
fällt  vollständig  unter  die  allgemeine  Frage  nach  Stoffwanderungen,  ein  Gebiet, 
wo  es  weder  an  massenhafter  Speziallitteratur  über  das  Material  noch  an  Theorien 
fehlt,  das  schon  seit  Jahrzehnten  Gegenstand  einer  tiefgehenden  Forschung  ist  (ich 


222  Jiriczek: 

nenne  hier  nur  aufs  Geradewohl  ein  paar  Namen,  die  zugleich  verschiedene  Rich- 
tungen, bezw.  Nuancen  charakterisieren:  Benfey,  R.  Köhler,  Cosquin,  A.  Lang, 
Bedier,  Laistner,  Gaidoz,  W.  W.  Newell);  wer  diese  Litteratur  berücksichtigt,  hat 
den  Vorteil,  den  nordischen  Specialfall  im  grossen  allgemeinen  Zusammenhange 
erörtern  und  sich  auf  eine  ausgebildete  umfassende  Wissenschaft  gründen  zu 
können.  Diese  Fragen  liegen  nicht  abseits,  denn  Bugges  Studien  stützen  sich  ja 
eben  auf  Zusammenstellungen  von  Motiven  und  Typen  und  bieten  als  Frucht  seiner 
staunenswerten  Belesenheit  und  seines  Scharfsinns  Sammlungen,  deren  absoluter 
Wert  von  ihrer  Verwendung  im  Dienste  seiner  Theorie  nicht  berührt  wird;  die 
Schlüsse,  die  aus  diesem  Material  gezogen  sind,  müssen  generell  und  fallweise 
auch  aus  dem  Gesichtspunkte  der  vergleichenden  Stoffgeschichte  und  an  der  Hand 
der  Litteratur  über  die  Wandermotive  beurteilt  werden.  Da  nun  zweifellos  ein 
Teil  der  Motive  und  Erzählungstypen,  die  uns  in  der  nordischen  Litteratur  be- 
gegnen, solche  internationale  Wanderthemen  sind,  konnte  G.  hier  manches  Rüst- 
zeug für  Bugge  holen,  wie  anderseits  andere  vieles  dagegen  daraus  ziehen  werden: 
dass  nämlich  die  wandernden  Stoffe  den  grossen  unsichtbaren  Unterstrom  der 
Litteraturen  bilden  und  daher  zwei  litterarische  Quellen,  die  einen  gemeinsamen 
Wanderstoff  enthalten,  nicht  aus  einander  abgeleitet  werden  dürfen;  dass  diese 
Wanderungen  nichts  mit  Manuskripten  und  Mönchsgelehrsamkeit  zu  thun  haben, 
sondern  dass  die  mündliche  Tradition  von  Volk  zu  Volk  eine  hervorragende  Rolle 
gespielt  hat;  dass,  will  man  nach  dem  verwerflichen  Schlüsse  post  hoc  propter  hoc 
immer  und  in  allen  Fällen  die  antiken  Völker  als  Ausgangspunkt  oder  Mittelglied 
in  der  Wanderung  solcher  Stoffe  und  Motive  zu  den  germanischen  Völkern  be- 
trachten, die  Berührungen  zwischen  beiden  auf  kontinentalem  Boden  um  ein  Jahr- 
tausend älter  und  länger  dauernd,  tiefer  und  unmittelbarer  sind  als  die  zweifelhafte 
Einwirkung  irischer  Mönche  auf  die  nordischen  Piraten,  und  dass  der  Erhaltungs- 
zustand übernommener  ganzer  Erzählungen,  möge  man  auch  noch  so  viele  Varianten 
betrachten,  völlig  verschieden  ist  von  den  genialen  Neuschöpfungen,  die  den 
Vikingern  beigemessen  werden.  Diese  Genialität  einzelner  Skalden  —  „die  Edda- 
mythologie ist  in  wesentlichen  Stücken  als  Erdichtung  der  Skalden  zu  erachten" 
(S.  42)  —  verstösst  nicht  nur  gegen  alle  historisch-psychologischen  Möglichkeiten 
(was  Schönbach,  citiert  von  Heinzel,  Anz.  f.  d.  A.  XVI,  342  über  die  angebliche 
Thätigkeit  Saemunds  bemerkt,  gilt  Zug  für  Zug  auch  von  diesen  angenommenen 
Mythendichtern),  sondern  hat  schon  in  der  Edda  selbst  ihr  Gegengewicht.  Es  ist 
doch  auffällig,  dass  diese  Thätigkeit  ausschliesslich  auf  dem  Gebiete  der  Göttersage 
sich  manifestierte;  die  Heldenlieder  sind  trotz  aller  nordischen  Umformungen  und 
Sonderzüge,  die  auch  bei  den  Götterliedern  niemand  in  Abrede  stellt,  wahre 
Stümpereien,  verglichen  mit  den  genialen  Neuschöpfungen,  die  in  den  Götterliedern 
vorliegen.  An  die  Skalden  knüpft  in  der  Einleitung  noch  so  mancher  Satz,  der 
eine  Korrektur  herausfordert,  so  der  Riss,  der  zwischen  Skaldendichtung  und 
Volksverständnis  gähnen  soll;  aus  Finnur  Jonssons  litterarhistorischer  Darstellung 
ist  zu  ersehen,  wie  weit  denn  doch  die  Kreise  waren,  in  denen  die  Skalden  Ver- 
ständnis fanden,  ganz  zu  schweigen  von  der  pulirdichtung.  Dass  der  Glaube  höher 
gebildeter  Stände  ein  anderer  war  als  der  einfacher  Bauern,  dass  die  poetische 
Form,  die  eine  Göttersage  im  Munde  von  Dichtern  erhielt,  anders  war  als  die 
einfache  Erzählung,  die  im  Volke  umlief,  ist  eine  richtige  Thatsache,  die  in  der 
griechischen  Mythologie  schon  längst  geltend  gemacht  worden  ist;  nur  darf  man 
daraus  nicht  folgern,  dass  die  Skalden  eine  neue  Mythologie  erfanden.  Ebenso  ist 
es  vollkommen  richtig,  dass  die  Eddalieder  dem  skandinavischen  Stamme  angehören 
und  im  9. — 11.  Jahrh.    gedichtet    worden  sind;    aber  über  Alter  und  Herkunft  des 


Bücheranzeigen.  223 

Stoffes  ist  nach  keiner  Seite  etwas  gesagt.  Wenn  Golther  den  Satz  aufstellt:  „Nur 
also  wer  den  Inhalt  völlig  von  den  Denkmälern  trennt  und  den  nordischen  Dichtern 
des  10.  Jahrh.  ein  zähes  Festhalten  an  uralter  Überlieferung  beimisst,  mag  ein 
weit  höheres  Alter  des  Stoffes  behaupten,  wie  es  Finnur  Jönsson  auch  thut"  (S.  42), 
so  ist  der  Satz  in  seiner  Allgemeinheit  sehr  unvorsichtig;  die  Nibelungensage  ist 
um  Jahrhunderte  älter  als  das  Nibelungenlied,  die  Wielandssage  ist  nicht  nordisch, 
weil  es  die  Völundarkviöa  ist,  und  G.  negiert  damit  einen  Erfahrungssatz,  der  in 
allen  Sphären  traditioneller  Stoffe  Geltung  hat,  dass  das  Alter  der  litterarischen 
Aufzeichnung  und  Behandlung  an  sich  gar  keinen  Massstab  giebt  für  das  Alter 
und  die  Herkunft  des  Stoffes;  darüber  entscheiden  immer  erst  specielle  Unter- 
suchungen. Mit  der  offenen  Aussprache  solcher  Bedenken,  die  sich  vielfach  nicht 
abweisen  lassen,  soll  aber  keineswegs  ein  Gesamturteil  über  den  "Wert  des  Buches 
ausgedrückt  werden,  der  ihm  in  gewissen  Grenzen  als  einem  sehr  übersichtlichen 
und  hübsch  geschriebenen  Handbuch  zu  eigen  ist. 

Breslau.  0.  L.  Jiriczek. 


Barlaam  and  Josaphat.  English  lives  of  Buddha,  edited  and  induced  by 
Joseph  Jacobs.  London  MDCCCXCVI,  published  by  David  Nutt. 
(Bibliotheque  de  Carabas  Yol.  X).     SS.  CXXXII.  56.     8°. 

In  diesem  neuen  Bande  der  Bibliothecme  de  Carabas  sind  nicht  die  Neudrucke 
zweier  unbedeutender  englischer  Bearbeitungen  der  Barlaamlegende  die  Hauptsache, 
sondern  die  umfängliche  Einleitung  des  wohlbekannten  Gelehrten  Mr.  Joseph  Jacobs. 
Angezogen  durch  die  Parabeln,  welche  der  Legende  des  heiligen  Barlaam,  hinter 
dem  bekanntlich  kein  geringerer  als  Buddha  verborgen  ist,  eingelegt  sind,  hatte 
Mr.  J.  J.  sich  mit  dem  weitverbreiteten  Barlaamstoffe  und  seiner  Litteratur  be- 
schäftigt, als  die  Arbeit  Ernst  Knhns  „Barlaam  und  Josaphat.  Eine  bibliographisch- 
litteraturgeschichtliche  Studie"  in  den  Abhandlungen  der  Münchener  Akademie  von 
1893  erschien,  in  der  Mr.  J.  J.  nicht  bloss,  was  er  selbst  gefunden  und  zusammen- 
getragen, fand,  sondern  auch  noch  etwas  mehr,  wie  er  selbst  in  seiner  Vorrede 
sagt.  Trotzdem  hat  er  seine  Arbeit  fortgesetzt,  weil  er  einiges  anders  als  E.  Kuhn 
auffasste,  und  weil  er  kein  streng  gelehrtes  Buch  schreiben  wollte,  sondern  eine 
leicht  zugängliche  Orientierung  über  die  Barlaamlitteratur  und  besonders  über  die 
Parabeln.  Ob  in  den  Abweichungen  von  E.  Kuhn  Mr.  J.  J.  Recht  hat,  sei  dahin 
gestellt.  Für  die  Leser,  die  er  im  Auge  hat,  leistet  seine  Introduction  sehr  dankens- 
wertes. Nützlich  für  die  Orientierung  ist  der  litterarhistorische  Stammbaum  über 
die  Legende  und  der  zweite  über  die  Parabel  von  den  drei  Kästchen,  die  aus 
Shakespeares  Kaufmann  von  Venedig  weltbekannt  ist.  K.  W. 


Dit  zijn  Vlaamsche  Wonder-Sprookjes,    het  volk  naverteld  door  Pol  de 

Mont  en  Alfons  de  Cook.     Gent,  A.  Siffer,  1896.    296  S.    8°. 

Für    die  Sammlung    des    im    vlämischen  Volke  fortlebenden  Märchenschatzes 

haben  seit  J.  \V.  Wolf  und  Lootens  verschiedene  Freunde  der  Volkskunde  gewirkt 

und  gesorgt,  sowohl  in  Zeitschriften')  wie  in  besonderen  Büchern.     So  hat  Amaat 


1)  Zu  John  Meiers  Bibliographie  in  Pauls  Grundriss  der  germanischen  Philologie  2, 
1,  807  (1893)  trage  ich  die  Zeitschrift  ,Kond  den  heerd'  nach;  Amaat  Joos  ist  dort  fälschlich 
nur  mit  seinem  Vornamen  citiert. 


224  Bolte: 

Joos  in  vier  Bänden  ,Vertelsels  van  het  vlaamsche  volk'  (Brügge,  Thielt,  Gent 
1889 — 1892)  nicht  weniger  als  219  Nummern  zusammengebracht;  33  Sagen  und 
Märchen  aus  der  Provinz  Antwerpen  veröffentlichte  L.  Lehemrbe  (Volksvertelsels. 
Lier  1893);  Juul  van  Landschoot  gab  in  seinen  ,Volksvertelsels  afgeluistert  in 
het  meetjesland'  (Gent  1895)  17  Märchen  und  Tierfabeln  ohne  genauere  Bezeich- 
nung des  Ursprunges.  Diese  Bestrebungen,  denen  sich  auf  wallonischem  Gebiete 
die  hübsche  Publikation  von  A.  Gittee  und  J.  Lemoine  (Contes  du  pays  wallon. 
Gand  1891.  41  Nummern)  gegenüberstellt,  haben  in  der  neuen  Sammlung  von  Pol 
de  Mont  und  Alfons  de  Cock,  den  beiden  Herausgebern  der  Genter  Zeitschrift 
Volkskunde,  eine  treffliche  Portsetzung  gefunden. 

Wir  erhalten  38  Märchen  aus  verschiedenen  Gegenden  des  vlämischen  Sprach- 
gebietes in  schlichter,  volksmässiger  Darstellung.  Sie  enthalten  sämtlich  bekannte 
Motive,  hier  und  da  in  neuer  Verbindung  oder  (wie  in  No.  8  und  9)  mit  einer 
nicht  ursprünglichen  Schlusswendung;  öfter  begegnen  eingestreute  Reime  und 
typische  Schlussformeln.  In  einigen  Fällen,  wo  die  Rücksicht  auf  jugendliche 
Leser  eine  Änderung  wünschenswert  machte,  ist  die  ursprüngliche  Lesart  in  den 
Anmerkungen  am  Schlüsse  des  Bandes  angegeben.  Ebenda  weisen  die  Heraus- 
geber auf  andere  ungedruckte  Varianten  in  ihrem  Besitze  hin.  Wenn  somit  das 
Buch  in  wissenschaftlicher  Hinsicht  mehr  leistet  als  die  oben  genannten  Vorgänger 
und  wir  alle  Ursache  haben,  das  Gebotene  dankbar  hinzunehmen,  so  wünschte  ich 
doch,  die  verdienten  Herausgeber  hätten  sich  dazu  entschlossen,  auf  ein  oder  zwei 
Blättern  sämtliche  bisher  in  vlämischen  Zeitschriften  und  Büchern  gedruckte  Auf- 
zeichnungen der  einzelnen  Märchen  zu  verzeichnen  und  dazu  etwa  auf  die  aus- 
führlichen Anmerkungen  zu  verweisen,  die  den  deutschen  Märchen  der  Brüder 
Grimm,  den  sicilianischen  von  Laura  Gonzenbach  und  den  lothringischen  von 
E.  Cosquin  beigegeben  sind.  Den  Inhalt  der  Sammlung  bringt  wohl  am  raschesten 
eine  kurze  Vergleichung  mit  dem  Grimmschen  Werke  dem  deutschen  Leser  nahe. 

No.  1.  De  man  zonder  ziel;  vergl.  oben  S.  66  zu  Gonzenbach  No.  16.  — 
2.  SmouteboUeken.  Grimm  No.  5.  —  3.  Van  den  kasleelheer  en  de  drie  gezusters 
(Blaubart).  Gr.  46.  —  5.  Van  het  schoone  wüte  katteken.  Gr.  106.  —  6.  Van  Sieg- 
fried, den  koningszoon  van  Duitschland.  Gr.  136  (das  Märchen  vom  Grindkopf  mit 
den  neu  eingesetzten  Namen  Siegfried  und  Hilda  von  Spanien).  —  7.  Van  drie 
gebroeders.  Gr.  120+129  +  191  (Polyphem).  —  8.  Van  de  drie  hären  van  den  duivel. 
Gr.  29.  —  9.  Van  het  zwarte  paard,  den  gouden  toom  en  het  vogelken.  Gr.  68.  — 
10.    Van  de  drie  visscherszonen.    Gr.  60.  —  11.  De  koning  van  Zevenber gen.    Gr.  193. 

—  12.  Van  den  jongen,  die  aan  den  duivel  verkocht  was.  Gr.  92.  —  13.  De  zeven 
winnaars  der  koning inne  van  Mississippi.  Gr.  71.  —  14.  Van  een  forschen  kerel. 
Cosquin  No.  36  +  Grimm  166  (Gonzenbach  58).  —  15.  Het  sabelken  en  de  tvoee 
leeuwkens.  Gonzenbach  26.  —  16.  De  toorerlamp.  1001  Nacht,  Breslauer  Über- 
setzung 7,  114:  Aladdin.  —  17.  Van  den  koopman  en  zijne  drie  dochters.  Gr.  68; 
das  Gleichnis  vom  wiedergefundenen  Schlüssel  auf  S.  144  schon  in  No.  12.  —  18. 
Van  schaapsvel.  Gr.  136.  —  19.  Van  Sloddeken-vuil.  Gr.  179  +  21,  Anm.  —  20. 
Van  de  schoone  schildersdochter ,  de  booze  zwarte  Griet  en  Kokodeike.  Gr.  135.  — 
21.  Van  drie  wonderdokters.  Gr.  118.  —  22.  Van  den  hertog  van  Brunswijk.  Be- 
ruht auf  dem  Liede  bei  Höffmann  von  Fallersieben,  Niederländische  Volkslieder2 
No.  2.  —  23.   Van  twee  knechten.     Gr.  107.  —    24.    Van  doopvader  Dood.     Gr.  44. 

—  25.  Van  den  wunderen  bol,  die  speelde  zijrf  rol.  Gr.  36.  —  26.  Het  ßeschje  van 
Victoria.  Gr.  28.  —  27.  De  avonturen  van  Fernand,  vgl.  No.  15.  —  28.  Van  de 
koningsdochter  en  den  bakkersknecht.    Gr.  166.  —  29.    Van  den  eenigen  zoon.    Gr.  22. 

—  31.   Van  het  meisje  zonder  banden.     Gr.  31.  —    32.    Van  de  booze  moeder  en  den 


Bficheranzeigen.  225 

straffenden  noteboom.  Gr.  47.  —  33.  Van  Janneken  Tietentater  en  het  vischje  uit  de  zee. 
Qr>  19,  —  35.  Van  drie  koningszoons  en  vier  toovervoorwerpen.  Gr.  54.  —  36.  De 
dankbare  dieren.  Köhler,  Jahrbuch  für  roman.  Litt.  7,  132.  —  37.  Van  den  zingenden 
vogel.  Gr.  57.  —  38.  Van  het  tooverstokje,  de  gouden  pluim  en  het  sprekend  ezeltje. 
Gr.  106;  der  Eingang' wie  Gr.  44. 

Berlin.  J.  Bolte. 


Heidnische  Kultusstätten  in  Thüringen.  Vortrag  gehalten  in  der  Erfurter 
Akademie  von  Dr.  Zschiesche.  (Aus  den  Jahrbüchern  der  Akademie 
N.  F.  Heft  22.)     Erfurt  1896.     S.  37.     8°. 

Der  Verf.  will  sich  nicht  nur  auf  eigentliche  Kultusstätten  beschränken,  sondern 
auch  solche  Orte  heranziehen,  die  im  allgemeinen  als  heilige  bezeichnet  werden 
dürfen,  wobei  es  auf  das  Zusammentreffen  gewisser  Merkmale  ankommt.  Als 
solche  betrachtet  er  Einhegungen,  namentlich  durch  Wälle,  wodurch  zugleich 
Zufluchtstätten  für  die  Umwohnenden  entstanden;  ferner  altarähnliche  Felsen  und 
Reste  von  Topfscherben  und  Tierknochen,  von  Asche  und  Gräbern.  Besonders 
wichtig  ist,  wenn  an  Stätten  mit  solchen  Zeichen  schon  früh  Kapellen  oder  Kirchen 
errichtet  worden  sind,  namentlich  solche,  zu  denen  man  wallfahrtet,  an  die  sich 
Sagen  knüpfen  oder  deren  Heiliger  einen  der  alten  Götter  vertritt,  wie  das  ja  für 
gewisse  Heilige  feststeht.  Auch  der  Name  der  Örtlichkeit  selbst  weist  mitunter 
auf  das  Heidentum.  Je  mehr  solcher  Merkmale  zusammentreffen,  desto  eher  werden 
wir  an  eine  alte  Kultusstätte  denken  dürfen.  Der  Verf.  sucht  nun  eine  Anzahl  von 
Örtlichkeiten  des  nördlichen  und  mittleren  Thüringens  als  alte  Kultusstätten  zu 
erweisen,  unter  anderem  den  Kyffhäuser,  den  Singerberg  bei  Stadtilm,  die  Martins- 
kirche, ebenfalls  an  der  lim,  den  Ruppberg  bei  Mehlis,  den  Bonifaziusberg  auf  der 
Schmücke,  woselbst  sich  früher  ein  Stein  mit  hufeisenförmigen  Vertiefungen  befand. 
Solchen  Steinen  wird  ein  Exkurs  gewidmet.  Die  angegebenen  Berge  hält  der 
Verf.  für  Wodansberge.  Er  spricht  dann  kurz  von  den  Donnersbergen  und  Peters- 
bergen, von  den  Bergen,  in  welchen  Frija  oder  eine  Vertreterin  von  ihr  haust  und 
schliesst  mit  solchen  Stätten,  die  man  nicht  wohl  einer  bestimmten  Gottheit  zu- 
eignen kann  (die  Heinrichs-  oder  Himmelsburg  im  Ilmthal,  den  Himmelsberg  bei 
Etzleben,  den  Heiligenberg  bei  Gross-Furra,  die  Tretenburg,  die  er  als  eine  Art 
von  Nationalheiligtum  der  alten  Thüringer  betrachtet;  die  Monraburg  und  Wenden- 
burg auf  der  Schmücke  u.  s.  w.).  Im  Prinzip  wird  man  gegen  das  Verfahren 
Zschiesches  nichts  einzuwenden  haben,  nur  schwankt  begreiflicherweise  bei  den 
einzelnen  Orten  die  Wahrscheinlichkeit  der  Auslegung.  Besondere  Vorsicht  wird 
sich  bei  Benutzung  der  Namen  empfehlen.  So  können  die  Osterberge  und  Oster- 
haine,  wie  Z.  schon  selbst  sagt,  nicht  alle  auf  die  Göttin  Ostara  bezogen  werden,  um 
so  weniger  als  ihr  Dasein  problematisch  ist.  In  den  Diebessteigen,  wie  wenig 
bekannte,  schmale  Bergpfade  öfters  heissen,  möchte  ich  mich  denn  doch  nicht 
durch  Kuhn  und  Schwartz  (Nordd.  Sagen  S.  428)  verführen  lassen,  Tivessteige, 
Steige  des  Tiu  oder  Ziu  zu  sehen.  Auch  Asenberge  tauchen  wieder  auf,  die  die- 
selben Forscher  populär  gemacht  haben  (a.  a.  0.  498).  Es  muss  immer  wieder 
daran  erinnert  werden,  dass  das  altnord.  äss  im  Deutschen  ans  lautet,  was  durch 
zahlreiche  Personen-  und  Ortsnamen  sicher  ist.  Für  sich  allein  kommt  ans  schon 
im  Althochdeutschen  nicht  mehr  vor,  und  es  ist  zu  bezweifeln,  ob  man  es  in  den 
Namen  noch  verstanden  hat.  Jedesfalls  ist  äs  und  6s  in  deutschen  Namen  nicht 
damit  zusammen  zu  weifen,  und  die  Ochsenberge,  Osenberge,  Ossensteine  sind 
eher  nach  dem  Rindvieh  als  nach  den  Göttern  benannt;  man  vergleiche  die  Schaf- 


226  Weinhold: 

berge,  Rehberge,  Geissberge  u.  s.  w.  Es  käme  hier  überall  darauf  an,  möglichst 
alte  Belege  für  die  Namen  beizubringen  Der  Verf.  des  anregenden,  hübsch  ge- 
schriebenen Heftchens  legt  auch  ganz  richtig  auf  diese  Kennzeichen  ein  minderes 
Gewicht. 

Berlin.  Max  Roediger. 


Schweizerisches  Idiotikon.  Wörterbuch  der  schweizerdeutschen  Sprache. 
Gesammelt  auf  Veranstaltung  der  Antiquarischen  Gesellschaft  in  Zürich 
unter  Beihilfe  aus  allen  Kreisen  des  Schweizervolkes.  Dritter  Band. 
Bearbeitet  von  Fr.  Staub,  L.  Tobler,  A.  Schoch,  A.  Bachmann  und 
H.  Bruppacher.     Frauenfeld,  J.  Huber  1895.     Spalten  1574.     4°. 

Von  dem  grossen  schweizerdeutschen  Wörterbuch  liegt  nun  auch  der  dritte 
Band  fertig  vor  uns.  Er  enthält  die  mit  J.  K.  L.  anlautenden  "Worte  und  die  dazu 
gehörigen  Zusammensetzungen.  Wir  haben  über  das  bedeutende  lexikalische  Werk 
wiederholt  berichtet  und  dasselbe  allen  empfohlen,  die  für  unsere  grosse  reiche 
Sprache  als  Forscher  oder  verständige  und  patriotische  Liebhaber  Augen  und  Herz 
haben.  Es  ist  eine  der  reichsten  Fundgruben  in  diesem  Schweizerischen  Idiotikon 
aufgethan,  und  nicht  bloss  für  die  Wortkunde,  sondern  auch  für  die  Volkskunde, 
wie  wir  stets  betonten,  vgl.  unsere  Zeitschr.  I,  221.  IH,  107.  IV,  338.  Der  dritte 
Band  oder  die  Hefte  21 — 30  reihen  sich  den  vorangegangenen  in  gleichem  Werte 
an;  das  grosse  Unternehmen,  in  dem  sich  das  deutsche  Schweizervolk  ein  schönes 
Denkmal  errichtet,  schreitet  sicheren,  festen  Trittes  vorwärts  und  wir  rufen  ihm 
von  Herzen  Heil  zu! 

Aus  der  Reihe  der  Mitherausgeber  und  Bearbeiter  hat  der  Tod  einen  der 
Begründer  abgerufen,  Professor  Ludwig  Tobler  in  Zürich.  Wir  haben  ihm  in 
unserer  Zeitschrift  V,  456  einen  Nachruf  gewidmet.  K.  Weinhold. 

0.  Bremer,  Beiträge  zur  Geographie  der  deutschen  Mundarten  in  Form 
einer  Kritik  von  Weukers  Sprachatlas  des  deutschen  Reichs  (Sammlung- 
kurzer  Grammatiken  deutscher  Mundarten,  Bd.  III).  Breitkopf  und 
Härtel,  Leipzig  1895.     XV  u.  266  S. 

G.  Wenker  und  F.  Wrede,  Der  Sprachatlas  des  deutschen  Reichs.  N. 
G.  Elwert,  Marburg  1895  (1.). 

Es  ist  traurig,  dass  in  Deutschland  kein  grösseres  wissenschaftliches  Unter- 
nehmen begonnen  werden  kann,  ohne  bald  einer  über  das  Ziel  heraus  schiessenden 
Anfeindung  zu  begegnen.  Kaum  war  das  grosse  Nationalwerk  des  Grimmschen 
Wörterbuches  im  Gange,  als  auch  schon  eine  überscharfe  Kritik  die  Verfasser  mehr 
erbitterte  als  belehrte.  Dem  höchst  verdienstlichen  Unternehmen,  die  Sprach- 
verschiedenheiten des  deutschen  Reichs  kartographisch  festzustellen,  ist  es  nicht 
ganz  so  schlimm  ergangen;  aber  leider  war  doch  auch  hier  der  Angriff  in  der 
Form  durchaus,  im  Inhalt  vielfach  so  unglücklich,  dass  zur  Besserung  wirklicher 
Übelstände  durch  diese  Kritik  so  wenig  geholfen  wurde  wie  einst  durch  die  von 
Wurm  und  Sanders. 

In  der  Einleitung  zu  Mentz'  vortrefflicher  Bibliographie  der  deutschen  Mund- 
artenforschung hatte  Bremer  gesagt:  „Nach  meinen  Erfahrungen,  welche  mir  von 
einer  Reihe    von  Gelehrten    bestätigt   werden,    sind    die  Wenkerschen  Linien  zum 


Bücheranzeigen.  227 

grossen  Teil  nicht  zuverlässig  und  daher  nur  mit  äusserster  Vorsicht  für  die 
Gruppierung  der  deutschen  Mundarten  zu  benutzen."  Diese  Art,  eine  schwere 
Anklage  ganz  allgemein  und  ohne  die  geringsten  Belege  zu  erheben,  noch  mehr 
aber  die  unschöne  Berufung  auf  ungenannte  Gewährsmänner  erfuhren  dann  von  ver- 
schiedenen Seiten  mit  Recht  scharfe  Abwehr.  Um  seine  Aussage  aufrecht  zu 
erhalten,  hat  Bremer  nunmehr  ein  ganzes  Buch  veröffentlicht,  in  dem  elf  Karten 
des  Sprachatlas  als  Proben  genauer  durchgesprochen  werden.  Da  sein  Werk  eine 
direkte  Bereicherung  unserer  Dialektkenntnisse  eigentlich  nicht  einmal  anstrebt,  ist 
der  Titel  einigermassen  irreführend;  doch  reizte  es  vielleicht  den  Verf.,  den  aus 
der  Litteraturgeschichte  berühmten  Namen  „Bremer  Beiträge"  mit  ganz  anderer 
Bedeutung  zu  erneuern.  Was  nun  seine  Kritik  selbst  angeht,  so  konnte  Wenker 
in  der  Gegenkritik  ihm  höchst  bedenkliche  Cngenauigkeiten  in  der  Benutzung  und 
Nachzeichnung  der  elf  Kärtchen  nachweisen;  er  konnte  ferner  wiederholt  darthun, 
dass  Bremer  durch  prinzipielle  Gründe  von  allzu  stark  apriorischem  Charakter 
sich  verleiten  lässt  den  Thatsachen  Gewalt  anzuthun  (S.  18  f.).  Wenn  aber  durch 
diese  Nachweise  Bremers  Kritik  im  wesentlichen  erledigt  wird  (einige  kleine  Be- 
richtigungen bleiben  bestehen),  so  kann  man  doch  nicht  leugnen,  dass  durch  diesen 
Kampf  selbst  erhebliche  Bedenken  gegen  die  Technik  des  Sprachatlas  erweckt 
werden.  Wenn  die  Benutzung  der  Karten  eine  so  schwierige  ist,  dass  bei  speziellster 
Beschäftigung  mit  ihnen  ein  geübter  und  sachkundiger  Bearbeiter  so  oft  irren 
kann,  wie  Bremer  nach  Wenkers  Nachweisen  es  gethan  hat,  so  wird  man  gut 
thun,  nicht  alle  Schuld  auf  den  Benutzenden  allein  zu  werfen.  Man  wird  das  um 
so  weniger  thun  dürfen,  wenn  Wrede  selbst  in  seinem  Vortrag  zugiebt,  die  richtige 
Interpretation  sei  schwierig  (S.  45)  und  die  Orthographie  der  Karten  sei  nicht 
ohne  weiteres  phonetisch  zu  verstehen  (S.  37  f.).  Wrede  selbst  fordert  mit  jenem 
schönen  Eifer,  der  die  Mitarbeiter  an  dem  nationalen  Werk  des  Sprachatlas  erfüllt, 
zu  einer  „höheren  Bearbeitung"  desselben  (S.  öl)  dringend  auf;  wenn  er  aber 
gleichzeitig  eigentlich  nur  die  zur  Benutzung  befähigt  glaubt,  die  in  jahrzehntelanger 
mühsamer  Herstellung  der  Karten  sich  die  gehörige  Vertrautheit  mit  dem  gesamten 
Atlasmaterial  und  -mechanismus  erworben  haben  (S.  46),  so  wird  dies  schwerlich 
eine  rege  Lust  zum  Anfassen  jener  lockenden  Aufgaben  erwecken  können.  Es 
liegt  uns  fern,  den  verdienstvollen  Kartographen  in  Marburg  Vorschriften  geben 
zu  wollen;  aber  es  ist  nur  zu  natürlich,  dass  eine  so  lange  und  anstrengende 
Arbeit  zuletzt  auch  billige  Rücksichten  auf  die,  die  lernen  wollen,  vergessen  lässt. 
Es  scheint  dringend  nötig,  dass  den  einzelnen  Karten  verdeutlichende  Fingerweise 
auf  das  Verhältnis  von  Schreibung  und  Aussprache,  auf  die  zur  Ergänzung  am 
meisten  geeigneten  anderen  Karten,  auf  zweifelhafte  oder  befremdende  Punkte 
beigegeben  werden,  falls  die  Technik  des  Sprachatlas  (wie  wohl  möglich)  eine 
deutlichere,  unzweideutigere  Darstellung  nicht  gestattet.  Wenker  und  Wrede 
werden  nicht  bloss  für  einen  engen  esoterischen  Kreis  gearbeitet  haben  wollen; 
mögen  die  Bedenken  und  auch  die  Versehen  Bremers  sie  warnen  und  ihnen  zu  einer 
allgemeineren  und  fruchtbaren  Ausbeutung  ihres  Lebenswerkes  die  Wege  weisen! 
Berlin.  Richard  M.  Meyer. 


Pfaff,  Friedrich,  Deutsche  Ortsnamen.     Berlin,  Druck  von  Trowitzsch  und 

Sohn,  1896.     S.  16.     8°. 

Die  kleine  Schrift  ist,  wenn  wir  nicht  irren,  ein  Sonderabdruck  aus  der  Zeit- 
schrift Das  Land.     Sie  giebt  eine  Ausführung  über  die  historische  Wichtigkeit  der 


Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.     1896. 


15 


228  Weinhold: 

Ortsnamen,  wobei  der  Verf.,  Universitätsbibliothekar  in  Preiburg  i.  Br.,  wesentlich 
das  badische  Land  im  Auge  hat  und  sucht  Perioden  der  Ortsnamenbildung  aufzu- 
stellen, sowie  die  örtliche  Verbreitung  darzulegen.  Weiterhin  werden  die  Orts- 
namen, die  meist  Composita  sind,  nach  dem  zweiten  (Grundwort)  und  dem  ersten 
Teil  (Bestimmungswort)  behandelt  und  einige  Volksetymologien  und  Verunstaltungen, 
an  denen  nicht  selten  sprachunkundige  Kartographen  und  Vermesser  schuld  sind, 
aufgeführt.  Die  kleine,  von  einem  Fachmann  verfasste  Schrift  kann  anregend  und 
belehrend  auf  weitere  Kreise  wirken. 


A.  Cutrera.     I  Ricottari  (La  mala  vita  di  Palermo).     Contributo  di  socio- 
logia  criminale.     Palermo,  tipografia  Fratelli  Vena,    1896.     S.  80.     8°. 

Ein  besonderer  Zweig  der  Volkskunde,  der  noch  sehr  der  Fruchtbarmachung, 
ja  selbst  der  Beachtung  harrt,  ist  die  Volksmoral,  und  zu  dieser  liefert  die  vor- 
liegende Schrift,  die  Frucht  langer  und  schwieriger  Beobachtungen,  einen  sehr 
interessanten  Beitrag.  Sie  handelt  über  die  Prostituierten  und  über  ihre  sogenannten 
Beschützer  in  Palermo.  Das  Titelwort  i  riccottari  bezeichnet  die  letzteren;  es  ist, 
wie  der  Herr  Verf.  sagt,  unübersetzbar,  da  der  riccotaro  zwar  in  gewisser  Hinsicht 
mit  dem  französischen  souteneur  denselben  faulen,  auf  Kosten  der  Prostituierten 
lebenden  Burschen  bezeichnet,  aber  doch  mit  manchen  Unterschieden.  Der  Palermi- 
taner  riccotaro  unterscheidet  sich  selbst  von  dem  Neapolitanischen,  und  zwar  zu 
seinem  Vorteil,  da  er  ein  Mensch  voll  Mut  ist,  mit  der  Haltung  eines  Kavaliers, 
immer  bereit,  mit  dem  Messer  jede  Beleidigung  seiner  innamorata  zu  rächen,  und 
dabei  Leben  oder  Freiheit  Preis  zu  geben.  Die  Schrift  enthält  wertvolle  Beiträge 
zur  Volksmoral  und  gewährt  merkwürdige  Einblicke  in  die  mala  vita. 

K.  W. 


Neudrucke  von  Schriften  und  Karten  über  Meteorologie  und  Erdmagnetismus 
herausgegeben  von  Prof.  Dr.  G.  He  11  mann.  No.  5.  Die  Bauern- 
Praktik  1508.  Facsimiledruck  mit  einer  Einleitung.  Berlin,  A.  Asher 
u.  Co.  1896.     S.  72.     ßl.  (».     4°. 

Die  vorliegende  neue  Nummer  der  Hellmannschen  meteorologischen  Neudrucke 
bringt  einen  Facsimiledruck  der  ersten  Ausgabe  der  Bauren-Praktik  von  1508,  eine 
genaue  Wiedergabe  des  Holzschnitts  zu  der  Zweitältesten  datierten  Ausgabe  von 
1512  und  eine  Einleitung  von  Prof.  G.  Hellmann,  die  eine  sorgfältige  Bibliographie 
dieses  verbreitetsten  aller  meteorologischen  Bücher  giebt,  die  Frage  nach  den 
Quellen  der  Bauernpraktik  aufwirft  und  über  den  Wetteraberglauben  zuletzt  sich 
äussert.  Derselbe  wird  aus  langen  Beobachtungen  der  verschiedenen  Völker  sich 
gebildet  haben,  welche  bei  der  Gleichheit  der  Erscheinungen  zu  denselben  Schlüssen 
führten.  Man  hatte  die  Bedeutung  der  Sonnenwende  im  Mittwinter  ebenso  gut 
erkannt,  wie  die  im  Mittsommer.  Die  Tage  vom  niedrigsten  Stande  der  Sonne 
bis  zum  Beginn  einer  einigermassen  merklichen  Aufwärtsbewegung  wurden  Gegen- 
stand besonderer  Aufmerksamkeit,  und  da  diese  zwölf  Nächte  zugleich  in  dem 
Glauben  und  Kultus  eine  heilige  Zeit  waren,  ist  begreiflich,  dass  sie  auch  Nächte 
der  Weissagung  und  verschiedenen  Zaubers  wurden.  Nach  Indien  zurückzugreifen 
in  die  sogenannte  indogermanische  Urzeit  ist  gar  nicht  nötig.  —  Die  Ausstattung 
des  Buches  ist  vorzüglich.  K.  W. 


Bücheranzeigen.  229 

ftesk.V  Lid.     (Das  Böhmenvolk.)     Herausgeber  Dr.  C.  Zibrt.     Prag  1896, 
Jahrg.  V,  Heft  3  und  4,  Ss.  193—384. 

Den  Löwenteil  der  Illustrationen,  in  geringerem  Masse  auch  des  Textes  be- 
ansprucht noch  immer  die  vorjährige,  so  ausserordentlich  gelungene  und  lehrreiche 
ethnographische  Ausstellung,  ein  der  Initiative  weniger  entsprungenes  Werk,  an 
dem  dann  das  ganze  Volk  freudig  mitschuf.  Auch  ein  der  Sprache  Unkundiger 
bekommt  aus  den  vielen,  gediegenen  Vollbildern  Anschauung  von  der  Fülle  des 
Stoffes;  doch  hätte  die  Redaktion  wohl  gethan,  wie  sie  mit  den  Titeln  der  Ab- 
handlungen verfährt,  so  auch  den  Vollbildern  eine  französische  Bezeichnung  hinzu- 
zufügen. Von  anderem  Material  sei  ein  Studium  über  die  Gregorsaufzüge  der 
Schuljugend,  Beiträge  zu  Volksschauspielen,  Sammlungen  alter  Rätsel  (namentlich 
biblischer)  u.  dgl.  m.  erwähnt;  die  Geschichten,  die  von  böhmischen  gewaltigen 
Zechern  ein  dem  akatholischen  Volke  feindlich  gesinnter  Pole  aus  dem  Anfange 
des  XVII.  Jahrhunderts  erzählt,  stammen  samt  und  sonders  aus  dem  eigentlichen 
Lande  der  Zecher,  aus  Deutschland.  Viel  interessantes  Material  enthält  der  Brief- 
kasten der  Redaktion;  reichhaltig  ist  auch  der  bibliographisch-kritische  Teil. 

Im  Anschlüsse  an  diese  böhmische  Zeitschrift  nennen  wir  zwei  umfassendere 
akademische  Publikationen.  Zuerst:  Bibliograficky  Pi-ehied  Ceskych  Narodnich 
Pi'sni  (Bibliographische  Übersicht  der  böhmischen  Volkslieder)  von  dem 
unermüdlichen  Dr.  C.  Zibrt  zusammengestellt  und  von  der  böhmischen  Akademie 
der  Wissenschaften  herausgeben:  Prag  1895,  326  Ss.,  gr.  8°.  Es  werden  hier 
sämtliche  Handschriften  und  Drucke  böhmischer  Liedersammlungen  und  Einzellieder 
genannt;  besonders  interessant  ist  die  folgende  Abteilung,  S.  58— 122,  wo  alle 
Übersetzungen  in  fremde  Sprachen  aufgezählt  und  viele  Proben  (mit  dem  böhmischen 
Texte  daneben)  vollständig  mitgeteilt  werden.  Den  Hauptteil  der  äusserst  müh- 
seligen Arbeit  macht  das  alphabetische  Verzeichnis  aller  Liedereingänge  mit  den 
Drucknachweisen  aus.  Für  jeden,  der  sich  auf  diesem  Gebiete  orientieren  will, 
leistet  das  Buch  wertvollsten  Dienst.  Man  vergleiche  auch  die  interessanten  Studien 
von  Dr.  0.  Hostinsky  über  das  böhmische  Volkslied,  welche  im  Lid  (V,  215  ff.) 
fortgesetzt  werden. 

Eine  andere  akademische  Publikation  ist  die  erstmalige  Herausgabe  des  alt- 
böhmischen Textes  der  Gesta  Romanorum  durch  Dr.  J,  V.  Xoväk  (Staroceska 
Gesta  Romanorum,  Prag  1895,  XIV  und  259  Ss.  gr.  8").  Zu  Grunde  gelegt  sind 
drei  Handschriften  vom  Jahre  1443,  1473  und  eine  (undatierte)  aus  der  Mitte  etwa 
des  XV.  Jahrhunderts.  Der  Text  der  drei  Handschriften  geht  im  letzten  Grunde 
auf  eine  einzige  Übersetzung  zurück  —  doch  stehen  sich  die  Texte  von  1443  und 
1473  näher,  im  Anhange  wird  daher  der  (undatierte)  Text,  auch  weil  er  in  der 
Orthographie  stark  abweicht,  vollständig  mitgeteilt.  Die  Übersetzung  stammt  aus 
dem  Lateinischen  —  ohne  deutsche  Vermittelung,  die  man  früher  angenommen 
hatte:  doch  gehörte  das  lateinische  Original  derselben  Redaktion  der  Gesta  an, 
welche  auch  der  deutschen  Übersetzung  zu  Grunde  lag,  ein  neuer  Beleg  für  die 
gleichmässige  geographische  Verteilung  dieser  Gesta  über  Deutschland,  Böhmen 
und  Polen.  Der  alte  böhmische  Text  stimmt  mit  dem  von  A.  Keller  heraus- 
gegebenem deutschen  in  Zahl  und  Reihenfolge  der  Erzählungen  vollständig  überein 
(112  Kap.,  nur  das  106.  Kap.  ist  bei  Keller  ungleich  ausführlicher). 

Endlich  sei  ein  Abdruck  zweier  älterer  böhmischer  Überlieferungen  über  Volks- 
bräuche (des  Jesuiten  Albr.  Chanovsky  aus  der  ersten  Hälfte  des  XVII.  Jahrh. 
und  des  Herrn  Hauptmann  J  Jenik  von  Bratfice,  der  als  80 jähriger  Greis  1838 
in  Prag  seine  Jugenderinnerungen  schilderte)  erwähnt,  der,  wieder  von  Dr  C.  Zibrt, 

15* 


230  Eoediger: 

im  Anzeiger  der  böhm.  königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  1895,  No.  XXIV 
(26  Ss.  8°)  veranstaltet  wurde;  die  Angaben  betreffen  vor  allem  Volksfeste  und 
Feiern  an  den  heiligen  Tagen  des  Jahres;  zur  Ergänzung  können  Angaben  jesuitischer 
Missionare  über  Aberglauben  und  dergi.  des  Volkes  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
XVII.  Jahrhunderts  herangezogen  werden,  die  Dr.  Podlaha  im  Lid  IV,  289  ff. 
abgedruckt  hat.  A.  Brückner. 


Lud.  Organ  towarzystwa  ludoznawczego  we  Lwowie  pod  redakcy  Dra. 
Ant.  Kaliny.  (Das  Volk.  Organ  der  Lemberger  Gesellschaft  für 
Volkskunde)  II,  1.     Lemberg  1896.     96.  Ss.     8°. 

Trotz  des  kurzen  Bestandes  dieser  Zeitschrift  hat  sich  bereits  eine  sehr  vorteil- 
hafte Wandlung  an  ihr  vollzogen:  statt  etwas  fadenscheiniger  Monatshefte  erscheint 
sie  jetzt  vierteljährlich  und  beschränkt  sich,  statt  in  weite  Fernen  zu  schweifen, 
auf  Sammlung  und  Erläuterung  einheimischen  Materials.  Vergleichende  Ausblicke 
werden  dabei  doch  nicht  ganz  verschmäht;  besonders  gehört  hierher  ein  Studium 
über  die  Wanderung  und  Verbreitung  des  „Wir  alle  drei"  („ums  Geld"  „und  so 
ist's  recht"  —  die  einzigen  Worte,  welche  drei  Brüder  u.  s.  w.  sprechen  können, 
zu  ihrem  Verderben  u.  s.  w.)  durch  ganz  Europa:  als  Resultat  wird  die  Existenz 
einer  westeuropäischen  Anekdote  der  Art  angenommen,  die  mit  Teufelssagen  und 
Erzählung  vom  gierigen  Wirt  verknüpft  wurde  (J.  Polivka).  Vielleicht  würde 
sich  empfehlen,  wenn  die  Redaktion  dem  von  Mitarbeitern  gelieferten  Materiale 
Erläuterungen  oder  Hinweise,  wäre  es  nur  auf  Liebrecht  oder  Clouston  (Populär 
tales  und  Book  of  noodles)  hinzufügte,  z.  B.  vermissen  wir  solchen  Hinweis  — 
der  dann  die  Endfragen  nach  dem  woher  und  wann  überflüssiger  gemacht  hätte 
—  namentlich  bei  der  Parallele  zwischen  einem  polnischen  Lied  und  einem 
hebräischen  Hagadatexf  (S.  22—30).  Auf  andere  Einzelnheiten  können  wir  hier 
nicht  eingehen  und  heben  nur  noch  das  für  Galizien  sehr  charakteristische,  ausser- 
ordentliche Überwiegen  von  Volksschullehrern  und  Landgeistlichen  in  der  Mit- 
gliederzahl des  Vereins  hervor:  auf  diese  Weise  gewinnt  eine  Zeitschrift  für  Volks- 
kunde am  ehesten  eine  breite,  sichere  Grundlage,  den  Zusammenhang  nämlich  mit 
denjenigen,  die  zwischen  Tradition  und  Litteratur  zu  vermitteln  zunächst  berufen 
erscheinen.  A.  Brückner. 


Aus  den 

Sitzungs-Protokollen  des  Vereins  für  Volkskunde. 

Freitag,  den  28.  Januar  1896.  Herr  Oberlehrer  Dr.  Rieh.  Bethge  spricht 
über  Essen  und  Trinken  bei  den  alten  Germanen.  Der  freie  Germane  enthielt 
sich  möglichst  der  Arbeit.  Zum  Unterhalt  seines  Hauswesens  trug  er  durch  Kriegs- 
und Jagdbeute  bei.  Jagdbare  Tiere  waren  nicht  nur  die  heute  noch  in  unseren 
Wäldern  vorhandenen,  sondern  auch  Bären,  Elche  und  Auerochsen,  sowie  das 
Pferd,  das  in  grossen  Heiden  wild  lebte.  Aber  auch  zu  zähmen  verstand  man  es, 
wobei  wahrscheinlich. die  Jazygen,  ein  iranischer  Stamm  im  Quellgebiet  der  Theiss, 


Protokolle.  231 

ihre  Lehrer  waren.  Zum  Reiten  benutzte  man  das  von  Osten  eingeführte,  kleine 
und  unansehnliche  Steppenpferd,  während  das  in  Europa  einheimische,  dessen 
Überreste  im  Diluvium  gefunden  worden  sind,  und  von  dem  unser  gemeines  Haus- 
pferd stammt,  ein  schweres,  starkknochiges  Tier  war.  Das  Fleisch  des  letzteren 
war  bis  tief  in  die  geschichtliche  Zeit  hinein  eine  beliebte  Speise,  gegen  die,  als 
etwas  heidnisches,  die  Kirche  einen  langwierigen  Kampf  fühlte.  Vor  den  Wagen 
hat  man  dieses  Pferd  erst  in  der  fränkischen  Zeit  gespannt.  Das  Reitpferd  war 
ein  hochgeschätzter  Besitz,  wie  unter  anderem  daraus  hervorgeht,  dass  die  vor- 
nehmsten Götter  reiten.  Das  Waidwerk  der  Fischerei  wurde  hauptsächlich  von 
den  Küstenstämmen  betrieben.  An  essbaren  Haustieren  waren  Rind,  Schaf,  Ziege 
und  Schwein  vorhanden,  noch  kein  Geflügel,  das  erst  in  späterer  Zeit  nach  dem 
Vorbild  der  Römer  in  Zucht  genommen  wurde.  Ein  Rind  zu  schlachten  wird  man 
sich  so  leicht  nicht  entschlossen  haben,  da  seine  Milch  (vielleicht  neben  der  Milch 
gezähmter  Stuten)  ein  zu  willkommenes  Nahrungsmittel  bildete.  Aber  ein  Schaf 
oder  eine  Ziege  wird  eher  geschlachtet  worden  sein,  vor  allem  Schweine,  denen 
die  Wälder  reichliche  Eichelmast  gewährten.  Deutsche  Schinken  waren  in  Rom 
geschätzt,  und  der  Schweinebraten  ist  bis  auf  den  heutigen  Tag  der  Festbraten  des 
deutschen  Bauern  geblieben.  Das  Wild  wurde  frisch  genossen,  nicht  mit  haut-goüt, 
was  die  Römer  vorzogen.  Dagegen  liess  man  die  Milch  auf  natürliche  oder  künst- 
liche Weise  säuern,  was  Plinius  umständlich  beschreibt,  stellte  auch  Butter  aus 
Kuh-,  Schaf-  oder  Ziegenmilch  her.  Man  benutzte  sie  zuerst  als  Salbe  für  den 
Körper,  worauf  noch  die  dialektischen  Benennungen  Anke  und  Schmer  deuten; 
Butter  ist  Fremdwort  Zum  Fleisch  ass  man  einen  ungesäuerten  und  gerösteten 
Kornbrei,  das  Derbbrot;  die  Hefe  muss  schon  früh  gebraucht  worden  sein.  Der 
Ackerbau  war  den  Germanen  schon  bekannt,  als  sie  in  ihre  neuen  Wohnsitze 
einwanderten,  wurde  nur  noch  nicht  intensiv  betrieben.  Man  baute  Weizen,  Gerste, 
Roggen,  Hafer.  Auch  Rüben,  Rettiche  und  Spargel  ass  man,  wenn  sie  auch  noch 
nicht  in  Gärten  gepflegt  wurden,  und  die  Römer  wussten  sie  zu  schätzen.  Wildes 
Obst  und  Beeren  worden  die  Nahrungsmittel  vervollständigt  haben;  das  veredelte 
Obst  stammt  wieder  von  den  Römern,  ebenso  eine  schmackhaftere  Zubereitung 
der  Speisen,  wie  die  entlehnten  Benennungen  beweisen  Aus  Weizen  und  Gerste 
wurde  auch  Bier  gebraut,  das  die  südlichen  Schriftsteller  als  eine  schlechte  Art 
von  Wein  bezeichnen.  Die  Herstellung  war  sehr  einfach,  namentlich  wurde  das 
Bier  nicht  gehopft  und  frisch  getrunken.  Alte  Bezeichnungen  des  Bieres  sind 
Bier  und  Ale.  Ob  die  Germanen  es  erfunden  haben,  steht  dahin;  wir  finden  es 
auch  bei  den  Ägyptern,  Iberern,  Ligurern,  Armeniern,  Phrygern,  Thrakern,  Illyriern, 
Pannoniern  und  Kelten.  In  Italien  und  Griechenland  fand  es  zur  Kaiserzeit  beim 
Volke  Eingang.  Hopfen  wuchs  in  Deutschland  wild,  wurde  aber  erst  sehr  allmählich 
dem  Biere  zugesetzt,  das  man  früher  durch  andere  Ingredienzien  bitter  machte. 
Neben  dem  Biere  wurde  Met  aus  dem  Honig  der  wilden  Waldbiene  und  ein  Obst- 
wein (got.  leipus,  ahd  lid)  bereitet,  Der  Wein  drang  sehr  allmählich  in  Germanien 
ein,  Weinbau  betrieben  die  Germanen  erst,  nachdem  sie  die  Moselgegenden  erobert 
hatten.  Auch  alle  hierauf  bezüglichen  Ausdrücke  stammen  aus  dem  Lateinischen. 
—  Im  Anschluss  hieran  wies  Herr  Waiden  auf  die  in  Niedersachsen  vorkommende 
Verwendung  der  Stutenmilch  als  Kräftigungsmittel  für  Kinder  und  auf  die  Fort- 
dauer der  Metbereitung  hin.  Auch  an  die  primitive  Art  des  Bratens  in  einer 
Lehmumhüllung  auf  Kohlen  erinnerte  er.  Die  Herren  Professoren  Roediger, 
Ascherson  und  Geheimrat  Friede  1  reihten  die  alteinheimische  Bohnenart,  die 
Saubohnen,  den  Nahrungsmitteln  an.  —  Darauf  hielt  Fräulein  E.  Lemke  einen 
Vortrag   über  Kamm    und  Taschentuch  im  Volksleben.     Sehr  allmählich  erst  tritt 


232  Roediger: 

in  den  ältesten  Funden  eine  grössere  Zahl  von  Kämmen  auf,  nämlich  erst  seit  der 
Zeit,  wo  man  den  Toten  einen  Kamm  mit  ins  Grab  gab  und  wo  sie  sich  auch  in 
Urnen  finden.  Alle  sieben  Trojaburgen,  deren  älteste  wir  wohl  nun  bis  ins  dritte, 
vielleicht  vierte  Jahrtausend  v.  Chr.  zurückschieben  dürfen,  haben  nur  einen 
Kamm  ergeben.  Massenhaft  kommt  er  in  den  Gräbern  der  römischen  Epoche 
vor,  meist  am  Hinterhaupt  der  Leiche  liegend.  Alle  Kämme  weisen  Verzierungen 
auf;  auch  Einschlagkämme,  die  man  im  Gewände  bei  sich  tragen  konnte,  finden 
sich.  Alle  sind  aus  mehreren  Stücken  zusammengesetzt  und  haben  zum  Teil 
weiter  und  enger  von  einander  stehende  Zähne.  Teils  dient  der  Kamm  zum  Ent- 
wirren des  Haares,  teils  als  Schmuckstück  zum  Einstecken  ins  Haar;  letztere 
haben  vielfach  eine  gabelförmige  Gestalt  und  sind  am  Griff  verziert  oder  mit 
Federn  und  dergleichen  geschmückt.  Zur  Herstellung  dient  mancherlei  Material. 
I  >ie  Vortragende  gab  eine  grosse  Anzahl  von  Zeichnungen  verschiedenaltriger  und 
verschiedenartiger  Kämme  herum  und  führte  reiche  Beispiele  für  die  eigenartige 
Benutzung  bei  den  einzelnen  Völkern  an  Hervorgehoben  seien  besonders  grosse 
Frauenkämme,  die  fast  den  ganzen  Hinterkopf  panzern  und  die  z.  B.  in  der  Propstei 
vorkommen,  und  Kämme,  die  dem  Geistlichen  bei  der  Predigt  das  Haar  zurück- 
halten sollen.  Das  Mitgeben  ins  Grab  kommt  bei  allen  Völkern  vor  und  zwar  so, 
dass  teils  der  gebrauchte  Kamm  mitbestattet  wird,  teils  ein  besonders  dazu  be- 
stimmter. In  Bengalen  bei  den  Kukis  überreicht  der  Priester  dem  neuvermählten 
Paar  zwei  Kämme,  einen  zum  Gebrauch  für  beide,  den  andern  als  Grabbeigabe 
für  den  zuerst  Sterbenden.  Sogar  in  Sage  und  Märchen  spielt  der  Kamm  seine 
Rolle.  —  Auch  das  Taschentuch  begegnet  uns  allerwärts  und  in  der  manigf altigsten 
Verwendung.  Die  Rednerin  beschränkte  sich  hier  vorwiegend  auf  Deutschland. 
Es  gilt  als  ein  Zeichen  höherer  Bildung  und  wird  daher  gern  in  der  IJand  getragen. 
In  Ostpreussen  beschenken  sich  die  Brautleute  mit  Taschentüchern,  bei  den  Hummel- 
bauern trägt  es  der  Bräutigam  am  Hochzeitstag  als  Schürze.  Besonders  fein  ge- 
stickte findet  man  im  Alten  Lande.  Praktisch  verwendet  man  es  als  Tragemittel. 
Eine  besondere  Spezies  bilden  die  Erinnerungstücher,  deren  Herr  Geheimrat  Friedel 
eine  Anzahl  älterer  und  moderner,  gewöhnlicher  und  feiner  aus  dem  Märkischen 
Provinzial-Museum  ausgelegt  hatte.  Diese  und  andere  gaben  noch  zu  mancherlei 
Bemerkungen  Anlass.  In  Märchen  und  Sagen  ist  es  gleichfalls  eingegangen  und 
hängt  dort  vorwiegend  mit  Herzensangelegenheiten  zusammen,  wie  ja  auch  in  der 
Wirklichkeit.  —  Herr  Geheimrat  Friedel  wurde  zum  Obmann  des  Ausschusses 
erwählt. 

Freitag,  den  27.  März  1896.  Herr  Professor  Dr.  C.  Frey  sprach  über  alt- 
christliches Kult-  und  Begräbniswesen.  Er  schilderte  einleitend  die  Stellung  der 
Christengemeinden  innerhalb  des  römischen  Reichskörpers,  die  als  erst  geduldete, 
dann  verfolgte  Kultgemeinschaften  kein  öffentliches  Eigentum  erwerben  oder  be- 
sitzen durften.  Dann  ging  er  auf  das  Begräbniswesen  der  Christen  genauer  ein. 
Anlage,  Einrichtung  und  Schmuck  der  altchristlichen  Grabstätten  oder  Katakomben 
wurden  eingehend  erörtert.  Der  Redner  hob  die  durchgehende  Anlehnung  an  die 
hergebrachte  Art  der  verschiedenen  Länder  hervor,  die  vor  einem  Zusammenhang 
mit  heidnischem  Brauch  nicht  zurückschreckte.  Er  trat  auch  der  irrigen  Meinung 
entgegen,  als  ob  diese  unterirdischen  Grabanlagen  zu  gottesdienstlichen  Zwecken 
oder  als  Zufluchtstätten  bei  Verfolgungen  gedient  hätten:  letzteres  ist  aus- 
geschlossen, weil  die  Lage  der  Katakomben  den  heidnischen  Mitbürgern  bekannt 
war.  Es  handelt  sich  also  ganz  und  gar  nicht  bloss  um  Märtyrergebeine  in 
ihnen,  obgleich  der  fromme  Glaube  unterschiedslos  in  den  massenhaft  daraus  ent- 
nommenen Knochen    die  Überreste    von  Heiligen    erblickt  hat.     Mit  altem  Brauch 


Protokolle.  233 

hängt  die  Mitgabe  von  allerhand  Schmuck  und  Gerät  ins  Grab  zusammen,  und 
auch  die  schmückende  Kunst  benutzt  anfangs  heidnische  Typen,  die  sich  erst  langsam 
zu  besonderen  christlichen  entwickeln.  So  namentlich  bei  der  ganzen  Gestalt  und 
dem  Kopfe  Christi,  deren  Ausbildung  genauer  verfolgt  wurde.  Daneben  kamen 
gewisse  Symbole,  wie  der  Namenszug  Christi,  der  Fisch  u-  s.  w.  zur  Sprache. 
Der  zweite  Teil  des  Vortrages  behandelte,  der  vorgerückten  Zeit  wegen  mehr 
skizzierend,  das  Kultwesen  der  altchristlichen  Kirche  nach  der  Anerkennung  des 
neuen  Glaubens  als  Staatsreligion,  vornehmlich  die  Entwicklung  des  öffentlichen 
Kultgebäudes  aus  dem  privaten  Betsaal  oder  sonstigen  Orte  der  Zusammenkunft. 
Die  viel  erörterte  Frage  nach  der  Herkunft  der  Basilika  führte  der  Vortragende 
unter  kurzer  Kritik  der  Hypothesen  darüber  vor  und  entschied  sich  selbst  für 
einen  gewissen  Eclecticismus,  der  sowohl  an  das  römische  Privathaus  als  auch 
an  die  gerichtliche  Basilika  anknüpfte.  Er  sprach  dann  noch  über  die  beiden 
wichtigsten  Bautypen  der  Kirche,  den  longitudinalen  und  zentralen.  Er  schilderte 
ihr  Aussehen  nach  aussen  und  innen,  die  Einteilung,  Bedeutung  und  allmähliche 
Entwickelung  der  einzelnen  Räume  unter  den  Anforderungen  des  Kultus,  wobei 
die  Kirchenmöbel  und  Kirchengeräte  vorgeführt  wurden.  Der  reiche  Mosaikschmuck, 
den  namentlich  die  Langwände  erhielten,  bildete  den  Anlass,  einen  christlichen 
Bilderkreis  auszugestalten.  —  Indem  er  in  das  germanische  Heidentum  zurück- 
lenkte, besprach  Prof.  Dr.  M.  Roediger  eine  Schrift  des  Herrn  Dr.  Zschiesche 
über  heidnische  Kultusstätten  in  Thüringen.  Es  wird  über  diese  Broschüre 
S.  225  unserer  Zeitschrift  Auskunft  gegeben.  Herr  Geheimrat  Dr.  Schwartz 
knüpfte  einige  Bemerkungen  über  Zuiluchtstätten  in  Luch  und  Moor  an. 

Max  Roediger. 
Freitag,  den  24.  April  1896.  Herr  Sanitätsrat  Dr.  Bartels  sprach  über 
den  Regenbogen.  Seine  Mitteilungen  machen  keinen  Anspruch  auf  Vollständigkeit; 
er  habe  nur  einige  volkskundliche  Auffassungen  der  eindrucksvollen  Naturerscheinung 
zusammengestellt.  Der  Regenbogen  werde  vielfach  als  besondere  Gottheit  angesehen, 
in  Siam  bedeute  sein  Name  „der  das  Wasser  aus  dem  Meere  Heraufpumpende". 
Dieselbe  Vorstellung  finde  sich  in  Bayern,  Schwaben  und  Ungarn.  Da  er  alles 
in  seinen  Bereich  gelangende  in  die  Höhe  zieht,  muss  man  sich  —  nach  einer 
ungarischen  Tradition  —  hüten,  mit  dem  Finger  auf  ihn  zu  weisen.  Interessante 
Zeichnungen  der  schlanktailligen  Regenbogengöttin  der  Navajö-Indianer  in  Arizona 
wurden  vorgewiesen.  Bei  den  Bororö  in  Süd-Amerika,  bei  den  Persern  und  den 
Adelis  in  Kamerun  gelte  er  als  Schlange;  in  Indien  als  Atem  einer  unterirdischen 
Schlange,  bei  den  Australiern  als  Rauch.  Die  Esten  fassen  ihn  als  „Sense  des 
Donners"  auf.  Als  Brücke  zum  Himmel  gelte  er  in  Neuguinea,  bei  den  Serben, 
auch  beim  österreichischen  Landvolk  (Seelenbrücke),  ebenso  bei  den  alten  Germanen 
(Bifröst).  Ovid  bezeichne  ihn  als  die  Brücke,  über  die  die  Götterbotin  Iris  schreitet. 
Andere  Auffassungen  seien  die  als  Gürtel,  als  Bogen,  z.  B.  des  Apollo  Eine 
vielverbreitete  Auffassung  sei,  dass  seine  unteren  Enden  von  Engeln  gehalten 
werden  und  zwar  auf  goldenen  Schüsseln.  Daher  stammt  der  Name  der  Regen- 
bogenschüsselchen. Es  sind  dies  alte  keltische  Goldmünzen,  die  auf  der  einen 
Seite  konkav,  auf  der  andern  konvex  sind,  und  die  ab  und  zu  im  Erdboden  ge- 
funden werden,  hauptsächlich  in  Böhmen.  Auch  an  die  biblische  Auffassung  als 
Zeichen  des  Bundes  zwischen  Gott  und  allem  Lebenden  nach  der  Sintflut  wurde 
erinnert.  In  der  chinesischen  Mythologie  entstehe  der  Regenbogen  aus  dem 
Kampfe  des  hitze-  und  des  kältebringenden  Prinzips.  —  Herr  Professor  Dr.  Lange 
behandelte  die  öffentlichen  Erzähler  in  Japan.  Ehe  die  Volksschule  eingerichtet 
war,    waren    sie    mit  wichtige  Verbreiter    der  Volksbildung;    auch   jetzt    sind    sie 


234  Minden:  Protokolle. 

noch  sehr  beliebt.  Man  unterscheidet  zwei  Klassen:  A)  Die  Hanaschka  erzählten 
früher  nur  Anekdoten,  jetzt  auch  moderne  (auch  ausländische)  Novellen.  Sie  gesti- 
kulieren mit  einem  Fächer.  Es  giebt  auch  einen  Engländer  Mr.  Black,  der  in 
europäischer  Kleidung  seine  japanischen  Vorträge  hält  und  in  die  Zunft  offiziell 
aufgenommen  ist.  B)  Die  Köschak'schi.  Sie  sitzen  an  einem  Tischchen  und  haben 
ausser  dem  Fächer  noch  eine  Art  Taktstock.  Sie  erzählen  historische  oder  an- 
geblich historische  Begebenheiten.  Man  sagt:  „Mit  dem  Fächer  und  dem  Takt- 
stock schlägt  der  Köschak'schi  Lügen  aus  dem  Tisch  hervor".  Im  allgemeinen 
ist  die  soziale  Stellung  der  öffentlichen  Erzähler  keine  sehr  hohe;  doch  sind  die  be- 
rühmtesten unter  ihnen  recht  angesehen.  Diese  werden  gut  bezahlt  und  in  vornehme 
Gesellschaften  eingeladen.  Es  wurden  einige  Erzählungen  wiedergegeben,  unter 
anderem  wie  eine  Frau  die  Liebe  ihres  Gatten  zu  ihr  dadurch  prüft,  dass  sie 
ein  Porzellangefäss  hinwirft  und  abwartet,  ob  der  Gatte  sich  zuerst  nach  ihrer 
etwaigen  Verletzung  oder  nach  dem  Zustand  des  hingefallenen  Porzellans  erkundigen 
werde. 

G.  Minden. 


Kulturgeschichtliches  aus  Islaud. 

Nach  dem  Isländischen  von  M.  Lehinaiin-Filhes. 


Im  „timarit  hins  fslenzka  bökmenntafelags"  („Zeitschrift  der  isländischen 
litterarischen  Gesellschaft")  vom  Jahre  1892  befindet  sich  ein  Aufsatz  „Vor 
40  Jahren"  von  Thorkell  Bjarnason,  Pfarrer  zu  Reynivellir  in  der  Kjösar- 
sysla  im  südlichen  Island.  Der  Verfasser  hat  bis  vor  etwa  80  Jahren  im 
Distrikt  Skagafjördur  im  Xordlande  gelebt  und  dort  namentlich  deu  ärmeren 
Teil  der  Bevölkerung-  genau  kennen  gelernt.  Da  sich  um  die  Mitte  unseres 
Jahrhunderts  ein  tiefeingreifender  Umschwung  auf  verschiedenen  Gebieten 
des  isländischen  Lebens  zu  vollziehen  begann,  wählte  er  jenen  Zeitpunkt, 
um  seinen  Landsleuten  manche  damals  noch  vorhandene,  jetzt  aber  meist 
ausgestorbene  Sitten,  Einrichtungen  und  Zustände  zu  schildern,  wobei  es 
natürlich  unmöglich  war,  die  angedeutete  Zeitgrenze  immer  streng  inne 
zu  halten.  Uns  Deutschen  ist  durch  Reisebeschreibungen  und  gute  Bücher 
reichliche  Gelegenheit  geboten,  uns  mit  den  Eindrücken,  die  ein  Island 
bereisender  Ausländer  empfängt,  bekannt  zu  machen;  gerade  deshalb 
scheint  es  mir  gewinnbringend,  nun  einmal  einen  blander  über  Island 
sprechen  zu  hören.  Nicht  nur  wird  er,  obwohl  von  älteren  Zuständen 
redend,  uns  noch  manches  Neue  zu  erzählen  wissen,  sondern  uns  u.  a.  auch 
belehren,  wie  einzelne  Übelstände,  die  von  jetzigen  Reisenden  hier  oder 
da  noch  angetroffen  werden,  keineswegs  ihre  Begründung  im  heutigen 
Kulturzustande  der  Insel  haben,  vielmehr  in  der  Denkweise  der  Mehrheit 
des  Volkes  bereits  zu  den  überwundenen  Hingen  gerechnet  werden.  Ich 
gebe  auf  den  folgenden  Seiten  den  Inhalt  der  Schrift  mit  erheblichen 
Kürzungen  wieder,  wobei  ich  in  der  Form  von  Anmerkungen  einige  zum 
besseren  Verständnis  beitragende  Erkläruugen  hinzufüge.  Die  mit  <  >.  S. 
bezeichneten  Notizen  sind  einer  1894  gleichfalls  im  timarit  erschienenen 
umfangreichen  Kritik  dieses  Aufsatzes  entnommen,  die  den  Danebrogsmann 
ölafur  Sigurdsson  zum  Verfasser  hat.  Etwas  älter  als  der  Pfarrer  Thorkell 
Bjarnason,  hat  er  sein  ganzes  Leben  im  Skagafjördur  zugebracht,  wo  er  zu 
As  in  der  Landschaft  Hegranes  wohnt.  Er  findet  manche  besonders  un- 
günstige Schilderung  des  ersteren  übertrieben,  was  aber  seinen  Grund 
darin  haben  mag,  dass  beide  Verfasser  nicht  ganz  die  nämlichen  Schichten 
der  Bevölkerung  im  Auge  hatten.  Aber  auch  manche  wertvolle  Ergänzung 
und  interessante  Einzelheit  liefert  er.  wovon,  wie  gesagt,  manches  hier 
seinen  Platz  gefunden  hat. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde-   18%.  -j^g 


23(>  Lehmann-Filhes: 


I.    Die  Häuser. 


Vor  40  Jahren  waren  die  Häuser  bedeutend  anders  gebaut  und  ein- 
gerichtet als  jetzt.  Die  Gebäude1)  eines  Gehöftes  waren  zwar  gewöhnlich 
die  nämlichen  wie  gegenwärtig,  nämlich  ein  Raum  zum  Wohnen  und 
Schlafen  (badstofa2)),  Speisekammer  (bür),  Küche  (eldhüs)  und  Hausgang 
(baejardyr),  ausserdem  häufig  eine  Schmiede  (smidja)  und  ein  Haus  für 
Vorräte  und  Gerätschaften  (skemraa),  deren  es  auf  grossen  Höfen  auch 
wohl  mehrere  gab.  Stuben  (stofur)  besassen  nur  Pfarrer,  sehr  reiche 
Bauern  uud  Bezirksvorsteher.  Alle  diese  Baulichkeiten  sahen  aber  anders 
aus  als  jetzt.  Der  Hausgang  war  bei  den  ärmeren  Leuten  nur  eine  Ver- 
längerung des  zur  badstofa  führenden  engen  und  niedrigen  Ganges;  aus 
diesem  führten  ein  wenig  vor  der  badstofa  zwei  Thüröffnungen  (dyr),  eine 
rechts,  eine  links,  in  Speisekammer  und  Küche;  das  bür  war  durch  eine 
Thür  (hurd)  verschliessbar,  die  Küche  aber  hatte  oft  keine  Thür.  Beide 
Thüröffnungen  waren  meist  so  niedrig,  dass  man  nur  gebeugt  hindurch 
gehen  konnte  und  nur  die  Gewohnheit  und  die  Unkenntnis  besserer  Zu- 
stände machte  das  fortwährende  Bücken  erträglich.  Auch  die  beiden  Räume 
selbst  waren  sehr  klein  und  niedrig;  auf  kleineren  Gehöften  selten  mehr 
als  3  Ellen  breit  und  3—4  Ellen  lang,  und  ein  grosser  Mensch  konnte 
gerade  nur  darin  stehen.  In  dem  Rasendache,  das  man  überall  durch  die 
Dachlatten  hindurch  sah,  war  eines  jener  oft  nur  handgrossen  Fenster 
(skjägluggi);  ein  hölzernes  Band  wurde  zu  einem  Ringe  zusammengebogen 
(oder  auch  wohl  ein  länglicher  oder  viereckiger  Rahmen  angefertigt),  mit 
der  Eihaut  eines  Kalbes  (liknarbelgur;  likn  =  Gnade,  Erbarmen,  belgur  = 
Balg,  Haut)  bespannt  und  in  die  zu  diesem  Zwecke  hergestellte  Dachöffnung 
gepasst  Diese  dünne  Haut  wurde  oft  zerstört,  bald  durch  den  Wind, 
bald  durch  die  Katze,  die,  wenn  man  sie  aussperrte,  sich  gern  mit  den 
Krallen  Einlass  durch  das  Fenster  verschaffte;  man  musste  daher  stets 
Vorrat  an  solchen  Häuten  haben  und  es  lag  der  Stallmagd  ob,  bei  der 
Geburt  eines  Kalbes  den  liknarbelgur  zu  verwahren  und  zu  reinigen, 
andernfalls  verlor  sie  ihren  Anspruch  auf  den  „Darmkäse"  (garnaostur, 
ein  aus  den  gereinigten,  in  Salzwasser  gekochten,  zusammengewickelten 
und  gepressten  Kälberdärmen  bereitetes  Gericht). 

Der  Hausgang    war    in  der  Mitte  oder  gerade  vor  Speisekammer  und 
Küche  durch  eine  Zwischenthür  (skellihurd:   skella  =  laut  zuschlagen)  ab- 


1)  Auf  einem  isländischen  Gehöfte  (bser)  ist  bekanntlich  jeder  Raum  ein  Gebäude!  für 
sich  und  mit  einem  besonderen  Dach  versehen,  doch  sind  die  liier  genannten  dicht  an 
einander  gebaut  mit  Ausnahme  von  skemma  und  smidja. 

2)  Die  Benennung  badstofa  (Badstube)  stammt  aus  alter  Zeit,  wo  sie  den  auf  jedem 
Gehöfte  befindlichen,  mit  einem  grossen  steinernen  Ofen  versehenen  Raum  zum  Baden 
bezeichnete.  Als  die  Sitte  des  Badens  mehr  und  mehr  abkam,  hiess  badstofa  ein  heizbares 
Gemach,  das  den  Bewohnern  zum  Aufenthalt  diente.  Daher  ist  der  Name  badstofa  drin 
gemeinschaftlichen  Wohnraum  geblieben,  auch  wenn  derselbe  keinen  Ofen  hat. 


Kulturgeschichtliches  aus  Island.  237 

geschlossen.  Vorn  im  Eingänge  befand  sich  eine  niedrige  Holzwand,  welche 
unten  auf  jeder  Seite  ein  Loch  (hundagätt)  hatte,  damit  die  Hunde  bei 
Nacht,  wenn  das  Gebäude  verschlossen  war,  aus-  und  eingehen  konnten. 
Am  hintersten  Ende  des  Ganges  kam  man  in  die  badstofa;  sie  stand 
gewöhnlich  quer  zu  den  anderen  Häusern  und  hatte  den  Eingang  an  ihrem 
einen  Ende.  Dieser  Raum  konnte  verschieden  beschaffen  sein.  Die 
bekkbadstofur1)  hatten  fast  immer  das  Erdreich  zum  Fussboden;  an 
beiden  Längswänden  standen  die  Betten,  die  nackten  Erdwände  hinter 
ihnen  waren  grauweiss  von  Schimmel  und  Feuchtigkeit,  An  der  hinteren 
Giebelwand  waren  zwischen  den  Betten  ein  oder  zwei  wagerechte  Bretter 
angenagelt;  dies  war  der  bei  den  Betten  der  Eheleute  übliche  Tisch. 
Wandbretter  waren  an  beiden  Giebelwänden  befestigt,  auf  die  man  Schüsseln, 
Tassen  u.  s.  w.  stellte.  An  beiden  Enden  der  Betten  standen  Pfosten,  die 
oft  bis  an  die  Dachsparren  reichten  und  marar  hiessen;  die  Seitenwand 
der  Betten  war  aussen  daran  festgenagelt.  Zwischen  den  marar  war  oft 
ein  Strick  ausgespannt,  an  welchem  der  Inhaber  des  betreffenden  Bettes 
seine  Kleider,  Handschuhe  u.  dergl.  aufhing.  —  Die  pallbadstofur  hatten 
einen  pallur,  d.  h.  einen  aus  Brettern  hergestellten  erhöhten  Fussboden, 
etwa  eine  Elle  über  der  Knie,  auf  welchen  Stufen  führten.  Unter  dem- 
selben war  es  dunkel;  hier  bewahrte  man  Brennholz  u.  dgl.  oder  hielt 
daselbst  Lämmer.  Zuweilen  ging  quer  durch  die  badstofa  in  halber  Manns- 
höhe ein  Balken,  um  sie  zusammen  zu  hallen:  wer  den  Raum  durchschritt, 
kroch  darunter  hindurch.  Wie  hinderlich  ein  solcher  Balken  werden 
konnte,  zeigt  folgende  Geschichte.  Der  Pfarrer  Jon  Petursson,  der  1817 
bis  1839  auf  Höskuldsstadir  wohnte,  kam  zu  einein  gewissen  Sigurdur  auf 
Fannlaugarstadir,  um  einen  kranken  Knecht  zu  besuchen.  Sigurdur  war 
wohlhabend,  aber  durchaus  nicht  prachtliebend,  und  so  ging  durch  seine 
badstofa  auch  ein  solcher  Balken.  An  so  vornehmen  Besuch  nicht  gewöhnt. 
wollte  er  den  Pfarrer  recht  ehren  und  ihn  ganz  hinten  auf  sein  eigenes 
Bett  setzen:  während  er  selber  nun  gewandt  unter  dem  Balken  hindurch- 
kroch, zog  der  Pfarrer  es  vor,  darüber  hinweg  zu  steigen.  Da  g-reift 
Sigurdur  plötzlich  nach  einem  Stück  Zeug,  das  über  den  Balken  hinüber 
hängt,    und    zieht    aus  Leibeskräften  daran,    indem  er  ausruft:    „Habe  ich 


1)  Das  "Wort  bekkur  bedeutet  eigentlich  eine  Bank.  Herr  Dr.  Valtyr  Guffmundsson, 
Verfasser  des  Werkes  ,.Privatboligen  paa  Island  i  Sagatideir  hatte  die  Güte,  mir  über 
die  Bezeichnung  bekkbadstofa  folgende  Auskunft  zu  geben:  „Das  Wort  wird  jetzt  für  eine 
Wohnstube  gebraucht,  in  der  sich  kein  erhöhter  Bretterfussboden  oder  lopt  befindet.  Dies 
ist  aber  sicher  nicht  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes,  vielmehr  bezeichnete  es 
eine  Stube  mit  Erderhöhuugen  auf  beiden  Seiten  (vgl.  bekkur  in  ..Privatboligen",  S.  212) 
auf  der  die  Betten  standen,  -während  der  Erdfussboden  in  der  Mitte  niedriger  war  —  also 
einen  Gegensatz  zu  Stuben  mit  hölzernem  pallur,  denn  die  eine  oder  andere  Erhöhung 
hatten  zur  Zeit  der  Entstehung  des  Wortes  wohl  alle  badstofur.  Später  hatte  man  auch 
solche  badstofur,  in  denen  der  Erdfussboden  über  den  ganzen  Baum  gleich  hoch  war  und 
übertrug  da  den  Namen  auf  diese." 

10* 


238 


Lehmann-Filhes: 


euch  nicht  verboten,  ihr  Mädchen,  eure  Lappen  über  den  Balken  zu  hängen, 
wenn  anständige  Leute  kommen!"  Worauf  der  Pfarrer  ganz  sanftmütig 
sagt:  „Dies  gehört  nun  aber  zu  mir,  mein  Sigurdur",  denn  Sigurdur  hätte 
ihm  beinahe  den  Eockschoss  abgerissen.  —  Der  pallur  konnte  auch  ein 
sogenannter  götupallur  (von  gata  =  schmaler  Steg)  sein;  wenn  dies  auch 
in  eine  etwas  frühere  Zeit  gehört,  erinnert  sich  der  Verfasser  doch,  als 
Kind  einen  solchen  gesehen  zu  haben1).  Dieser  pallur  nahm  die  hintere 
Giebel-  und  die  beiden  Langseiten,  nicht  aber  die  Mitte  der  badstofa  ein; 
er  war  so  breit,  dass  vor  den  Betten,  die  rechts  und  links  darauf  standen, 
noch  ein  schmaler  Raum  frei  blieb,  so  dass  man  auf  dem  Bette  am  Spinn- 
rocken sitzen  und  sonst  noch  manches  hier  aufstellen  konnte.  —  Endlich 
konnte  eine  badstofa  auch  portbyggd2)  sein;  eine  solche  war  mittels  einer 
Dielung  in  einen  unteren  und  einen  oberen  Raum  abgeteilt;  letzterer  hiess 
lopt3).     Der  untere  Raum  wurde  selten  bewohnt,  denn  er  war  sehr  dunkel: 


1)  Vgl.  „Isländische  Volkssagen,  aus  der  Sammlung  von  Jon  Ärnason  etc."  I,  S.  13S 
oben. 

•2)  Portbyggd  badstofa  (von  port  =  Thor,  Pforte,  und  byggja 
=  bauen)  hiess  sie  deshalb,  weil  bei  ihr  die  Querbalken,  die  das 
lopt  trugen,  nicht  oben  auf  den  Ständern  ruhten,  sondern,  um 
das  lopt  höher  zu  machen,  ein  Ende  weiter  unten  in  dieselben 
eingefügt  waren. 

?>)  Wie  man  sich  ein  solches  badstofulopt  zu  denken  habe, 
geht  aus  einigen  Stellen  des  Romans  rmadur  og  kona"  („Mann 
und  Frau")  von  Jon  Thüroddsen,  I.  Kap.,  hervor.  „Eine  Kammer 
(lopthüs)  war  an  dem  einen  Ende,  das  war  das  Gemach  (herbergi) 
des  Ehepaares;  ihre  Betten  standen  beiderseits  verlängs  an  den 
Seitenwänden  und  zwischen  ihnen  mitten  an  der  Giebelwand  ein 
kleiner  Tisch.  Vorn  auf  dem  badstofulopt  ausserhalb  des  Ein- 
ganges zur  Kammer  (lopthüsdyr)  waren  die  Betten  der  Knechte 
und  Mägde  und  quer  vor  dem  Giebel  das  Lager  eines  alten  Weibes,  einer  Gemeinde- 
armen."  „Die  Hausfrau  steht  auf  und  tritt  vor  in  den  Kammereingang  (hüsdyr); 

derselbe  war  offen,  denn  es  war  keine  Thür  (hurd)  vor  der  Kammer" „Das  alte 

Weib  springt  plötzlich  auf  und  läuft  den  ganzen  Kaum  (lopt)  entlang  bis  zur  Bodenöfihung 

(loptsgat),    dort  spuckt  sie  in  die  Öffnung  hinab  und  sagt" „Das  Licht  war  an 

dem  Thürpfosten  der  Kammer  in  der  Weise  aufgehängt,  dass  oben  in  den  Thürpfosten 
(dyrastafur)  ein  Loch  gebohrt  und  der  Henkel  der  Lampe  hineingeschmiegt  war.  Das 
Licht  war  aber  deshalb  hier  angebracht,  damit  es  die  Kammer  (hus)  sowohl  als  vorn  den 
grossen  Raum  (lopt)  erleuchten  sollte  und  man  in  der  ganzen  badstofa  nur  ein  Licht 
brauchte.  Unten  am  Thürpfosten  innen  in  der  Kammer  an  der  Seite,  wo  das  Licht  war, 
stand  ein  Stuhl  mit  einem  Kissen  darauf;  hier  pflegte  die  Hausfrau  des  Abends  zu  sitzen, 
wenn  sie  nähte  oder  eine  andere  Arbeit  machte,  zu  der  sie  Licht  brauchte.  Ausserhalb 
der  Kammer  an  der  anderen  Seite  des  Einganges  nach  der  Bodenklappe  zu  stand  eine 
mit  einer  zusammengefalteten  Decke  belegte  Truhe;  das  war  der  Sitz  des  Knechtes  Thor- 
steinn,  der  abends  dort  sass  und  allerlei  ausbesserte  und  schnitzte  und  dazwischen  die 
Aufgabe  hatte,  Geschichten  (sögur)  vorzulesen  und  lange  Gedichte  (rimur)  aufzusagen." 
Die  drei  Mägde    sitzen  auf  ihren  Betten  und  spinnen,    während  ein  anderer  Knecht  ihnen 

die  Wolle    kratzt   und    der    Bauer    an  einem  RosshaargefLecht    arbeitet Vorn  an 

der  Hausthür  wird  gepocht,  es  ist  aber  nicht  Christensitte,  nach  Tagesschluss  unten  zu 
pochen,  anstatt  auf  das  Dach  zu  steigen  und  am  Fenster  zu  grossen  (guda  a  glugga,  von 
gud  =  Gott),  auch  sind  es  nicht  drei  Schläge,  sondern  nur  einer  oder  zwei,  deshalb  getraut 


Kulturgeschichtliches  aus  Island.  239 

nur  ein  Gastbett  enthielt  er  gewöhnlich  und  manchmal  schliefen  die 
Knechte  dort. 

In  den  ärmlichsten  badstofur  war  das  Torfdach  zwischen  dem  Latten- 
werk sichtbar;  bei  den  meisten  waren  die  auf  den  Sparren  ruhenden 
Längslatten  mit  schräg  abwärts  gehenden  Brettern  (reisifjöl)  belegt  und 
nur  auf  den  reichsten  Gehöften  hatte  die  badstofa  eine  süd,  d.  h.  eine 
dachziegelförmig  angeordnete  Bretterlage-,  an  manchen  Orten  deckte  diese 
nur  den  hintersten  Teil  der  badstofa,  wo  der  Hausherr  und  seine  Frau 
schliefen.  Nur  in  den  besseren  oder  besten  Häusern  w'aren  die  Wände 
über  den  Betten  und  am  Giebel  mit  Brettern  bekleidet  und  selten  war 
eine  bekkbadstofa  gedielt;  auch  kam  darauf  nicht  viel  an,  da  man  sich 
mit  Scheuern  nicht  aufzuhalten  pflegte. 

Die  Giebelwände  der  badstofur  waren  damals  gleich  den  übrigen  stets 
von  Rasen  und  so  dick,  dass  die  Fenster  im  Dache  sein  mussten.  Zur 
Zeit  des  Verfassers  waren  diese  meist  von  Glas,  doch  hat  er  bei  sehr 
armen  Leuten  in  der  badstofa  noch  skjägluggar  gesehen,  und  seine  Mutter, 
die  1811  geboren  war,  erinnerte  sich  ans  ihrer  Jugend  keiner  anderen 
Fenster;  junge  Mädchen,  die  auf  sich  hielten,  haben  den  liknarbelgur  so 
gut  als  möglich  gewaschen  und  geschabt,  bevor  sie  ihn  in  das  Fenstercherj 
über  ihrem  Bette  brachten,  und  dann  mit  ihrer  Handarbeit  oben  auf  dem 
Bette  möglichst  nah  an  dieser  Lichtquelle  gesessen.  Als  seine  Mutter 
etwa  acht  Jahr  alt  war,  hörte  sie  viel  von  einem  neuen  prachtvollen  Glas- 
fenster  in  der  badstofa  zu  Grlaumbaer  reden  und  der  strahlenden  Helle, 
die  es  verbreitete.  Der  Verfasser  bat  dieses  Fenster  noch  gesellen:  es 
hatte  vier,  nach  heutigen  Begriffen  gar  nicht  grosse  Scheiben.  „Die 
meisten  Fenster,  deren  ich  mich  erinnere*,  sagt  er.  ..halten  nur  zwei 
Scheiben  von  der  Grösse  einer  tüchtigen  Männerhand.  In  meiner  frühsten 
Kindheit  wohnten  meine  Eltern  in  einer  etwa  20  Jahre  alten  badstofa  mit 
zwei  sehr  kleinen  Glasfenstern  im  Dache.  Hinten  war  ein  Fach"  (stafgölf, 
der  Raum  zwischen  zwei  Hauspfostenpaaren)  ..mit  Brettern  abgeteilt  und 
hiess  „das  Haus"  (hüsid).  Ein  wohlhabender  Pfarrer  hatte  es  für  sich 
machen  lassen,  als  er  1824  dorthin  zog.  Es  war  4  Ellen  breit,  mit  reisifjöl 
gedeckt  und  hatte  ein  kleines  Glasfenster  im  Dache;  jene  Dachbrett  er 
waren  vom  Lampenqualm  so  geschwärzt,  dass  die  Sonnenstrahlen  auf  einen 
schwarzen  Lappen  zu  fallen  schienen,  doch  fand  ich  den  Sonnenschein 
wunderschön  und  freute  mich  darüber.* 


sich  niemaud  zu  öffnen.  Endlich  klettert  draussen  jemand  an  der  südlichen  Seite-  der 
hadstofa  empor,  legt  sich  auf  das  Fenster  über  dem  Bette  der  Hausfrau  und  ruft  durch 
dasselbe  hinein:  „Hier  sei  Gott!  Gesegnet  seien  die  Leute!-'  („Her  se  Gud!  ssell  veri 
ftflMd!"  Der  Bauer  geht  nun  hinab  und  lässt  den  Fremden  ein  .  .  .  .  )  „und  sobald  er 
mit  dem  Kopf  durch  die  Bodenöffnung  auftaucht,  ruft  er  den  Einwohnern  einen  Gruss  zu 
und  sagt " 


240  Lehmann-Filhes : 

Man  kann  sich  denken,  dass  viele  dieser  baöstofur  keinen  angenehmen 
Aufenthalt  boten.  Wenn  es  viel  regnete,  leckten  die  Dächer  bedeutend. 
Dann  stellte  man  tagsüber  Troge  und  andere  Gefässe  auf  die  Betten,  des 
Nachts  aber  hing  man  Felle  darüber  auf  oder  bedeckte  sich  damit,  und 
dennoch  blieb  das  Bettzeug  nicht  vor  Nässe  bewahrt.  Schlimm  wurde  von 
dem  herabtropfenden  Wasser  auch  der  Erdfussboden  zugerichtet,  auf 
welchem  bei  heftigen  Güssen  zuweilen  ein  Strom  entlang  lief.  Ein  Vorteil 
war  es  hierbei,  dass  die  badstofur  oft  nur  4  Ellen  breit  waren,  während 
sich  die  Länge  nach  der  Zahl  der  Bewohner  richtete. 

Die  Staatsstube  (stofa)  war  damals  eine  Seltenheit,  doch  wird  eine 
solche  hier  beschrieben.  Man  gelangte  in  sie  rechter  Hand  vom  Haus- 
gange her.  Sie  mag  3—4  Ellen  breit  und  gegen  5  Ellen  lang  gewesen 
sein  und  gut  mannshoch  bis  zum  lopt.  Sie  war  gedielt,  die  Wände  mit 
Brettern  bekleidet  und  die  Giebelwand,  die  nach  vorn  auf  den  Hofplatz 
ging,  ganz  von  Holz.  In  letzterer  waren  oben  unter  dem  lopt  zwei  Fenster, 
jedes  aus  2  etwa  handgrossen  Scheiben  bestehend;  man  würde  das  durch 
sie  einfallende  Licht  jetzt  kaum  hell  genug  zum  Lesen  finden,  damals  galt 
aber  eine  solche  stofa  als  etwas  sehr  Schönes.  —  Es  sind  hier  hauptsächlich 
die  Wohnungen  der  unteren  Klassen  beschrieben;  die  der  besser  Situierten, 
wie  z.  B.  der  Pfarrer,  reichen  Bauern  uud  Bezirksvorsteher,  waren  viel 
ansehnlicher  und  geräumiger,  der  Hausgang  oft  breit  und  auf  einer  Seite 
von  ihm  eine  stofa,  auf  der  anderen  ein  Raum,  welcher  skäli1)  hiess. 
Allen  gemeinsam  aber  war  der  Übelstaud,  dass  die  Fenster  klein,  der 
Raum  unter  dem  lopt  meist  dunkel,  das  lopt  selbst  niedrig  und  luftlos 
war.  Jetzt  findet  sich  kaum  in  der  armseligsten  Hütte  eine  badstofa  ohne 
Bretterbekleidung,  Dielung  und  so  grosse  Fenster,  wie  vor  40  Jahren  nur 
wenige  Wohlhabende  sie  hatten2). 

1)  Ö.  S.:  „Diese  alten  skälar  sah  ich  auf  einzelnen  Gehöften  in  der  Zeit  zwischen 
1830  und  1840;  in  dreien  von  ihnen  war  am  inneren  Ende  eine  Kammer  (herbergi),  welche 
skälahus  genannt  wurde,  mit  Brettern  abgeteilt.  Man  sagte  mir,  ursprünglich  sei  dies  eine 
Schlafkammer  für  Gäste  gewesen,  während  im  vorderen  Teil  des  skäli  die  Knechte  des 
Hofes  schliefen.  Als  ich  sie  sah,  war  aber  das  skälahus  eine  verschlossene  Vorratskammer 
geworden  und  der  vordere  Teil  enthielt  Kasten  und  verschiedenes  Gerumpel.  Die  meisten 
dieser  skälar  hatten  die  Fenster  im  Dache,  ausgenommen  wenn  ein  lopt  dawar;  in  diesem 
Falle  waren  die  Fenster  in  der  Wand." 

Auch  die  Bedeutung  des  Wortes  skäli  hat  manche  Wandelung  durchgemacht.  Nach 
Dr.  Yaltyr  Gudmundsson  „Privatb öligen"  S.  207  f.  scheint  es  aus  skäl  (Schale)  gebildet  zu 
sein  und  ursprünglich  ein  bienenkorbförmiges  Haus,  das  die  Gestalt  einer  umgekehrten 
Schale  hat,  bezeichnet  zu  haben.  Man  kann  es  z.  B.  für  eine  Laubhütte  aus  zusammen- 
gebogenen Zweigen  gebrauchen  und  es  bezeichnet  daher  oft  eine  zu  vorübergehendem 
Aufenthalt  errichtete  Hütte;  so  wird  es  stets  für  die  Häuser  angewendet,  welche  die  Be- 
siedeier Islands  sich  zuerst  zu  einstweiliger  Unterkunft  erbauten,  bis  sie  ihre  Hochsitzsäulcn 
gefunden  und  ihre  bleibende  Wohnstätte  bestimmt  hatten.  Später,  besonders  vom  Jahre 
1000  ab,  ist  der  skäli  der  Schlafraum  auf  einem  Gehöft,  doch  ist  diese  Anwendung  nun- 
mehr auch  längst  in  den  Hintergrund  getreten. 

2)  Ö.  S.:  „Aus  dieser  Schrift"  (vom  Probst  Gudlaugur  Sveinsson  vom  Jahre  1791) 
„ersieht  man,  dass  die  Gebäude  damals  unregelmässig,  hässlich  und  in  die  Erde  gegraben 


Kulturgeschichtliches  aus  Island.  241 

Wie  alle  übrigen  Häuser,  so  waren  auch  die  Kuhställe  (fjös)  niedrig 
und  dunkel  und  hatten  meist  skjägluggar.  Wo  es  anging,  war  ein  Gang 
(ranghall)  bis  zum  Wasser  gebaut;  man  errichtete  deswegen  den  Stall  am 
liebsten  au  einem  Bach  und  liess  diesen  durch  das  äusserste  Ende  des 
Ganges  laufen,  damit  die  Kühe  bequem  zum  Wasser  gelangen  konnten; 
diese  Einrichtung  nannte  man  innibrynning.  Zuweilen  war  die  Heuscheuer 
(hlada,  heyhlada)  an  den  Kuhstall  angebaut  und  durch  eine  Thür  mit  ihm 
verbunden;  fehlte  die  Scheuer,  so  befand  sich  an  ihrer  Stelle  wie  auch 
bei  den  Schafställen  (fjärhüs)  eine  zur  Aufnahme  des  Heuhaufens  bestimmte 
Umwallung  (fjöstöpt,  heytöpt). 

IL    Die  Kleidung. 

Die  Werkeltagskleidung  der  Männer  bestand  um  das  Jahr  1830  in 
einem  Wollhemd,  gestrickten  Unterbeinkleidern,  beides  gewöhnlich  weiss, 
einer  gestrickten  Unterjacke  (nasrpeysa;  naer  nah,  peysa  =  Jacke),  die 
meist  blaugrau  und  vorn  zugeknöpft  oder  =  gehakt  war,  Weste  und  Fries- 
hosen (vadmälsbuxur).  Weste  und  Hosen  waren  entweder  indigoblau, 
schwarzgefärbt  oder  auch  „schafschwarz"  (saudsvört).  Die  Unterjacke 
wurde  meist  unter  der  Weste  getragen.  Bei  der  Heuernte  trugen  die 
Männer  gewöhnlich  nur  Hemd,  Weste  und  Unterhosen  (naerbuxur  oder 
naerbrök),  im  Winter  hatten  sie  im  Freien  aber  noch  die  Unterjacke  und 
einen  groben  weiten  Mantel  (ülpa)  und  auf  dem  Kopf  eine  sogenannte 
hetta,  eine  Kappe,  die  man  bis  auf  die  Achseln  herunter  krempen  konnte, 
so  dass  nur  Augen,  Nase  und  Mund  sichtbar  waren.  Eine  andere  Kopf- 
bedeckung, die  winters  im  Hause,  sommers  bei  gutem  Wetter  im  Freien 
getragen  wurde,  war  die  gestrickte  Zipfelmütze  (skotthüfa);  sie  war  dunkel- 
blau und  hatte  —  ebenso  der  Zipfel  —  drei  bis  vier  rote  oder  gelbe  Quer- 
streifen; der  Zipfel  hing  an  der  Wange  herab  und  war  mit  einer  etwa 
•_'  Zoll  langen  roten  oder  gelben  Quaste  versehen.  —  Die  Schuhe  waren 
stets  mit  Wollgarn  überwendlich  bestochen,  doch  nicht  eingefasst,  nicht 
einmal  die  Sonntagsschuhe  oder  die  Schuhe,  welche  die  jungen  Mädchen 
für    die  Bursche  machten,    denen   sie    gewogen    waren;    heutzutage  gehen 


waren.  Von  dem  Eingraben  sagt  der  Probst:  ...Viele  nachlässige  Leute  verfahren  auch 
darin  sehr  saumselig,  dass  sie  beim  Beziehen  alter  Häuser  die  Erde  nur  hinaus  und  an 
die  Wände  oder  in  die  Zwischenräume  zwischen  den  Häusern  (hüsasund)  schaffen  und  sie 
später  dort  nicht  fort  bringen,  und  daher  kommt  es,  glaube  ich,  besonders,  dass  die  Ge- 
höfte fast  überall  in  die  Erde  gegraben  sind,  so  dass  wenig  oder  nichts  hervor  sieht,  als 
allein  das  Dach.""  —  Da  (1820)  begann  man  sie  höher  und  stattlicher  aufzuführen;  man 
schüttete  die  Erde  etwa  1V2  Ellen  hoch  oder  mehr  in  die  alten  Hausfundamente,  so  dass 
der  Fussboden  iu  den  neuen  Häusern  gleich  hoch  mit  dem  Erdboden  draussen  wurde. 
Diese  Erhöhung  hatte  aber  den  Nachteil,  dass  die  Häuser  viel  kälter  wurden  als  früher. 
Nicht  vor  1870  begann  man  diesem  Übel  abzuhelfen,  Öfen  in  die  badstofur  zu  setzen  und 
Keller  zur  Aufbewahrung  von  Lebensmitteln  zu  graben,  doch  nicht  an  vielen  Orten." 


242  Lenmann-Filhes : 

sogar  die  Schafhirten  in  eingefassten  Schuhen  und  noch  dazu  an  Werkel- 
tagen. ') 

Im  ersten  Viertel  des  Jahrhunderts  trug  man  statt  der  Weste  ein 
„bolur"  genanntes,  ärmelloses  Kleidungsstück,  ferner  kurze  Hosen  (stutt- 
buxur),  die  bis  unter  das  Strumpfband  reichten  und  an  der  Aussenseite 
bis  zum  Knie  hinauf  einen  zugeknöpften  Schlitz  hatten,  und  die  mussa, 
eine  Jacke,  die  bis  unter  die  Hüfte  hinab  ging.2)  Aus  einem  Verse  der 
Dichterin  Sigridur  Gunnlaugsdöttir,  der  zwischen  1820—30  verfasst  ist, 
kann  man  schliessen,  dass  um  diese  Zeit  die  mussa  der  treyja  Platz  ge- 
macht   hatte3),    denn    in    dem  Verse  wird  einem  Mädchen  vorgehalten,    es 

1)  Vom  isländischen  Schuh  sagt  Niels  Horrebow  in  seinem  Buche  „Zuverlässige 
Nachrichten  von  Island"  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts:  .Männer-  sowohl  als  Weiber- 
schuhe, welche  alle  vom  Frauenzimmer  genehet  werden,  sind  gemeiniglich  von  Ochsen- 
häuten gemacht,  oder  auch  in  Ermangelung  derselben  von  Schafsfellen,  welche  sie  selbst 
bereiten,  indem  sie  nur  die  Haare  oder  Wolle  abschaben,  hernach  die  Häute  oder  Felle 
trocknen  und  solche,  wenn  sie  Schuhe  davon  neben  sollen,  erst  iu  Wasser  wieder  aus- 
weichen. Die  Schuhe  sind  also  gemacht,  dass  sie  nett  um  die  Füsse  schliessen,  ohne 
Absätze.  Aus  Schafsfellen  werden  einige  ganz  dünne  Riemen  geschnitten,  deren  zwey  von 
den  Hinterstücken  des  Schuhes  abgehen  und  forne  über  den  Reihen  zugebunden  werden: 
zweene  andere  aber  von  jeder  Seite,  wo  unsere  Schnallenriemen  sitzen,  werden  oben  über 
dem  Fussblat  gebunden u  —  Diese  Machart  des  Schuhes,  nämlich  aus  einem  einzigen 
Stück  ungegerbter  Haut,  ist  noch  jetzt  in  Island  üblich. 

2)  Ö.  S.:  Die  mussa  muss  etwa  1780—90  aufgekommen  sein:  sie  war  meist  aus 
schwarzgefärbtem  grobem  vadmäl,  ohne  Kragen  und  vorn  breit  übereinander  geknöpft. 
Die  Ärmel  hatten  einen  Schlitz  mit  3  Knöpfen;  jedes  Knopfloch  an  den  Ärmeln  war  in 
einem  dreieckigen  Blatt  angebracht.  1820  ungefähr  kamen  sie  aus  der  Mode.  Der  bolur, 
auch  Brusttuch  (brjöstadükur)  genannt,  war  ebenfalls  ohne  Kragen  und  hatte  eine  rote  oder 
grüne  Einfassung  am  Halse  und  an  den  Rändern  und  Knopflöcher  von  derselben  Farbe. 
Weil  der  Kragen  fehlte,  trug  man  um  den  Hals  zwei  Tu-, her,  eines  über  dem  andern;  das 
innere  dieser  Tücher  hatte  man  später  aus  weisser  Leinewand  und  liess  es  oben  ein  wenig 
hervorsehen,  bis  gegen  1840  die  weissen  Kragen  in  die  Mode  kamen.  Die  Strümpfe  (sokkar) 
reichten  sehr  hoch  hinauf,  waren  weiss,  braun  oder  blaumeliert  und  hatten  oft  drei  dunkele 
Streifen  etwas  unterhalb  des  Randes.  Dazu  gehörten  prächtige  Strumpfbänder  (sokkabönd), 
die  die  Frauen  bis  1830,  wo  die  hohen  Strümpfe  abkamen,  „auf  ihrem  Fusse  zu  weben" 
(ad  vefa  ä  foeti  sinum)  pflegten  (wobei  der  Fuss  das  Ende  des  Aufzuges  fest  hielt).  Die 
Strumpfbänder  waren  stets  „frunsuofin"  (mit  Franzen  gewebt),  wie  man  es  nannte;  einige 
mit  verschiedenfarbigen  Karos  (tiglabönd;  tigl  =  Ziegelstein),  andere  mit  Kreuzen  (krossa- 
bönd);  erstere  waren  die  beliebteren. 

3)  Ü.  S.:  Um  1810  kamen  die  kurzen  Jacken  (treyjur)  und  die  kurzen  Westen  auf, 
dazu  die  langen  Hosen  (langbuxur),  die  zu  allererst  gestrickt  und  eng  waren;  bei  einem 
Manne  sah  der  Verfasser  sie  mit  hellblauen  Streifen.  Bald  wurden  sie  aber  aus  vadmäl 
und  gehörig  weit  gemacht.  Sie  reichten  jetzt  auch  höher  hinauf  und  damit  kamen  die 
Achselbänder  auf,  die  meist  spjaldofin  (d.  h.  mit  kleinen  viereckigen  Brettern  (spjöld)  ge- 
webt) waren,  was  die  Frauen  damals  sehr  gut  verstanden.  (Näheres  darüber  wird  im 
V.  Abschnitt  mitgeteilt  werden.) 

„Gleichzeitig  mit  dieser  Veränderung,  oder  in  den  Jahren  1810—20  kamen  die  Taschen- 
tücher (vasaklütar)  auf,  die  Josephine,  Gemahlin  Napoleons  I.,  in  Frankreich  in  die  Mode 
gebracht  haben  soll;  sie  sind  also  wunderbar  schnell  hierher  (d.  h.  nach  Island)  gekommen. 
Doch  muss  man  die  Geistlichen  ausnehmen,  nach  dem,  was  sira  Hallgrimur  Petursson  in 
den  Lögbökarvisar  (Gesetzbuchstrophen)  sagt:  „„Die  Pfarrer  wischen  sich  Brot  und  Brannt- 
wein  mit  blauen  Tüchern  vom  Barte  ab.""     Ebenso  sagt  Sigurdur  mälari  (der  Maler)  im 


Kulturgeschichtliches  aus  Island.  243 

sei  besser,  einen  Mann  in  der  mussa,  als  einen  Schurken  in  der  treyja 
zu  heiraten.  Die  treyja  war  sehr  kurz,  besonders  hinten,  so  dass  sie  kaum 
die  Mitte  des  Körpers  erreichte.  In  den  vierziger  Jahren  gehörte  sie 
allgemein  zum  Sonntagsanzuge  der  Männer,  doch  sah  mau  auch  dann  und 
wann  in  der  Kirche  und  bei  Festlichkeiten  einen  in  dunkelblauer  gestrickter 
Jacke  (prjöuapeysa)  mit  silbernen  Knöpfen,  die  jedoch  meist  offen  gelassen 
wurde  und  die  Weste  sehen  liess.  Zur  Sonntagskleidung  gehörte  auch  ein 
schornsteinähnlicher  hoher  Filz-  oder  Baumwollenhut,  unter  dem  bei  alten 
Männern  das  Haar  bis  auf  die  Schultern  hing,  was  sehr  eigentümlich  aus- 
sah. ')  Auch  mit  seidenen  Halstüchern  wurde  Staat  gemacht;  bei  jungen 
Burschen  waren  sie  violfarbig  gestreift,  bei  älteren  Leuten  dunkel.  Kein 
Mann  aus  dem  Volke  ging  in  Stiefeln,  selbst  Wasserstiefel  waren  selten. 
Westen  oder  Jacken  von  Tuch  (klaedi)  galten  für  unnützen  Prunk;  mit 
Kleidern  aus  dunkelblauem  grobem  vadmäl  war  jeder  zufrieden,  melierter 
vadmäl  oder  feinere  Arten  desselben  (dükur  oder  einskepta),  mehrfarbig 
oder  gestreift,  wurden   damals  noch  nicht  geweht. 

Die  tägliche  Tracht  der  Frauen  bestand  über  den  Unterkleidern  aus 
einem  Rock  (pils)  und  einem  Leibchen  (upphlutur  =  oberer  Teil;  im  Nord- 
lande kot).  Letzteres  war  meist  am  Rock  befestigt;  durch  Achselbänder 
wurde  es  oben  gehalten;  auf  dem  Rücken  waren  drei  Besatzstreifen  aus 
geblümtem  Sammet  «»der  geklöppelten  (wahrscheinlich  wollenen)  Spitzen, 
ein  gerader  in  der  Mitte,  zwei  gebogene  an  den  Seiten.  Vorn  war  das 
kot  mit  kupfernen  oder  silbernen  Ösen  (millur)  versehen,  und  wurde  mit  einer 
messingnen  oder  silbernen  Kette  mittels  daran  befindlicher  Nadel  zugeschnürt. 
Hinter  den  Ösen  entlang  gingen  bestickte  Sanimetborten,  die  oft  von  Zacken 
aus  Gold-  oder  Silberfaden,  auch  wohl  breiten  silbernen  Tressen  eingefassi 
waren;  diese  reichere  Ausstattung  gehörte  jedoch  hei  geringeren  Leuten 
nur  zum  Feststaat.  Bei  der  ArbeH  im  Breien  trug  das  Weibervolk  über 
dem  kot  eine  Art  .Mantel  (ülpa  oder  hempa),  hei  ganz  schlimmem  Winter- 
wetter aber  Mänuerkleidung. ") 


Katalog  der  Altertum ersatnmlung,  dass  unter  No.  666  ein  Pfarrer  im  Priestergewandc 
(hempa)  mit  einem  grossen  Schnupftuch  (snytuklütur)  in  der  rechten  Hand  zu  sehen  sei, 
und  hält  dafür,  dass  das  Bild  um  1700  oder  etwas  früher  hergestellt  wurde.  Die  Geist- 
lichen haben  also  im  17.  Jahrhundert  blaue  Taschentücher  gehabt;  ob  sie  aber  Schnupf- 
tücher oder,  wie  später  die  weissen  Tücher,  ein  Zubehör  zur  Amtstracht  gewesen  sind, 
lässt  sich  nicht  entscheiden." 

1)  0.  S.:  „Ich  entsinne  mich  auch  noch  zweier  anderer  Kopfbedeckungen,  die  ich  an 
alten  Männern  sah,  als  ich  juug  war;  es  waren  Pelzmützen  und  dunkelblaue  gestrickte 
Mützen  mit  langem  Zipfel  und  einer  etwa  4  Zoll  langen,  baumwollenen  Quaste.  Sigurdur 
mälari  erwähnt  ihrer  in  seiner  Schrift  über  die  Prauentracht  und  sagt,  aus  ihnen  habe 
sich  die  Frauenmütze  (kvennhüfa)  gebildet,  die  später  nach  und  nach  kleiner  geworden  sei." 

2)  0.  S.  erwähnt  „schafschwarzer",  gut  gewalkter  Strickröcke  (prjönapils)  mit  drei 
hellblauen  Streifen  unten  herum;  sie  seien  von  vielen  Mädchen  bei  der  Heuernte  getragen 
worden. 


244  Lehmann-Filhes: 

Die  gewöhnlichste  Festtracht  der  Frauen  war  Jäckchen  (peysa)  und 
Mütze  (hüfa).  Die  peysa  war  gestrickt  und  am  Halse  sehr  niedrig-,  weshalb 
man  unter  derselben  Schultern  und  Brust  mit  einem  Tuch  (klütur)  um- 
hüllte: darüber  wurde  ein  zweites  geblümtes  oder  gestreiftes,  meist  seidenes 
Tuch  getragen,  man  faltete  es  dreieckig  zusammen,  legte  es  auf  der  Brust 
über  kreuz  und  befestigte  alle  drei  Zipfel  mit  Nadeln.  Um  den  Hals 
knüpfte  man  ein  geblümtes  seidenes  Tuch  mit  einem  Knoten  zusammen 
und  legte  die  Zipfel  auseinander.  Mit  nichts  konnte  man  sich  bei  jungen 
Mädchen  so  in  Gunst  setzen,  wie  mit  schönen  seidenen  Tüchern.  —  Die 
hüfa  hatte  wie  jetzt  eine  Quaste  (sküfur),  meist  von  dunkler,  doch  wohl 
auch  von  schön  grüner  Farbe;  der  (von  der  Mitte  der  runden  Mütze  aus- 
gehende) Schwanz  war  von  einer  silbernen  röhrenförmigen  Hülse  (hölkur) 
umgeben,  in  Ermangelung  des  hölkur  aber  mit  silberner  oder  vergoldeter 
Tresse  umwickelt.  Eine  hüfa  mit  einem  silfurhölkur  konnte  auch  an 
AYerkeltagen  getragen  werden.  Der  zur  Festkleidung  gehörige  Rock  war 
aus  dunkelblauem  vadmäl,  zuweilen  unten  mit  grünem  oder  rotem  Tuch 
verbrämt;  die  Schürze  (svunta),  viel  schmäler  als  jetzt,  wTar  von  aus- 
ländischem glattem  Stoff  (dükur;  daher  düksvunta)  und  hatte  andersgefärbte 
Streifen  von  oben  nach  unten;  nur  Alltagsschürzen  waren  aus  inländischem 
Zeuge.  Die  Schuhe  waren,  wie  die  der  Männer,  nicht  eingefasst,  sondern 
nur  bestochen;  ringsum  am  Rande  entlang,  ausser  über  der  Fussspitze, 
waren  Riemen  eingezogen,  über  den  Spann  gelegt  und  gebunden.  Bei  den 
Sonntagsschuhen  waren  diese  Bänder  aus  gegerbtem  Leder  (eltiskinn)  und 
eitle  Mädchen  waren  darauf  bedacht,  dass  sie  recht  weiss  waren  und  über 
dem  Spann  möglichst  glatt  lagen. 

Die  Kirchentracht  (altarisbüningur)  war  gewöhnlich  ein  besonderer 
Anzug  und  von  verschiedener  Art.  Manche  gingen  in  dem  alten  isländischen 
Anzüge  mit  dem  weissen,  nach  vorn  gebogenen  Kopfputz  (krökfaldur; 
krökur  =  Haken,  faldur  =  eine  bestimmte  Art  von  Kopfputz).  Das  Haar 
wurde  aufgesteckt  und  der  faldur  mit  Nadeln  darin  befestigt.  Dann  wurde 
ein  seidenes  Tuch  um  den  Kopf  gebunden,  wodurch  alles  Haar  und  das 
untere  Ende  des  faldur  verhüllt  wurde;  das  Tuch  wTurde  so  gelegt,  dass 
die  Stirn  in  der  Mitte  bis  zu  den  Haarwurzeln  frei  blieb,  dies  nannte  man 
„ad  skauta  blesu"  (skauta  =  sich  mit  einem  skaut  (Kopfputz)  schmücken; 
blesa  =  die  Blässe  bei  Pferden).  Zuweilen  wurde  ein  zweites  Tuch  über 
das  erste  gebunden,  so  dass  die  „Blässe"  verschwand;  dieses  Tuch  nannte 
man  „skyla  (Hülle,  Schutz).1)     Um  den  Hals  war  ein  steifer,  nicht  breiter, 


1)  Ö.  S.:  „Der  faldbüningur  (d.  li.  der  Anzug,  zu  dem  der  faldur  getragen  wurde, 
also  die  Festtracht)  war  bekanntlich  die  Hauptvolkstracht  der  Frauen  hier  zu  Lande  seit 
dessen  Besiedelung.  Hier  im  Skagafjördur  war  er  ebenfalls  die  Festtracht  vieler  älterer 
Frauen  bis  gegen  1840  und  einige  Vornehmere  hielten  an  ihm  fest  bis  über  1860  hinaus 
oder  bis  der  neue  kleine  faldur,  den  Sigurdur  malari  aufbrachte,  hier  von  dem  jüngeren 
Weibervolk  angenommen  wurde.  Also  wurde  der  faldbüningar  hier  niemals  ganz  abgelegt 
und   jetzt  wird  hier  kaum  irgend  ein  Mädchen  anders  konfirmiert  oder  verheiratet  als  im 


Kulturgeschichtliches  aus  Island.  245 

gewöhnlich  samraetner  gestickter  Kragen.  Die  Staatsjacke  (skauttreyja)  war 
entweder  aus  Tuch  oder  vadmäl  und  auf  der  Brust  zugenestelt;  an  den 
Rändern  entlang  liefen  hinter  den  Nesteln  sammetne,  mit  Silber-  oder  Gold- 
faden bestickte  Borten  oder  breite  silberne  oder  vergoldete  Tressen.  Auf 
dem  Rücken  war  die  Jacke  in  derselben  Weise  besetzt  wie  das  Leibchen 
(kot).  Der  faltige  Rock  (samfella)  aus  vadmäl,  Tuch  oder  geblümtem 
Damast  war  unten  mit  wollenen  geklöppelten  Spitzen  oder  buntgeblümten 
Sammetborten  besetzt.  Um  die  Taille  ging  ein  Gürtel,  entweder  aus 
zusammengekettelten  silbernen  Spangen  oder  aus  gold-  oder  silbergesticktem 
Tuch  oder  Sammet.  Eine  silberne  Schnalle  hielt  ihn  vorn  zusammen 
und  darüber  war  ein  silberner  Knopf,  zuweilen  aus  Filigran  mit  einem 
oder  mehreren  hängenden  Blättern.  Manche  Frauen  trugen  entweder  an 
Stelle  der  skauttreyja  oder,  besonders  auf  Reisen,  über  derselben  eine 
hempa;  sie  reichte  bis  unter  die  Kniee  herab,  lag  dem  Körper  an  und 
hatte  vorn  herunter,  wo  sie  zugehakt  war,  mit  Litze  besetzte  Plüschborten 
und  unten  an  den  Ärmeln  Sammet.  —  Viele  Frauen  gingen  bei  fest- 
lichen Gelegenheiten  in  einem  sogenannten  dänischen  Anzüge,  der  jedoch 
nicht  sehr  modern  sein  konnte,  da  Kleid  und  Hut  gewöhnlich  lebens- 
länglich dieselben  blieben.  Ganz  vereinzelt  sah  man  auch  „Stiefelschuhe" 
(stigvelaskor);  man  nannte  sie  „schwarze  Schuhe"  (svartaskör).  Es  galt 
für  sehr  ungeziemend,  sie  zu  tragen.  und  die  Worte:  ..Sic  geht  in  schwarzen 
Schuheir'  (luin  gengur  ä  svartasköm)  bezeichneten  die  ausgesuchteste 
weibliche  Hoffahrt,  ausser  wenn  von   Vornehmen  die  Rede  war. 

Alle  diese  Trachten,  mit  Ausnahme  von  hüfa  und  peysa,  sind  jetzt 
wahrscheinlich  fast  ganz  verschwunden,  nur  einzelne  alte  Frauen  halten 
noch  daran  fest. 

Das  Haar,  eine  der  schönsten  Zierden  der  Frauenwelt  (und  namentlich 
der  isländischen),  wurde  von  den  jungen  Mädchen  von  jeher  mit  grösster 
Sorgfalt  gepflegt  und  kam  vor  40  Jahren  noch  bedeutend  mehr  zur  Geltung 
als  jetzt,  weil  man  es  damals  nicht  flocht,  sondern  es  lose  (slegid)  trug.  Es 
wurde    zu    diesem  Zweck    in    drei  Teile    geteilt,    sodann   die  Spitze  jedes 


faldbüniiigur.  —  Bis  gegen  das  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  trugen  die  Frauen  jeden 
Tag  einen  faldur,  doch  habe  ich  nie  erfahren,  wie  dieser  Alltags-faldur  gewesen  ist.  Eine 
alte  Frau  aber,  die  bis  1801  in  Skagi  bei  einer  gutsituierten  Bauersfrau  erzogen  worden 
war,  erzählte  mir,  ihre  Pflegemutter  habe  sich  jeden  Morgen  mit  zwei  weissen  Linnen- 
tüchern geputzt  (skautad),  die  sie  so  geschickt  um  den  Kopf  wand,  dass  ein  faldur  daraus 
wurde,  doch  war  es  wohl  nur  ein  sveigur  und  kein  krökfalduiv  (Wahrscheinlich  meint 
Niels  Horrebow  etwas  derartiges,  wenn  er  sagt:  „Um  den  Kopf  winden  sie  ein  grosses 
weisses  Schnupftuch  von  grober  Leinwand,  und  darüber  ein  feineres,  welches  wie  ein  Zopf 

in  die  Höhe  stehet Darum  winden  sie  ein  schön  seiden  Schnupftuch  (zum  täglichen 

Gebrauch  und  bey  den  Armen  ist  es  von  Cattun.)  eine  Hand  breit  unten  bey  dem  Angesicht.") 
„Im  neuen  Jahrhundert  begannen  die  Frauen  sich  mit  zwei  dunkelfarbigen  Tüchern  zu 
koiffieren;  das  nannte  man  klütaskaut  aber  nicht  faldur,  denn  die  weisse  Farbe  war  das 
Hauptmerkmal  des  letzteren.  Dieses  klütaskaut  stand  nach  hinten  gerade  empor  und 
wurde  nach  oben  immer  dünner.    Alte  Frauen  trugen  es  bis  über  das  Jahr  1830  hinaus." 


2  |  ( ;  Lehmann-Filhes : 

dieser  Haarstränge  in  die  Höhe  genommen  und  unter  der  hüfa  befestigt, 
eine  hinten  und  eine  au  jeder  Wange,  so  dass  die  Haarschleifen  in  Wellen 
um  Achseln  und  Schultern  hingen.  Zuweilen  auch  wurde  die  Spitze  des 
hinteren  Haarstrauges,  der  gewöhnlich  der  dickste  war,  in  den  Halsaus- 
schnitt der  peysa  gesteckt  und  dann  breitete  sich  die  Schleife  über  den 
Rücken  aus,  was  sehr  schön  aussah. 

Die  Bettstücke  beim  gemeinen  Volk  waren  Unterbett,  Kopfkissen, 
Laken  und  Decke.  In  den  beiden  ersteren  waren  Federn;  der  Überzug 
war  oft  im  Hause  gewebt,  aus  vadmal  oder  gestreiftem  glattem  Wollzeuge 
(einskepta),  zuweilen  aber  auch  aus  gegerbtem  Leder  oder  aus  dicker 
Leinwand  (boldang).  Das  Laken  war  immer  aus  vadmal;  Deckbetten 
waren  selten;  selbst  in  wohlhabenden  Häusern  gab  es  gewöhnlich  nur  zwei, 
eines  für  das  Gastbett,  eines  für  den  Hausherrn  und  seine  Frau.  Meist 
aber  schliefen  alle  ohne  Unterschied  unter  Decken,  die  dick  und  fest 
gewebt  waren. 

Aus  allem  ersieht  man,  dass  die  Kleidung  und  alle  Stoffe  in  damaliger 
Zeit  einfacher  waren  als  jetzt  und  fast  ausschliesslich  aus  einheimischem 
Gewebe.  Tuch  und  Baumwollen stoffe  waren  höchst  selten,  leinene  Hemden 
hatte  man  höchstens  zum  Staat  und  wo  sich  leinenes  Bettzeug  fand,  lag 
es  in  der  Lade  und  wurde  nur  für  vornehme  Gäste  herausgenommen.  Das 
Nähgarn  war  meist  aus  Wolle  (hrädur  =  w.  Garn);  man  vermied  so  viel 
als  möglich,  ausländische  Ware  zu  kaufen. 

III.  Die  Reinlichkeit. 
In  keiner  Sache  ist  seit  der  Mitte  des  Jahrhunderts  ein  so  erfreulicher 
Fortschritt  zu  bemerken  wie  hinsichtlich  der  Reinlichkeit.  Dies  liegt 
grossenteils  daran,  dass  früher  manche  mangelhafte  Einrichtung  bestand, 
die  eine  rechte  Sauberkeit  fast  unmöglich  machte.  Bevor  das  Petroleum 
nach  Island  kam,  was  jetzt  30  Jahre  her  ist,  brannte  man  auf  dem  Lande 
überall  Thran  (lvsi;  das  Wort  bedeutet  auch  „Lichtschein",  „Erleuchtung'1) 
und  Pferdefett  in  kupfernen  und  eisernen  Lampen;  als  Docht  hatte  man 
Wollgras  (fifa  Eriophorum).  Die  Flamme  davon  war  rot  und  sehr  trübe 
und  qualinte  stark,  was  alten  Leuten  Beklemmungen  verursachte.  Jetzt 
brennt  in  der  ärmlichsten  Hütte  an  Winterabenden  eine  helle  gute 
Petroleumlampe.  Von  dem  Lampenblak  färbte  sich  die  badstofa  von 
unten  bis  oben  schwarz  und  blieb  auch  so,  denn  nie  wurden  Wände  und 
Decke  gewaschen,  was  da,  wo  keine  Bretterbekleidimg  vorhanden  war, 
sich  allerdings  nicht  thun  Hess;  nur  mit  einem  Reisbesen  fegte  man  sie 
zuweilen  ab.  Der  Fussboden  wurde  selbst  da,  wo  er  gedielt  war,  nur 
selten  und  unvollkommen  gereinigt  und  so  konnte  es  geschehen,  dass  sich 
von  einer  gewissen  Helga,  die  mit  ihrem  Manne  Hjalmar  ein  Gehöft  in 
der  Hünavatnssysla  bewohnte,  im  ganzen  Skagafjördur  die  Kunde  ver- 
breitete, sie  lasse  ihren  Fussboden  jeden  Sonnabend  scheuern. 


Kulturgeschichtliches  aus  Island.  247 

Zwischen  1840  und  1850  war  das  gewöhnlichste  Speisegefäss  des 
Volkes  der  askur1),  der  noch  jetzt  viel  benutzt  wird,  ausserdem  hatte  mau 
auch  trebollar  (hölzerne  Teller  mit  vier  Ecken)  für  festere  Speisen.  In 
Treibholzgegenden,  besonders  Hornstrandir  und  Skagi  am  Skagafjördur, 
wurden  im  Winter  viele  solche  Gegenstände  verfertigt  und  durch  herum- 
ziehende Händler  weit  im  Umkreise  verkauft.  Für  Gäste  hatte  man  auch 
wohl  Schüsseln,  Teller  und  Kannen  aus  Zinu  und  in  manchen  Häusern 
einiges  Geschirr  aus  Thon.  Zum  Sammeln  und  Aufbewahren  des  skyr2) 
fertigte  man  ein  Gefäss  aus  Treibholz,  das  man  sär  (Zuber)  nannte;  alle 
Eimer,  Milch  tröge,  Fässer  u.  s.  w.  waren  einheimische  Arbeit  und  gewöhnlich 
mit  hölzernen  Keifen  versehen,  während  man  dergleichen  jetzt  vielfach 
aus  den  Kauforten  als  Blechware  bezieht.  Leider  aber  wurde  die  bei 
Holzgefässen  doppelt  nötige  Reinlichkeit  sehr  vernachlässigt;  der  askur 
wurde  oft  dem  Hunde  vorgesetzt,  nachdem  man  daraus  gegessen  hatte, 
und,  wenn  dieser  ihn  ausgeleckt  hatte,  nicht  weiter  gereinigt.  Es  wurde 
sogar  als  eine  Beleidigung  empfunden,  wenn  der  Hund  diesen  ihm  zu- 
gedachten Genuss  verschmähte;  von  einer  alten  Almosenempfängerin,  deren 
askur  der  Hund  nicht  auslecken  wollte,  ist  die  Äusserung  überliefert:  „Ich 
glaube,  die  verfluchten  Hunde  wissen  so  gut  wie  alle  anderen,  wes  Standes 
ich  bin."  Als  die  Leute  zu  ahnen  begannen,  dass  der  Blasenwurm  (Echi- 
nococcus) durch  die  Hunde  verursacht  würde,  und  "die  Hausherren  diese 
Sitte  zu  tadeln  begannen,  wurde  ihnen  oft,  besonders  vx>n  älteren  Leuten, 
entgegnet:  „Ich  bin  nicht  ungesünder  als  andere  uud  habe  doch  den  Köter 
meinen  askur  auslecken  lassen."  Einige  sollen  sogar  den  Glauben  gehegt 
haben,  dass  sie  hungriger  würden,  wenn  der  askur  oder  der  Teller  ge- 
waschen würde.  Natürlich  waren  nicht  alle  Wirtschaften  gleich  unreinlich 
und  überall  war  Weihnachten  ein  wahres  Reinlichkeitsfest.  Da  wurde 
das  Hängefleisch  (hangikjöt)  gekocht  und  mit  dem  Sud  alle  Gefässe  und 
zuletzt  die  Bettstellen  und  Wandbretter  gewaschen.  Heutzutage  steht  die 
Reinlichkeit  in  diesen  Dingen  auf  einem  ganz  befriedigenden  Standpunkt 
und  von  der  oben  geschilderten  Unsitte  sind  die  letzten  Reste  im  Ver- 
schwinden begriffen. 

Ein  anderer  Übelstand  warder,  dass  Seife,  die  jetzt  massenhaft  gekauft 
wird,  damals  noch  sehr  wenig  in  Anwendung  kam  und  das  an  ihrer  Stelle 
gebräuchliche  Ersatzmittel,  wenn  auch  für  wollene  Sachen  gewiss  recht 
praktisch,  doch  nichts  weniger  als  appetitlich  war,  besonders  wenn  es  auch 
zur  Reinigung  der  Hände  dienen  musste.  Freilich  wurde  mit  dem  in 
Island    so    reichlich    vorhandenen    herrlichen  Wasser    fleissig    nachgespült. 


l)«Ein  kleines  hölzernes  Gefäss  aus  Böttcherarbeit  mit  geschnitztem  Deckel,  der  wie 
an  unseren  Bierkrügen  mit  einem  Gelenk  am  Henkel  befestigt  ist,  für  eine  Portion  Suppe 
oder  Brei. 

2)  Skyr  besteht  aus  zusammengelaufener  Milch,  von  der  die  Molken  abgelaufen  sind, 
und  kann  lange  aufbewahrt  werden. 


248  Lehmann-Filhes: 

So  mangelhaft  nun  auch  die  Sauberkeit  im  ganzen  beschaffen  gewesen 
sein  mag,  so  galt  es  doch  stets  als  eine  Schande,  ungewaschen  und  un- 
gekämmt in  die  Kirche  zu  kommen;  wo  gegen  diesen  Grundsatz  Verstössen 
wurde,  war  der  Schuldige  gewiss  ein  Mann,  da  die  Frauen  weit  mehr  auf 
ein  reinliches  und  nettes  Äusseres  sahen.  Der  grosse  und  erfreuliche 
Umschwung,  der  sich  in  Dingen  der  Reinlichkeit  seither  in  Island  voll- 
zogen hat,  ist  gewiss  zum  grossen  Teil  dem  Umstände  zu  danken,  dass 
sich  die  obersten  Schulen  des  Landes  jetzt  in  Reykjavik  befinden.  Dort 
lernen  die  Schüler,  die  künftigen  Führer  des  Volkes,  die  Vorzüge  der 
Sauberkeit  kennen  und  schätzen  und  es  erwacht  bei  ihnen  das  Gefallen 
an  gutgebauten  Häusern,  höfilichem  Benehmen,  netter  Kleidung  und 
Reinlichkeit,  und  dieses  Gefühl  impfen  sie  nach  und  nach  denen  ein,  mit 
denen  sie  später  in  den  ländlichen  Bezirken  zu  thun  und  umzugehen  haben. 

IV.  Die  Nahrung. 
Die  tägliche  Kost  hat  sich  in  letzter  Zeit  wesentlich  verändert.  In 
des  Verfassers  frühster  Jugend  trank  man  Kaifee  nur  des  Morgens  nach 
dem  Aufstehen.  In  der  Zeit  der  Heuernte  wurden  in  besseren  Häusern 
folgende  Mahlzeiten  gereicht:  morgens  um  6  Uhr  (midmorgun)  der  litli 
skattur1),  bestehend  aus  skyr  und  Milch;  um  12  Uhr  mittags  (hädegi)  der 
skattur,  nämlich  Fisch  und  Butter  und  nachher  skyr  und  Milch  oder  hrae- 
ringur2)  mit  Milch;  die  Mittagsmahlzeit  (middegismatur)  nach  3  Uhr  (nun) 
war  ebenso  beschaffen  wie  die  vorige;  wo  aber  spad  (gesalzene  Stücke 
Hammelfleisch)  vorhanden  war,  wurde  oft  spadsüpa  gereicht.  Die  Abend- 
mahlzeit wurde  vor  dem  Schlafengehen  genossen  und  bestand  aus  hraeringur 
und  Milch  oder  sogenannter  mjölmjölk  (Mehlmilch).  Brot  wurde  nur  beim 
Binden  des  Heus  mittags  zum  Fisch  gereicht;  es  wurde  als  die  grösste 
Delikatesse  betrachtet,  auf  die  besonders  die  Kinder  sich  lange  vorher 
freuten.3)  In  den  anderen  Zeiten  des  Jahres  war  die  Beköstigung  nicht 
ganz  so  reichlich,  doch  gab  es  im  Winter  öfter  spadsüpa  und  auch  grjona- 
mjulk  (Graupenmilch),  d.  h.  in  Milch  gekochte  Gerstengraupen.  In  der 
Schlachtzeit  hatte  man  oft  frisches  gekochtes  Fleisch  (slätur  =  Geschlachtetes) 
und    an    der  See   im  Herbst  und  Frühling  gekochten  Fisch  (sodning),    im 


1)  Litli  skattur,  wörtlich  „der  kleine  Schatz";  doch  ist  skattur  nach  Cleasby  und 
Vigfüsson,  Isl.-Engl.  Wörterbuch,  wahrscheinlich   verdorben   aus   skamtur  =  Anteil,  Portion. 

2)  Hrrcringur  (von  hrsera  =  rühren),  ein  in  Island  gewöhnliches  Gericht,  aus  skyr  und 
Wassergrütze  zusammengerührt,  wird  mit  Milch  gegessen. 

3)  Nach  Ö.  S.  wurde  bei  wohlhabenderen  Bauern  als  Morgenmahlzeit  eine  Suppe 
aus  Milch,  Mehl  und  zerschnittenen  Rüben  (rüfur  oder  nsepur)  gereicht,  die  man  nsepna- 
mjölk  nannte.  Auch  Kohlrabi  (gulröfukal)  wurde  in  Suppe  und  Grütze  gethan;  man 
bereitete  ausserdem  ein  Gericht  aus  V,  Kohl,  Va  isländisches  Moos  und  Vi  Roggenmehl 
und  mischte  das  Ganze  mit  skyr.  Die  allgemeine  Abneigung  gegen  alle  Kohlgerichte  mag 
es  verschuldet  haben,  dass  der  schon  recht  blühende  Gartenbau  um  1830  fast  ganz  wieder 
einging  und  erst  nach  1850  sich  wieder  zu  heben  begann. 


Kulturgeschichtliches  aus  Island.  249 

Frühjahr  besonders  hrokkelsi  (Seehase  =  Cyclopterus  lumpns);  arme  Leute 
benutzten  den  Rogen  des  Weibchens,  welches  gräsleppa  genannt  wird,  zu 
Grütze,  indem  sie  ihn  zerstampften  (strokka  =  buttern)  und  mit  Mehl  zu 
einem  Brei  kochten;  man  nahm  saure  Molken  (syra)  hinzu,  um  den  Fisch- 
geschmack zu  beseitigen,  doch  war  dies  Gericht  sehr  unbeliebt,  Auch  zu 
einem  Gebäck  wurde  dieser  Rogen  genommen,  indem  man  ihn  mit  Mehl 
zusammenknetete.  —  Im  Frühling  fing  man  im  Skagafjördur  viele  Vögel 
auf  der  Insel  Drangey  und  verzehrte  sie  teils  sogleich,  teils  räucherte, 
salzte  oder  säuerte  man  sie  (sürsa;  wahrscheinlich  legte  man  sie  in  syra). 
Die  Grütze,  die  man  unter  das  skyr  mischte,  war  gewöhnlich  „Gräser- 
grütze" (grasagrautur;  gras,  pl.  gros,  abgek.  aus  fjallagrös,  Berggräser  = 
isländisches  Moos).  Die  „Gräser"  wurden  in  lauwarmem  Wasser  gewaschen, 
wobei  man  alle  Unreinigkeiten  oben  abschöpfte,  dann  im  „Gräserkasten" 
(grasastokkur)  mit  dem  „Gräsereisen"  (grasajärn)  geschnitten  und  in  den 
Topf  gethau,  in  welchem  man  schon  Mehl  eingerührt  hatte;  beim  Verspeisen 
dieses  Gerichts  musste  man  aber  sehr  geduldig  sein,  weil  noch  mancherlei 
Moose  und  dergl.  darin  zurückgeblieben  waren  und  ausgespuckt  weiden 
mussten.1)  Auch  in  Milch  kochte  man  die  „Gräser"  zu  der  sogenannten 
Gräsermilch  (grasainjölk).  —  Eine  alte,  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts 
geborene  Frau,  Kristin  Jönsdöttir,  erzählte  dem  Verfasser,  in  ihrer  Jugend 
hätten  arme  Leute  niemals  Brot  und  selten  Grütze  zu  schmecken  bekommen: 
die  Knochen  der  Fische,  z.  B.  aus  Dorschköpfen,  wurden  so  lange  in 
Wasser  gekocht,  bis  sie  mürbe  und  das  Wasser  eingekocht  war;  dieses 
Gericht  hiess  brudning  (von  brydja  =  stark  kauen?),  aber  mir  der  Hunger 
soll  es  geniessbar  gemacht  haben.  Die  Knochen  von  Schafen  und  grösserem 
Vieh  wurden  ebenfalls  in  Saures  gelegt  und  gegessen,  wenn  sie  mürbe 
geworden  waren.  Auch  Seehundsfleisch  diente  zu  Zeiten  als  Nahrungs- 
mittel. 

Jedenfals  waren  die  Nahrungsverhältnisse  bei  den  Armen  damals  viel 
schlechter  als  jetzt;  im  späteren  Teile  des  Winters  war  man  oft  ganz  auf 
Milch  angewiesen  und  auch  diese  ging  aus.  wenn  Heumangel  eintrat.  Da 
gab  es  denn  viele  Knechte  und  Tagelöhner,  die  im  Frühling  ihr  spad 
gegen  Schafe  austauschten;  davon  machten  arme  Leute  Gebrauch  und 
begannen  nach  Weihnachten  von  ihren  wenigen  jungen  Schafen  die  meisten 
aufzuessen. 

Weihnachten  (jöl)  war  schon  damals  wie  jetzt  ein  grosses  Freudenfest, 
am  meisten  für  die  Kinder,  nicht  nur  der  Kerzen  w-egen,  die  sie  da 
erhielten    und    die    so    sehr  die  Thranlampcn  überstrahlten,    sondern  auch 


1)  Ö.  S.  schildert  die  Zubereitung  der  „Gräsergrütze"  so,  dass  die  „Gräser"  zuerst 
allein  gekocht  und  durch  Abschäumen  von  alleu  Unreinigkeiten  befreit  wurden,  wonach 
das  Mehl  hinzugethan  wurde.  Sie  wird  noch  jetzt  von  vielen  dem  Brei  aus  blossem 
Roggenmehl  vorgezogen. 


250  Lehmann-Filhes:  Kulturgeschichtliches  aus  Island. 

wegen  der  mancherlei  sonst  so  seltenen  Leckerbissen.  Da  gab  es  auch 
bei  dem  Ärmsten  süssen  Kaffee,  allerlei  Kuchen  (laufabraud,  d.  h.  Blätter- 
brot, nämlich  zackig  ausgeschnittene  Kuchen,  und  lummur,  kleine  Pfann- 
kuchen), Hängefleisch,  Brot  und  Graupengrütze  mit  Sirupsmilch  darüber, 
und  manche  arme  Leute,  an  schmale  Kost  gewöhnt,  thaten  da  des  Guten 
zuviel  und  wurden  davon  krank,  was  man  aber  für  unerlässlich  beim  Feste 
hielt.  Ein  altes  Weib  z.  B.  soll  die  Armut  in  ihrem  Hause  mit  folgenden 
Worten  geschildert  haben:  „So  ist  es  nun  einmal  jetzt  hierin  Skard,  dass 
die  armen  kleinen  Würmer  zu  Weihnachten  nicht  einmal  Leibschmerzen 
bekommen  konnten,  wie  es  doch  sonst  fast  immer  geschehen  ist." 

Sehr  fröhlich  wurde  auch  der  „erste  Sommertag"  (der  Donnerstag 
zwischen  dem  18.  und  25.  April)  begangen;  ausser  gutem  Essen  wurden 
die  „Sommergabeu"  (sumargjafir)  verabreicht,  die  für  die  Kinder  meist  in 
sogenannten  Topfkuchen  (pottkökur,  dünne  Brötchen,  in  einem  eisernen 
Grapen  gebacken)  bestanden.  —  Ausser  den  allgemeinen  Feiertagen  gab 
es  noch  einige  andere,  an  denen  die  Leute  etwas  Besonderes  zu  essen 
bekamen;  da  war  z.  B.  der  Tag,  an  dem  man  mit  der  Heuernte  auf  dem 
tun  (dem  eingehegten  Grasfelde  beim  Gehöft)  fertig  wurde;  mau  erwartete 
von  der  Hausmutter,  dass  sie  alsdann  die  tödugjöld  (tada  =  Heu  vom  tun, 
gjald,  pl.  gjöld  =  Bezahlung)  erlegte,  gewöhnlich  Graupengrütze  mit  Sirups- 
milch, oder  frisches  Fleisch  zur  Suppe.  Allerheiligen  nannte  man  svida- 
messa,  denn  da  gab  es  meist  svid  (gebratene  Schafsköpfe)  zu  essen.  Am 
Fastelabend  (sprengikvöld;  s.  „Isl.  Yolkss.  neue  Folge)  ass  man  Hänge- 
fleisch,  am  dritten  Weihnachts-  und  Ostertage  sowie  am  Tage  Maria  Ver- 
kündigung Bohneu  und  fettes  Fleisch  oder  Fleisch  mit  Brot,  denn  letzteres 
war  immer  ein  Leckerbissen;  wenn  Frauen  „aus  dem  Bette  aufstanden" 
(stigu  af  samg)  thaten  sie  ihren  Leuten  etwas  zu  gute,  gewöhnlich  Fleisch 
und   Brot;  dies  nannte  man  saengurbiti  (biti  =  Bissen). 

In  noch  früherer  Zeit  wurden  in  schlechten  Zeiten,  wie  alte  Leute 
dem  Verfasser  erzählten,  auch  Tang  (fjörugrös;  fjara  =  Strand),  ein  Liehen 
(geitnasköf  =  Liehen  proboseideus),  ferner  die  Wurzeln  von  Silene  acaulis 
(holtanetur;  holt  =  steiniger  Hügel,  rot,  pl.  rsetur  =  Wurzeln)  und  njöla- 
grautur  (njöli  —  Rumex  domesticus)  gegessen,  ebenso  flautir,  zu  Schaum 
gepeitschte  frische  Milch.1) 

An  einigen  Orten  wurden  einige  Kartoffeln,  Rüben  und  Kohl  gebaut, 
doch  genossen  die  Leute  die  beiden  letzteren  sehr  ungern.  Ein  pflanzen- 
und  arzneikundiger  Mann,  Jon  Bergsted,  der  floissig  Gartenbau  trieb  und 
selber  viel  Gemüse  ass,  wurde  deswegen  sehr  verhöhnt  und  als  eine  Magd 
sein  Haus  verliess,    weil  sie  Kohl  essen  sollte,    dichtete  man  ein  Spottlied 


1)  Ö.  S.:  Zu  flautir  wurde  der  frischen  Milch  des  Abends  ein  wenig  geronnene  Milch 
hinzugesetzt  und  sie  über  Nacht  kalt  gestellt,  wodurch  sie  nachher  beim  Quirlen  bedeutend 
höher  aufgelaufen  sein  soll. 


Piger:  Geburt,  Hochzeit  und  Tod  in  der  Iglauer  Sprachinsel  in  Mähren.  251 

auf  ihn.  Nach  1850  änderte  sich  vieles;  in  den  Handelsorten  wurden 
mehr  Schafe  gegen  Cerealien  vertauscht,  so  dass  man  von  da  an  mehr 
Brot  und  weniger  Fleisch  ass,  und  auch  der  Verbrauch  an  Kaffee  steigerte 
sich  bedeutend.1) 


Geburt,  Hochzeit  und  Tod  in  der  Iglauer  Sprachinsel 

in  Mähren. 

Von  Franz  Paul  Piger. 


Vorbemerkungen. 

Im  zweiten  Jahrgange  dieser  Zeitschrift,  S.  27-2—285;  382  —  392 
schilderte  ich  die  Gebräuche  der  städtischen  Handwerksleute.  Dieses  Mal 
will  ich  die  drei  wichtigsten  Lebensfeste,  Geburt,  Hochzeit  und  Tod,  wie 
selbe  auf  dem  Lande  vor  sich  gehen,  des  näheren  beleuchten.  Viele 
Gebräuche  und  Anschauungen  haben  die  Bewohner  unserer  Sprachinsel 
unstreitig  aus  ihrer  bayerischen")  Heimat  mitgebracht,  einzelne  wiederum, 
wie  es  nicht  anders  sein  konnte,  von  den  umwohnenden  Slaven  entlehnt. 
Als  slavisch  möchte  ich  das  viele  Weinen  bei  der  Hochzeit  und  das  zur 
blossen  Sitte  gewordene  Klagen  und  Jammern  beim  Begräbnisse  bezeichnen, 
da  dies  in  Ländern  bayerischer  Bevölkerung  meines  Wissens  nicht  vor- 
kommt. In  dem  einen  spiegelt  sich  die  Innigkeit  slavischer  Hausgenossen- 
schaft wieder,  die  nur  ungern  ein  Mitglied  ihrer  Sippe  in  eine  andere 
entlässt,  und  in  dem  anderen  zeigt  sich  die  mehr  weiblich  beanlagte  Natur 
des  Slaven,  der  sich  dem  Schmerze  rückhaltloser  hingiebt  als  der  mehr 
männlich  geartete  Deutsche.  Beide  Erscheinungen  finden  sich  bei  allen 
slavischen  Völkern. 

Die  symbolische  Bedeutung  der  meisten  Gebräuche  ist  von  selbst  ein- 
leuchtend. Übrigens  vergleiche  man  Weinhold,  Die  deutschen  Frauen  in 
dem  Mittelalter,  L.  v.  Schröder,  Die  Hochzeitsgebräuche  der  Esten, 
v.  Reinsberg-Düringsfeld,  Hochzeitsbuch  und  meine  Aufsätze  über  Geburt, 
Tod  und  Begräbnis  in  Ober- Österreich  im  8.  und  9.  Jahrgang  der  Öster- 
reichisch-Ungarischen Revue. 

1)  Ö.  S.:  Gäste  wurden  stets  höchst  freigebig  mit  dem  Besten,  was  das  Haus  zu 
bieten  hatte,  bewirtet.  Bei  ganz  flüchtigem  Aufenthalte  erhielt  der  Ankömmling  wenigstens 
eine  Zinnkannc  voll  Milch  vorgesetzt;  im  Winter  wurde  diese  Kanne  morgens  mit  frischer 
Milch  gefüllt  und  tagsüber  in  der  badstofa  gehalten,  damit  sie,  falls  ein  Besuch  käme, 
nicht  zu  kalt  sei. 

2)  Den  Ausdruck  gebrauche  ich  im  weiteren  Sinne  für  den  ganzen  bayerischen  Stamm 
hüben  und  drüben  der  Grenze. 

Zeitschr.   d.    Vereins   I.    Volkskunde.    1896.  17 


252  Piscr: 

I.    Geburt. 

Des  Kindersegens  hat  unser  Bauer  selten  zuviel,  er  braucht  ja  Arbeits- 
kraft. Daher  sieht  er  ängstlich  darauf,  dass  sein  „Weib",  wenn  es  einem 
freudigen  Ereignisse  entgegensieht,  sich  schont.  Nur  ungern  lässt  er  sie 
während  dieser  Zeit  zu  Wagen  steigen.  Kann  es  nicht  umgangen  werden, 
so  giebt  die  Bäuerin  den  Pferden  Brot,  damit  sie  auf  ihren  Zustand 
besondere  Rücksicht  nehmen.  Morgens  und  abends  betet  sie  mit  grösserer 
Andacht  zur  schmerzhaften  Mutter  Gottes,  zur  hl.  Anna,  der  mächtigen 
Geburtshelferin,  oder  zu  den  sieben  Himmelsriegeln.1)  Vor  dem  Schlafen- 
gehen legt  sie  ein  besonders  kräftiges  Gebet,  das  für  ihren  Zustand  passt, 
unter  das  Kopfkissen.  Vor  Leidenschaften  und  Fehlern  hütet  sie  sich 
mehr  als  sonst,  weil  diese  auf  das  Kind  übergehen.  Hässliche  Menschen 
oder  Missgeburten  darf  die  Frau  in  diesem  Zustande  beileibe  nicht  an- 
sehen, das  Kind  könnte  Schaden  leiden.  Sie  soll  nur  Schönes  und  Freund- 
liches anblicken.2)  Das  Gefühlsleben  der  Frau  ist  während  dieser  Zeit 
lebhaft  gesteigert,  Gespenster  und  Wahnvorstellungen  schrecken  sie,  und 
nur  ein  geweihter  Gegenstand,  den  sie  immer  bei  sich  trägt,  kann  dagegen 
helfen.  In  ihren  Herzensängsten  schickt  sie  gern  ein  altes  Weiblein  nach 
Mariazell,  damit  sie  dort  bei  der  Gnadenmutter  für  sie  bete.  Der  Bettel- 
mann spricht  häufiger  in  einem  Bauernhause  ein,  in  dem  man  einem 
solchen  freudigen  Ereignisse  entgegensieht,  denn  er  weiss,  dass  die  „Wirtin" 
jetzt  zu  geben  geneigter  ist.  Weiss  er  gar  mit  Haus-  und  Zaubermitteln 
zu  raten  und  zu  helfen,  so  ist  er  ein  gern  gesehener  Gast. 

Nähert  sich  die  Zeit  der  Entbindung,  so  geht  die  Bäuerin  mit  ihrem 
Manne  an  einem  Sonntage  zu  besonders  befreundeten  Nachbarsleuten,  um 
sie  zu  „begrüssen"  d.  h.  Patenstelle  zu  erbitten.  Die  Bitte  darf  nicht 
abgeschlagen  werden.  Meistens  heben  sich  zwei  Familien  ihre  Kinder 
gegenseitig  aus  der  Taufe. 

Ist  das  Kindlein  endlich  zur  Welt  gekommen,  bespritzt  die  Hebamme 
den  kleinen  Heiden  vor  allem  mit  geweihtem  Wasser,  auf  dass  nichts  böses 
über  ihn  komme.  Hierauf  begiesst  sie  den  ganzen  Leib  des  Kindes  mit 
kaltem  Wasser  und  die  Mutter  unterlässt  es  nicht,  mit  der  Handfläche 
seinen  Rücken  zu  schlagen,  damit  aus  ihm  ein  fester,  gegen  die  Schicksals- 
schläge abgehärteter  Bauer  werde.  Sodann  legt  ihm  die  Hebamme  einen 
geweihten  Rosenkranz  um  den  Hals,  damit  es  die  weisse  Frau  nicht  ver- 
tausche   und    einen  Wechselbalg    unterschiebe.     Häufig    wird    dem    Kinde 


1)  Die  sieben  Seufzer  oder  Gebete,  die  den  frommen  Seelen  die  Riegel  des  Himmels 
öffnen  sollen.  Ein  frommer  Einsiedler  soll  sie  gefunden  babeu.  Sie  gelten  namentlicb 
für  Wöchnerinnen  als  kräftig  und  wurden  durch  eine  mit  derartigen  fliegenden  Blättern 
beschäftigte  Druckerei  in  Znaim  (Mähren)  verbreitet. 

2)  Die  mährischen  Walachinuen  glauben,  dass  sie  blauäugige  Kinder  bekommen,  wenn 
sie  in  diesem  Zustande  oft  und  langre  in  das  Himmelsblau  schauen. 


Geburt,  Hochzeit  und  Tod  in  der  Iglauer  Sprachinsel  in  Mähren.  253 

auch  ein  „Schreckstein",  ein  herzförmig  zugeschnittener,  mit  einem  Öhr 
versehener  und  mit  dem  Muttergottesbilde  bemalter  Taufstein,  umgehängt, 
den  Wallfahrerinnen  aus  Mariazeil  mitbringen.  Er  hilft  gegen  plötzliches 
Erschrecken  und  gegen  die  Fraisen.  Auf  der  Wiege  und  an  der  unteren 
Fläche  der  Tischplatte  ist  bereits  ein  Trudenfuss  angebracht,  damit  die 
Trud  dem  Kinde  nichts  anhaben  kann.  In  die  Wiege  legt  man  neun 
Besenruten  und  neun  verrostete  Eisenstücke;  diese  halten  ebenfalls  die 
Trud  ab.  Manchmal  legt  man  auch  eine  geschliffene  Axt  mit  der  Schneide 
nach  aufwärts  neben  das  Kind  in  die  Wiege,  damit  sich  die  Trud  nicht 
über  dasselbe  beugen  könne,  um  ihm  die  Brustwärzchen  auszusaugen.  Die 
Mutter  kann  dem  Kinde  nicht  helfen,  denn  sie  fällt  beim  Nahen  der  Trud 
in  tiefen  Schlaf  und  das  Kind  kann  nicht  schreien. 

Kommt  das  Kind  mit  einem  „Crlückskleide"  oder  „Goldhaube"  zur 
Welt,  so  sagt  man,  es  habe  sein  Taufkleid  mitgebracht.  Ein  solches  Kind 
hat  wie  ein  Sonntagskind  besonderes  Glück  und  man  schickt  es  später 
gern,  um  in  die  Lotterie  zu  setzen  Freilich  will  man  auch  beobachtet 
haben,  dass  solche  Kinder  bald  sterben.1)  Feldherrn,  die  kugelsicher 
waren,  wurden  in  einem  solchen  Glückskleide  geboren.  Dies  Glückskleid 
wird  getrocknet  und  dem  Kinde  später,  ohne  dass  es  etwas  davon  weiss, 
in  das  Gewand  eingenäht.  Geht  es  damit  in  die  Schule,  so  lernt  es  leicht 
und  im  Kriege  trifft  einen  mit  einem  solchen  Zaubermittel  Versehenen 
keine  Kugel.  In  Ermangelung  eines  solchen  Glückskleides  näht  man 
dem  Kinde,  sobald  es  zu  Schule  gehen  soll,  einen  vierblätterigen  Klee  in 
das  Kleid. 

Um  den  abgefallenen  Nabel  bindet  die  Hebamme  eine  Masche  und 
giebt  ihn  der  Wöchnerin  zum  Aufheben.  Bevor  das  Kind  das  erste  Mal 
in  die  Schule  geht,  lässt  man  es  die  Masche  auflösen,  denn  dann  „geht 
auch  ihm  der  Knopf  auf1'  und  es  lernt  leicht.  Manchmal  wird  der  getrocknete 
Nabel  dem  Kinde  in  das  Kleid  genäht  und  auch  dieser  bewirkt,  dass  das 
Kind  leicht  lernt, 

Ist  dem  Kindlein  die  erste  Pflege  zu  Teil  geworden,  geht  die  Hebamme 
zu  den  Gevattersleuten,  dem  Totherrn2)  oder  der  Totfrau,  je  nachdem  das 
Kind  männlichen  oder  weiblichen  Geschlechtes  ist.  Der  Herr  Gevatter 
(oder  die  Frau  Gevatterin),  so  meldet  die  Hebamme,  möge  von  der  Güte 
sein,  das  neu  angekommene  Kind  aus  der  Taufe  zu  heben.  Sie  bekommt 
dafür  das  vorgeschriebene  Mass  von  Mehl,  Brod  und  Erbsen.  —  Kommt 
der  Tag  der  Taufe,  die  nicht  lange  verschoben  werden  darf,  so  wickelt 
die  Hebamme    das  Kind    in    ein  weisses  Kissen,   das  mit  einem  brennend 


1)  Über    die  Glückshaube,    die    blasenartige  Haut  mancher  Neugeborener  J.  Grimm, 
D.  Myth.,  S.  829. 

2)  mhd.    tote,    totte.      Im    Oberinnthale    heisst    der  Pate    Tot    und    die  Patin  Toten. 
Schindler,  Bayr.  Wh.  1-,  633. 

17* 


254  Pi£er: 

roten  Bande  zusammengeschnürt  wird,  denn  dies  hilft  gegen  das  Ver- 
schreien. *) 

Während  des  Einschnürens  nähert  sich  der  Totherr  in  unauffälliger 
Weise  der  Hebamme,  um  heimlich  das  Eingebinde  zuzustecken.  Dies 
besteht  meist  aus  Silbergeld;  manchmal  lässt  aber  ein  kinderloser  Onkel 
auch  eine  Schenkurkunde  über  einen  Wald  oder  eine  Wiese  einbinden. 

Bevor  man  mit  dem  Kinde  die  Stube  verlässt,  wird  es  allen  Anwesenden 
zum  Küssen  gereicht,  damit  sie  es  im  späteren  Leben  recht  gern  haben. 
Auf  die  linke  Seite  der  Brust  legt  man  ihm  einen  Lärchenzweig,  damit 
es  leicht  lerne.  Auf  dass  der  erste  Ausgang  des  neuen  Weltbürgers  ein 
glücklicher  sei,  legt  man  ein  Gebetbuch  auf  die  Thürschwelle  und  über- 
schreitet dann  diese  mit  dem  rechten  Fusse.  Der  Vater  muss  das  Kind 
zur  Taufe  begleiten,  denn  durch  seine  Gegenwart  erkennt  er  es  vor  aller 
Welt  als  das  seine  an.  Begegnet  man  einem  Täufling,  der  zur  Taufe 
getragen  wird,  so  hat  man  diesen  Tag  Glück.  Die  gebräuchlichsten  Tauf- 
namen sind  Hansai,  Seppai  und  Tonai  für  Knaben,  und  Antschi  (Anna), 
Ritschi  (Marie)  und  Rosi  für  Mädchen.  Zurücktaufen,  d.  h.  dem  Kinde 
den  Namen  eines  Heiligen  geben,  dessen  Fest  schon  vorbei  ist,  darf  man 
nicht,  dies  brächte  Unglück.  Sehr  oft  nennt  man  es  nach  dem  Heiligen, 
dessen  Fest  auf  des  Kindes  Geburtstag  fällt.  Dem  Erstgeborenen  giebt 
man,  wenn  nach  dem  Gesagten  es  möglich  ist,  den  Namen  des  Vaters. 

Nach  der  Taufe  setzt  man  sich  zu  einem  Mahle,  wozu  Freunde  (Ver- 
wandte) und  Nachbarsleute  geladen  werden.  Bei  jedem  Trünke  wird  auf 
den  Täufling  ein  Glückwunsch  ausgebracht;  dessen  Unterlassung  würde 
ihm  schaden.  Jeder  Gast  bekommt  von  den  übrig  gebliebenen  Speisen 
etwas  mit  nach  Hause.  Die  Gevattersleute  lassen  sich  oft  ihren  Teil  auf 
einem  Wägelchen  abholen.  Dafür  müssen  sie  aber  genau  so  viel  an  Ess- 
waren der  Mutter  des  Patenkindes  abliefern,  die,  während  sie  ihre  sechs 
Wochen  hält,  einem  schier  sprichwörtlich  gewordenen  Vielessen  sich  hin- 
giebt.  Auch  die  Nachbarsleute  beschenken  die  Wöchnerin  reichlich  mit 
allerlei  Esswaren,  Schnaps  und  Wein.  Von  allen  Bekannten  wird  Seife 
in  das  Haus  geschickt  zum  Waschen  der  Windeln. 

Die  Mutter  soll  sechs  Wichen  die  Stube  nicht  verlassen,  und  auch  das  Kind 
darf  während  dieser  Zeit  nicht  ausgetragen  werden.  Geht  die  Wöchnerin, 
bevor  die  sechs  Wochen  herum  sind,  aus,  so  kommt  die  Wechselfrau, 
nimmt  das  Kind  weg  und  legt  einen  Wechselbalg  in  die  Wiege.  Sie  darf 
in  dieser  Zeit  kein  Wasser  holen,  sonst  verliert  der  Brunnen  das  Wasser. 
Muss  es  aber  einmal  doch  sein,  soll  sie  dreimal  Wasser  schöpfen  und  es 
wieder  zurückgiessen.  Das  Kind  darf  sie,  so  lange  sie  es  an  der  Brust 
hat,  keine  Nacht  allein  lassen,  sonst  wird  dasselbe  eine  Trud.     Die  Nägel 


1)  Gehen  die  Kühe  das  erste  Mal  auf  die  Weide  wird  ihnen  ebenfalls  ein  rotes  Hau« 
iU'.n  Schweif  K*'bmiden,  als  Schutz  gegen  das  Verschreien. 


Geburt,  Hochzeit  und  Tod  in  der  Iglauer  Sprachinsel  in  Mähren.  255 

muss  man  dem  Kinde  abbeissen,  sonst  wird  es  glusterisch,  d.  h.  es  bekommt 
Gelüst  nach  fremdem  Eigentum.  Der  Wöchnerin  wohnt  geheimnisvolle 
Kraft  inne.  Geht  sie  dreimal  um  ein  brennendes  Haus,  so  erlischt  das 
Feuer,  geht  sie  dreimal  um  das  eigene  Haus,  so  zündet  das  Feuer  nicht. 
Betritt  sie  innerhalb  der  sechs  Wochen  ein  Feld,  so  hat  das  Gewitter 
grosse  Macht  über  sie;    besucht  sie  eine  Hochzeit,    so  wird  dabei  gerauft. 

Erst  nach  der  „Einsegnung"  oder  „Einführung"  kann  die  Mutter  wieder 
ohne  Furcht  ausgehen  und  mit  den  Leuten  verkehren.1)  Auch  das  Kind 
wird  jetzt  ins  Freie  getragen;  es  muss  aber,  damit  es  nicht  verschrieen 
wird,  mit  einem  roten  Bändchen  geziert  sein.  Ein  ganzes  Jahr  darf  es 
nicht  angeregnet  werden,  sonst  bekommt  es  Sommersprossen.  Der  Tag 
des  ersten  Ausgangs  wird  von  der  Familie  durch  ein  kleines  Mahl  gefeiert. 
Kommt  das  Kind  zum  ersten  Male  in  ein  Haus,  so  erhält  es  zwei  Eier. 
Man  versucht  damit,  ob  es  schon  Zähnchen  bekomme,  denn  wer  den  ersten 
Zahn  findet,  erhält  von  der  Mutter  ein  Geschenk.  Diese  Eier  bewirken, 
dass  das  Kind  bald  zu  reden  beginnt,  und  man  nennt  sie  daher  Schnatter- 
eier oder  Plappereier. 

Das  erste  Kleidchen  und  die  ersten  Schuhe  müssen  die  Paten  bei- 
stellen. Sterben  die  Eltern,  so  sind  sie  verpflichtet,  als  deren  Vertreter 
für  das  geistige  und  leibliche  Wohl  des  Kindes  zu  sorgen. 

II.    Hochzeit. 

Haben  der  „Bursch"  und  die  „Diern"  siel»  endlich  ernstlich  vor- 
genommen, einander  zu  heiraten,  so  geht  ersterer  zu  den  Eltern  seines 
Mädchens  „auf's  G'wisse".  Genehmigen  die  Eltern  die  Wahl  ihrer  Tochter, 
so  findet  eine  Verlobung  statt  und  die  Brautleute  tausehen  mit  einander 
Silbergeld  aus.  Der  Vater  des  ..Bräuggers"  schickt  sodann  den  Drusch- 
mann2) aus.  der  ein  freilediger  Bursche  sein  muss,  um  zur  Hochzeit  zu 
laden.  Der  Druschmann  hat  einen  Stecken  in  der  rechten  Hand,  der  mit 
roten  Bändchen  geziert  ist.  seinen  Hut  schmückt  ein  Strauss  künstlicher 
Blumen,  welchen  die  erste  Kranzeljungfer  beistellt.  Sobald  er  sich  dem 
Hause,  wo  eine  Einladung  stattfinden  soll,  nähert,  schiesst  er  noch  hier  und 
da  eine  Pistole  ab.  Der  Spruch  des  Druschmannes  ähnelt  sehr  dem  des 
Hochzeitsladers  in  der  Steiermark.  Der  tugendsame  Bräutigam  lasse  guten 
Morgen  wünschen  und  lade  auf  künftigen  Dienstag3)  zur  Hochzeit  ein:  er 
werde  es  abstatten,  ob  Freude  oder  Trauer  dazu  Gelegenheit  biete. 

1)  Diese  Anschauungen  weisen  wohl  darauf  hin,  dass,  wie  dies  bei  einzelnen  Volks- 
stämmen  noch  der  Fall  ist,  die  Wöchnerin  auch  bei  uns  einst  als  unrein  galt;  sie  weisen 
andererseits  aber  auch  auf  Zauberkraft  dieser  Zeitfrist  hin.  Vgl.  auch  Wuttke,  Der  deutsche 
Volksaberglaube  der  Gegenwart,  §§  575-578.  582.  584.  596. 

2)  Man  vgl.  das  tschechische  druzba  =  Brautführer.  Das  Wort  kommt  auch  in 
Schlesien,  in  den  Lausitzen  und  in  Posen  vor. 

3)  Über  den  Dienstag  als  alten  und  verbreiteten  Hochzeittag  Weinhold,  Deutsche 
Frauen  im  Mittelalter  l2,  364.     v.  Schröder,  Die  Hochzeitgebräuche  der  Esten,  S.  54. 


256  Piger: 

Am  Sonntag  vor  der  Hochzeitswoche  kommen  die  Verwandten  im 
Hause  der  Braut  zusammen,  um  das  Freundschafts-  (Verwandten-)  Mahl 
zu  halten.  Die  folgende  Woche  wird  gebacken,  wozu  von  den  Nachbarn 
Mehl  und  Mohn  beigesteuert  wird.  Die  Braut  besorgt  die  nötigen  Einkäufe, 
borgt  sich  den  Brautkranz  aus,  wenn  nicht  einer  im  Besitze  der  Familie 
ist,  an  dem  Brautkleid  aber  darf  sie  nicht  mitarbeiten,  denn  dies  brächte 
Unglück  in  die  Ehe,  dem  Bräutigam  aber  soll  sie  ein  Hemd  nähen,  damit 
er  es  am  Hochzeitstage  trage.  Während  der  ganzen  Woche  besuchen 
Freundinnen  die  Braut.  Sie  bewundern  lautpreisend  die  Betten,  die 
mehrere  Meter  hoch  aufgetürmt  sind  und  als  der  stolzeste  Besitz  der 
Familie  gelten.  Die  Braut  muss  die  Besucherin  umarmen  und  sie  um 
Verzeihung  bitten,  wenn  sie  selbe  je  beleidigt  haben  sollte  und  fortwährend 
weinen.  Sollte  sie  es  einmal  vergessen,  so  ermahnt  sie  die  Mutter:  „Grein' 
(wein')  nur,  du  bist  ja  Braut."  Es  gilt  das  Sprichwort:  „Weinende  Braut, 
lachende  Frau,  lachende  Braut,  weinende  Frau." 

Am  Sonntag  vor  der  Hochzeit  werden  die  letzten  Flecken  oder  Go- 
latschen1)  gebacken,  Kuchen,  die  mit  Butter  und  Zibeben  bestreut  werden. 
Montags  fährt  der  Kammerwagen  (Hochzeitswagen)  zum  Hause  des  Bräutigams. 
Er  ist  hoch  getürmt,  und  von  der  Höhe  herab  winkt  ein  gewaltiger  Strauss 
künstlicher  Blumen.  Mitten  zwischen  den  vielen  Betten  sitzen  verheiratete 
Weiber;  eine  hat  den  „Schwiegerkuchen"  auf  dem  Schoss,  der  dann  beim 
Hochzeitsmahle  verzehrt  werden  soll.  An  einigen  Orten  singen  noch  die 
Weiber: 

Macht  auf,  herzliebe  Frau  Schwieger,  das  Thürl, 
Wir  bringen  Euch  ein  sauberreiches  Schnürl'-'); 
Sie  wird  Euch  arbeiten  alles  so  treu  und  fleissig, 
Sie  wird  Euch  betten  ein  Bettlein  kreidenweissig. 

Ist  die  Braut  aus  einem  fremden  Dorfe,  so  wird,  wenn  sich  der 
Kainmerwagen  dem  Dorfe  des  Bräutigams  nähert,  von  Weibern  ein  Strick, 
an  dem  ein  rotes  Tuch  flattert,  über  den  Weg  gespannt.  Der  Wagenlenker 
muss  als  „Mautgeld"  den  Weibern  einen  grossen  Kuchen,  eine  Flasche 
süssen  Branntweins  und  einen  Silbergulden  geben,  um  sich  die  Einfahrt 
in  das  Dorf  zu  erkaufen.  Gelangt  dann  der  Kammerwagen  zum  Hofe  des 
Bräutigams,  so  kommt  dieser  heraus  und  bestrebt  sich,  ein  Bett  vom  Wagen 
herunterzureissen,  was  die  Weiber  mit  Ruten  zu  wehren  suchen.  Gelingt 
es  ihm  nicht,  so  muss  er  4  fl  den  Weibern  zahlen,  denn  der  Wagen  hat 
vier  Räder.  Das  Brautbett  trägt  der  Bräutigam  selbst  in  das  Haus.  Die 
Schlüssel  zu  den  Kasten  hat  der  Fuhrmann,  der  oft  der  Bruder  der  Braut 
ist,  mit  einem  roten  Bändchen  am  Leibl  (Blouse)  befestigt  und  der  Bräutigam 
erhält  sie  erst  nach  Abgabe  eines  grösseren  Geldstückes. 


1)  Tschechisch  koläc  =  kreisrunder  Kuchen  von  kolo  =  Kreis  oder  Rad. 

2)  Die  Schnur  =  Schwiegertochter. 


Geburt,  Hochzeit  und  Tod  in  der  Iglauer  Sprachinsel  in  Mähren.  257 

Am  Dienstage  findet  die  Hochzeit  bei  „aufnehmendem"  Monde  statt. 
Am  Hochzeitsmorgen  hat  man  gern  schönes  Wetter;  dies  ist  eine  gute 
Vorbedeutung  für  einen  wolkenlosen  Ehehimmel.  Geht  am  Hochzeitstage 
der  Wind,  so  vertragen  sich  die  Eheleute  nicht.  Die  Freunde  (Verwandten) 
des  Bräutigams  versammeln  sich  in  dessen  Hause,  alle  festlich  gekleidet, 
den  Radmantel  um  die  Schultern,  den  Hut  geschmückt  mit  einem  Blumen- 
sträusschen  oder  Rosmarinzweiglein,  das  ein  rotes  Bändchen  ziert.  Bevor 
der  Sohn  das  Vaterhaus  verlässt,  um  sich  die  Braut  heimzuführen,  tritt 
der  Vater  vor,  macht  ihm  mit  dem  Daumen  das  Kreuzzeichen  auf  der 
Stirn,  besprengt  ihn  mit  geweihtem  Wasser  und  spricht  feierlich:  „Es 
segne  dich  Gott  der  Vater,  der  dich  erschaffen,  es  segne  dich  Gott  der 
Sohn,  der  dich  erlöset,  es  segne  dich  der  hl.  Geist,  der  dich  geheiliget  hat 
in  der  hl.  Taufe."  Der  Sohn  kniet  vor  dem  Vater  nieder  und  küsst  ihm 
Hände  und  Füsse  zum  Danke  für  alle  erwiesenen  Gutthaten.  An  manchen 
Orten  der  Sprachgrenze  küsst  er  der  Mutter  den  Schoss,  der  ihm  das 
Leben  gegeben.  Alle  Anwesenden  bittet  er  um  Verzeihung,  wenn  er  sie 
je  beleidigt  haben  sollte.  Alle,  selbst  städtische  Hochzeitsgäste,  zeigen 
Rührung  und  Ergriffenheit,  und  selten  kann  sich  einer  der  Thränen  ent- 
halten. 

Man  fährt  nun  zum  Hause  der  Braut.  Dort  findet  man  aber  das  Thor 
abgesperrt1),  und  erst  nach  langem  Klopfen  lässt  sich  jemand  vernehmen: 
„man  nehme  keine  Fremden  auf.  Endlich  wird  doch  geöffnet  und  man 
tritt  in  die  Stube,  wo  sich  Vater  und  Mutter  der  Braut  und  die  Verwandten 
des  Hauses  befinden;  die  Braut  lässt  sich  nicht  sehen,  sie  ist  daneben  in 
der  Kammer.  Manchmal  ist  auch  die  Stubenthür  gesperrt  und  die  Be- 
gleiter des  Bräutigams  dürfen  erst  eintreten,  sobald  sie  etwas  gegessen. 
Nie  aber  darf  der  Bräutigam  ohne  Aufforderung  des  Schwiegervaters  die 
Schwelle  übertreten,  und  in  der  Stube  selbst  muss  er  sich  neben  die  Thür 
stellen  und  darf  trotz  allen  Neckens  nichts  essen,  bis  die  Trauung  vorüber 
ist.  Nun  tritt  der  Redmann2),  der  die  bürgerliche  Vereinigung  der  Braut- 
leute auf  sich  hat  und  dies  handwerksmässig  gegen  gute  Bezahlung  betreibt, 
vor  die  Eltern  der  Braut  und  sagt  einen  langen  Spruch  herab,  der  mit 
Adam  und  Eva  im  Paradiese  beginnt  und  mit  einer  Bitte  um  Herausgabe 
der  Braut  endet.3)  Er  spricht  die  Anwesenden  an  als  „ehrbare,  wohlweise, 
grossgünstige  Herren  und  gute  Freunde".     Er  erklärt,  der  Bräutigam  habe 


1)  Dies  ist  wohl  ein  Überrest  aus  der  Zeit  des  Frauenraubes.    Schröder  S.  24. 

2)  Das  Wort  Redman  ist  gewiss  nicht  aus  der  deutschen  Mundart  erwachsen,  es 
hängt,  so  deutscli  es  aussehen  mag,  mit  dem  tschechischen  reönik  =  Redner  zusammen, 
das  sich  der  deutsche  Bauer  übersetzt  hat. 

3)  Die  Länge  der  Reden  findet  ihre  Erklärung  in  der  handwerksmässigen  Übung  des 
Redmannes,  die  Reden  bei  der  Hochzeit  und  beim  Leichenbegängnisse  sind  wohl  ein 
Niederschlag  einstiger  Hochzeits-  und  Leichenreden. 


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Piecr: 


sich  entschlossen,  in  den  Stand  der  hl.  Ehe  zu  treten  und  das  Joch  Jesu 
Christi  auf  sicli  zu  nehmen.  Es  sei  nicht  gut,  dass  der  Mensch  allein  sei, 
er  brauche  wie  Adam  eine  Gehilfin.  Er  bittet  im  Namen  des  Bräutigams 
die  Schwiegereltern  um  ihr  vielgeliebtes  Kind  als  Frau  und  Hausfrau  und 
verspricht  Treue  gegen  sie  zu  halten  und  sie  zu  lieben  bis  in  den  Tod. 
Die  tugendsame  Jungfrau  Braut  bitte  er  um  ihren  jungfräulichen  Ehren- 
kranz, den  sie  von  ihrer  Kindheit  bis  auf  den  heutigen  Tag  bewahrt  habe. 
Wie  sie  über  die  Gassen  und  Strassen  gegangen  wären,  hätten  sie  einen 
Täuber  gefangen,  sie  hätten  nun  gern  eine  Täubin  dazu.1)  Die  erste 
Kranzeljungfer  steckt  nun  dem  Bräutigam  einen  Strauss  aus  künstlichen 
Blumen,  den  Ehrenkranz  der  Braut,  an  die  Brust.  Dies  sei,  sagt  die 
Kranzeljungfer,  der  Schwanz,  der  beim  Fangen  der  Täubin  ihr  in  der 
Hand  geblieben,  sie  selber  sei  entwischt,  man  möge  sie  nur  suchen.  Der 
Redmann  geht  nun  in  die  Kammer,  um  dort  nach  der  ersehnten  Täubin 
zu  spähen.  Zum  allgemeinen  Erstaunen  aber  —  das  man  auch  äussern 
muss  _  bringt  er  ein  altes  Weib  zum  Vorschein.2)  Unter  Gekicher  und 
Lachen,  denn  nur  der  Bräutigam  in  seinem  Winkel  bewahrt  verlegenen 
Ernst,  führt  er  sie  wieder  weg.  Wie  er  wiederum  erscheint,  bringt  er  ein 
etwa  zehnjähriges,  hochzeitlich  geschmücktes  Mädchen.  Sie  verstehe  alles 
Mögliche  und  Unmögliche  zu  leisten,  die  Suppe  in  der  Laterne  und  die 
Knödel  im  Plutzer3)  zu  kochen.  Der  Redmann  unterlässt  es  nicht,  das 
Mädchen  zu  fragen  ob  es  wohl  auch  bei  diesem  Herrn,  dem  gegenwärtigen 
Bräutigam,  schlafen  wolle.  Sie  schlafe  lieber  bei  der  Mutter,  antwortet 
sie  und  darf  jetzt  abtreten,  nachdem  sie,  wie  früher  die  alte  Frau  von 
dem  Bräutigam  ein  Geschenk  erhalten.  „Nun",  meint  der  Redmann, 
„werden  wir  ihm  eine  suchen,  die  bei  ihm  schläft."  Jetzt  erst  führt  er 
die  Braut,  die  in  der  Kammer  natürlich  alles  gehört  hat,  in  die  Stube.4) 
Sie  erscheint  zögernd,  schluchzend  und  weinend,  die  Augen  mit  den 
Händen  verhüllend.  Der  erste  Blick,  den  sie  natürlich  nur  verstohlen 
durch  die  Finger  thun  darf,  muss  dem  Bräutigam  gelten,  damit  sie  sich 
vor  ihm  in  der  Ehe  nicht  fürchtet.  Der  Redmann  führt  die  Braut  dem 
Bräutigam  zu  und  sie  reichen  sich  stumm  die  Hände.  Sodann  tritt  die 
Braut  vor  den  Vater,  küsst  ihm  die  Hand  und  spricht:  „I  bitt1  Enk  (Euch),  Vater, 
wenn  i  Enk  erzürnt  hab',    verzeiht's  mir  und  sehet  mich  auch  in  Zukunft 


1)  Braut  und  Bräutigam  als  Täuber  und  Täubin  zu  bezeichnen  liegt  nahe  und  ist 
auch  sonst  ziemlich  häufig  zu  finden. 

2)  Betreffs  der  falschen  Braut  vgl.  v.  Schröder  S.  GS  ff. 

3)  Plutzer  =  Kürbis,  Gefäss  aus  Kürbis,  bei  uns  aus  Blech  bestehend.  Auch  sonst  in 
der  bayerischen  und  anderen  Mundarten  schon  längst  gebräuchlich:  Schmeller,  Bayr. 
Wb.  P,  466. 

4)  In  einzelnen  Dörfern  wird  der  Ehrenkranz  der  Braut  dem  Bräutigam  gegen  ein 
Silberstück  überreicht  und  der  Redmann  erklärt  in  langer  Rede  die  sieben  Blumen,  aus 
denen  er  bestehe,  und  deren  Bedeutung. 


Geburt,  Hochzeit  und  Tod  in  der  Iglauer  Sprachinsel  in  Mähren  259 

gern  kommen."  Desgleichen  bittet  sie  alle  Anwesenden  um  Verzeihung. 
Diese  sagen:  „Mit  Gott!"  oder:  „In  Gottes  Namen!".  Der  Mutter  küsst 
sie  die  Hand,  Brüdern  und  Schwestern  den  Mund. 

Jetzt  führt  der  Redmann  die  Braut  abermals  dem  Bräutigam  zu  und 
übergiebt  sie  ihm  im  Namen  der  Eltern.  Die  Gäste  fordert  er  auf,  das 
Brautpaar  in  die  Kirche  und  sodann  in  das  Haus  des  Bräutigams  zum 
Mahle  zu  geleiten.  Den  eben  jetzt  durch  das  Band  der  Ehe  zu  Verbindenden, 
sowie  allen,  die  noch  durch  dasselbe  Band  jemals  verbunden  würden. 
wünsche  er  hier  Glück  und  dort  die  Seligkeit.  Mit  einem  „Gelobt  sei 
Jesus  Christus!"  schliesst  er,  wie  er  begonnen.  Da  fällt  nun  die  Braut, 
nochmals  Abschied  nehmend,  der  Mutter  jammernd  um  den  Hals  und 
wiederholt  des  öfteren:  „Tausendmal  vergelt's  Gott  für  alles,  was  Ös  (Ihr) 
mir  Gutes  gethan  habt!"  Laut  weinend  verlässt  sie  mit  den  übrigen  die 
Stube. 

Vom  Hause  der  Braut  geht  der  Zug,  die  Musikanten  voran,  in  die 
Kirche.  Die  Hochzeitsgäste  sind  alle  festlich  gekleidet  in  der  kleidsamen 
Tracht  unserer  Sprachinsel.  Die  Braut  trägt  eine  schwere  Krone  auf  dem 
Haupte,  gefertigt  aus  Spiegelblumen,  Gold-  und  Silberflitter.1) 

Ist  die  Kirche  nicht  im  Orte  und  führt  der  Weg  über  freies  Feld,  so 
verkünden  manchmal  noch  Pistolenschüsse  die  Freude  des  Tages.  In  einigen 
Dörfern  wird  von  der  Zeit  der  ersten  Aufkündigung  auf  der  Kanzel  bis 
zum  Hochzeitstage  abends  täglich  mit  Pistolen  geschossen,  damit  man 
wisse,  dass  in  dem  Dorfe  eine  Hochzeit  stattfinden  soll.2) 

Sehen  etwa  auf  dem  Felde  Arbeiter  den  Zug,  so  eilen  sie  herbei  und 
spannen  eine  Schnur  über  den  Weg.  Erst  durch  Verabreichung  eines 
Geldstückes  macht  sich  der  Bräutigam  den  Weg  frei.'0')  Den  Begegnenden 
wird  Wein  oder  rot  gefärbter  Schnaps  zum  Trinken  angeboten.  Diesen 
Minnetrnnk  darf  niemand  zurückweisen. 


1)  Über  das  Krönel,  Scbappel  der  Braut  Weinhold,  D.  Frauen  P,  387.  —  Die  wich- 
tigsten Bestandteile  der  Iglauer  Tracht  sind  für  Männer:  hohe  Stiefel,  lederne  Hosen, 
kurzes  Leibl,  darüber  bei  festlichen  Gelegenheiten  wie  bei  Hochzeiten  ein  feiner  Badmantel 
aus  Tuch,  runder,  weitkrempiger  Hut;  für  Frauen:  Schnallenschuhe,  rote  Strümpfe,  kurzes 
blaues  Röckcheu,  das  sich  wegen  der  vielen  Unterröcke  bauscht,  geblümtes  Leibchen  aus 
Seide,  vorn  mit  rotem  Bande  („Hinundwieder")  zusammengeschnürt,  weisse  Halskrause, 
rotgeblümtes,  rückwärts  in  einer  Spitze  tief  herabfallendes  Kopftuch,  das  den  Kopf  eng 
umschliesst.  Die  Hochzeitweiber  umflechten  mit  diesem  Tuche  turbanartig  den  Kopf  und 
lassen  zwei  Zipfel  vorn  über  die  Brust  herabfallen.  Den  gleichen  Kopfputz  trägt  die 
Braut,  wenn  sie  nicht  mehr  berechtigt  ist,  den  Jungfernkranz  zu  tragen.  Die  Haare 
der  Mädchen  sind  bei  Hochzeiten  scheibenförmig  am  Hinterkopfe  aufgesteckt  und  von 
einer  breiten  Nadel  durchstochen.  Dieser  „Schopfs  wird  gebildet  aus  den  breit  ge- 
flochtenen Zöpfen.  Wie  die  Braut  tragen  die  Kranzeljuugfern  Kronen,  aber  leichtere  und 
einfachere. 

2)  Vielleicht  deutet  dieses  Schiessen  auf  den  Frauenraub  hin,  Schröder  S.  56. 

3)  In  Tirol  sah  ich,  wie  alte  Soldaten  in  voller  Uniform  mit  dem  Degen  in  der  Hand 
neben  der  Schnur  Wache  hielten,  mit  der  sie  den  Weg  sperrten. 


260  Pigcr: 

In  die  Kirche  sollen  die  Brautleute  mit  dem  rechten  Fusse  voran 
eintreten,  damit  sie  Glück  haben  im  Ehestande,  den  zu  betreten  sie  sich 
anschicken.  Je  nachdem  die  Lichter  am  Altare  hell  oder  trübe  brennen, 
herrscht  Glück  oder  Unglück  in  der  Ehe.  Brennt  nur  eines  trübe,  so  stirbt 
derjenige  der  Ehegatten  früher,  der  ihm  gegenübersteht.  Die  Trauung 
findet  nach  der  Messe  statt.  Während  derselben  drängen  sich  die  Braut- 
leute eng  an  einander,  damit  nie  Zank  und  Streit  zwischen  ihnen  entstehe. L) 
Nach  der  Trauung  gehen  die  Neuvermählten  um  den  Altar  herum  zur 
Opferung.  Hinter  dem  Altare,  wo  es  niemand  sieht,  giebt  die  „neue  Frau" 
ihrem  eben  erst  angetrauten  Manne  drei  Rippenstösse,  damit  er  das  Geld 
zum  Opfern  ihr  gebe.  Thut  er  es,  so  deutet  dies  an,  dass  er  auch  später 
der  Frau  das  Geld  überlasse  und  sie  eigentlich  die  „Hosen  habe".  Um 
Macht  über  ihn  zu  gewinnen,  tritt  sie  ihm  auf  den  Fuss.'J)  Nachdem  dann 
der  Pfarrer,  der  regelmässig  selbst  Hochzeitsgast  ist,  den  jungen  Leutchen 
zugesprochen  und  sie  zu  wahrhaft  ehelichem  Leben  ermahnt,  begiebt  sich 
der  Hochzeitszug  in  die  Wohnung  des  Bräutigams,  woselbst  das  Mahl 
stattfindet.  Die  Schwiegermutter  wird  von  der  „Schnur"  um  gütige  Auf- 
nahme gebeten,  sie  verspricht  ihr,  sie  in  Ehren  zu  halten,  so  lange  sie 
lebe.  Damit  der  jungen  Frau  nicht  bange  und  sie  vom  Heimweh  nicht 
erfasst  werde,  muss  sie  in  den  Rauchfang  schauen,  der  wohl  hier  den 
häuslichen  Herd  vertritt. 

Bevor  man  sich  zu  Tische  setzt,  spricht  der  Redmann  das  Tischgebet. 
Zu  dem  gewöhnlichen  „Aller  Augen  u.  s.  w."  fügt  er  bei  dieser  Gelegen- 
heit noch  hinzu: 

Herr  Gott  Vater  vom  Himmelreich, 

Wir  sein  Deine  Kinder  allzugleich, 

"Wir  bitten  Dich  aus  Herzensgrund, 

Speise  uns  in  dieser  Stund'; 

Gieb  uns  Freud'  und  Einigkeit, 

Bewahr  uns,  Herr,  vor  teurer  Zeit, 

Damit  wir  leben  seliglich, 

Dein  Reich  besitzen  ewiglich 

Durch  unsern  Herrn  Jesum  Christum.     Amen.3) 

Männer  und  Frauen  nehmen  auf  abgesonderten  Tischen  Platz.4)  An 
dem  Männertische  hat  den  Ehrenplatz  der  Bräutigam  und  die  Beistände, 
an  dem  Frauentische  die  Braut,  welche  unter  dem  Kruzifix,  im  sogenannten 
Brautwinkel,    Platz    nimmt.     Neben    der  Braut    sitzt    die   „Brautmutter"6), 


1)  v.  Schröder  a.  a.  0.  S.  80. 

2)  Weinhold  a.  a.  0.,  I,  S.  372:  Der  Tritt  auf  den  Fuss  ist  der  Antritt  der  Herrschaft, 

3)  Das  Gebet  stammt  nach  Inhalt  und  Form  aus  der  Protestantenzeit,   die  trotz  der 
Gegenreformation  Spuren  zurückgelassen. 

4)  Dasselbe  geschieht  in  Ober-Österreich. 

5)  Über  diese  Ehrenmutter,   auch  Brautfrau  genannt,    vgl.  Weinhold  a.  a.  0.  S.  397. 


Geburt,  Hochzeit  und  Tod  in  der  Iglauer  Sprachinsel  in  Mähren.  261 

welche  ein  weisses  Häubchen  trägt,  als  Beschützerin  der  Braut:  dann  links 
und  rechts  die  Kranzeljungfern,  die  Brautweiber  und  die  Brautmädeln. 
Die  Braut  darf  die  Niedergeschlagenheit  noch  nicht  ablegen  und  muss  bis 
Mitternacht  nüchtern  bleiben  (fasten);  sie  bekommt  bloss  drei  Löffel  Suppe. 
die  ihr  die  Brautmutter  in  den  Mund  giebt.  An  manchen  Orten  isst  sie  ein 
wenig,  muss  sich  aber  nötigen  lassen.1)  Vor  der  Braut  liegt  ein  Laib 
Brot.  Das  „Scherzi"  wird  abgeschnitten  und  die  Braut  steckt  ein  Silber- 
zelmerl  hinein.  Diese  Brotschnitten  werden  einem  Bettler  verabreicht 
(Scherzi  v.  scheren  =  abschneiden,  also  =  Abschnitzl).  Die  erste  Schüssel 
trägt  der  Brautführer  auf;  sie  ist  aber  wohlweislich  bloss  mit  Wasser  und 
einigen  Semmelschnitten  gefüllt.  Kommt  er  nämlich  damit  bis  in  die 
Mitte  der  Stube,  so  beginnt  er  zu  stolpern  und  lässt  die  Schüssel  fallen. 
Natürlich  muss  jeder  diesen  Scherz  belachen,  den  er  vielleicht  schon 
hundertmal  gesehen.  Jetzt  erst  werden  Suppe  und  die  übrigen  Speisen 
aufgetragen.  Von  den  Speisen  sind  die  meisten  versüsst,  die  Hauptbestand- 
teile der  Tunkein  (.Tunke)  sind  Zimint  und  Milch.  Was  einer  nicht  essen 
kann,  legt  er  bei  Seite  auf  einen  Teller  und  nimmt  es  mit  nach  Hause: 
man  nennt  dies  das  Bschoadessen.2)  Um  Mitternacht  erscheint  der 
Schlänggelkuchen.3)  Während  der  Mahlzeit  bewerfen  sich  die  (niste,  wie 
dies  auch  in  Steiermark  und  Ober-Österreich  und  sonst  der  Fall  ist.  mit 
Mandeln,  Rosinen,  Erbsen  und  Zuckerkügelchen. 

Meist  vor  der  Mahlzeit  findet  der  „Einwurf"  statt.  Auf  die  Männer- 
und  Weibertische  werden  grosse  Schüsseln  gestellt.  Jeder  Gast  muss  in 
eine  dieser  Schüsseln  ein  Geldstück  oder  einen  Gegenstand  legen,  der  für 
den  jungen  Haushalt  passt.  Die  Geldstücke  schüttet  man  der  Braut  in  den 
Schoss.  die  anderen  Gegenstände  werden  auf  dem  „Fensterbrettl"  zur 
allgemeinen  Besichtigung  aufgestellt.4) 

Gegen  Ende  der  Mahlzeit  erscheint  die  Köchin.  Die  eine  Hand  hat 
sie,  als  wäre  sie  wund,  verbunden,  in  der  anderen  hält  sie  einen  Schöpf- 
löffel voll  Hirschgasch  (Hirsebrei),  der  bei  keiner  Hochzeit  fehlen  darf. 
Sie  halte  die  Hände  verbrannt  und  bitte  um  eine  Kleinigkeit  für  eine 
Salbe.  Die  Hochzeitsgäste  werfen  Sechserl  und  Kreuzer  in  die  Gasch.5) 
Am  Schlüsse  der  Mahlzeit  kommt  noch  der  Brautführer,  ein  Handtuch  um 
die  Schulter    geworfen,    in    den  Händen  eine  Schüssel   mit  Wasser,    damit 


1)  Die  Städter  haben  die  sprichwörtliche  Redewendung:    „Du  lässt  dich  nötigen  wie 
eine  häurische  Braut/ 

2)  Ich  leite  das  Wort  von  Scheiden  ah      Die    nämlichen  Überbleibsel  nennt  man  in 
Nordböhmen  Provente  (Proviant). 

3)  Es   ist   wohl    auch  dies  eine  Art  Abschiedskuchen,     in  lind  heisst   da-  Wechseln 
der  Dienstboten  schlänggeln. 

4)  Derartige  Schenkhochzeiten,    die    den  Eheleuten    sehr    zu  statten  kommen,    waren 
auch  im  Mittelalter  üblich,  Weinhold  a.  a.  0.  1,  395. 

5)  Tn  Ober-Österreich    und    auch    sonst   ist    derselbe  Brauch  des  Trinkgeldes  für  die 
Hochzeitköchin. 


262  Pigcr: 

sich    darinnen    die    Gäste    <lio     Hände    waschen    können.      Während  des 

Waschens    muss    man    Geldstücke    in    das  Wasser    fallen    lassen,    die  der 

Brautführer    für    seine  Mühewaltung    behält.     In    manchen  Orten   sagt  der 
Brautführer,  während  er  die  Schüssel  zum  Waschen  hinhält: 

Da  komm'  ich  her  von  Köln  am  Rhein, 

Ich  bring  ein  kühles  Brünnelein: 

Waschet  ab  zu  dieser  Stund 

Euren  rosenfarbenen  Mund, 

Eure  rosenroten  Wängelein, 

Wie  auch  schneeweissen  Händelein. 

Werfts  Dukaten  und  Thal  er  'nein, 

Wenns  gleich  nur  Zwanziger  und  Zehner  sein. 

Zu  der  Braut  sagt  er,  nachdem  nun  das  Mahl  beendet:  „Steht  auf 
Jungfrau  Braut  mit  Euren  Gästen !  Seid  Ihr  schon  nicht  satt  gegessen,  so 
seid  Ihr  doch  trocken  gesessen.  Über  Tisch  und  Eck'  mit  der  Jungfrau 
Braut  ins  Federbett."1) 

Nach  der  Mahlzeit  kleiden  sich  die  Gäste  um  und  nun  gehts  zum 
Tanze,  der,  wenn  im  Hause  des  Bräutigams  Platz  ist,  daselbst,  sonst  im 
Wirtshause  vor  sich  geht. 

Die  Musikanten  spielen  auf  vier  Instrumenten,  der  Klarfidel,  Sekund- 
fidel, Grobfidel  und  dem  Bass  (Ploschperment),  einfache  schrille  Weisen. 

Für  die  Ordnung  beim  Tanzen  hat  der  Brautführer  Sorge  zu  tragen. 
Deswegen  hat  er  auch  den  Hut  auf  dem  Kopf  und  trägt  ein  weisses  Tuch 
als  Schärpe  zum  Zeichen  seiner  Würde,  das  von  der  linken  Schulter  bis 
zur  rechten  Hüfte  reicht,  wo  es  geknüpft  ist.  Er  schafft  dem  Vortänzer 
Platz  und  führt  ihm  die  Tänzerin  zu.  Ein  Tanz  darf  nicht  unterbrochen 
werden,  höchstens  kann  man  seine  Tänzerin  einem  Freunde  abtreten.  Der 
Verheiratete  tanzt  nur  mit  seinem  Weibe.  Fremde  ehrt  man,  indem  man 
ihnen  eine  Tänzerin  anbietet  oder  die  Musikanten  „tuschen"  lässt.  Natürlich 
muss  der  also  Geehrte  den  Musikanten  Bier  zahlen.  Beim  ersten  Tanze 
treten  zuerst  an  die  Braut  und  der  Brautführer,  der  Bräutigam  mit  der 
ersten  Kranzeljungfer  und  dann  die  übrigen  Gäste  nach  Hang  und  Ansehen. 
Später  freilich  lockern  sich  etwas  die  Bande  in  überschäumender  Fröhlich- 
keit. Der  ortsübliche  Tanz  ist  der  Hatschöh.  Er  beginnt  als  Landler  und 
steigert  sein  Zeitmass,  indem  die  Tanzenden  unter  Hatschöhrufen  ver- 
schiedene Bewegungen  ausführen,  bis  zum  Galopp  (dem  Hupperischen). 

Gegen  Morgen  zu  wird  die  Braut,  nachdem  sie  sich  mit  dem  Bräutigam 
für  einen  Augenblick  in  die  Kammer  zurückgezogen,  „angefiedelt"  und 
„angesungen".  Man  stimmt  vor  allem  das  Ehestandsliod  an,  das  aber  nur 
geringen  poetischen  Wert  besitzt.  Sein  Inhalt  beweist,  dass  der  Bauer 
die  Ehe  eigentlich  als  „harte  Buss"  ansieht,  in  die  man  sich  geduldig  er- 


1)  In  Ober-Österreich    springt  eine  jungfräuliche  Braut  über  den  Tisch,    eine  andere 
muss  den  Bänken  nach  gehen. 


Geburt,  Hochzeit  und  Tod  in  der  Tglauer  Sprachinsel  in  Mähren.  263 

geben  soll.     Interessanter  ist  ein  zweites  Lied,  das  ebenfalls  gern  gesungen 
wird  und  an  Zeiten  gar  wilden  Werbens  gemahnt. 
Es  beginnt: 

Es  jaget  ein  Jager  ein  wildes  Schwein. 

Er  jaget's  bei  Tag  und  bei  Mondenschein, 

Er  jaget's  über  Berg  und  tiefen  Strauch, 

Er  jaget  ein  schwarzbraunes  Madel  heraus. l) 

Auch  Buhlerlieder2)  werden  beim  „Ansingen"  gesungen  und  je 
neckischer  der  Inhalt  ist,  desto  mehr  wird  gelacht.  Ein  Beispiel  möchte 
ich  als  Sprachprobe  anführen: 

A  g'scheckerts  (geschecktes)  Paar  Öchsla,  a  ploscherte  Kuh  (Kuh  mit  einer 

Blässe  oder  Stirnfleck) 
Dös  giebt  mir  mei  Vater,  wenn  i  heiraten  thu; 

Zwa  Hendla  (Hühnlein)  zwa  Hendle.  a  kruppete  Gass  (krüppelhafte  Geis) 
Dös  giebt  mir  mei  Mutter,  dass  der  Vater  nichts  wass. 

Zum  Frühstück  werden  am  Morgen  nach  der  Hochzeit  alle  Gäste 
zusammengerufen,  denn  jetzt  findet  das  Verrechnen  statt,  da  jeder  (last 
den  auf  Bier  und  Musik  fallenden  Teil  zahlen  muss.  Nur  das  Essen  wird 
von  den  Eltern  des  Brautpaares  umsonst  beigestellt. 

Zum  Zeichen,  dass  die  Braut  nun  wirklich  Frau  geworden,  wird  ihr 
nach  dem  Frühstücke  von  der  Brautmutter  der  Kranz  abgenommen  und 
vom  Redmann  feierlich  der  Schöp  (Schopf)  aufgesetzt.  Das  grosse  rot- 
und  gelbgoblümte  Kopftuch  wird  ihr  um  die  Stirn  gebunden  und  rückwärts 
geknüpft;  die  Örter  (Enden)  fallen  beiderseits  über  die  Brust.  Sodann 
wird  ihr  ein  Schopf,  der  regelmässig  aus  fremden  Ilaaren  besteht,  aufgesetzt 
und  darüber  von  der  Brautmutter  ein  weisses  Häubchen  gezogen.3)  Gegen 
das  Abnehmen  des  Kranzes  und  das  Aufsetzen  des  Schopfes  muss  sich  die 
junge  Frau  möglichst  sträuben  und  sich  demselben  zu  entziehen  trachten, 
wobei  ihr  die  Kranzeljungfern  behilflich  sind  und  sie  zu  verstecken  suchen. 
Da  ihr  dies  nicht  gelingt,  hält  sie  ein  weisses  Tüchlein  vor  das  Gesicht 
und  thut  recht  geschämig.  Auch  während  des  folgenden  Tanzes  hält  sie 
noch  aus  Scham  das  Tüchlein  vor  die  Augen. 

Unterdessen  ist  der  Mittag  des  Mittwochs  herangekommen  und  mau 
setzt  sich  wieder  zum  Mahle  und  die  „neue  Frau"  setzt  sich  wieder  in 
den  Brautwinkel.  Während  man  sich  dem  Mittagmahle  hingiebt,  kriecht 
der  Brautführer  heimlich  unter  den  Tisch  und  versucht  es,  der  jungen 
Frau  einen  Schuh  auszuziehen.  Gelingt  es  ihm,  so  muss  ihn  die  Braut 
mit  Geld  auslösen.4) 


1)  Bei  den  Kleinrussen  tritt  der  Freiwerber  als  Jäger  auf:  v.  Schröder  S.  39. 

2)  Buhlerlieder  ^Lieder  der  Buhler,   Liebesleute)  sind  Vierzeilige,  die  man  anderswo 
Schnaderhüpfel  nennt.     Sie  sind  zu  Tausenden  über  unsere  Sprachinsel  verbreitet. 

3)  Im  Mittelalter  hiess  es:  sie  baut  ir  houbet. 

4)  Bereits    im  Mittelalter    spielte    der  Schuh    bei  Eheschliessungen    eine  Rolle.     Der 
Bräutigam    reichte    der  Braut    beim  Verlöbnis    einen  Schuh    oder   trat    ihr  auf  den  Fuss. 


264  Piger:  Geburt,  Hochzeit  und  Tod  in  der  Iglauer  Sprachinsel  in  Mähren. 

Auch  etwas  derbere  Scherze  kommen  vor,  die  alle  sich  darauf  beziehen, 
dass  die  junge  Frau  ihr  Magdtum  bereits  verloren.  Man  sucht  es  zu  ver- 
anlassen, dass  der  Bräutigam  sich  unachtsamerweise  auf  einen  polsterartigen 
Brustfleck  setzt,  den  bloss  verheiratete  Frauen  tragen.  Gelingt  es,  so 
muss  er  den  Frauen  Bier  oder  Kaffee  für  den  folgenden  Tag  zahlen. 
Wenn  die  junge  Frau  nach  dem  Aufsetzen  des  Schopfes  wieder  im  Braut- 
winkel Platz  genommen,  so  kommt  häufig  ein  junger  Bursche  mit  einem 
Nünnl1),  schaukelt  es  und  reicht  es  ihr  unter  Scherzen  über  den  Tisch. 
Geht  dann  endlich  das  junge  Ehepaar  zu  Bett,  so  sind  sie  nicht  sicher, 
dass  sie  nicht  auch  da  ein  Nünnl  im  Ehebette  antreffen. 

Bis  Donnerstag  zum  wenigsten  dauert  die  Hochzeit.  Mau  besorgt  das 
Vieh,  legt  sich  vielleicht  eine  Weile  auf  eine  Bank  oder  stützt  auch  nur 
den  Kopf  auf  den  Tisch,  im  übrigen  wird  auch  Donnerstag  weiter  getanzt. 
Ja  es  kann  vorkommen,  dass  von  Dienstag  bis  Samstag  mit  Ausnahme 
einiger  Vormittagsstunden  ununterbrochen  getanzt  wird.2) 

Am  kommenden  Sonntag  wird,  nachdem  die  junge  Frau  die  Eltern 
besucht  hat,  Nachhochzeit  gefeiert.  Dabei  beteiligen  sich  nur  noch  die 
näheren  Verwandten  und  die  Freude  geht  nicht  mehr  so  hoch;  man  hat 
bereits  angefangen  sich  ans  alltägliche  Leben  zu  gewöhnen. 

Ist  die  Braut  aus  einem  fremden  Dorfe,  so  muss  sie,  wenn  sie  das 
erste  Mal  mit  ihrem  Manne  zum  Tanze  geht,  Hanselgeld3)  zahlen,  dann 
erst  gilt  sie  als  in  die  Dorfgenossenschaft  aufgenommen.  Hat  der  Bräutigam 
eine  Braut  aus  einem  anderen  Dorfe  heimgeholt,  so  muss  er  den  Burschen 
jenes  Dorfes  gleichsam  zum  Ersatz  für  die  Wegnahme  der  Braut  ebenfalls 
Hanselgeld  zahlen. 

Iglau. 


Weinhold,  Frauen  P,  37'2.  P.  Sartori  in  unserer  Zeitschrift  IV,  1G6  ff.  173  f.  —  Die 
Walachinnen  hoffen  noch  heute,  dass  sie,  wenn  sie  dem  künftigen  Mann  einen  Pusstritt 
geben,  ihn  in  der  Ehe  beherrschen  werdeu.    Man  vergleiche  das  oben  Bemerkte. 

1)  Nünnl  heisst  hier  die  Puppe  (Nönnlein).  Nunna  (Nonne)  ist  seit  der  Protestanten- 
zeit in  Iglau  Schimpfwort. 

2)  Auch' Kirchweihfeste  dauern  so  ziemlich  eine  Woche.  Die  Genussfähigkeit  unserer 
Bauern  scheint  unerschöpflich  zu  sein. 

3)  Hansel  heisst  in  Österreich  allgemein  das  Tropfbier.  Recht  bezeichnend  für 
bäuerliche  Denkweise  ist  es,  dass  nicht  Biergeld,  sondern  Hanselgeld  gezahlt  wird.  — 
Eigentlich  bedeutet  es  Geld  zur  Aufnahme  in  eine  Hanse,  Innung,  liier  Dorfgemeinschaft 
vgl.  Weigand,  D.  Wörterb.  I3,  764. 

(Schluss  folgt.) 


Hartmann:  Aus  dem  Volkstum  der  Berber.  265 

Aus  dem  Volkstum  der  Berber. 

Von  M.  Hartmann. 


Mit  der  Einnahme  Algiers  durch  Frankreich  im  Jahre  1830  brach  für 
die  wissenschaftliche  Erforschung  Nordwestafrikas  eine  neue  Zeit  an.  Die 
politischen  und  Verwaltungsinteressen  wiesen  auf  eine  sorgfältige  Bearbeitung- 
alles  dessen  hin,  was  auf  das  Land  und  seine  Bewohner  Bezug  hat.  Daneben 
fand  das  rein  wissenschaftliche  Studium  in  den  Erleichterungen,  welche 
die  Herrschaft  einer  Kulturnation  mit  sich  brachte,  eine  unschätzbare 
Stütze.  Bald  richtete  sich  der  Blick  auch  auf  die  Nachbarländer  Tunis 
und  Marokko.  Das  eine  ist  bereits  angegliedert,  Die  Einverleibung 
wichtiger  Teile  des  andern  in  den  nordafrikanischen  Besitz  Frankreichs 
ist  eine  Frage  der  Zeit.  Auch  hier  ist  von  Franzosen  bereits  viel  für  die 
genauere  Kenntnis  des  Landes  gethan  worden. 

Verhältnismässig  schlecht  ist  hierbei  bisher  die  Volkskunde  weg- 
gekommen. In  Algerien  ist  viel  gesammelt  und  publiziert  worden.  Aber 
nur  zu  oft  wurden  gerade  hier  unseren  westlichen  Nachbarn  die  glänzenden 
Eigenschaften  einer  lebhaften  Phantasie,  des  sprudelnden  Geistes  und  der 
rasch  fliessenden  Feder  verhängnisvoll;  nur  zu  Vieles  ist  minderwertig,  ja 
irreführend.  Ein  Standardwerk .  wie  Lane's  Manners  and  Customs  für 
Egypten,  fehlt  für  Algerien,  so  viel  mir  bekannt,  immer  noch. 

Anzuerkennen  ist,  dass  das  Studium  der  volkstümlichen  Erzählung  in 
Nordwestafrika,  besonders  auch  bei  dem  berberischen  Teil  der  Bevölkerung, 
im  letzten  Jahrzehnt  eifriger  gepflegt  worden  ist.  Unter  den  Franzosen 
steht  auch  hier  in  erster  Linie  der  unermüdlich  thätige  Rene  Basset.  Von 
Deutschen  kommt  Dr.  Hans  Stumme  in  Betracht.  Die  beiden  Herren  sind 
im  Augenblick  die  einzigen  wissenschaftlichen  Vertreter  der  Berberologie.  Von 
Basset  liegen  vor:  Contes  populaires  herberes  (Paris  1887).  Die  Erzählungen 
gehören  verschiedenen  Gebieten  und  Dialektgruppen  an.  Stumme  hat  uns 
in  den  letzten  zwei  Jahren  die  folgenden  drei  Arbeiten  geschenkt: 

1.  Elf  Stücke  im  Silha-Dialekt  von  Tazerwalt  von  Dr.  Hans  Stumme. 
Separat -Abdruck  aus  dem  48.  Bande  der  Zeitschrift  der  Deutsch. 
Morgenl.  Gesellschaft.     1894.  —  28  S.     8°. 

2.  Märchen  der  Schluh  von  Tazerwalt  von  Dr.  Hans  Stumme.  Leipzig 
1895.  —  XII  und  208  S.     8°. 

3.  Dichtkunst  und  Gedichte  der  Schluh  von  Dr.  Hans  Stumme  (Habili- 
tationsschrift).    Leipzig  1895.  —  VI  und  86  S.     8°. 

Stumme  hat  sich  auf  das  nicht  umfangreiche  Gebirgsgebiet  von  Tazer- 
walt,  nicht  weit  südlich  von  der  Mündung  des  Wad  Süs  im  südwestlichen 


2fi6  Hartmann: 

Marokko,  und  seinen  Dialekt  beschränkt.  Diese  Mundart  gehört  dem 
Schilha  an,  der  Sprache  der  Schluh,  welche  das  Gebiet  zwischen  Mogador 
und  der  Mündung  des  Wad  Nun  in  einer  Breite  von  270  km  und  einer 
Länge  von  400  km  bewohnen.  Dieses  Berbervolk  und  in  ihm  wieder  die 
Leute  aus  der  Provinz  Süs,  hat  in  besonderem  Masse  Neigung  und  Geschick 
zu  dem  Gaukler-  und  Seiltänzer-Handwerk,  aber  auch  zu  Dichtung,  Gesang 
und  Spiel.  So  sind  denn  auch  die  Gewährsmänner  St.'s  Akrobaten  der 
Schluh,  und  zwar  der  Erzähler  der  Geschichten  der  Haz  'Abdülla  Ben 
Mhainmed,  Direktor  einer  Truppe,  der  Geber  der  Lieder  das  zwanzig- 
jährige Mitglied  einer  solchen  Muläi  'Ali  Ben  Mhammed,  beide  aus  Tazerwalt. 

Ein  besonderes  Interesse  gewinnen  die  Mitteilungen  berberischen  Ur- 
sprungs dadurch,  dass,  wenn  St.  Recht  hat  (3,  p.  1),  das  Verschwinden 
der  Berbersprachen  zu  Gunsten  des  Arabischen  eine  Frage  der  Zeit  ist. 
Aus  dem,  was  St.  selbst  in  3.  über  die  reichlich  und  mannigfaltig  schaffende 
Sangeslust  der  Schluh  mitteilt,  scheint  es  nicht  nötig,  so  schwarz  zu  sehen. 
Auch  in  den  Erzählungen  weht  ein  frischer  Geist,  und  man  kann  kaum 
glauben,  dass  ein  Volkstum,  welches  so  etwas  schafft,  bald  sollte  zu  Grabe 
getragen  werden. 

Im  einzelnen  zeigen  die  Geschichten  von  1.  und  2.  Züge,  welche  sich 
bei  sorgfältigem  Nachgehen  fast  sämtlich  auch  in  anderen  Volkslitteraturen 
nachweisen  lassen  werden.  St.  selbst  hat  bereits  in  den  am  Schluss  von 
2.  gegebenen  Anmerkungen  zu  beiden  Sammlungen  eine  Anzahl  Parallelen 
nachgewiesen.  Die  Bedeutung  dieser  ersten  umfangreicheren  Mitteilung 
aus  der  berberischen  Volkslitteratur  mag  es  rechtfertigen,  dass  hier  auf 
die  Geschichten  von  1.  und  2.  näher  eingegangen  wird.  Es  ist  dabei  auf 
die  Rätselsammlungen  1.  No.  11  und  2.  No.  35  keine  Rücksicht  genommen. 

Ein  hervorstechender  Zug  ist  die  Vorliebe  für  Tiergeschichten;  von 
den  10  Stücken  von  1.  gehören  alle  ausser  No.  1  und  10  dieser  Klasse  an; 
von  2.  die  Nummern  27—31,  33,  34.  Naturgemäss  spielen  Tiere  oft  auch 
in  den  anderen  Geschichten  eine  wichtige  Rolle,  besonders  als  die  dank- 
baren, die  den  Helden  für  das  erwiesene  Gute  aus  der  Not  retten.  So 
kounte  der  Nachweis  zur  „Formel  der  dankbaren  Tiere"  in  2.  p.  207  zu 
1.  No.  2  aus  2.  selbst  ergänzt  werden:  die  dankbaren  Hunde  in  No.  4, 
der  Windhund  in  No.  8,  der  Falke  in  No.  10,  vgl.  auch  Fuchs,  Wolf  und 
Bär  bei  Schott  No.  10;  die  Affen  Tunisische  Märchen  No.  4  (p.  73).  — 
Dem  Inhalte  nach  lassen  sich  die  Tiergeschichten  meist  in  die  Klassen 
einreihen,  welche  bei  der  Ordnung  nach  Formeln  oder  Motiven  sich  ergeben. 
Hier  ist  besonders  interessant  die  Wahl  von  Tieren  in  einer  Schlauheits- 
geschichte, in  welcher  sonst  Mensch  und  Teufel  einander  gegenüber  stehen, 
1.  No.  3,  Teil  1:  der  Igel  —  der  Reineke  Fuchs  der  Berber  —  betrügt 
den  Wolf  mit  den  Zwiebeln  und  dem  Weizen,  mit  dem  hübschen  Neben- 
zug, dass  der  Igel  die  Zwiebeln  worfelt  und  den  Weizen  drischt,  und  der 
Wolf  es  ihm  nachmacht,  dabei  aber  noch  um  die  Blätter  kommt,  die  ihm 


Aus  dem  Volkstum  der  Berber.  267 

der  Wind  entführt,  und  nur  Stroh  behält,  nachdem  er  sich  mit  dem  Worfeln 
und  Dreschen  geplagt  hat.  Siehe  zu  dem  Motiv  die  reichen  Nachweise 
bei  Lidzbarski,  Neuaramäische  Dialekte  in  Zeitschr.  f.  Assyriologie  Bd.  9, 
p.  261,  Anm.  1,  zu  der  von  ihm  aus  Ms.  Berlin  Cod.  Sachau  No.  337  mit- 
geteilten Erzählung:  Der  Mossulaner  und  der  Teufel.  Teil  2  der  neuara- 
mäischen Erzählung,  Zweikampf  des  Teufels  mit  seinem  Socius  und  ähn- 
liche Überlistung,  fehlt  wie  den  meisten  Versionen  (Lidzb.  kennt  nur 
Müllenhoff,  Sagen  etc.  bei  Grimm  III,  p.  358)  so  auch  dieser  berberischen. 
Dagegen  ist  hier  eine  andere  Reihe  von  Streichen  angeschlossen,  die  der 
Igel  ausführt.  Sie  beginnt  mit  dem  dritten  Teil  von  Grimm,  KHM.  No.  73 
(der  vollgefressene  Wolf  kann  nicht  mehr  heraus,  vgl.  Goethe,  Reineke 
Fuchs,  Ges.  III,  Ende;  Nachweise  Grimm  III,  p.  124);  hier  kommt  der 
Wolf  heil  davon:  er  stellt  sich  auf  Rat  des  Igels  tot  und  wird  über  die 
Gartenmauer  geworfen.  Dabei  hat  er  freilich  ein  Stück  Schwanz  eingebüsst 
und  muss  nun  fürchten,  erkannt  zu  werden.  Aber  der  Igel  weiss  Rat: 
er  mietet  Wölfe  zum  Dreschen,  bindet  sie  mit  den  Schwänzen  zusammen 
und  ruft:  Die  Windhunde  sind  da!  Die  Wölfe  zerren,  jeder  verliert  ein 
Stück  Schwanz,  und  der  Schuldige  bleibt  verborgen.  Der  betrogene  Herr 
bringt  nun  dem  Wolf  etwas  bei,  dass  er  immer  keuchen  muss;  aber  wieder 
wird  er  nicht  erkannt,  denn  auf  Rat  des  Igels  sagt  er  beim  Vorbeigehen 
vor  dem  Richter:  Ich  habe  eine  schöne  Schwester  Tatach  Ifachachachacha. 

Der  Igel  spielt  zugleich  die  Rolle  dos  Furchtlosen  und  des  Schlauen 
in  2.  Xo.  27:  alle  Tiere  fürchten  sich  vor  dem  Löwen,  nur  der  Igel  nicht, 
und  er  wagt  allein,  das  vom  Löwen  gefesselte  Mädchen  loszubinden.  Er 
höhnt  den  Löwen,  und  dieser  muss  froh  sein,  dass  der  Stachlige,  den  er 
erschnappt,  sich  gutwillig  aus  seinem  Maule  herausfallen  lässt;  jetzt  wollen 
sie  mit  ihren  Heeren  gegen  einander  kämpfen;  der  Igel  häuft,  statt  Soldaten 
zu  sammeln,  nur  holzige  Grasstoppeln  auf;  als  der  Löwe  mit  gewaltigem 
Heer  anzieht,  bittet  er  Gott  um  einen  Wind;  die  spitzen  Stoppeln  fahren 
den  Tieren  in  den  After  und  sie  laufen  davon.  Durch  List  siegt  der  Igel 
auch  beim  Wettlauf  mit  dem  Hasen,  Grimm  KHM.  No.  187  (in  ähnlicher 
Wettlaufgeschichte  siegt  die  Schildkröte  durch  Beständigkeit,  s.  Locmani 
fabb.  ed.  Roediger  No.  20  (marqät  almagäni  I,  70);  so  auch  Lafont.  6,  10). 

In  1.  No.  4  vom  Esel,  Halm,  Hammel  und  Hund  finden  wir  zunächst 
das  Motiv  der  Bremer  Stadtmusikanten,  Grimm,  KHM.  No.  27,  aber  wie 
in  den  älteren  Versionen,  die  Grimm  III,  48  ff.  beibringt,  sind  auch  hier 
die  Gefoppten  nicht  Menschen,  sondern  Tiere,  und  zwar  ist  es  zuerst  der 
Löwe  (Sieg  der  Verschlagenheit  über  die  Stärke):  nachdem  sie  einen 
Löwen  durch  gemeinsamen  Angriff  aus  der  Welt  geschafft  haben,  jagen 
sie  einen  zweiten  dadurch  in  die  Flucht,  dass  sie  das  Fell  des  Getöteten 
immer  von  neuem  vorführen,  so  dass  jener  denkt,  sie  hätten  schon  viele 
umgebracht.  Neue  Züge  sind:  1.  sie  klettern  auf  einen  Baum;  der  Esel 
fällt  unter  die  unter  ihn  gekommenen  Tiere;  der  Hund  ruft  ihm  zu:  pack 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.     18%.  18 


268  Haitmann: 

das  grösste  von  ihnen!  und  nun  stieben  sie  aus  einander;  2.  das  Schwein 
soll  sie  vor  den  Richter  schaffen;  sie  wollen  kommen,  wenn  es  ihre  Kleider 
trage;  sie  packen  ihm  aber  Stroh  auf,  und  der  Hahn,  der  sich  darauf 
gesetzt,  zündet  es  an;  das  Schwein  richtet  nun  bei  allen  Tieren  Feuers- 
brunst an. 

Hier  seien  gleich  die  anderen  Schlauheits-  und  Dummheitsgeschichten 
besprochen.  Da  ist  zunächst  No.  9,  eine  Reihe  von  Meisterdiebgeschichten, 
jener  Klasse,  deren  ältestes  und  bekanntestes  Specimen  die  Rampsinit- 
geschichte  bei  Herodot  ist.  Hier  treffen  sich  der  Tagräuber  und  der 
Nachträuber,  entdecken,  dass  sie  ein  und  dieselbe  Frau  haben,  und  machen 
dann  verschiedene  Diebskunststücke.  Der  Nachträuber  erweist  sich  als 
der  geschicktere.  —  Zu  dem  Zuge,  dass  der  Dieb  dem  Vogel  die  Eier 
unter  dem  Leibe  wegnimmt,  vergleicht  Stumme:  Socin-Stumme,  Houwära 
No.  9.  Prym-Socin,  Tur  Abdin  S.  170.  Riviere,  Recueil  de  contes  popul. 
S.  14.  —  Zur  Unterscheidung  der  Diebe  nach  Spezialitäten  vergleiche  den 
Landdieb  und  Stadtdieb  in  der  Zigeunerversion  der  Rampsinitgeschichte, 
die  in  Sainenu,  Basmele  romäne  (Bucuresci  1895)  S.  77  f.  mitgeteilt  ist. 
—  Zu  der  List  des  Diebes,  den  Bestohlenen  frech  als  den  Dieb  zu  be- 
zeichnen, vergleiche  die  Geschichte  von  Dschuha  und  dem  Juden  bei 
Moulieras,  Les  fourberies  de  Si  Djeh'a  No.  20  (=  Camerloher  54),  wo  der 
Jude  nicht  bloss  um  das  leichtsinnig  gegebene  Gold,  sondern  auch  um  die 
geliehenen  Sachen  kommt  (zahlreiche  Parallelen  bei  Basset  dazu);  ähnlich 
das  Motiv  auch  am  Schluss  von  der  ,gute  Handel'  Grimm  KHM.  No.  7. 
Zu  dem  heimlichen  Hinzuthun  von  Geld  zu  dem  fremden  Gelde,  das  man 
auf  Grund  dieses  dem  Eigentümer  unbekannten  Kennzeichens  reklamieren 
will,  vgl.  auch  meine  Schwanke  und  Schnurren  in  dieser  Zeitschrift  1895, 
S.  59. 

In  2.  No.  13  wird  der  Holzfäller  Vezir  Harun  Arraschids,  weil  er 
dessen  verblümte  Aufforderung,  die  vier  Veziere  zu  rupfen,  richtig  ver- 
standen hat;  er  hat  sich  entschuldigt,  dass  er  einem  Befehle  nicht  Folge 
geleistet,  mit  den  Worten:  ,Ich  borgte  und  sorgte  und  gab  zurück  das 
Geborgte'.  Die  Veziere  erfahren  von  ihm  die  Deutung,  wofür  sie  ihm 
aber  alles,  was  sie  an  und  um  sich  haben,  hergeben  müssen;  dem  Sultan 
lügen  sie  vor,  sie  hätten  es  in  einem  Buche  gefunden,  und  werden  dafür 
geköpft.  Die  rätselhaften  Worte  sind  Beispiel  eines  mehrfach  vorkommenden 
hübschen  Zuges,  der  Kindesliebe;  sie  bedeuten:  meine  Eltern  haben  für 
mich  als  Kind  alles  gethan;  jetzt  können  sie  nicht  mehr  arbeiten  und  ich 
muss  ihnen  nun  das  Gute  zurückerstatten;  vgl.  unten  bei  No.  10. 

In  den  Kreis  der  Schlauheitsgeschichten  gehört  auch  2.  No.  22,  das 
wegen  der  argen  Obscönitäten  unübersetzt  bleiben  musste;  der  wesentliche 
Inhalt  ist  nach  der  mir  gütigst  von  Herrn  Dr.  St.  mitgeteilten  handschrift- 
lichen Übersetzung,  dass  ein  Taleb  (Gelehrter,  Schulmeister)  auf  die  Wall- 
fahrt   geht    und   seine   schwangere  Frau   der  Sorgfalt  des  Muezzin  (Gebet- 


Aus  dem  Volkstum  der  Berber.  269 

ausrufers)  empfiehlt.  Der  verführt  sie  zur  Untreue,  wird  aber  von  dem 
zurückgekehrten  Taleb  selbst  zum  Hahnrei  gemacht.  Die  Listen,  welche 
die  beiden  Männer  den  einfältigen  Frauen  gegenüber  anwenden,  sind  sehr 
drastisch,  aber  nicht  ohne  Humor  dargestellt. 

Zahlreich  sind  Züge  von  Schlauheit  in  andere  Geschichten  eingestreut, 
und  dann  ist  mit  Vorliebe  ein  Jude  ihr  Träger;  s.  z.  B.  S.  79.  120  ff. 
139.  185. 

Sind  die  Schlauheitsgeschichten  meist  zugleich  Dummheitsgeschichten, 
sofern  neben  dem  Prellenden  der  Geprellte  steht,  so  nehmen  die  reinen 
Dummheitsgeschichten  eine  besondere  Stelle  ein. 

Vertreten  ist  hier  das  Motiv  des  Behandeins  von  Tieren  wie  ver- 
nünftige Wesen.  In  1.  No.  7  verkauft  der  schwachsinnige  Junge  einer 
Eule  die  Ziege,  die  er  an  den  Mann  bringen  soll,  findet  aber  einen  Topf 
voll  Gold  in  dem  Loche,  in  das  sich  die  Eule  verkriecht.  Als  dann  die 
Mutter  mit  dem  Jungen  zu  der  Fundstelle  geht,  wirft  sie  immer  Bohnen 
und  Erbsen  in  die  Luft;  der  Junge  erzählt,  sie  hätten  Gold  gefunden,  als 
es  Bohnen  und  Erbsen  regnete;  so  glauben  die  Leute  nicht  an  den  Fund. 
Hier  spielt  die  Schlauheit  der  Mutter  als  Nebenzug  hinein.  Ausser  dem 
von  St.  in  2.  S.  207  Nachgewiesenen  vergleiche  noch  Grimm  KHM.  No.  7. 
Schott  No.  22.  Ulr.  Jahn,  Schwanke  No.  16  (Kringelregen).  Stumme,  Tun. 
M.  S.  131  (der  Wurstregen). 

In  No.  24  werden  uns  die  Schildbürger  Marokkos1)  vorgeführt,  die 
Leute  aus  dem  Wad  Draa,  welches  die  südlichste  Grenze  des  dem  Sultan 
unterworfenen  Landes  bildet.  In  der  ersten  der  zwei  kleinen  Geschichten 
will  der  eine  von  zwei  Draa-Leuten  durchaus,  dass  der  andere,  der  ihm 
die  Grösse  eines  Brotiladens  in  der  Stadt  Marokko  dargestellt  hat,  ihn 
grösser  mache  und  sticht  ihn  schliesslich  nieder;  in  der  zweiten  kaufen 
Draa-Leute  Schmierseife  für  Honig,  essen  sie  zum  Brot  und  wundern  sich 
über  den  bitteren  Geschmack  erst,  als  nur  noch  wenig  übrig  ist. 

Tiere  sind  die  Dummen  in  2.  No.  30:  Der  Falke  hält  die  alte  Eule, 
die  schon  die  Federn  verloren  hat,  für  einen  jungen  Falken,  der  noch 
keine  hat;  schliesslich  verrät  sich  die  Eule,  indem  sie  längst  Vergangenes 
erzählt,  das  sie  gesehen. 

Eine  bemerkenswerte  Form  des  beliebten  Motivs:  Der  Dumme  hört 
die  Weisheitslehren  der  Tiere,  versteht  und  befolgt  sie  aber  nicht,  ist  2. 
No.  31.  Die  Schildkröte  singt;  der  Falke  bemerkt  sie  dadurch,  hebt  sie 
empor  und  lässt  sie  fallen;  sterbend  ruft  sie:  ,Wer  seinen  Mund  nicht 
schliessen  will,  dem  bringt  sein  Mund  des  Lebens  Schluss'.  Das  hört  ein 
Mann    und   schenkt  das  Wundertier  dem  Könige,   dem  er  dessen  Gabe  zu 


1)  Die  Syriens  sind  die  Leute  von  Hirns  (s.  z.  B.  Hariris  bekannte  Makame  vom 
Schulmeister  von  Hirns,  No.  39  bei  Rückert).  Der  gefährliche  Ruf  ging  auch  auf  die 
Leute  von  Sevilla  über,  das  den  Nebennamen  Hirns  führte  (s.  Maqqari  2,  348  f.). 

18* 


270  Hartman!) : 

sprechen  preist.  Als  die  Schildkröte  nun  sprechen  soll,  thut  sie  es  nicht, 
der  König  hält  sich  für  genarrt  und  lässt  dem  unklugen  Schwätzer  den 
Kopf  abschlagen.  Die  in  den  östlichen  Mittelmeerländern  übliche  Fassung 
des  Motivs  ist  die  lustige  Geschichte  vom  Vogel  und  dem  Jäger.  Vogel: 
,Lass  mich  los,  dann  lehre  ich  Dich  drei  Lebensregeln,  die  mehr  wert 
sind  als  dass  Du  mich  issest,  da  doch  so  wenig  an  mir  ist;  die  eine  sage 
ich,  während  ich  noch  in  Deiner  Hand  bin,  die  zweite  auf  dem  Baum, 
die  dritte  auf  dem  Berge.  —  Jäger:  ,Lass  hören'.  —  Vogel:  /Trauere  nicht 
über  Verlorenes'.  —  Vogel  auf  dem  Baum:  , Glaube  nicht,  was  nicht  möglich 
ist'.  _  Vogel  auf  dem  Berge:  ,Du  Dummkopf,  hättest  Du  mich  geschlachtet, 
so  hättest  Du  in  meinem  Kropf  eine  20  Mitqal  schwere  Perle  gefunden'. 
—  Jäger  betrübt  und  ärgerlich:  ,Nun  sag'  die  dritte  Lebensregel'.  — 
Vogel:  ,Wozu,  da  Du  schon  die  beiden  ersten  vergessen  hast;  sagte  ich 
nicht:  trauere  nicht  über  Verlorenes?  und  nun  bist  Du  traurig,  dass  ich 
Dir  entgangen  bin;  und  sagte  ich  nicht:  glaube  nicht,  was  nicht  sein  kann? 
und  nun  glaubst  Du  an  die  schwere  Perle  in  meinem  Kropf,  während  ich 
doch  mit  allem,  was  an  mir  ist,  noch  lange  nicht  20  Mitqäl  wiege'.  So 
hat  die  Geschichte  Assarisi  nach  Magäni  2,  80  f.  (No.  119) x);  eine  etwas 
abweichende  Version  giebt  Salhani,  Contes  arabes  S.  96  nach  einer  Hand- 
schrift, die  dem  Kreise  der  1001  Nacht  angehört;  hier  giebt  der  Vogel 
dem  Jäger,  noch  ehe  er  ihn  loslässt,  damit  er  ihn  zu  zwei  grossen  Falken 
und  einem  Schatze  führe,  die  drei  Lehren:  1.  bedauere  nicht,  was  verloren; 
2.  freue  dich  nicht  über  etwas,  was  erst  kommen  soll;  3.  glaube  nicht, 
was  du  nicht  mit  eigenem  Auge  siehst;  die  Thorheit  des  Jägers  ist  hier 
noch  augenfälliger.2) 

Ein  Dummer,  der  ohne  sein  Zuthun  als  Kluger  und  Zauberer  eine 
Rolle  spielt,  ist  der  Held  von  No.  12.  Ein  armer  Junge  sieht,  wie  ein 
Tuch  der  Frauen  des  Königs  von  einer  Kuh  verschlungen  wird.  Er  holt 
die  Kuh,  man  findet  das  Tuch  in  ihr,  und  er  gilt  als  Zauberer.  Er  wohnt 
nun  beim  König;  Diebe,  die  dessen  Palast  geplündert  haben,  fürchten, 
durch  seine  Zauberkraft  entdeckt  zu  werden  und  bringen  ihm  alles  Ge- 
stohlene. Nun  richtet  der  König  ein  grosses  Fest  her;  ein  besonderer 
Spass  sind  drei  verdeckte  Schüsseln  mit  Butter,  Honig  und  Pech;  die 
Zauberer  sollen  sagen,  was  in  den  Schüsseln  ist.  Keiner  rät  es,  und  die 
Köpfe  fliegen.  Der  Junge  sagt:  Schöne  Butter  war  das  erste,  Honig  das 
zweite,  das  dritte  aber  ist  das  reine  Pech;  er  meinte:  der  erste  Fall  sei 
so  mühelos  wie  das  Hinunterschlucken  von  Butter  gewesen,  der  zweite  sei 


1)  Ähnlich  auch  in  der  Handschrift  No.  119  meiner  Sammlung,  nur  giebt  hier  der 
Vogel  auch  die  dritte  Lehre:  Liefest  du  auch  wie  die  Gazelle,  du  bekommst  doch  nur, 
was  dir  beschieden  ist. 

2)  Welche  der  beiden  Versionen  die  Handschriften  Gotha  No.  2197,  3  und  2652,  2 
geben,  geht  aus  den  kurzen  Mitteilungen  Cat.  Pertsch  4,  p.  221  und  404  nicht  hervor. 


Aus  dem  Volkstum  der  Berber.  271 

ihm    wie  Honig    vorgekommen,    in   dem  dritten  aber  werde  er  wolil  nicht 
davonkommen. *) 

Einen  breiten  Raum  nehmen  die  Erzählungen  ein,  welche  Erscheinungen 
der  umgebenden  Natur  erklären  oder  Erfahrungen  des  täglichen  Lebens 
in  belehrender  Weise  behandeln.  Der  letzteren  Gattung  gehört  an  1.  No.  1, 
eine  Form  des  weitverbreiteten  Motivs:  geliebt  wie  Salz.  Hier  hat  die 
Geschichte  einen  Schluss,  der  in  der  deutschen  Version  (Grimm  KHM. 
No.  179)  fehlt:  die  fortgeschickte  dritte  Tochter  wird  Köchin  bei  einem 
fremden  König;  als  ihr  Vater  diesen  besucht,  kocht  sie  für  ihn  Essen 
ohne  Salz;  er  untersucht  das  fade  Gericht,  findet  den  Ring  seiner  Tochter 
und  erkennt  nun  die  Bedeutung  ihres  weisen  Vergleiches  (das  Motiv  ist 
verwertet  von  Auerbach  im  Barfüssele).  Die  anderen  Geschichten  sind 
Antworten  auf  die  Frage:  Wie  sind  Tiere  und  Pflanzen  zu  ihrer  Gestalt, 
wie  sind  andere  Teile  der  Natur  zu  ihren  Eigenschaften  gekommen?  Nahe 
berührt  uns  der  Anfang  von  2.  No.  29:  woher  der  Stieglitz  sein  buntes 
Kleid  hat  (vgl.  das  bekannte  Gedicht  von  Fr.  Kind);  nur  dass  hier  der  Vogel 
nicht  als  Zuletztgekommener  mit  den  Resten  des  göttlichen  Farbentopfes 
bedacht  wird,  sondern  die  bunten  Sachen  gleichsam  als  Schmerzensgeld 
für  die  Wunden  erhält,  die  er  sich  beim  übermütigen  Herumkollern  geholt 
hat.  1.  No.  6  erklärt,  wie  es  kommt,  dass  der  Skorpion  keinen  Kopf  hat 
(er  will  lieber  gar  keinen  haben  als  so  einen  wie  die  Eule);  nach  2.  No.  33. 
34  ist  der  Reiher  ein  wegen  seiner  Bosheit  verwandelter  Kadi,  das  Stachel- 
schwein eine  wegen  Holzholens  am  Feiertage  verwandelte  Frau  (die 
Stacheln  sind  das  Reisig);  nach  2.  No.  32  ist  das  Seewasser  salzig,  weil 
Gott  den  Übermnt  des  süssen  Meeres  brach,  indem  er  es  von  einer  Mücke 
aufsaugen  und  wieder  ausspeien  liess.  Hier  zeigt  sich  zugleich  ein  Zug, 
der  auch  sonst  vertreten  ist:  die  Freude  am  Grotesken,  an  dem  Iiivcr- 
bindungsetzen  von  Wesen  in  einer  Weise,  die  durch  ihre  Eigenschaften 
vollkommen  ausgeschlossen  ist,  im  denkbar  grössten  Widerspruch  mit 
ihnen  steht.  So  ist  es  grotesk,  wenn  in  1.  No.  9  das  Kamel  dem  Sperling 
auf  den  Fuss  tritt  und  der,  sich  dem  Kamel  auf  den  Rücken  setzend  und 
auf  seinem  Buckel  herumtretend,  ruft:  , Wollen  wir  einmal  tüchtig  trampeln?' 
Nahe  verwandt  sind  die  Lügengeschichten,  wie  1.  No.  20,  zu  welcher  St. 
in  2.  S.  207  einige  Nachweise  gegeben  hat  (vgl.  noch  die  Züge,  die  sich 
in  Grimm  Hl,  S.  193  f.  (zu  KHM.  No.  112)  und  S.  336  f   (aus  der  serbischen 

1)  Eine  deutsche  Parallele  zu  dem  Erraten  durch  Zufall  ist  die  Geschichte  von  dem 
Sachsen,  dem  der  König  von  China  drei  Rätsel  vorlegt,  deren  Nichtlösung  ihm  den  Kopf 
kosten  soll:  1.  Das  erste  klopft,  das  zweite  klopft,  und  das  ganze  klopft  auch;  der  Sachse: 
Da  harn  mer'sch  mit'm  erschten  klei  vertorbcn  (Hammerschmied).  2.  Das  erste  ein 
Buchstabe,  das  zweite  ein  vierfüssiges  Tier,  das  ganze  macht  Lärm.  Antwort:  Na  das 
is  je  widder  een  Reenfall  (Gewitter).  8.  Das  erste  sind  Vögel,  das  zweite  ist  nicht  gross, 
das  ganze  das  Lieblingsgericht  der  Prinzessin.  Der  Sachse:  Nu  gönn'n  Se  kDi'n 
Henker  holen!  Gänseklein).  —  Zu  dem  Zauberer  wider  AVillen  vgl.  den  Arzt  wider  Willen. 
Benfey,  Pan6    I,  p.  510  11. 


->72  Hartmann: 

Sammlung  Schottkys)  finden  und  den  Anfang  der  Erzählung  des  Hibäla  in 
Ibn  Südün's  nuzhat  annufüs1)  (Kairo  1280)  S.  81).  Angeschlossen  seien 
hier  gleich  die  albernen  Geschichten  wie  2.  No.  25  und  26  (letztere  sehr 
schwach). 

In    den  Kreis    der  Geschichten,    deren  Wirkung    eine  komische    sein 
soll,  gehört  unzweifelhaft  auch  die  von  Muhammed  Schaflorbeer  2.  No.  6. 
Der  Kleine  spielt  folgende  Streiche:  1.  er  sagt  den  Arbeitern   als  Auftrag 
seines  Vaters,  sie  sollten  das  Gemähte  verbrennen;  2.  er  kriecht  einer  Kuh 
in  den  Hintern  und  ruft  Leuten  zu:    Gott  verfluche  euch;    die  kaufen  die 
Kuh  und  schlachten  sie,    finden  aber  nichts,    da  er  in  den  Kopf  gerutscht 
ist;    3.  aus  diesem  ruft  er  der  Judenkarawane,  die  Kopf  und  Fell  gekauft 
hat,  zu:  Prügelt  die  Juden,  ihr  Juden;    die  Juden  reissen  aus,  der  Kleine 
bringt  seinem  Vater  die  Karawane.    Man  sieht  sofort,  dass  hier  das  Däum- 
lingsmotiv  vorliegt;  die  Kleinheit  ist  gepaart  mit  einer  starken  Dosis  Bos- 
heit; der  Dummschlaue  wird  schliesslich  reich  durch  das,  was  die  anderen 
aus  Dummheit    sich    abnehmen    lassen.     Zum  letzten  Zuge  vgl.  das  Glied 
der  Bürle  (Dschuha)  =  Reihe,  wie  der  Held  zu  der  Herde  kommt  (s.  meine 
Schwanke  und  Schnurren  hier  1895,  S.  60).  —  Als  ein  Kuriosum,  das  eine 
wichtige  Lehre  enthält,    sei  hier  folgendes  festgestellt:    Eine  jämmerliche, 
wahrscheinlich  in  Kairo  hergestellte  Lithographie  kl.  8°,  55  SS.,  o.  0.  u.  J., 
die    ganz    unverfänglich    aussieht    und    den  Eindruck   eines  echten  Volks- 
buches macht,    giebt  unter  dem  Titel    husn    alichtirä'    fi    Sachs    qadd 
assibä\  d.h.  die  schöne  Erfindung  von  der  fingergrossen  Person,  in  ihrem 
ersten  Teile    eine,    wie    ich   aus  Grimm  III,    p.  318  ff.    schliesse,    ziemlich 
getreue  Übersetzung    von    The  Life    and  Adventures   of  Tom  Thumb  III, 
37—52;  in  dem  Rest  scheint  unter  anderem  auch  der  daumenlange  Hansel 
(Linz  1815,  nach  Grimm  III,  p.  72  f.)  verwertet  zu  sein.    Diese  schlechten 
Lithographien    mit  Geschichten    haben    eine    ausserordentlich   grosse  Ver- 
breitung im  Orient,  und  noch  weiter  dringt  naturgemäss  ihr  Inhalt,  zumal 
wenn  er  heiter  ist,    durch  mündliche  Überlieferung.     Nehmen  wir  nun  au, 
die  Geschichte    bequemt    sich    arabischen  Anschauungen    immer    mehr    an 
und    wird    von   einem  Sammler  in  einer  abgelegenen  Ecke  des  arabischen 
Sprachgebiets    nach    fünfzig    oder  hundert  Jahren  gefunden,    so  ist  in  der 
That    die  Gefahr    sehr    gross,    dass    in    ihr    dann    ein   echtes  Produkt  des 
arabischen  Volksgeistes  gesehen  wird,  wie  diese  Gefahr  für  ein  sicher  erst 
im  Jahre  1804    nach  Europa    gelangtes,    aber    schon    zu  Grimms  Zeit  ins 
Volk    gedrungenes  Märchen    des  Siddikür    von   Benfey  (Panc.  I,  216)   in 
scharfer  Weise  festgestellt  worden  ist. 

Unter  den  Geschichten,  die  sich  mit  der  Natur  beschäftigen,  sprechen 
uns  durch  ihre  Sinnigkeit  die  an,   welche  die  Entstehung  von  Quellen  er- 


1)  Dieses  wichtige  arabische  Schnurrenbuch,  verfasst  um  !S50  d.  FL,  mehrfach  gedruckt 
und  lithographiert  in  Egypten,  ist  bisher  noch  fast  gar  nicht  beachtet. 


Aus  dem  Volkstum  der  Berber.  273 

klären.  Es  sind  nicht  besondere  Erzählungen,  sondern  sie  schliessen  sich 
immer  an  andere  an,  bilden  deren  befreiend  und  erfreuend  wirkenden 
Abschluss.  In  2.  No.  10  (s.  unten)  fallen  die  abgerissenen  Finger  des 
braven  Knaben  Unamir  auf  einen  Felsen;  ,dem  entsprangen  alsbald  fünf 
Quellen';  in  2.  No.  11  werden  die  Liebenden  an  den  entgegengesetzten 
Enden  der  Stadt  begraben;  zwei  Palmen  entspriessen  den  Gräbern,  ver- 
einigen sich  und  werden  erst  von  dem  Juden,  der  Pech  in  die  Gräber 
schüttet,  aus  dem  Wege  geschafft;  aber  nun  springen  an  ihrer  Statt  zwei 
Quellen  hervor,  die  sich  in  der  Mitte  der  Stadt  vereinigen.  In  2.  No.  8 
springt  die  Quelle  dort  hervor,  wo  das  Dorf  vom  Geisterpferd  unter  den 
Erdboden  gezaubert  ist;  diese  Quelle  macht  aber  den,  der  daraus  trinkt, 
blind. 

Auf  die  eigentlichen  Märchen  in  den  Sammlungen  1.  und  2.  hier 
näher  einzugehen,  muss  ich  mir  versagen,  und  ich  kann  es  um  so  eher, 
als  der  Verfasser  gerade  zu  ihnen  schon  die  wichtigsten  Parallelen  bei- 
gebracht hat.  Im  ganzen  ist  die  Darstellung  in  diesen  Stücken  noch 
springender,  zusammenhangloser  als  sie  sonst  in  dieser  Gattung  zu  sein 
pflegt,  und  nicht  selten  wird  man  geradezu  durch  die  Öde  und  Leerheit 
der  unvermittelt  auf  einander  gesetzten  Züge  abgestossen  (so  besonders  in 
2.  No.  29,  wo  mehrere  Geschichten  ganz  lose  zusammengeschweisst  sind). 
Als  die  Krone  der  mitgeteilten  Märchen  möchte  ich  No.  10  bezeichnen 
mit  seinem  schlicht- innigen,  dabei  ohne  alle  Rührseligkeit  vorgetragenen 
Inhalt.  Der  junge  Ahmed  Unamir  wird  vom  Lehrer  geprügelt,  weil 
morgens  seine  Hände  immer  von  Henna  rot  sind.  Das  waren  aber  die 
Engel,  die  ihm  die  Hände  in  der  Nacht  färbten.  Eine  Nacht  packt  er 
einen  der  Engel;  der  sieht  aus  wie  ein  kleines  Mädchen.  Er  muss  ihr 
sieben  Zimmer  bauen,  eins  im  andern;  die  darf  aber  nur  er  betreten  Die 
Mutter  findet  durch  Zufall  den  von  ihm  versteckten  Schlüssel  und  geht 
bis  zum  letzten  Zimmer  zum  Mädchen  und  wieder  heraus.  Als  der  Held 
kommt,  geht  ihm  in  jedem  Zimmer  das  Wasser1)  höher,  im  letzten  bis 
unter  die  Achseln.  Er  muss  dem  .Mädchen  das  Fenster  öffnen:  es  fliegt 
als  Taube  davon;  er  werde  es  im  siebenten  Himmel  wiederfinden.  Dorthin 
gelangt  er  nach  wunderbarer  Reise;  im  Palast  des  Mädchens  soll  er  nie 
durch  eine  Thür  gehen,  ,die  in  den  Boden  hinabführt'.  Einst  öffnet  er  sie 
doch;  er  sieht  unten  auf  der  Erde  seine  Mutter,  die  sich  nicht  zu  helfen 
weiss  und  ruft:  ,Wo  bist  Du  mein  guter  Ahmed,  dass  Du  mir  diesen 
Hammel  schlachtest?'  Die  Kindesliebe  erwacht,  er  springt  durch  die 
Thür,  um  der  Mutter  zu  helfen,  wird  aber  von  den  Winden  zerrissen; 
seine  Finger  fallen  auf  einen  Felsen  und  werden  zu  fünf  Quellen  (siehe 
oben). 

1)  Das,  wie  St.  p.  103  Aum.  wohl  richtig  bemerkt,    als  von  den  Thränen  des  Engel- 
mädchens herrührend  zu  denken. 


274  Hartmann : 

Fast  gleich  kommt  an  Smnigkeit  2.  No.  11,  wo  der  Liebende  vom 
zürnenden  Vater  des  Mädchens  bei  der  dritten  Frage  erkannt  wird:  was 
einer  gewissen  Blume  ähnlich  sei,  da  er  antwortet:  Deine  Tochter;  das 
Mädchen  stürzt  sich  vom  Palast,  als  der  Geliebte  geköpft  wird;  die  Quellen 
ans  ihren  Gräbern  siehe  oben. 

Von  Motiven  und  Zügen,  die  uns  besonders  vertraut  sind,  nenne  ich 
folgende: 

Das  Hansel-  und  Gretel-Motiv  verbunden  mit  dem  von  Brüderchen 
und  Schwesterchen  in  2.  No.  1;  das  zweite  Motiv  hier  stark  abweichend 
von  der  Version  in  Grimm  KHM.  No.  11. 

Das  Tischchendeckdich  etc.  -  Motiv  in  2.  No.  2:  nicht  sehr  abweichend 
von  Grimm  KHM.  No.  36,  nur  ist  hier  das  goldmistende  Tier  eine  Katze. 
Zu  den  Nachweisen  bei  St.  vgl.  noch  Schott  No.  20;  auch  Grimm  KHM. 
No.  54  ist  heranzuziehen.  Das  Tischchen  als  Rute,  der  Knüppel  als 
Schäferstab  finden  sich  bei  Hahn  No.  15  (S.  133  f.  und  136).  Der  Gohl- 
esel  hat  noch  eine  andere  Rolle  im  Maghrib,  und  zwar  im  Dschuha-Kreis: 
s.  Stumme,  Tun.  M.  No.  14  und  Moulieras,  Les  fourberies  No.  46  (Dsch. 
macht  den  Dummen  nur  vor,  der  Esel  miste  Gold). 

Das  Verleumdungsmotiv  oder  Genovevam.  in  2.  No.  3:  Die  Heldin 
o-e währt  nicht  die  verlangte  Gunst  und  wird  verleumdet  und  Verstössen; 
sie  lebt  mit  den  Gazellen;  der  Jude  bringt  sie  durch  Feuer,  an  dem  sie 
sich  wärmt,  um  die  Kraft  der  Kniee,  sie  wird  gefangen  und  vom  König 
geheiratet;  sie  ist  aber  stumm,  und  erst  der  Schreck,  als  der  Jude  so  tlmt, 
als  wolle  er  ihr  Kind  aus  dem  Fenster  schleudern,  lässt  das  störende  Glas- 
kügelchen  aus  der  Kehle  fahren  Wieder  wird  der  Heldin  zugesetzt,  dieses 
Mal  von  dem  Vezir,  in  welchem  St.  deu  Juden  sieht;  er  tötet  aus  Wut  über 
die  Abweisung  den  Knaben.  Sie  zieht  fort,  entstellt  sich  durch  ein  über 
den  Kopf  gezogenes  Schafbauchfell,  so  dass  sie  wie  ein  männlicher  Grind- 
kopf aussieht  und  betreibt  in  einer  fremden  Stadt  eine  Ringelbäckerei. 
Bei  ihr  finden  sich  zufällig  Vater,  Bruder,  Gatte  und  die  beiden  Verführer 
zusammen;  sie  erzählt  ihre  Geschichte  und  giebt  sich  am  Schluss  zu  er- 
kennen. Die  Schuldigen  werden  bestraft.  Der  hier  vorkommende  Zug 
mit  dem  Grindkopf  ist  ein  in  diesen  Märchen  ausserordentlich  beliebter, 
s.  St.  2.  S.  200. 

Das  Motiv  von  den  dankbaren  Tieren  und  dem  undankbaren  Menschen 
in  1.  No.  2,  für  welches  schon  St.  auf  Benfey,  Pancatantra  I,  193  ff.  (zu 
II,  12S)  hingewiesen  hat;  hier  kommt  der  Zug  hinzu,  der  sich  sonst  nicht 
zu  finden  scheint,  dass  der  Befreier  sich  an  dem  Undankbaren  rächt,  indem 
er  sein  Gehirn  als  Mittel  gegen  die  Schlange  verwendet. 

Das  Orpheusmotiv  in  2.  No.  16  (S.  145):  die  Kamele  tanzen  um  die 
Cisterne,  aus  der  die  Zauberflöte  tönt;  „sie  frassen  nicht,  sondern  hatten 
nur  Sinn  für  die  Melodie".  Vgl.  dazu  die  Geschichten  von  der  Wirkung 
des    huda'- Gesanges    auf   die   Tiere,    z.  B.  in  den  Kommentaren  zu  Ibn 


Aus  dem  Volkstum  der  Berber.  275 

Alfarid,  Diwan  ed.  Marseille  p.  358  f.  —  vgl  auch  Hahn  I,  No.  34  (p.  222  f.) 
und  die  Varianten  II,  238  ff.  —  Grimm  III,  p.  342. 

Endlich  sei  noch  erwähnt,  dass  auch  die  Heiligenlegende  nicht  fehlt. 
In  2.  No.  18  sind  zwei  Stücke  solcher  Art  verschmolzen,  1.  vom  Sidi 
Belabbas  und  seinem  schwarzen  Diener  Massud  (Massud),  der  durch  den 
Heiligen,  obwohl  er  ihn  auf  Veranlassung  des  Teufels  schlimm  geärgert 
hat,  zu  der  Prinzessin  kommt,  sie  aber  aus  Sehnsucht  nach  den  Paradieses- 
jungfrauen verlässt;  2.  vom  König  Jakob  von  Marokko  (vielleicht  anlehnend 
an  Abu  Jüsuf  Ja'qüb,  dessen  Regierung  580 — 595  d.  Fl.  die  Glanzperiode 
des  Almohadentums  bildet)  und  seiner  Frau  und  Tochter,  die  nach  Kairo 
ziehen,  von  dem  Pascha  von  Kairo,  der  die  Tochter  heiraten  will,  von 
den  Geisterpferden  von  Bulaq  mit  silbernen  Hufeisen  und  goldenen  Nägeln 
uud  von  dem  Tode  und  Begräbnis  des  Königs-Heiligen  in  den  Drusen- 
bergen Syriens.  Von  einzelnem  sei  erwähnt:  in  1.  der  Mantel  des  Heiligen, 
unter  welchem  der  Diener  die  Hiebe  nicht  fühlt  (vgl.  den  Wimdermantel 
des  Elias),  in  2.  dürfte  bei  den  Geisterpferden  von  Bulaq  wohl  kaum  an 
die  Sphinx  von  Gizeh  gedacht  werden,  wie  St.  p.  171  Anm.  als  möglich 
hinstellt;  das  bulaq  ist  gewiss  identisch  mit  dem  Namen  des  Zauberpferdes 
des  Propheten  alburäq.  Sehr  merkwürdig  ist  die  Erwähnung  des  zbil 
eddrüz,  des  Drusengebirges,  am  Schluss  der  Geschichte.  Der  König- 
Heilige  will  nicht  auf  dem  Dorffriedhof,  sondern  auf  luftiger  Bergspitze 
begraben  sein,  und  der  Tote  setzt  seinen  Willen  durch,  indem  er  sich 
nicht  fortschaffen  lässt,  bis  man  beschlossen  hat,  ihn  dorthin  zu  bringen. 

In  3.  macht  St.  interessante  Mitteilungen  aus  der  poetischen  Litteratur 
der  Schluh.  39  kürzere  Stücke  werden  dem  Sidi  llanimu,  dem  berühm- 
testen Spruchdichter  (andäm)  der  Schluh  zugeschrieben;,  der  um  800  d.  Fl. 
(1397/98  n.  Chr.)  gelebt  haben  wird.  Ein  längeres  Gedicht,  das  wahr- 
scheinlich nicht  vor  1857  entstanden  ist,  schildert  die  Einnahme  Algiers. 
Das  , Gedicht  eines  Jägers'  macht  den  Schluss.  das  jedoch  nicht  das  Jäger- 
handwerk feiert;  im  Gegenteil:  der  Waidmann  wird  von  der  Gazelle  mit 
rührenden  Worten  gefragt,  was  sie  ihm  gethan,  dass  er  sie  töten  wolle, 
und  er  wird  von  heftigem  Kummer  krank.  St.  weist  Parallelen  aus 
deutschen  Sammlungen  nach  und  bringt  (S.  17)  ein  berberisches  Märchen, 
in  welchem  einem  am  Freitag  jagenden  Schützen  der  Patron  der  Jäger 
Sidi  Ali  Ben  Nasr  erscheint  und  ihn  heftig  tadelt;  auch  trifft  der  Jäger 
seit  jener  Zeit  nichts  mehr  (entfernt  verwandt  ist  die  Geschichte  vom 
heiigen  Hubertus).  Sehr  verdienstlich  sind  die  sorgfältig  gearbeitete  Ab- 
handlung (S.  1 — 39)  über  die  Dichtkunst  der  Schluh,  die  St.  den  Texten 
vorausgeschickt  hat  und  die  Anmerkungen,  welche  die  zahlreichen  nicht 
ohue  weiteres  verständlichen  Stellen  der  Gedichte  erläutern. 

Die  Übersetzung  liest  sich  in  allen  drei  Sammlungen  fliessend;  ich  bin 
mit  der  Sprache  des  Originals  nicht  genügend  vertraut,  kann  also  über 
ihre  Zuverlässigkeit    nicht    urteilen.     Mit  bemerkenswertem  Geschick  sind 


276  Tschiedel: 

die  Stollen  behandelt,  wo  sich  die  Rede  epigrammatisch  zuspitzt  oder 
kindliche  und  sinnlose  Rede  nachzuahmen  ist  (s.  S.  111.  143.  187.  188.  193). 
Wie  die  Sprachforscher  sind  auch  die  Volkstumforscher  Herrn  Dr. 
Stumme  für  die  drei  Gaben  zu  warmem  Danke  verpflichtet.  Möchten 
seine  weiteren  Mitteilungen  aus  Nordwestafrika,  das  er  in  seinen  beiden 
Bevölkerungsklassen,  der  arabischen  und  berberischen,  so  gut  kennt,  wieder 
so  wertvolle  Gaben  bringen,  wie  diese  Proben  des  Volkstums  aus  jenem 
abüeleuenen  Südwestwinkel  Marokkos,  Tazerwalt. 


Italienische  Volksrätsel. 

Gesammelt  von  Johannes  Tschiedel. 

1.  (a*)  Campo  bianco,  semenza  nera.  Due  la  guarda,  cinque  la  mena 
(L'ago  col  filo).  Weisses  Feld,  schwarze  Saat.  Zwei  blickt  auf  sie  nieder, 
fünf  streut  sie  aus  (Nadel  mit  Faden). 

2.  (b)  Tondo  rotondo,  Bacile  senza  fondo,  Bacile  non  e.  Chi  l'indo- 
vina,  e  un  gran  re  (Anello).  Rundlich  rund,  Becken  ohne  Boden,  Becken 
ists  nicht.     Wers  rät  ist  ein  grosser  Held  (Ring.) 

3.  (c)  Esso  va  dentro  asciutto  e  tirato,  e  vien  fuori  molle  e  bagnato 
(Biscottino).  Wenn  er  hineingeht,  ist  er  trocken  und  straff,  kommt  er 
heraus,  ist  er  weich  und  nass  (Zwieback). 

4.  (d)  Son  im  convento  pien  de  frati  drento,  Tutti  i  xe  d'un  sol  colore, 
Fora  ghe  el  padre  priore  (Bocca  con  denti  e  lingua).  Ich  bin  ein  Kloster 
von  lauter  Paters,  alle  von  einer  Färb,  und  der  Prior  steckt  ausserhalb 
(Mund  mit  Zähnen  und  Zunge). 

5.  (d)  Du'  lucenti,  du'  pungenti,  Quattro  zocculi  e  'na  scopa  (Bue). 
Zwei  leuchtende,  zwei  stechende,  vier  Pantinen  und  ein  Besen  (Rind). 

6.  (d)  Ebbi  giä  le  budella  dentro  al  corpo,  Ed  or  ho  '1  corpo  dentro 
alle  budella  (Bue).  Einst  hatte  ich  die  Eingeweide  im  Körper,  jetzt  den 
Körper  in  den  Eingeweiden  (Rind). 

7.  (e)  Due  lucenti,  due  pungenti,  Quattro  stanghe  e  una  granata  (Bne). 
Zwei  leuchtende,  zwei  stechende,  vier  Stangen  und  ein  Besen  (Rind). 

8.  (a)  Piü  te  li  porti  addosso,  Meno  ti  pesano  (Buchi).  Je  mehr  du 
davon  auf  dir  hast,  um  so  weniger  wiegen  sie  (Löcher). 

9.  (b)  Vo  vestito  di  bianco,  Ne  mai  girar  mi  stanco,  E  di  quel  che 
mi  cade  per  di  sotto,  Tanto  il  goffo  mangia  quanto  il  dotto  (Buratto  della 

.  *)  S.  Quellenangabe  am  Schlüsse  des  Artikels. 


Italienische  Volksrätsel.  277 

farina).  Weissgekleidet  bin  ich  und  unaufhörlich  dreh  ich  mich.  Was 
ich  aber  unter  mich  fallen  lasse,  davon  isst  der  Narr  und  der  Weise 
(Mehlsieb). 

10.  (f)  In  convento  appena  intrata,  Superiora  fui  chiamata:  Dar  aviso 
e  comandar,  Questo  e  solo  il  mio  da  far.  Due  giornate  sole  a  l'ano  Di 
riposo  a  me  si  dano;  Sempre  tengo  el  mio  cordone  Come  la  superiora,  a 
picolone  (Campana).  Kaum  ins  Kloster  eingezogen  hiess  ich  schon  Oberin. 
Künden  und  Befehlen  ist  mein  einzig  Geschäft.  Zwei  Tage  nur  im  Jahr 
gönnt  man  mir  Kuh.  Immer  gerad  wie  die  Oberin  hab  ich  den  Strick  an 
mir  herunter  baumeln  (Glocke). 

10  b.  (a)  Io  ho  una  finestraccia,  Che  c'e  una  vecchiaccia  Che  con  im 
dente  Chiama  tutta  la  gente  (Campana).  Ich  hab  ein  Fenster,  da  sitzt  eine 
Alte,  die  hat  nur  einen  Zahn  und  ruft  damit  alle  Leute  heran  (Glocke). 

11.  (e)  Che  e  quella  cosa  che  se  si  butta  dal  cielo  non  si  rompe  e 
se  si  butta  nell1  acqua,  si?  (Carta).  Was  ist  das:  Man  kanns  vom  Himmel 
herabwerfen  und  es  geht  nicht  entzwei,  ins  Wasser  geworfen  aber  sofort? 
(Papier). 

12.  (g)  Chi  la  fa  la  fa  per  vende',  Chi  la  compra  non  l'adopra,  Chi 
l'adopra  non  la  vede  (Cassa  di  morto).  Wer  es  macht,  machts  zum  Ver- 
kauf, Wer  es  kauft,  brauchts  nicht,  Wers  braucht,  siehts  nicht  (Sarg). 

13.  (g)  Alto,  alto  padre,  Spiritata  madre,  E  le  sue  fijöle  So'  bone  cotte 
e  crude  (Castagne).  Hoch  der  Vater,  Verhext  die  Mutter,  und  die  Töchter 
stets  vorzüglich,  seien  sie  gekocht  oder  roh  (Kastanien).     (Vgl.  No.  65.) 

14.  (d)  Alto  xe  el  pare,  Spinosa  la  mare,  Moretta  la  figlia  (Castagna). 
Hoch  der  Vater,  dornig  die  Mutter,  schwärzlich  die  Tochter  (Kastanie). 

15.  (g)  Qual  e  quella  cosa?  Grande  e  grosso  lo  vorria,  tra  le  gambe 
mel  metteria,  dritto  dritto  vorrei  che  andasse  e  che  mai  non  scappuzzasse 
(Cavallo).  Was  ist  das?  Gross  und  dick  wünsch  ich  ihn,  zwischen  die 
Beine  brächte  ich  mir  ihn,  geradeaus,  wünschte  ich,  soll  er  gehen  und 
niemals  entwischen  (Gaul). 

16.  (a)  Porta  la  barba  e  non  e  cappuccino,  Porta  le  borse  e  non  e 
cercante,  Fa  la  ricotta  e  non  e  pastore,  Ottura  i  buchi  e  non  e  muratore 
(Cazzo).  Er  hat  einen  Bart  und  ist  kein  Kapuziner,  trägt  einen  Beutel 
und  ist  kein  Almosensammler,  macht  Käse  und  ist  kein  Hirte,  verstopft 
Löcher  und  ist  kein  Maurer  (Männl.  Glied). 

17.  (g)  Io  ci  ho  una  cosa  che  cruda  non  si  trova  e  cotta  non  si  magna 
(Cenere).  Ich  hab  eine  Sache,  roh  findet  sie  sich  nicht  und  gebrannt  ist 
sie  nicht  essbar  (Asche). 

18.  (a)  Sotto  la  zona  torrida  e  focosa  Fra  mori  abitator  bianca  nacqni 
io.  Ma  fu  mia  vita  al  genitor  dannosa,  che  appunto  quando  nacqui  io  egli 
morio.  Mi  spirö  fra  le  braccia  e  puro  e  mondo  AI  ciel  volö  suo  spirito. 
Ed  io  infelice  qui  le  macchie  a  purgar  rimasi  al  mondo.  Simbol  di  peni- 
tenza  ognun  mi  dice;  Guardatevi  perö  da  quel  che  ascondo  Sotto  di  questa 


278  Tschicdel: 

veste  ingannatrice  (Cenere).  In  heisser  Zone  unter  schwarzem  Volk  ward 
geboren  Ich  eine  Weisse,  einsam  verloren.  Unheil  nur  bracht  ich  dem 
Vater,  Verderben.  Denn  als  ich  entstand,  musste  er  sterben.  In  meinen 
Armen  verhaucht  er  sein  Leben,  Rein  darf  sein  Geist  zum  Himmel  schweben. 
Ich  Unglückliche  blieb  allein  in  der  Welt,  Flecken  zu  tilgen  bin  ich  be- 
stellt. Symbol  der  Trauer  nennt  mich  ein  jeder.  Doch  hütet  euch  vor 
dem,  was  ich  verstecke  Unter  trügerischer  Decke  (Asche). 

19.  (b)  Chi  e  quel  che  vola  e  non  ha  penne  o  ale  e  monta  sopra  i 
tetti  senza  scale?  (Cervello).  Wer  fliegt  ohne  Federn  oder  Flügel  und 
steigt  bis  auf  die  Dächer  ohne  Leitern?  (Gehirn). 

20.  (a)  Corre  correndo,  Ficca  ficchendo,  Fa  quella  cosa  E  poi  si  riposa 
(Chiave).  Eilends  läuft  er,  stemmt  hinein,  Macht  jene  Sache  und  ruht 
dann  aus  (Schlüssel). 

21.  (g)  Io  ci  ho  una  cosa  che  a  giorno  sta  a  bbocca  chiusa  e  a  notte 
sta  a  bbocca  aperta  (Le  ciabatte).  Was  ist  des  Tages  voll  und  des  Nachts 
hohl?  (Pantoffeln). 

22.  (a)  Io  ho  un  lenzuolo  tutto  ricamato,  Ne  ago  ne  filo  c'e  passato 
(Cielo).  Ich  habe  eine  Decke  reich  gestickt,  und  doch  ist  weder  Nadel 
noch  Faden  durchgegangen  (Himmel). 

23.  (a)  Ho  un  lenzuolo  grande  grande,  Non  lo  posso  arrivar  a  piegar. 
Ho  taute  zecchine  d'oro,  Non  li  posso  arrivar  a  contar.  Ho  una  mela 
grossa  grossa  Non  la  posso  arrivar  a  spaccar  (Cielo,  stelle,  luna).  Ein 
grosses,  grosses  Tuch  habe  ich  und  kann  nicht  dazu  es  zu  falten;  viele 
viele  Goldfüchse  und  kann  sie  nicht  zählen;  einen  dicken  dicken  Apfel 
und  kann  ihn  nicht  aufbrechen  (Himmel,  Sterne,  Mond). 

24.  (d)  Semo  quele  che  va  via  cantando  E  che  le  torna  a  casa  lagri- 
mando  (Conche  d'acqua).  Singend  ziehen  wir  aus,  weinend  kehren  wir 
heim  (Bronzene  Wassereimer). 

25.  (h)  Scindo  ridendu  'Nchiano  chiancendo  (Conca).  Lachend  steig 
ich  hinunter,  weinend  komm  ich  herauf  (Wassereimer). 

26.  (a)  Cara  signora  mettetevi  giii,  Che  vi  voglio  montare  su.  Vi 
voglio  aprire  una  spaccatura,  Vi  ci  metto  una  cosa  dura  (Contadino  che 
spacca  la  quercia  e  vi  introduce  il  cuneo)